Deutschland, Europa

Traumschleife Oberes Baybachtal, Teil 4 – A long way home

Schiefe Kiefern krallen sich mit letzter Gewalt mit ihren Wurzeln in den Boden fest. Irgendwann werden sie den Kampf gegen die Schwerkraft und die Elemente verlieren. So wie eine ihrer Schwestern, die, bereits herausgerissen, an der Seite liegt.

„Manchmal, ich weiß nicht, warum, bellt er Frauen an.“ Sagt das Herrchen und zeigt auf seinen Hund. Doch der Hund hat andere Pläne. Eine Zeit lang hört er sich geduldig unsere Unterhaltung an, doch irgendwann wird es ihm zu bunt. Er kommt zu mir, drückt sich gegen meine Beine und fängt an, sein Herrchen anzubellen. Das Herrchen lacht. „Das heißt wohl, wir müssen weiter gehen.“ Und verabschiedet sich schwungvoll.

 

Der heilige Brunnen

Der Wald führt mich an einem Brunnen vorbei. Das Heilbrünnchen bei Emmelshausen-Basselscheid führt rostrotes Wasser. Nach einer Geschmacksprobe befinden meine Feinschmecker-Geschmacksnerven es für „eklig“. Doch will man seinen Mineralstoff- und Eisengehalt aufbessern, dann ist man hier definitiv an der richtigen Stelle.

Doch wie um viele Brunnen, so wurde auch um diese eine Legende ersonnen, die auf eine Überlieferung aus dem Mittelalter zurückgeht. Eines Tages im Sommer, inmitten großer Dürren, als das Land unter Wassermangel stöhnte, zogen Hirten mit ihrer Schafsherde durchs Land. Als sie rasteten und der sehgeschwächte Gehilfe schlief, träumte er von seiner Großmutter. Diese sagte ihm, er solle seinen Hirtenstab aus der Erde herausziehen. Als er dies aufwachend tat, sprudelte die Quelle nach. Die Schafe und die Menschen konnten ihren Durst löschen. Die Quelle wurde dem Heiligen Wendelinus geweiht und ein Bildstock errichtet.

 

Die Pferdchen

Der Abend bringt eine wohltuende Kühle in den Wald hinein. Auf den toten Nadeln der abgestorbenen Kiefern läuft es sich federweich. Ich überquere den Bach trockenen Fußes dank der drei strategisch günstig platzierten Steine. Eine Tafel erklärt anschaulich, was der Klimawandel angerichtet hat. Die Bäume sterben ab und die richtungsweisenden Markierungen sind zum Teil auf Totholz befestigt.

Die Weiden sind leer. Man hört von weitem die Kühe und die Pferde im Stall. Nur ein Traktor ist noch am Arbeiten, und ich absolviere die letzten Kilometer. Die Pferde schnauben. Es ist spät am Abend. Und der Duft von Heu, der mich die ganze Zeit begleitet, bekommt mit einem Mal etwas kühles, frisches.

Die Pferde sind versorgt, stehen an ihren Futtertrogen. Nur ihre Schweife bewegen sich rhythmisch. Heuballen liegen auf dem abgeernteten Feld. Alles ist still, alle sind in ihren Häusern. Und der große, blasse Mond ist eben hinter dem Feld aufgegangen. Was für ein idyllisches Bild. Nur das Zirpen einer Grille im Gras, als wenn sie leise an einer Harfensaite zieht. Immer und immer wieder.

Die Pferde kommen bereitwillig vor. Als ich an ihnen vorbei gehe, laufen sie mir praktisch ins- und vors Bild. Sie wollen fotografiert werden. Hübsch bist du, ja. Der Mond wirkt riesig. Je höher er aufsteigt, umso riesiger scheint er zu werden. Die Sonne hingegen – blass, schwach und orange, versteckt sich hinter einem Apfelbaum. Bald ist mein Weg zu ende und ich ich versuche, es irgendwie hinauszuzögern. Obwohl ich es nicht erwarten konnte, anzukommen, aus Angst, ich käme zu spät. Doch jetzt… da ich weiß, dass es bald vorbei ist…

Es ist schön.

Und wie ich so schön die Pferdchen fotografiere, kommt der Eigentümer mit seinem Auto angeschossen, um nach dem Rechten zu sehen. Doch da habe ich mich glücklicherweise schon aus dem Staub gemacht.

Zwei Traktoren kommen mir den den schmalen Feldweg entgegen. Ich stelle mich vorsichtshalber hinter einen Mast, um nicht plattgewalzt zu werden. Eine Staubwolke hinter sich her ziehend fahren sie an mir vorbei über den Schotterweg. Ich winke, sie winken zurück. Sie haben ihre Arbeit beendet und haben nun Feierabend. Wann werde ich meine Wanderung beenden?

Knirsch, knirsch… macht der Kies unter meinen Füßen.

Bald, Kasia, bald. Bald kommst du an deinen Parkplatz.

 

Nur noch (…) Kilometer…

Die abendliche Kühle vermischt sich mit dem frisch gemähten Duft der Felder. Ich kann mich kaum daran satt riechen. Abendluft und frisches Heu im Hochsommer. Das ist Kindheit, Leute. Ich erinnere mich daran… (…Tante Kasia kommt ins Plaudern…) Ich erinnere mich daran, als ich klein und im Sommer beim Mähdreschen dabei war. Wie dann der Wagen kam, der Anhänger voll mit goldenem Weizen und dieser auf Planen im Hof ausgekippt wurde. Wie ich als Kind in den Getreidekörnern herumwuselte und spielte, solange, bis mich recht schnell ein Erwachsener wieder herunter holte. Der Duft; es war genauso wie jetzt die Felder riechen. Sie sind für die Ernte reif.

Hier, genau hier, verläuft eine Pipeline entlang. Sie beginnt im niederländischen Herongen und führt über eine Strecke von 524 Kilometern Mineralölprodukte aus Raffinerien in Rotterdam für die weitere Verwertung bis nach Ludwigshafen. „534 Kilometer Sicherheit“, erklärt die Erklärtafel. Die Pipeline ersetzt langwierige und umständliche Transporte auf dem Landweg.

Zur späten Stunde kommen die Tiere heraus. Nicht nur aus dem Wald. Zwischen den Getreideähren taucht ein kleines Bambi auf, läuft zögernd mit gesenktem Kopf und sucht nach Essbarem. Es überquert meinen Wanderpfad und verschwindet wieder inmitten vom Getreide.

Seit der letzten Markierung ist schon eine ganze Weile vergangen. Ich drehe um und laufe zur letzten Markierung zurück. Ein blasser Mond hängt oben am Himmel, die Sonne wirkt wie eine erloschene Feuerkugel. Die Lerche zwitschert, was das Zeug hält. Die Lerche verausgabt sich beinahe. Ein Falke steigt von den Bäumen auf, fliegt zu dem riesenhaften Mond hinauf und zieht einen weiten Kreis übers Feld. Die Jagd ist scheinbar noch nicht beendet. Ein malerisches Bild. Dazwischen das Geräusch meiner Schritte.

Jetzt, gegen Ende, bin ich unkonzentriert. Ich bin müde, unaufmerksam und verliere dauernd meine Markierung. So kann sich der Weg noch ewig ziehen, obwohl nur noch zwei oder drei Kilometer übrig sind. Doch am liebsten wäre ich schon daheim.

Man hat ziemlich gute Chancen, Rehe zu sehen, wenn man im Sommer, abends zwischen neun und zehn, durch den Wald läuft. Um die Uhrzeit kommen sie heraus. Sie kommen aus den Schatten in den Schatten. Und wieder überquert ein Reh schwerfällig und laut meinen Weg und flüchtet weiter in den Wald hinein. Er ist sehr nahe an die Behausungen gekommen, weshalb der Hund angeschlagen hat und wie wild bellte. Nun ist das Tier fort und der Hund still. Ich scheine keine Bedrohung darzustellen, doch das Reh, das große, fremde Tier, das sollte wohl verscheucht werden.

Nur noch ein Kilometer.

Welch schöner Anblick, diese Ein-Kilometer-Markierung, die mir zeigt: hey, fast geschafft. Du bist fast da.

Durch den Wald. Ich mag nicht wieder durch den Wald.

Als ich die letzte Etappe durch den Wald gehe, ist es fast wieder vollständig dunkel. Nur schemenhaft kann ich die helle Markierung an den Bäumen erkennen. Es sind buchstäblich die letzten Meter, denn wir sprechen hier von vier- bis fünfhundert Metern bis zum Parkplatz. Doch wenn ich hier im Dunkeln die Markierung verliere, dann habe ich verloren. Doch… es wird lichter. Es hellt sich auf. Der Wald endet und ich höre die Schnellstraße.

Nur noch hundert Meter, verspricht die Markierung.

Jetzt bloß nicht nochmal verlaufen.

Und da ist er, wie versprochen. Der Startpunkt, an dem ich losgelaufen bin. Der Parkplatz.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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10 Kommentare

  1. Ein schöner Abschluss für die Reihe!

    1. Ich danke dir 🙂 und das Beste daran: ich hab mein Auto gefunden… 😉

  2. Deine Berichte zu den so schönen Wanderungen sind immer so herrlich zu lesen und mit ganz tollen Bildern sehr schön rübergebracht!
    Liebe Grüße von Hanne, Dankeschön fürs teilen und hab ein schönes Wochenende 🍀🌺

    1. Dankeschön, liebe Hanne. Ich freue mich sehr, dass du immer wieder mit am Lesen bist 😉

      Liebe Grüße

  3. Früher konnte man bedenkenlos Wasser aus Brunnen und sogar aus Bächen trinken. Ob das heute noch so ist, möchte ich bezweifeln.

    1. Ich habe das Wasser tatsächlich auch gekostet, denn was das betrifft, bin ich relativ schmerzbefreit. Doch es war dermaßen eisenhaltig, es hat einfach nicht geschmeckt.
      Übrigens, polnisch und deutsch. Meine Staatsangehörigkeit. Ich habe beide Pässe. Aber ich nutze vorwiegend den deutschen, der polnische ist schon lange abgelaufen… 🙂

  4. Nun ist sie also zu Ende diese schöne Wanderung. Das letzte Stück hat dir die Bewohner des Waldes gezeigt. Es ist bestimmt schön so alleine unterwegs zu sein. Hast du als Frau keine Angst allein im dunklen Wald? Läufst du nur nach der Wegmarkierung? In fremdem Gebiet nutze ich meinen Wandertracker. Da sind alle Wege drauf und man kann sich einen aussuchen, wenn man merkt, dass man den richtigen Weg verpasst hat um ans Ziel zu kommen. Übrigens: Eine Taschenlampe sollte nicht fehlen, wenn man so spät abends unterwegs ist.
    LG Harald

    1. Die Wanderung war sehr eindrucksvoll und voller Emotionen. Angst habe ich keine, aus ziemlich pragmatischen Gründen. Menschen, die einem böses wollen, die finden sich immer, aber die traurige Erfahrung hat gezeigt, dass es egal ist, wo man unterwegs ist. Dunkelheit und Wald wecken die Urängste in einem, doch wenn sich einer in den Kopf setzt, seinen Mitmenschen weh zu tun, dann sucht sich so ein Mensch eher belebte Orte. Wie eine Fußgängerzone in Trier. Oder ein volles Kaufhaus. Nein, ich habe keine Angst. Im Wald sind in der Regel nur Rehe und andere Wanderer unterwegs. Und die wollen das gleiche wie ich – so schnell wie möglich ankommen…

      Ich habe eine Taschenlampen-App auf dem Handy, die hilft mir über Durststrecken hinweg… und ich tracke meine Route generell, doch ich versuche, die „digitale Lösung“ solange zu vermeiden, wie lange es geht 😉

      Liebe Grüße
      Kasia

  5. Ende gut, alles gut 🙂 Ein schöner aber anstrengender Spaziergang, aber wir haben ihn genossen Kasia.

    1. Ich danke dir, Rudi. Ich habe ihn auch genossen, und doch war ich froh, dass er vorbei war 😉

      Hab ein schönes Wochenende…

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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