Wiedtal, März 2017
Es ist spät und ich habe eine viereinhalbstündige Fahrt mit mehreren Staus hinter mir. Als es Abend wird und das Licht langsam schwindet, komme ich von der A3 runter in eine wunderschöne Landschaft, die mir hinter jeder Kurve ein erstauntes wow entlockt. Nicht spektakulär, nein, das nicht; jedoch das, was man als still, ländlich und lieblich bezeichnet. Und ruhig. Und Ruhe brauche ich jetzt ganz besonders.
An Koblenz vorbei fahre ich nun die Wiedtalstraße entlang, den sich schlängelnden Fluss zu meiner linken mal näher, mal weiter entfernt. Fast kann ich das abendliche Konzert der Waldvögel durch die geschlossenen Fensterscheiben hören, dem Motorgeräusch trotzend. Die Strecke ist sehr kurvig und unwillkürlich sehe ich mich selbst auf meiner Hornet hier entlang fahren. Ich bin fast alleine auf der Straße, es kommt so gut wie kein Gegenverkehr. Ab und zu eröffnet sich mir ein Blick auf Täler und Orte weit unter mir; die Hügel und Wälder sind gen Horizont von milchigem Licht und leichtem Nebel umsponnen.
Bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit halte ich am Straßenrand an einer Einmündung an und steige aus. Diese plötzliche Stille nach stundenlangem Motorrauschen fühlt sich wie Balsam an. Diese Abendluft, diese Frische… obwohl – Stille ist es eigentlich keine. Es ist vielmehr eine beruhigende Komposition, untermalt vom Zwitschern irgendwo im Wald, dem Rauschen des Windes und dem entfernten Hämmern eines Spechtes, welches sich wie Echo im ganzen Wald ausbreitet.
Ich steige wieder ein, ich muss weiter. Ich will weiter, will endlich ankommen. Der Abend schreitet fort.
Nach unzähligen Kurven, Wiesen, ein paar grasenden Pferden, einer Wassermühle hier und da oder einer alten Holzbrücke, die den Fluss umspannt sagt mir mein Navi endlich: Ziel erreicht. Auf der linken Straßenseite sehe ich einen großen Parkplatz; fast ohne abzubremsen biege ich dort ein. Der Wagen, der schon eine Zeitlang hinter mir war, fährt weiter, vermutlich leicht irritiert. Doch ich weiß, wie schwer es manchmal sein kann, einen guten Parkplatz zu finden und der Kampf um ebensolche ist mir inzwischen, fast schon wie der Überlebenskampf an sich, in Fleisch und Blut übergegangen.
Motor abstellen, aussteigen. Das Hotel Wiedfriede befindet sich auf der anderen Straßenseite, gegenüber vom Parkplatz; gleich an der Wied, die still vor sich hin rauscht, ein Stück weiter die eiserne Brücke, die direkt in den dunklen Wald zu führen scheint. Und so langsam erschließt sich mir auch der Name – so friedlich hier.
Als ich das Hotel betrete, ist die Rezeption leer. Ein dunkelhaariges, pausbackiges Mädel kommt etwas atemlos aus Richtung Küche und nimmt meine Anmeldung auf. Zwei Minuten später und um einen Zimmerschlüssel reicher schleppe ich meinen Koffer zwei Stockwerke hoch über eine breite Marmortreppe nach oben. Die angebotene Hilfe lehnte ich dankend ab, da ich relativ schnell begriff, dass das Mädel sowohl den Empfang wie auch das Restaurant alleine betreut. Und außerdem vertrete ich die Ansicht: Wer seinen Koffer mit allen möglichen Schnickschnack vollstopft, sollte selbigen auch selbst tragen können.
Als ich die Zimmertür aufschließe, bin ich begeistert, denn ich stelle fest, dass ich genau über der Wied logiere – mit dem Blick auf die bogenförmige, eiserne Brücke und den dunklen, tiefen Wald.
In das Restaurant treibt mich schließlich der Hunger und die unbändige Lust auf Steak.
Fleisch ist eine seltsame Sache – man braucht es nicht unbedingt zum Leben, aber hat man erstmal damit angefangen, ist es schwer, sich über den Appetit auf das frische Eiweiß hinweg zu setzen. Jetzt rufen jedenfalls alle niederen, animalischen Instinkte in mir lauthals: Steak! Na ja, eines zum Abschluss, denke ich mir und nehme Platz am Fenster, in den Tiefen des Raumes, weit weg von den anderen Gästen.
Ich falle auf. In einer Lokalität, wo der Altersdurchschnitt weit über dem Rentenalter liegt, falle ich auf wie ein bunter Hund. Und so wird es mehr oder weniger stiller, als ich den Raum betrete; unauffällige Blicke folgen meinem Weg, betreten zur Seite schauend, sobald ich mich umdrehe.
Als ich dann sitze und esse, gehen die Gespräche in normaler Lautstärke weiter. Und obwohl ich schon relativ weit entfernt von den anderen Tischen bin, erreichen mich politische Ansichten, die stark auf Wähler einer gewissen populistischen Partei mit drei Buchstaben schließen lassen. Halt dich raus, Kasia, denke ich mir und träume gleichzeitig davon, mit etwas rüber zu werfen; am liebsten mit meiner noch halbvollen Salatschüssel.
Als ich am nächsten Morgen aufwache, erspähe ich einen mysteriös-verwunschenen Anblick vor meinem Fenster: bläulich-grauer Nebel kriecht über die Baumspitzen den Wald entlang und dunstige Schleier legen sich über den Fluss. Ich öffne die Balkontür und stelle hinaus; die Morgenfrische spüre ich kaum, sie prallt von meiner Haut ab. Sehr gefährlich, solche Hotels, in denen man am liebsten bleiben möchte, obwohl die Arbeit wartet; hat man so gar keine Lust, die magisch wirkende Umgebung zu verlassen. Ich verspüre den unbändigen Drang, einen Spaziergang zu machen. Was ich natürlich nicht tue – ich richte meine Siebensachen und mache mich auf nach Koblenz.
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