Oft schon wollte ich ein Rapsfeld auf ein Foto bannen, wenn es mir wie ein gelber Streifen entlang des Autofensters vorbeiblitzte. Jetzt ist es so mit ausgiebigen Autofahrten: man bekommt sehr viel zu sehen, kommt aber nur selten dazu, mal stehen zu bleiben, um das gesehene aufzunehmen. Und so nahm ich nur die Bilder im Geiste mit und mit ihnen den süßen, schweren Duft, der sich jedes Jahr Ende Mai bis Anfang Juni in der Luft erhob und herangeweht wurde.
Und was soll ich sagen, ausgerechnet in Polen fand ich zu meinen Bildern. Denn zu Fuß sieht man… nun, vielleicht nicht unbedingt mehr, wie das manche Stimmen eingefleischter Wanderer behaupten, aber man sieht nachhaltiger. Mit beiden Augen. Mit allen Sinnen. Ohne darauf achten zu müssen, dass da gerade um die Ecke die nächste, enge Kurve kommt.
Was ich hier sehe und oft beschrieben habe, das sind flache Felder, soweit das Auge reicht. Es wäre falsch zu sagen, dass ganz Polen aus eben jenen flachen Feldern besteht. Denn da gibt es die vielen Gebirgszüge im Süden und Südwesten, die Karpaten, die Sudeten, die Tatra. Um Warschau herum jedoch sind es eben jene flachen Ebenen und die landwirtschaftliche Nutzung, die das Bild entscheidend prägen. Und das ist die Gegend, in der ich aufgewachsen bin.
Kleine Bauernkunde
Die Landwirtschaft stellt in Polen rund neun Prozent aller exportierten Produkte des Landes. Alleine schon der Name des Landes „Polska“ enthält den Begriff „pole“, welches direkt übersetzt soviel wie „Feld“ bedeutet. Landwirtschaft gab es hier noch vor der Eisenzeit. Ab da und mit der Erfindung des Pfluges gewann der Ackerbau an Bedeutung.
Das 5 bis 14 Jahrhundert war die Zeit der Feudalwirtschaft. Höfe und Äcker der Familien vergrößerten sich, es kam zur Vermögensanhäufung. Die erwirtschafteten Lebensmittelüberschüsse erlaubten es den Menschen, in andere Berufe abzuwandern. Das Handwerk wurde gestärkt, Städte wuchsen und gediehen. Gleichzeitig aber wuchs auch die Abhängigkeit der Bevölkerung von ihren Feudalherren. Ein profitables Mittel, um die benötigten Arbeitskräfte zu gewinnen, war die Leibeigenschaft. Ende des 16 Jahrhunderts war ca. 30 Prozent der Flächen in bäuerlicher Bewirtschaftung.
Leichte Veränderungen brachte die Zeit der Teilungen von 1772 bis 1918 mit sich. Während der österreichischen Teilung traten fortschrittliche Gesetze in Kraft, die die Bedingungen der Leibeigenschaft der Bauern milderten. Als Kaiser Joseph der II starb, wurden die günstigen Änderungen jedoch zurückgenommen.
Die preußische Teilung war auf den größtmöglichen Nutzen für den Staat ausgelegt. Die Leibeigenschaft wurde abgeschafft und Bauern erhielten Land als Eigentum.
In den von Russland eingenommenen Gebieten hingegen wurde die Leibeigenschaft ebenfalls abgeschafft, doch das Land blieb im Besitz ihrer Herren. Eingeführte Gesetzesänderungen vergünstigten die spätere Vertreibung der Menschen aus ihren Gebieten.
In der Zwischenkriegszeit 1918-1939 lebte der größte Teil der Bevölkerung auf dem Land. Rund fünfundsiebzig Prozent des Landes wurden landwirtschaftlich genutzt. Es waren vor allem kleine Höfe von unter 5 ha (=Hektar, 1ha entspricht 10000 m²), die den größten Teil der bewirtschafteten Fläche ausmachten.
In der sozialistischen Zeit fand eine Umstrukturierung des bisherigen Landbesitzes statt. Alle Landflächen von mehr als fünfzig Hektar wurden unter Kleinbauern und Landarbeitern aufgeteilt. Die intensive Kollektivierung der Landwirtschaft, die zum Teil unter Zwangsmaßnahmen stattfand, führte zu einer zentralisierten, staatlichen Kontrolle über die Versorgung und den Verkauf von landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Gleichzeitig entstanden immer mehr landwirtschaftlicher Fachschulen und Akademien.
Ab 1989 wurden die staatlichen Betriebe nach und nach liquidiert und die Zentralisierung der Versorgung aufgegeben. Der letzte Betrieb wurde 1994 geschlossen. Doch die Agrarpolitik der Nachkriegszeit führte dazu, dass die Landverteilung immer noch stark zersplittert ist. Die Durchschnittsgröße eines landwirtschaftlichen Betriebes beträgt etwa 11 ha.
Heute wird vor allem Getreide, in erster Linie Weizen, angebaut. Doch immer häufiger sehe ich auf dem Land auch Futterpflanzen wie Mais, das ein neues Landschaftsbild schafft. Man kommt sich langsam vor wie in den USA, sagt mein Onkel, wobei ich einwerfe, dass wohl bald die ersten Maislabyrinthe entstehen werden.
Draußen heult der Wind
Das platte Land hat einen großen Nachteil: es ist fast immer kalt. Das liegt am Wind, der sich ungehindert in der Ebene ausbreiten und aus einem lauen Lüftchen einen kühlen Zug werden lassen kann. Der Wind ist gefühlt immer da, ob Sommer oder Winter. In den Städten nicht mehr so stark spürbar, doch sobald man draußen auf dem Land ist, schlägt er mit voller Härte zu. Das ist der Grund, weshalb ich Ende Mai bei siebzehn Grad Außentemperatur in einer Wollmütze herumstolziere. Und damit nicht eben ins Schwitzen komme. Siebzehn Grad in Mannheim und ich ziehe ein T-Shirt an. Siebzehn Grad hingegen in meinem Heimatort und ich womöglich noch im Ruhezustand – da sind warme Klamotten gefragt. Geht dann noch die Sonne kurz hinter die Wolken, hole ich sogar noch einen Pullover – oder Pelz – heraus.
Doch das Schöne an der weitläufigen Fläche: der Fernblick. Das Auge schweift ungehindert umher, ohne dass ein Haus, ein Hügel oder sonstige Bewaldung/Bebauung dabei im Weg sind. Entfernungen bekommen plötzlich eine ganz andere Dimension. So bin ich nicht minder erstaunt, als ich ein „aufgehängtes“ Passagierflugzeug in der Luft sehe. Es ist früh am Morgen und mein Onkel und ich sind gerade in Richtung Warschau unterwegs. „Du, das Flugzeug.“ Sage ich. „Ich weiß, es ist nicht möglich, aber wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass es in der Luft hängt.“ Mein Onkel lacht und blickt mich dann etwas irritiert von der Seite an. „Wie meinst du das, es hängt? Wie kann es den hängen, wenn es doch fliegt?“
„Aber es bewegt sich nicht von der Stelle!“
Dann, endlich, begreift er. „Doch, natürlich tut es das. Nur wirken hier die Entfernungen anders. Dadurch, dass dein Auge es nicht gewohnt ist, so weit zu schauen, kommt es dir nur so vor, als ob es nicht von der Stelle kommt. Das Flugzeug ist mit etwa 300 km pro Stunde im Landeanflug auf Warschau.“
Ich blicke wieder durchs Autofenster. Das „aufgehängte“ Flugzeug hatte sich noch immer keinen Millimeter bewegt.
Blühende Rapsfelder mag ich auch sehr. Die Farben sind zum frischen Grün der Wiesen und Bäume sehr intensiv
LG Andrea
Und sie duften einfach himmlisch, so süß und schwer, und der Wind trägt den Duft kilometerweit durchs Land 🙂
Liebe Grüße
Kasia
Ich mag Rapsfelder. Die bringen ein wenig Farbe in die Landschaft. Da hast du dir wieder fleißig Gedanken gemacht. Dass die Felder immer kleiner und unrentabler werden, liegt wohl auch am Erbrecht. Ich weiß nicht wie in Polen vererbt wird. Wahrscheinlich wird das Erbe unter den Erbberechtigten ver- und geteilt.
Das mit dem Umweltschutz ist so eine Sache. Wir in Deutschland stellen alles Mögliche auf den Kopf, um die Umwelt zu schützen. Ich weiß, dass es in Polen viele Naturschutzgebiete gibt, aber das passt dann wiederum nicht zum Kohleabbau.
Das mit den Plastiktüten ist auch so ein Ding. Früher gab es auch keine und es ging. Da hatte jeder seinen Korb/sein Netz dabei, um seine Einkäufe mit nach Hause zu nehmen. Der ganze Plastikmüll wird ins Ausland geschafft, aber damit ist er nicht weg!! Darüber könnte man sich stundenlang unterhalten.
Ich wünsche dir noch schöne Tage. Wie lange bleibst du noch?
Liebe Grüße
Harald
Lieber Harald,
ich bin bereits zurück, schaffte es aber bisher noch nicht, alle Eindrücke zu verbloggen. Deswegen werden noch nach und nach Artikel hereintröpfeln.
Mit dem Erbrecht dort kenne ich mich, ehrlich gesagt, überhaupt nicht aus. Ich würde sagen, dass es die Eltern selbst entscheiden, wie und an wen sie vererben, aber puh… ich weiß es nicht.
Umweltschutz und Kohleabbau, klar, das passt nicht. Manchmal erscheint mir das Land sehr widersprüchlich. Vielleicht deshalb, weil ich es nicht bis zum Schluss verstehe oder eher die hiesige Mentalität gewohnt bin.
Liebe Grüße
Kasia
Schön, dass du wieder gesund und munter zu Hause angekommen bist.
Das Erbrecht sehe ich so wie du. Wenn geteilt wird, wird natürlich immer alles kleiiner.
Zum Thema Umwelt: Vor ein paar Tagen habe ich in den Nachrichten gehört, dass China alleine mehr CO2 ausstößt als der alle Industriestaaten der Welt zusammen. 🙁https://www.dw.com/de/china-st%C3%B6%C3%9Ft-mehr-co2-aus-als-alle-industriestaaten-zusammen/a-57455965
Allerdings habe ich auch gehört, dass China in wenigen Jahren (2060…) CO2-neutral produzieren will…
Putzmunter und zufrieden letzte Woche mit dem Auto angekommen 🙂
Ja – diese Weite ist toll – und die hast du in wunderschönen Aufnahmen festgehalten.
Dort weiß man dann nach dem Frühstück, wer zum Abendessen kommt 😁
Liebe Grüße
Sabine vom 🕷 🕸
Es sind solch kleinen Orte, dass dort quasi jeder jeden kennt. Als ich da zu Fuß unterwegs war, wussten sie bestimmt alle bereits, wer ich war und zu welcher Familie ich gehörte… 🙂
Das gelb von diese Rapsfelder is sehr schön. Ich fand deinen Artikel auch sehr interessant zu lesen. Es zeichnet ein Bild von Polen – einem Land, in dem ich noch nie war.
Vielen Dank für dein Feedback. Das ländliche Polen ist natürlich nur ein Teil der dortigen Realität, aber noch immer ein bedeutender.
Du beschreibst hier sehr schön, wie sich die Landwirtschaft auf unser Klima auswirkt. Was im freien Westen durch die Industrialisierung der Landwirtschaft geschaffen wurde, machte man – wie in Deinem Fall in Polen – mit der Kollektivierung. Die grundlegende Annahme war in beiden Fällen aber gleich: größere, zusammenhängende Ackerflächen lassen sich mit großen Maschinen leichter Bearbeiten und so kann man mit weniger Aufwand höhere Erträge erwirtschaften.
Mal unabhängig davon, ob diese Annahme so stimmt, wenn man alle Folgen, wie die Auslaugung der Böden etc. berücksichtig, diese Form des Landbaus hat Auswirkungen auf Flora, Fauna und letztendlich auf unser Klima. Mit dem Verschwinden von kleinen Brachflächen mit Hecken, Bäumen und Sträuchern, verschwand auch der Lebensraum von vielen Tieren. Aber auch der Wind kann jetzt ungehindert blasen.
Jetzt sieht es auf Deinen Bildern so aus, als gäbe es noch einige Windhecken und Bäume zwischen den Feldern. Trotzdem scheinen sie die großen Feldern direkt auf das Klima auszuwirken. Vielleicht muss man gerade im Agrarbereich in Zukunft deutlich umdenken. Jedenfalls danke für Deinen aufschlussreichen Beitrag!
Die Auslaugung der Böden war auch ein großes Problem nach der Planwirtschaft. Brachliegenden Äcker haben wir bis heute. Aber es gibt tatsächlich viele Hecken und kleine, grüne Oasen dazwischen, die für Tiere einen Zufluchtsort bieten. Grundsätzlich denke ich, dass das Problem heute eher in Ländern wie den USA präsent ist, wo riesengroße Flächen mit Monokulturen bewirtschaftet werden. Schwer zu sagen, wie die Polen grundsätzlich zum Thema Umweltschutz stehen. Denn einerseits unterliegen große Teile des Landes dem Naturschutz und es gibt noch richtige, alte Urwälder, viel mehr Wildbrücken über den Autobahnen als ich das hier sehen kann usw. Auf der anderen Seite ist die Kohleförderung noch ein wichtiger Wirtschaftszweig und der Verbrauch an Plastiktüten in den Supermärkten ist teilweise erschreckend. Dieses „nimm mal eine eigene Tasche mit“, das scheinen die Menschen da nicht zu kennen. Tja, das wird irgendwann noch alles, davon bin ich überzeugt. Vielleicht dauert es nur länger, das Bewusstsein für derlei Themen zu schärfen. Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen 🙂
Es fällt einem leichter, wenn die Plastiktüten plötzlich was kosten…
Ja, und etwas Geld anspülen würde dies zusätzlich auch noch…
Das sind sehr schöne Aufnahmen aus deiner alten Heimat. Und endlich konntest du die Rapsfelder auf den Chip bannen.
Ja, mit allem drum und dran 🙂 das Wetter hat auch mitgespielt.
Das sieht wirklich aus, wie in den amerikanischen Ebenen. 😀
Tatsächlich? Da war ich noch nie… 🙂
Ich liebe diese tollen gelben Rapsfelder – so Farbkleckse in der erwachenden Natur.
Ja, nicht wahr? Sie geben so tolle Kontraste zum blauen Himmel und der pechschwarzen Erde 🙂
Ja wirklich – ich liebe diese krassen Farbakzente in der Natur.