Darüber sind schon einige, mehr oder weniger gnädige Artikel geschrieben worden und das brachte mich dazu, mein Verhalten auf Reisen zu hinterfragen. Ab wann wird eine Wahrnehmung selektiv, ab wann suchen wir auf unseren Reisen nach der Fremdartigkeit, nach der Andersartigkeit?
Ich würde sagen: immer.
Reisekataloge sollten hier im Übrigen keine Referenz sein, wenn sich die Frage nach der Exotisierung stellt, denn sie sind Mückenfänger, gezielt darauf ausgerichtet, mit unseren Klischeevorstellungen von einem Land zu winken und mit ihnen zu spielen.
Nein, worum es mir geht, ist folgendes: in wieweit lassen wir uns beeinflussen, in wieweit reisen wir mit einer gewissen Erwartungshaltung in ein (fernes) Land?
Meine Erfahrung, die ich dabei gemacht habe, ist: je bekannter und erschlossener das Ziel, umso mehr Klischees kreisen uns in den Köpfen herum, umso mehr Aspekte, die wir erwarten zu sehen und die wir dann auch gezielt wahrnehmen. Es wird immer leichter sein, seine Vorstellungen auf null zu setzen bei Reisen in Länder, die trotz Wikipedia und co. in unseren Köpfen nicht wirklich mehr als weiße Flecken auf der Landkarte sind; das sind auch mit die spannendsten Ziele.
Ansonsten entsteht, mittels Werbung und Erfahrung anderer, ein gedankliches Gerüst im Kopf und die Erwartungshaltung ist geboren.
Und der Mensch neigt dazu, geradezu nach seinen Erwartungen Ausschau zu halten. Klischees sind dazu da, um gebrochen zu werden, um hinterfragt zu werden und gerade deshalb verlassen wir die heimische Couch und begeben uns in die Welt hinaus. Doch das menschliche Wesen bleibt beeinflussbar und so, eher unbewusst, fokussieren wir uns auf das Fremde, auf das Andere, auf das, was wir noch nicht kennen und freuen uns wie kleine Kinder, wenn unsere Klischees zum Leben erwachen und leibhaftig vor uns stehen.
Beispiele dafür gibt es viele, wie meine Rumänien-Reise in diesem Frühjahr: auch wenn ich nicht wirklich viel über dieses Land wusste, schwirrten einige Vorstellungen davon wie verirrte Fledermäuse in meinem Kopf herum. Ich erwartete hölzerne, mit Stroh bedeckte Hütten, alte Frauen mit bunten Kopftüchern, die den Babuschkas ähneln und Pferdekarren, die langsam durch die Lande ziehen. Und obwohl diese Dinge eher die Ausnahme waren als die Regel – die Häuser waren überwiegend modern und auf europäischem Niveau, die Menschen fuhren Auto und Frauen in Kopftüchern sah man kaum… – trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen habe ich mich gefreut wie ein kleines Kind, wenn mir so ein verirrtes Klischee begegnete. Und diese waren es, die ich gerne in Bildern und Worten wiedergab. Natürlich machen diese Dinge nicht das Land aus, sie sind eher die Ausnahme, doch niemand fliegt in die ferne, um Häuser zu sehen wie bei uns, um Menschen in Großstädten in Anzügen zu sehen oder eine Infrastruktur, die sich so sehr gar nicht unterscheiden. Das fotografiert keiner, das will doch keiner sehen. Es ist das „andere“, was wir sehen wollen.
So habe ich auf meine Reise nach Namibia, inspiriert von diversen Afrika-Katalogen und Berichten (deshalb sage ich: Reisekataloge sind keine Referenz!) viele Kleinigkeiten mitgebracht für Kinderscharen, die schreiend und lachend hinter dem Fahrzeug her rennen würden.
Es gab keine Kinder in Namibia, die hinter Fahrzeugen rannten.
Süß zu erleben war eine Begebenheit; und zwar hatten wir in einer Lodge von farbenfroh gekleideten Köchinnen ein traditionell zubereitetes, namibisches Abendessen (da sich die Bevölkerung Namibias in viele verschiedene ethnische Gruppen gliedert, ist das mit dem „traditionell namibisch“ jetzt bitte symbolisch zu werten, die Köchinnen waren in diesem Falle Damara…) genießen dürfen. Als wir fertig waren und noch am Tisch saßen, sahen wir die Frauen, wie sie in ihren bunten Kleidern, gebückt und sehr konzentriert, eine nach der anderen im Gänsemarsch die Küche verließen. Jede einzelne von ihnen wischte mit ihrem Finger auf einem Smartphone herum.
Hier ein Beispiel, einmal genau anders herum: Momentan läuft in einer Pro7 Sendung ein Mehrteiler über zwei amerikanische Jungs, die Deutschland bereisen und eine Parade dafür sind, wie der Mensch doch nach seinen Klischees geradezu sucht. So amüsierte und verwunderte mich ihre Aussage darüber, dass Deutschland wie ein Märchenland aus Disneyland auf sie wirkt – wenn man bedenkt, dass das erklärte erste Ziel jedoch Bayern mit seinen Bergen, seinen Lederhosen und seinem Bier mit Weißwurst war, erklärt sich einiges, so jagen die beiden in der Sendung einem Klischee nach dem anderen, so wie es Urlauber eben tun. Die meisten sind im Schwarzwald, Heidelberg oder am Schloss Neuschwanstein zu finden und das Land bleibt nach der Rückkehr wie eine erwachte Zauberwelt in den Köpfen hängen. Stellt sich die Frage, wie bewusst diese Tatsache den Menschen ist und wie gezielt sie diesen einseitigen Eindruck in Kauf nehmen für schöne Erinnerungen.
Mein Fazit dazu: seien wir nicht so streng mit uns selbst, denn wir alle tun es. Für mich sind voreingenommene Vorstellungen und Klischees zunächst einmal dazu da, um gebrochen zu werden und ich will – zunächst einmal ganz unvoreingenommen – ein Land und seine Menschen so sehen wie sie sind. Doch von einer gewissen Erwartungshaltung bin auch ich nicht befreit und erwische mich oft dabei, wie ich mich gerade über Dinge freue, die diesen Klischees eher entsprechen und sie auch fotografiere. So sind die Menschen – thats it.
So fällt mir spontan ein Beitrag der Bloggerin Laura von Mind Set Travel ein, in dem sie das vermeintlich exotische thematisiert und uns vor Augen führt, wie das „exotische“ vom Standpunkt des Betrachters abhängt. In „Ist dieser Hund exotisch“ beschreibt sie eindrücklich, wie ein einfacher Vierbeiner mit einem etwas anderem Aussehen für die Menschen vor Ort etwas ungewohntes ist, wogegen sich für Europäer die Frage gar nicht erst stellt. Für mich gibt es auf diese rhetorische Frage jedoch eine ganz einfache Antwort: Aus meiner Sicht ist der Hund nicht exotisch, habe ich doch genügend Hunde in meinem Leben gesehen (und bin von manchen davon auf meinem Weg zur Schule in Polen durch die Dörfer gejagt worden, aber das ist eine andere Geschichte), für einen Kenianer jedoch: Ja, und wie!
Einen tollen Beitrag, der das Thema geschickt aufgreift, hat auch Marles von Dreamingbalu geschrieben: Das professionelle Exotikmanagement der Reisebranche. Hier beschreibt sie, wie Reisbauern in Kambodscha vom Hotelmanagement gezielt in der Landschaft „drapiert“ werden, um einen idyllischen, ursprünglichen Eindruck zu vermitteln.
Zu Hause habe ich ein Buch über die Masuren stehen, das mir bereits auf den ersten Seiten mit eindrücklichen Bildern und Texten sagt: „Hier ist die Zeit stehen geblieben.“ Man sieht Holzkirchen, lächelnde Mädchen in Trachten und Pferdewagen, eine Idylle wie vor hundert Jahren. Und ich wundere mich. Wundere mich ehrlich, da ich aus Polen komme und es besser weiß, wie wenig dieses Bild mit der Realität gemein hat. Es ist ein schönes Bild, gezeichnet in Pastelltönen des ruhigen Sonnenuntergangs, doch fördert es fälschlicherweise genau diese Vorstellung von einem Land, die nur ein Ausschnitt, dazu noch ein sehr kleiner, unserer Realität ist. Vermutlich erklärt sich so der erstaunter Ausruf einer Freundin, die das erste Mal einen polnischen Supermarkt besuchte (die Dinger sind in Polen im Durchschnitt wesentlich größer als ein typischer Aldi in der deutschen Vorstadt…). Erstaunt schaute sie übers Angebot und rief: „Ach, Kasia: hier gibt es ja alles!“ Als meine Mutter später davon hörte, sagte sie erstaunt zu mir: „Was dachte sie denn, wo wir sind; etwa, dass hier Polarbären durch die Gegend spazieren?“