Europa, Großbritannien

London, Tag 3 – Kneipentour in Soho, Londons angesagtestem Ausgehviertel

Der dritte Tag steht voll und ganz im Zeichen des Shopping. Zwei Tage lang hatten wir uns nun den Style der schicken, immer in Eile scheinenden Londoner angesehen und jetzt wird es Zeit, diesen weitestgehend zu assimilieren – neue Kleidung muss her!

 

Shopping in London

Schon im Vorfeld hatte ich mir Gedanken darüber gemacht, wo wir recht günstig ein wenig Stil und Klasse her kriegen und so steuern wir nun zielsicher den örtlichen H&M an.

Gedränge, nichts als Gedränge, als wir uns in Richtung Zentrum bewegen. Die Menschen haben es eilig, das Handy am Ohr. Welch Unterschied zu Spanien oder Italien, wo ich immer wieder staunte, wie denn die Zeit, während sie alle entspannt in Cafes sitzen, still zu stehen scheint. Nicht so hier. Nur wir sind die Entspannten, doch wir passen automatisch unseren Schritt den Menschenmassen an.

An jeder Ecke locken Fressalien, sündhaft teure kleine Schnittchen, Törtchen und Gebäck, tausendundein verschiedene Restaurants, vor denen wir immer mal kurz stehen bleiben mit den Worten: „Das müssen wir uns vormerken!“ Sushi, Italiener, indische und pakistanische Küche, Bangladesch für den, der es ausgefallener mag. Oder Fisch and Chips. Ganz klassisch. Janine will Fisch and Chips.

Je näher wir dem Zentrum kommen, desto gestylter die Menschen. Und desto kritischer die Blicke. Und wehe, eine Lady trägt Sneaker zu ihrem feinen Kleid, sei es nur auf dem Weg zur Arbeit! Der verächtliche Blick des nächststehenden Herren ist ihr sicher.

Die Kollektion bei H&M unterscheidet sich recht stark von dem, was wir hierzulande so vorfinden und ist sozusagen dem Gusto des örtlichen Klientels angepasst. Soll heißen: man findet hier schwerlich etwas, das nicht elegant wäre. Ich probiere, streife durch den Laden und fühle mich wie die Queen. Mein Handgepäck gibt noch ein wenig Platz her, also decke ich mich mit einer neuen Garderobe ein. Ich liebe diese Riesenauswahl an Basics. Hose, Pulli, Schuhe und ein langer, grauer Wollmantel, der quasi zu rufen scheint: Gestatten, ich bin Watson.

Ich mit „Dr. Watson“. Nein, das ist nicht mein langer, grauer Mantel, für Wolle war es an dem Tag noch zu warm… 🙂

Eine Spur eleganter verlassen wir den Laden. Auch Janine hatte sich eingedeckt und ich dachte mit Grauen daran, wie sie das alles nach Hause zu transportieren gedenkt, denn ihr Gepäck wies kaum noch einen freien Hohlraum auf. Doch sie hat bereits einen Plan, wie sie das alles managen will. „Also, die Jacke ziehe ich an, das Kleid über die Hose…“ Ganz viel Zwiebellook und ganz viel stopfen. A-ha. Au-weia.

In einem schicken Designerladen deckt sie sich mit einem Paar extravaganter Schuhe ein. Janine hat eine Schwäche für ausgefallene Schuhe. Voller Tüten stöckeln wir nach Hause – soll heißen, ins Hotel – um unsere Beute erst einmal zu verstauen. Das kleine Hotelzimmer wird noch ein bisschen kleiner. Dann ein Kleiderwechsel, und wir laufen wieder in die Stadt. Nun falle ich nicht mehr als Tourist auf, nein, die Kleidung passt schon mal. Und der lange, graue, warme Watson-Mantel.

Es ist leider so, dass meine Freundin über keinen guten Orientierungssinn verfügt, das war mir bereits bei unserer Ankunft in London aufgefallen. Nun ist es ja nicht so, dass ich intuitiv immer den richtigen Weg finde. Doch mit der Navigations-App auf meinem Handy oder einer Karte in der Hand geht das. Wenn ich eine Strecke ein- bis zweimal gelaufen bin, geht das locker. Nun, man kann auch länger brauchen, aber wenn ich sehe, dass sich jemand blindlings, mit einem Urvertrauen, das seinesgleichen sucht, nur auf mich verlässt, dann geht mir das irgendwann auf den Keks.

Auf dem Weg zum Hotel veranstalte ich eine Challenge, die da heißen könnte: finde den Weg nach Hause: auf einer Strecke, die wir seit drei Tagen mehrmals täglich rauf- und runter laufen, sage ich irgendwann einfach nicht mehr die Richtung an. Janine ist not amused. Nein, überhaupt nicht. Aber, was soll ich sagen… ich bin keine geduldige Mitreisende, wenn ich alles alleine machen, recherchieren, suchen und finden muss. Ich will einen Reisepartner, kein Reise-Kind. Whatever, Janine sucht den Weg. Ganz irritiert. Wir laufen einmal um den Block herum. Bleiben an einer Kreuzung stehen. Laufen wieder ein Stück weiter. Würde man unsere Route nachverfolgen, so glaubte man an zwei betrunkene Ameisen.

Irgendwann breche ich das Experiment ab und führe uns zum Hotel.

Wenn jetzt jemand rufen sollte: wie gemein! – Ja, mag sein. Es war nicht nett – aber notwendig. Denn Janine ist daran gewachsen. In der einen Woche hier in London war sie bald soweit, dass sie mir den Weg angesagt hat, noch eher ich mich selbst orientieren konnte.

Am späten Nachmittag genehmigen wir uns Fish und Chips. Wobei die „Chips“ in der Regel einfach frittierte Kartoffelchips sind. Wer gern ein bisschen Hintergrundinfo hätte: Fish and Chips, das inoffizielle britische Nationalgericht, stammt wahrscheinlich aus dem 17-18 Jahrhundert, als man die Kartoffel nach Europa brachte. Die frittierten Kartoffelchips wurden so vermutlich erstmals in Frankreich gegessen, doch die Briten ergänzten den panierten, frittierten Fisch dazu. Dies war früher ein simples Gericht für Jedermann, das noch bis heute in Zeitungspapier gewickelt serviert wird.

Wir bekommen unser Gericht (leider) auf dem Teller. Schade eigentlich, denn ich wollte es schon ganz gerne klassisch in Zeitung gewickelt. Einen Tisch weiter schlingt ein Anzug tragender Londoner seine Fish&Chips aus einer Zeitungstüte herunter.

Soho; das Hippe, das Verruchte

Tagsüber verwöhnte uns das Wetter mit Trübsal und Wind, nun, gegen Abend, gesellt sich hartnäckiger Nieselregen dazu. In London gilt: egal, wie strahlend die Sonne am Morgen scheint, nimm einen Schirm mit. Ja wirklich, nimm ihn mit.

Trotz des schlechten Wetters ist die Stadt voll. Wir tauchen ins Gedränge ein und entdecken bald schon die bunten Häuser von Soho.

Das Viertel liegt nordwestlich des Piccadilly Circus und ist die Adresse, wenn es ums Feiern und Kneipentouren geht. Doch auch Museen und Theater findet man hier und wer möchte, schaut sich eine der vielen Shows an, die täglich angeboten werden. Natürlich ist Soho längst kein Geheimtipp mehr, doch es sind nicht nur Touristen, sondern auch viele Londoner hier unterwegs. Die Kneipen und Pubs sind voll, doch unser Plan ist, sich erst einmal umzusehen, dann irgendwo abzutauchen, wo es gemütlich ist.

Das Viertel hat sich heutzutage mehr oder weniger dem Mainstream ergeben, doch noch vor nicht zu langer Zeit hatte es aufgrund der vielen Sex-Shops und Bordele einen schlechten Ruf. Der perfekte Platz für zwielichtige Gestalten der Bohemian-Gesellschaft, Künstler und alle, die einfach nur anonym für einen Abend untertauchen wollten. Vor allem die Zwanziger Jahre waren bekannt für ihren sündhaften, freien, entfesselten way of live.

Wer, wie wir, in das Viertel eintaucht, landet früher oder später an der zentral durch Soho führenden Carnaby Street. Wie einer knalligen Bonbontüte entsprungen fällt sie durch ihre pastellfarbenen Häuser und alternative Shops aus dem Rahmen. Angesagt, bunt, schrill sind die Klamotten, Schuhe und Accessoires, die uns aus den Schaufenstern entgegen schauen. Schuhe, die aussehen, als wären sie Alice im Wunderland entsprungen. Oder einem LSD-Trip. Oder beidem. Hier haben sich die Designer selbst übertroffen. Hatte ich schon erwähnt, dass Janine auf ausgefallene Schuhe steht? Mit einem Paar sündhaft teurer Treter mit einem Wahnsinnsabsatz verlässt sie dann den Laden. Und ich denke mit Schrecken an ihr begrenztes Handgepäck.

Soho ist bunt, Soho leuchtet; je weiter der Abend voranschreitet, umso stimmungsvoller erscheinen die vielen, bunten Lichterketten zwischen den Bäumen und an den Häusern entlang.

Am Ende einer engen Seitengasse, die mit Girlanden Lichter verhangen ist, entdecken wir Kingly Court, einen schmucken Innenhof, von Restaurants und Cafes umrandet. Das Kingly Court wird noch in diversen Empfehlungen als Geheimtipp und ruhiges Örtchen beschrieben, wo man durchatmen und dem Trubel der Stadt entgehen kann, doch so ruhig und beschaulich ist es bei weitem nicht. Alle Tische sind besetzt, die Lokale gut besucht, und dann gibt es auch welche wie uns, die auftauchen, ein paar Bilder machen und dann wieder verschwinden. Ja, Kingly Court ist in Soho längst kein Insider mehr.

Das Kingly Court

Wir verlassen Kingly Court. Mich reizen die Pubs, voll, laut, voller Leben; ich will mich zwischen die Leute drängen, die dicht an dicht auf der Straße vor dem Pub stehen, ihren Plastikbecher Bier in der einen und die Zigarette in der nächsten. Mitten ins Getümmel, mitten in den Abend. Janine will da nicht rein.

Doch blöderweise ist es auch nicht möglich, sich abzuspalten, so dass jeder für sich mal entspannt eine Runde dreht. Ich zwinge ja niemanden. Aber ich selbst will da rein.

Alleine möchte sie auch nicht sein, auch nicht für eine Stunde. Schließlich folgt sie mir missmutig. Es ist schwierig, sowohl nonstop zusammen zu sein und gleichzeitig sicher zu stellen, dass beide Parteien zufrieden sind. Deshalb bin ich ein Freund davon, hier und da autonom etwas zu unternehmen. Ich bin kein Freund davon, zu verzichten. Ich bin jetzt, hier und heute in dieser Stadt, an diesem Ort; wer weiß, wann und ob ich zurück kommen werde.

Doch ich bin auch kein Freund davon, jemanden zu einer Unternehmung nötigen zu wollen. Ich will nicht, dass mein Reisepartner mir zuliebe mit unzufriedenem Gesicht neben mir sitzt. Bei einem überdimensional großen Guiness spreche ich alles aus. Es gibt Tränen, die getrocknet werden müssen. Danach ein klärendes Gespräch. Das Gespräch und der Guiness führen dazu, dass wir uns wieder lieb haben. Anschließend ziehen wir um die Häuser. Janine stürzt sich mit mir in jede Kneipe, in jeden Pub, durch jedes Gedränge hindurch. Ich bin stolz auf sie.

In der zweiten Bar beobachten wir die Leute und stellen erstaunt fest, dass die Londoner nicht nur, so schick wie sie sind, zur Arbeit fahren,  sondern genauso im Anzug und Krawatte auch ausgehen. Bedruckte Hemden, Hosenträger, Tweed – all das, getragen von sehr jungen Männern. Wo bei uns T-shirt und Jeans herhalten, ist hier Stil und Eleganz gefragt. Und all diese Menschen sehen nicht etwa überkandidelt aus, nein, es passt zu ihnen, es sieht grandios aus und es passt auch hierher, in diesen Pub, in diese Stadt. An jeder zweiten Ecke findet sich in London ein Herrenausstatter und, oh ja, wir haben viel zu gucken.

Doch auch die Ladys stehen den Jungs in nichts nach; hier ist es schick, sexy und teilweise sehr kurz. Sie sitzen elegant auf ihren Hockern, sie frieren draußen würdevoll mit ihren knappen Cocktailkleidern, stützen sich angeheitert an ihre Begleiter. Manchmal sind es durchaus sehr alte Herren, die so ein blutjunges Ding spazieren führen. Whatever, jedem das seine.

Ein typischer Londoner Pub von innen

Inzwischen ist es längst dunkel. Irgendwann, fragt mich nicht, wie, landen wir in einer Art Bar mit Disco. Es gibt ein Untergeschoss, eine Bar und eine Tanzfläche. Der Raum ist nicht besonders voll, doch alle Sitzecken sind belegt und so quetschen wir uns, nachdem wir unsere Drinks geholt haben, zu einem Pärchen an den Tisch. Eigentlich müssten wir glücklich und losgelöst sein, so beschwipst und in einer fremden Stadt, doch hier holen uns plötzlich unsere Sorgen ein. Wir haben beide Angst, dass die Stimmung in Deutschland kippen könnte. Die rechte Fraktion macht sich breit und immer breiter, und beide sprechen wir aus, was uns auf dem Herzen liegt. Wir wollen beide nicht in einem faschistischen Deutschland aufwachen, schlürfen unsere Drinks und unsere benebelten Gehirne suchen nach Möglichkeiten.

Janine möchte auswandern. Bis dato war London ein Ort, an dem sie sich gerne selbst gesehen hatte, doch der Anblick der vielen Obdachlosen, junger Menschen, die hier ins Bodenlose fallen, hatte sie eines Besseren belehrt. „Ich würde zurück nach Polen gehen.“ Sage ich. „Dort sind die Menschen zwar auch nicht toleranter, aber zumindest bin ich nicht fremd…“

Nun, die ganzen Gedanken fanden statt, noch bevor die AfD begonnen hatte, sich selbst zu zerlegen. Die Spendenaffäre und die vielen Austritte aus der Partei sowie der wachsende Widerstand in der Bevölkerung geben aktuell Anlass zur Hoffnung.

Doch nachdem wir unsere trüben Gedanken loslassen, haben wir viel Spaß im Soho-Viertel. Fröhlich kichernd wandern wir durch die Straßen. Mit meinem Orientierungssinn ist es auch nicht mehr zum Besten bestellt, doch irgendwann finde ich den Weg und wir schwanken frohgelaunt zurück zum Hotel.

To be continued…

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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1 Kommentar

  1. […] sitzen wir knapp vier Wochen später im besagten London, genauer gesagt: in einer der schicken, urigen Bars, und es fließen Tränen. Es sind nicht meine. […]

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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