Dass ich Stefan, den Fastnachtsmuffel in den Schwarzwald hinausgekriegt habe, grenzt schon an ein mittleres Wunder. Vermutlich war es damals, im Jahre 2014, eine Mischung aus frischer Verliebtheit und der Lust darauf, etwas neues zu erleben, die ihn mit mir an einem kalten Sonntagmorgen in die Regionalbahn steigen lässt. Wer weißt das schon so genau…?
Wie denn auch sei, die traditionelle „Fasnet“ im Schwarzwälder Kinzigtal ist, wie auch die original Schwarzwälder Torte, etwas, was man so nicht alle Tage zu verkosten bekommt. Langsam tuckert die Bahn vor sich hin und Stefan, der vom Herzen gerne Zug fährt, scheint die Ruhe und Beschaulichkeit der Reise zu genießen, während ich in die trostlose Landschaft hinaus schaue und mich zur Tode langweile. „Dies ist eine sehr schöne Zugstrecke.“ Sagt er beiläufig zu mir und ich nicke zustimmend und versuche, mir die noch kahlen, grauen Hügel in „schön“ vorzustellen.
Nee, Zugfahren ist nicht meins, ich habe dies in meiner Jugend viel zu oft und viel zu lange tun müssen. Unzuverlässige Unpünktlichkeit, schlechte (oder gar keine) Anbindung und das Abfrieren an diversen Bahnhöfen dieser Welt haben mir ein für alle Male gereicht. Die Bimmelbahn – nur wenn es sein muss. Nun sitze ich mit meinem frisch angelachten Freund hier, der sehr auf Zugfahrten steht. Jap, es muss sein…
Im kleinen, beschaulichen Haslach ist nun der Teufel los, wenn ich es mal so sagen darf. Wir sind pünktlich und schaffen es irgendwie auch, uns einen einigermaßen guten Platz in der Zuschauermenge zu ergattern. Durch die Ortsmitten durch führt ein Korridor aus Menschen, bemalte, verkleidete Zuschauer erwarten mit Spannung, was da kommen möge und die glücklichsten von allen, nämlich die Anwohner, hängen aus den Fenstern ihrer ureigenen Wohnungen herunter, mit warmen Hintern und dem besten Blick auf alles.
Ob ich dem einem oder anderen Geld anbieten sollte dafür, damit er mich in seine Wohnung in der ersten Etage lässt?
Haslach ist ein schöner, kleiner Ort mit schmucken Fachwerkhäuschen, hier und da mit hübschen Ornamenten bemalt. Nun präsentiert sich die Stadt noch ein wenig bunter, denn quer über der Hauptstraße hängen farbenfrohe Girlanden und die schräg stehende, schwache Sonne bringt ihre kleinen Fähnchen zum Leuchten.
Und dann geht es los, unter Jubeln, Rufen und dem sprichwörtlichen Trommelwirbel – die ersten bunten Gestalten sind um die Ecke erkennbar.
Die Kostüme sind der Wahnsinn, ganz anders als das, was man hier im Rhein-Main kennt. Genau wegen dieser Andersartigkeit bin ich hierher gekommen, denn jetzt kommen die Schwarzwaldhexen mit krummen Nasen, roten Kopftüchern und großen, glupschigen Augen um die Ecke gebogen. Eine der Hexen führt ein kleines, argloses Kind im Wägelchen mit sich spazieren und auch um die anderen gruseligen Gestalten gruppieren sich die gutgelaunten Kiddies herum. Wenn ihr nur wüsstet, was euch blüht, denke ich mir leicht frierend; ihr werdet alle aufgefressen!
Den besten Part haben natürlich die Wölfe und die Teufel, in Wolfs- oder Teufelsmasken geschmückt und in warmen, flauschigen Ganzkörper-Pelzanzügen steckend. Die haben es kuschelig, die frieren nicht… denke ich mir neidisch. Einer der Wölfe will sehen, wie meine Aufnahmen geworden sind. Unheimlich, das Wildtier neben mir zu haben…
Und da, da kommt der Froschkönig. Mit seinen grünen Froschkinderchen. Doch auch moderne Komponenten haben in dem traditionellen Umzugstrubel Platz, so fahren zum Beispiel die Mammuts und Eichhörnchen von „Ice Age“ friedlich neben den Teufeln her. Und ein junger, halbnackter Mann mit pinkenem „Hallo Kitty“- Skateboard unter dem Arm beendet das bunte Prozedere.
Es werden Bonbons geworfen und Schnaps ausgeschenkt. „Wer will? Wer will?“ Ruft die „Schnapsdame“ in die Menge und ehe ich noch den Mund aufmachen kann, ertönt neben mir ein lautstarkes: „IIICH!“ und ein Schnaps-lustiger Stefan sprintet an mir vorbei und kippt sich den Tropfen hinter die Binde. „Hm, das hat gut geschmeckt.“ Sagt er, als er sich wieder zu mir dreht. Ach, dass Blicke nicht töten können…
Die schwäbisch-alemannische Fasnacht ist laut Historikern eine christliche Erfindung. Die Kostüme sehen ganz anders aus als die der Karneval-Feiernden am Rhein, es sind Wölfe, Hexen, Teufel und Bösewichte. Mit den Ausschweifungen wollten sich die Feiernden noch einmal so richtig austoben vor der Fastenzeit, gemacht wurde alles, was danach verboten war. Es war eine Zeit entgegengesetzt zur der (Schein)heiligkeit und der Frömmigkeit, die Menschen wollten sich vor der 40-tägigen Fastenzeit noch einmal mitnehmen, was geht. Denn die Zeit des Fastens vor dem Osterfest war voller Entbehrungen, nicht nur, was den Fleischkonsum und den Alkohol, sondern auch, was die Sexualität betrifft. Wie also die Narren im Mittelalter feierten, können wir nur erahnen.
Irgendwann wurde die traditionelle Fastnacht teilweise vom italienisch inspirierten Karneval verdrängt, teilweise verboten. Die Renaissance erlebte sie erst vor circa hundert Jahren, als die alten Kostüme wieder aus den verstaubten Truhen geholt worden sind und entwickelte sich im Laufe der Zeit sozusagen zum Kult. Heute ist die Alemansche Fastnet beliebter denn je und in jedem Falle etwas Besonderes.
Der Schnaps von vorhin war übrigens danach kein Thema mehr, denn in einem kleinen, beschaulichen Haslacher Lokal, in dem wir nach dem Umzug einkehrten, gab es davon noch mehr…
[…] darf, hatte ich schon vor ein paar Jahren und nur wenige Kilometer weiter im Schwarzwälder Haslach erleben dürfen. Faszinierend, all die Kostüme, die fellbedeckten, zotteligen Gestalten mit den hölzernen […]