Der Nonnensee
Nonnen sehe ich keine, dafür jede Menge Zugvögel auf und um die Wasserflächen herum. Das Wasser färbt sich rosarot und die Rufe der Enten und Wildgänse füllen die Stille des Abends. Über einen Schotterweg, links und rechts von Bäumen gesäumt, gelange ich ans Ufer. Hier steht eine kleine Bank.
Unerklärlicherweise staut es auf beiden Seiten. Und nein, es ist nicht die Baustelle zwischen Hannover und Hamburg, die diesmal an diesem Elend schuld ist, denn als ich kurzer Zeit später den Crash und die demolierten Fahrzeuge auf der Gegenfahrbahn passiere, ist es, als sei ein Knoten geplatzt und die Autos auf meiner Seite fahren zügig weiter. Dies war also einzig und allein die Ursache für den Stau, die Ursache dafür, dass ich fast eine Stunde warten musste: Sie alle wollten gucken. Und vielleicht auch filmen. Vielleicht gäbe es ja ein blutendes, sterbendes Opfer zu sehen. Macht sich immer gut bei Youtube.
Es ist mir gelungen, mich etwas früher von der Arbeit loszureißen, so dass ich den dichtesten Feierabendverkehr in und um Bonn herum gerade so umgehen konnte. Seit nachmittags um drei bin ich schon unterwegs, doch eigentlich sitze ich bereits seit früh morgens im Auto, wenn man es genau nimmt. Ein Job auf vier Rädern hat den Vorteil: man bekommt Routine, ganz viel Routine, kaum etwas von dem, was im Straßenverkehr oder auf den Autobahnen passiert, kann mich jetzt noch überraschen. Ob Menschen auf die Straße laufen oder ein Arbeiter im Rushhour Verkehr ein Brett zwischen den Fahrenden Autos aufheben will, das ihm auf die Autobahn gefallen ist – alles schon er- und überlebt.
Doch lange Autofahrten haben auch Nachteile. Rückenschmerzen zum Beispiel, die sich nunmehr bemerkbar machen, kaum dass die Strecke für mich so richtig angefangen hatte. Ich schlucke Ibu, versuche, mich zu entspannen und schalte Musik an. Soll der Stau dauern, wie lange er will, da kann man jetzt nichts daran ändern. Doch irgendwann geht es weiter. Ich bin nun auf der A20 unterwegs und der Verkehr ist kaum noch vorhanden, vielleicht der Uhrzeit geschuldet, ich weiß es nicht. Jedenfalls gebe ich Gummi, um nach den Staus ein paar Kilometer hinter mich zu bringen. Locker und entspannt mit 210; 180, wenn es langsamer gehen muss. Der kaum vorhandene Verkehr machts möglich, ich funktioniere wie ein Roboter, analysiere die Straße. Der Abstand zwischen mir und meinem Ziel schmilzt.
Ab und zu schiele ich auf die Karte auf meinem I-Pad und den kleinen, blauen, blinkenden Punkt, der ich bin und der sich recht zügig von A nach B bewegt. Ich habe ganz schön Strecke gemacht. Und doch dauert es noch einige Stunden, bis ich an meinem Ziel, der Insel Rügen, angekommen bin.
Hamburg, Lübeck, Rostock, Stralsund. Im weichen Abendlicht sehe ich, wie sich die Landschaft verändert. Gewässer tauchen auf, ebene Flächen, goldene Felder. Ab und zu ist eine Möwe zu sehen. Links und rechts sumpfige Flächen und das, was man als „Marschland“ bezeichnet. Dieser Moment der Reise, in dem du eigentlich ultimativ müde bist, erledigt bis auf die Knochen, doch es ist das Neue um dich herum, die Veränderung, das, weswegen du gekommen bist und was dich gleichzeitig pusht und wach hält wie ein hyperaktives Erdmännchen. Du bist angekommen und bist unglaublich stolz auf dich. Und erledigt, so erledigt.
Von weitem sehe ich die Hansestadt Stralsund, dann passiere ich die knapp zwei Kilometer lange Rügener Brücke, die die Insel mit dem Festland verbindet. Und nun mache ich gemütlich, zum einen, weil auf Rügen höchstens 120 erlaubt ist, zum anderen deshalb, weil ich eigentlich angekommen bin. Ich habe Bergen auf Rügen ins Navi eingegeben, um irgend ein anpeilbares Ziel zu haben und nun steuert mich der Boardcomputer zuverlässig dorthin.
Es ist abends halb zehn. Um mich herum – goldene Felder. Während im Süden die Getreideflächen bereits abgemäht werden, sind sie hier im Norden noch goldgrün, noch nicht soweit. Ich überlege, noch heute ans andere Ende der Insel zu fahren, dorthin, wo die berühmten Kreidefelsen zu sehen sind. Vielleicht habe ich Glück und kann die Kreideküste von Rügen noch bei Tageslicht sehen – die langen Junitage machen es möglich.
Ich erblicke links von mir den Nonnensee bei Bergen und wende den Wagen. Gleich geht die Sonne unter und es macht wenig Sinn, im Dunkeln weiter zu fahren.
Beim Abbiegen sehe ich einen Radfahrer und bremse ab. Ich parke das Auto am See, steige aus und strecke erst einmal meine Knochen aus. Die Beine sind noch etwas wackelig von so vielen Stunden Fahrt und nach dem heißen Tag ist die Luft um den See herum überraschend kühl. „Verzeihung!“ Rufe ich dem Radfahrer zu, der abgestiegen ist und nun sein Rad abbindet. „Ich hätte Sie fast nicht gesehen.“ Er wendet sich mir zu und sagt: „Ich wünsche Ihnen alles Gute und einen erholsamen Abend und noch viel mehr, genießen Sie es!“
Ein wenig überrascht ob der ausgebliebenen Schimpftirade gehe ich in der Abendkühle weiter. Ja, ein wenig Erholung kann ich tatsächlich gut gebrauchen.
Der Nonnensee hat seinen Namen von einer Sage, welcher nach sich an dieser Stelle vor langer Zeit ein wohlhabendes Kloster befunden haben soll. Die Nonnen lebten in Saus und Braus und ließen es sich gut gehen, was schließlich zum Untergang des Klosters geführt haben soll. Das Kloster wurde geflutet und nichts blieb mehr übrig bis auf die klagenden Rufe der Nonnen und die Kirchenglocken, die angeblich einmal im Jahr am Pfingstsonntag aus den Tiefen des Sees erklingen.
Nonnen sehe ich keine, dafür jede Menge Zugvögel auf und um die Wasserflächen herum. Das Wasser färbt sich rosarot und die Rufe der Enten und Wildgänse füllen die Stille des Abends. Über einen Schotterweg, links und rechts von Bäumen gesäumt, gelange ich ans Ufer. Hier steht eine kleine Bank. Perlmutfarben, rosarot sieht der Himmel aus und der Geruch des Sees, ein Geruch nach Wasser und Algen, steigt mir bereits beim Verlassen des Autos in die Nase. Die Schuhe werden nass im kühlen, feuchten Gras.
In der Nacht friere ich. Von der Hitze des Tages scheint nichts mehr übrig geblieben zu sein, als ich am Morgen die Augen öffne; die Scheibe ist beschlagen und sieht gefroren (?) aus, die Thermometeranzeige sagt mir, es sei vierzehn Grad. Die vierzehn Grad glaube ich dir nicht, denke ich, hebe den Kopf und sehe mich um. Und erblicke eine verwunschene Landschaft.
Das angehende Tageslicht ließ mich an sechs Uhr denken, doch es ist erst zwanzig nach vier. Die Sonne ist freilich noch nicht aufgestanden und die ganze Welt ist nebelumwoben. Lange Nebenschleier umspinnen Sträucher, Bäume und Hügel und da, wo der See gewesen sein sollte, ist nur noch eine große Nebelwolke zu sehen. Die Wiesen scheinen zu dampfen und das feuchte Gras hinterlässt einen nassen Film auf meinen Schuhen. Enten und Wildgänse steigen in Schnüren immer wieder vom Wasser auf und ihre Rufe sind das einzige, was an diesem Morgen zu hören ist. Der blasse Mond hängt etwas deplatziert am hellen, perlmuttfarbenen Himmel wie ein angepinnter Straßstein. Und es ist menschenleer, vollkommen menschenleer. Einzig auf der Straße in meinem Rücken sind ab und zu die Scheinwerfer eines Autos zu sehen.
Ich heize kurz das Auto auf und als die Sonne aufgeht, lege ich mich wieder schlafen. Die Nacht war verdammt kurz, zu kurz, und mit den ersten Sonnenstrahlen wirkt es so, als sei endgültig ein Weckruf erfolgt. Aber nicht für mich, oh nein.
Als ich um halb zehn aufstehe, sind keine Nebelschwaden mehr zu sehen. Die Luft ist klar und der Himmel hell, die Sonne scheint wärmend durch die Scheibe. Auch die Zugvögel sind nicht mehr am Himmel zu sehen, sitzen vermutlich gut im Dickicht der Seepflanzen versteckt. Der Zauber- oder Spuck der Morgenstunden ist verflogen.
Und ich bin nicht mehr alleine, es haben sich einige andere Fahrzeuge auf dem kleinen Parkplatz versammelt. Auf der kleinen, hölzernen Bank am Ufer, auf deren Holz noch der Tau des Morgens hängt, putze ich mir die Zähne mit Blick aufs Wasser. Nun spiegelt der Nonnensee das helle Blau des Himmels wieder, das wie ein Band zwischen der grünen Planzenwelt leuchtet. Ich bin glücklich und zufrieden, kann ich mir doch keinen schöneren Ort zum Zähneputzen vorstellen.
In Bergen tanke ich das Auto auf und fahre dann weiter zum nördlichen Ende der Insel, wo sich der Nationalpark Jasmund mit der berühmten Kreideküste befindet.
Die Kreidefelsen von Rügen
Die Schilder leiten mich vom Sassnitz zum Parkplatz Hagen um. Warum und weshalb der Zugang zum Park vom Sassnitz aus nicht möglich sein soll, ist mir schleierhaft und so stelle ich in Hagen das Auto ab. Von hier aus geht es nach einem Frühstücks-Hot-Dog zu Fuß Richtung Königsstuhl weiter; es handelt sich hierbei um eine kleine Wanderung von vier oder fünf Kilometern. Es ist elf Uhr am Vormittag und dies ist keineswegs früh, denn außer mir sind noch etliche andere Menschen unterwegs.
Der Wanderweg führt durch einen dichten Buchenwald, deren Stämme wie kerzengerade Säulen eines weitläufigen, grünen Tempels in den Himmel ragen. Selten ist der Gesang der Vögel so klar und klangvoll wie hier und die Blätterkrone über unseren Köpfen bildet ein geschlossenes Dach. Die Wurzeln der Bäume verzweigen sich bereits über dem Boden, um im sandigen Untergrund einen Halt zu finden.
Die Wege sind gut ausgeschildert, ein Verlaufen ist hier unmöglich. Und das nicht ohne Grund, schließlich möchte man, dass die Menschen auf ihrer Wanderung nicht über jede Ecke und jeden Winkel des Naturschutzgebietes tappen. Stille, grüne Teiche liegen auf dem Weg, mit gelben Wasserlilien und hohen Grasbüscheln bewachsen, die wie seltsame Köpfe aussehen. Umgestürzte Bäume liegen ein ums andere Mal auf dem Weg und in den Baumkronen knirscht und knarzt es im Wind. Nicht, dass mir so ein Baum noch auf den Kopf fällt!
Ein grüner, trüber Sumpf erstreckt sich zu meiner rechten, Schwarzerlen finden in den seichten Gewässern halt. Stehende Gewässer, Tümpel, Sümpfe und dergleichen lösen gemischte Gefühle in mir aus. Ich finde sie faszinierend und abstoßend zugleich. Fasziniert schaue ich mir all die blühenden Moorpflanzen an, die sich dort sammeln, den Verfall, die Fäulnis… und da beginnt bereits das Abstoßende, denn bei jedem solchen Sumpf komme ich nicht umhin, Geheimnisse oder eine Leiche darin zu vermuten. Lange Zeit folgten mir die Sümpfe bis in meine Träume hinein und immer dann, kurz bevor ich aufwachte, krabbelten übernatürlich große, modrig grüne Kröten daraus und stellten sich mir in den Weg. „Sumpf der Kriminalität, Sumpf aus Korruption…“ Negative Assoziationen gibt es zur Genüge. Und wie zur Bestätigung macht sich ein Frosch just in dem Moment im grünen Wasser mit einem lauten Plantschen bemerkbar.
Es gibt viele Möglichkeiten, die Kreidefelsen von Rügen zu sehen. Da ich im Vorfeld nur wenig Zeit mit Recherche verbracht hatte, wähle ich den, wie es scheint, einfachsten Weg – über das Touristenzentrum am Königsstuhl. Der Eintritt kostet € 9,90 pro Erwachsenen; bereits da denke ich mir, puh… Doch, wie sich später herausstellt, sind die Hauptattraktionen eine Ausstellung und die dazugehörende Filmvorführung. Ich kann euch nicht sage, ob sich beides lohnt; ich habe es mir nicht angesehen.
Es gibt auf dem Gelände selbst auch die Möglichkeit, vom Königsstuhl aus die Felsen und das Meer zu sehen. Der Ausblick ist ganz okay, doch wer, wie ich, eigentlich nur an der Felsenküste interessiert ist, sollte sich eher zur Viktoriasicht begeben.
Der Wanderweg zur Viktoriasicht geht noch auf dem Parkplatz vor dem Touristenzentrum rechts ab; ihr müsst dazu den Busparkplatz überqueren. Ein kleiner, kurvenreicher Kiespfad führt nach oben bis hin zum hölzernen Steg, der ein Stückweit hinausragt, so dass man sich beim Betreten in der Luft wähnt. „Betreten nur auf eigene Gefahr“ prangt ein großes Schild am Holzgeländer, an dem bereits viele kleine, bunte Liebesschlösser hängen. Und dann stehe ich da, über dem Abgrund. Wenn gerade jetzt die fragile Konstruktion beschließt, ihren Dienst zu quittieren, ja dann…
Das Wetter in Küstenregionen ist mehr oder weniger unberechenbar. Obgleich in der Mitte der Insel die Sonne bereits am Vormittag stark wärmte, sammeln sich bereits am Beginn meiner Wanderung graue Wolkenschleier am Himmel und die Temperaturen sinken ab. Hier oben, am hölzernen Steg, ist es kalt und windig, so windig, dass der Zug an mir und meinen Kleidern zerrt. Die schneeweißen Klippen fallen steil ins Wasser, das trotz des trüben Himmels entlang der Küste einen hellen, blauen Schimmer aufweist. Bäume und Sträucher krallen sich mit aller Macht auf den Kalksteinfelsen fest und bohren ihre Wurzeln so fest sie können, in den Grund. Der Abstieg zum Strand neben dem Königsstuhl ist gesperrt, in den letzten Jahren hat eine instabile Buche einen Teil der Treppe zerstört. Der Hang gerät ins rutschen – zuletzt im Mai 2017- und das Material gibt nach: der seit 200 Jahren bestehende Zugang zum Meer ist aus Sicherheitsgründen nicht mehr begehbar. Er soll nun dauerhaft abgebaut werden.
Doch der Ausblick von hier aus ist traumhaft; ich schaue rundum über die Ostsee, deren kräftige Wellen sich unter den Windböen am Ufer brechen. Ein kleines, rotes Boot ist inmitten vom alldem Blau zu sehen und am Horizont scheint die Wasserlinie noch einmal kräftiger zu leuchten.
Doch, wie gesagt, es ist kalt. Schon nach kurzer Zeit verlasse ich freiwillig diesen sagenhaften Ausblick. Der gleiche Pfad führt mich wieder zurück.
Glowe – am Strand
Frischer Kiefernduft steigt mir sonnengewärmt in die Nase, es riecht nach Nadeln, nach Harz. Der Weg, den ich entlang gehe, wird immer sandiger, so dass meine Füße nach und nach im weichen Sand einsinken. Vor mir – ein paar andere Urlauber, sie alle wollen über den Düneneingang zum Strand.
Der Strandabschnitt zwischen Juliusruh und Glowe erstreckt sich über mehrere Kilometer länge. Der schmale, gelbe Streifen besteht aus feinem, puderweichem Sand und gehört zu Rügens schönsten Stränden. Mit dem Auto komme ich auf die schmale Landzunge im Nordwesten der Insel. Unterwegs in Lohme halte ich an der Traditionsräucherei für ein Heilbut-Fischbrötchen.
Es bestehen mehrere Zugänge zum Strand; ich wähle einen, der sich ein paar Kilometer hinter Glowe befindet. Noch vor Juliusruh biege ich auf einen Parkplatz am Rande des kleinen Kieferwäldchens. Der Zugang zum Strand ist kostenlos – der Parkplatz jedoch mitnichten. So hat der Badefreudige die Wahl zwischen einer Ein- oder Zweistundenkarte (1 Stunde – 1 Euro) oder aber er wählt die Tageskarte für fünf Euro. Ich beschließe, dass zwei Stunden reichen.
Auch beschließe ich, mein Fischbrötchen am Strand zu essen und so stampfe ich durch das duftende Kiefernwäldchen in der wärmenden Sonne an den Strand. Bereits an den Dünen merke ich eine aufkommende Kälte.
Das erste, das ich hinter den Dünen erblicke, ist eine Möwe. Sie spaziert an der Wasserlinie entlang und blickt mit scharfem Auge umher. Wie war das, denke ich – ich wollte ja das Brötchen unbedingt hier essen, weil es doch so schön ist mit Blick aufs Meer und so? Diverse Youtube-Videos schießen mir durch den Kopf, in welchen Urlauber von hungrigen Möwen um ihre Fischbrötchen erleichtert werden, schießen mir durch den Kopf. Doch die Möwe bemerkt mein Brötchen nicht und fliegt irgendwann davon.
Trotz strahlender Sonne ist es hier kalt und windig. Der Wind kommt von der Ostsee und das Meer ist laut und stürmisch; wütend formen sich die Wellen, tragen ihre weißen Schaumkronen einige Meter weit in Richtung Land, um sich in den Windböen oder an der Küste zu brechen. Das hindert freilich nicht den eingefleischten Ostsee-Urlauber, sich in Badesachen auf den Sand oder ins kalte Meer zu schmeißen (wie kalt das Wasser heute ist, mag ich nicht mal mit dem kleinen Zeh auszuprobieren…). Auch ein paar Nackedeis sind unterwegs; kurz überlege ich, ob ich nicht etwa verkehrt bin. Bin ich aus versehen im FKK gelandet? Aber nein, kein FKK – die Leute wollen es einfach so. Beim Hinsehen friere ich für sie mit.
Ich suche mir einen Platz in der Vertiefung eines Dünenkammes und lege mich, mangels Stranddecke, an die ich nicht gedacht habe, direkt in den weichen Sand. Meine große, schwarze Tasche ist mein Kopfkissen und meine Fleedjacke ziehe ich hoch bis zum Kinn.
So eingemummelt schließe ich die Augen und schaffe es irgendwie, die Kälte zu ignorieren. Ich drifte ab, bin nicht mehr am Meer. Um mich herum ist es grün, viele Menschenstimmen füllen meinen Kopf, ich sehe Bäume, höre Autos, Stimmen… Doch als ich die Augen öffne, ist alles um mich blau und da sind keine Stimmen, es ist nur das Meer, das stürmisch und wütend rauscht. Die Kälte lässt sich nicht mehr ignorieren und als ich nach oben schaue, wird klar, warum – eine dunkle Wolke hat sich vor die Sonne geschoben.
Ich sammle meine Sachen zusammen – viel ist es nicht – und gehe zurück zum Parkplatz.
Es ist fünf Uhr Nachmittags und es wird Zeit, nach Wismar zu fahren, ins Hotel, welches Stefan und ich für drei Nächte gebucht hatten. Stefan kommt erst heute Abend gegen acht mit seinem Motorrad an. Es ist Freitag; morgen, Samstag also, sind wir auf eine Hochzeit eingeladen – der eigentliche Grund dafür, warum wir uns aufmachten, um übers Wochenende hier im Norden zu sein.
Als ich in Zierow bei Wismar ankomme, ist es kurz vor zwanzig Uhr. Etwa zehn Minuten später kann ich das tiefe Brummen von Stefans Maschine draußen auf dem Parkplatz hören.