Schon am Vortag machen mich die ATMs nervös. Dezent lassen sie meine Karte wiederholt aus dem Schlitz gleiten und geben mir so zu verstehen, dass es heute kein Geld für mich gibt. Nach einem weiteren Tag in Kathmandu, als ich abends zu Fuß vom Naulo-Roboterrestaurant zum Avalon-Hostel laufe, versuche ich an einer Ecke mein Glück.
Jetzt ist es so mit den Geldautomaten: nicht jedes nimmt eine europäische Visa-Karte an. Es sind nur bestimmte Geräte an bestimmten Standorten, die einen brav mit Cash versorgen – das System habe ich noch nicht durchschaut. Doch noch bin ich nicht nervös. Morgen steht ein Ausflug in die Umgebung von Kathmandu an, rund um das königliche Tal, und irgendwo vorher wird sich schon ein passendes Gerät finden. Mein Guide weiß sicher bescheid, denke ich mir beschwichtigend, während ich auf regennasser, dunkler Straße in weiche Kuhkacke trete. Fluchend versuche ich, Fuß und Schuh in einer Pfütze zu säubern. Die Kuh ist heilig – sind es ihre Exkremente auch? Sollte ich jetzt wohl gesegnet sein?
Mein letztes Geld gebe ich im Restaurant aus. Am nächsten Tag holt mich Ranjan, mein Guide, im Hostel ab. Er verspätet sich – und dann wartet der bestellte Taxifahrer bereits an der nächsten Straßenecke. Meine Einwände, wir sollten mal nach einem Cash-Automaten schauen, wischt er mit einer Handbewegung beiseite. „Machen wir noch, machen wir noch. Das hat noch Zeit.“
Wir besuchen den Tempel Dakshinkali, wo Göttin Kali zweimal in der Woche geopfert wird, und schleppen uns dann hinauf in Buddhistische Tempel, die über dem Tal ragen. Hier treffen wir auf den Mönch Lama Lakshey, mit dem ich ein langes Gespräch führe über den Sinn und Unsinn monetärer Dinge und den Streben nach Erfolg.
Am Schluss besuchen wir noch zwei historische Dörfer, die beim Erdbeben 2015 schwere Schäden davongetragen haben und ich lerne das ländliche Leben der Menschen in Nepal kennen, wo an jeder Ecke wilder Hanf wuchert. Der Konsum von Hanf ist in Nepal nicht legal; die Ausnahme bilden Sadhus, die sogenannten heiligen Männer; hier gehört das Kiffen als Teil ihrer Religionsausübung dazu.
Hin und wieder wende ich ein, dass es gut wäre, sich um einen Geldautomaten zu kümmern, doch jedes Mal sagt Ranjan: später. Machen wir alles später. Wir werden auf den Rückweg nach Kathmandu nach einem schauen.
Aus dem Morgen wird früher, dann später Nachmittag. So langsam sitze ich wie auf glühenden Kohlen. Zuletzt besuchen wir ein Lokal, wo typisch nepalesisch gekocht wird und ich lerne, wie ungesund die Kulinarik abseits des touristischen Mainstream sein kann. Nepalesen essen gerne süß und in Öl frittiert, dazu gibt es eine große Schale Reisschnaps, die immer mal wieder nachgeschenkt wird. Nicht für mich, aber mein Guide langt großzügig zu. Ich will für den heutigen Flug nach Hause einen klaren Kopf behalten.
Die Mahlzeit bezahle ich mit meinen allerletzten Rupien, doch das ist kein Problem, denn das Essen hier ist ungeheuer günstig. Nun bin ich aber blank gespült und während wir uns wieder zum Taxi begeben, das geduldig auf uns wartet, weise ich Ranjan auf das Cash-Problem hin. Ja, ja – er nickt. Er hatte es schon wieder vergessen.
In den Ausläufern von Kathmandu halten wir an einem Automaten. Ich blicke das System der zugehörenden Ketten nicht, doch dieser spuckt meine Karte aus. Kein Cash für Kasia. Warum nicht?
Ich steige aus und lasse Ranjan mitkommen. Es ist ihm sichtlich unangenehm, er möchte nicht in meine Geldangelegenheiten hineingezogen werden. Doch auch seine Anwesenheit bringt den blöden Kasten nicht dazu, mehr für mich zu tun als zu sagen: Sorry, kontaktier mal deine Bank…
„Kein Problem.“ Sagt Ranjan. „Es gibt hier noch weitere.“ Doch auch am nächsten Kasten, an dem mich der Taxifahrer rauslässt, wiederholt sich das Trauerspiel. Auch am dritten, und nun bin ich wirklich extrem nervös. Das Gesicht des Taxifahrers verfinstert sich zunehmend. Er hatte uns von frühem Morgen bis in den späten Nachmittag hinein von A nach B gefahren und nun sieht er sich um seine Felle gebracht. Nur mein Guide beschwichtigt weiterhin.
„Kein Problem.“ Sagt er. „Wenn es nicht klappt, dann ist es eben so. Wenn du für den Taxifahrer etwas Geld übrig hast, dann gib es ihm, um mich musst du dir keine Sorgen machen. Es ist nun mal so, da kann man nichts machen. Es ist alles in Ordnung.“
Das macht das Ganze für mich noch unangenehmer. In Ordnung ist hier gar nichts, schon gar nicht, dass mir ein Nepalese, der um seinen Tagesverdienst gebracht zu werden droht, sagt, alles sei okay. Ranjan meint, er habe viele Freunde aus dem Westen, die ihm hin und wieder Geld via Western Union überweisen. „Das bedeutet mir viel.“ Erzählt er mir. „Nicht die hundert oder zweihundert Euro, aber die Tatsache, dass jemand dort drüben an mich denkt. Wir sind auch Freunde und wenn du kein Geld hast, dann bin ich nicht böse.“ Ich könnte im Erdboden versinken.
Und zwar genau so lange, bis wir einen weiteren Automaten anfahren. Die sind hier nicht gerade rar gesät, doch den passenden zu finden ist die Kunst. Alle möglichen Gedanken treiben durch meinen Kopf. Was, wenn ich wirklich pleite bin? (Nein, bin ich nicht…) Und wenn auf meinem Konto nix ist? Was, wenn die EU-Wirtschaft plötzlich kollabiert ist, während ich weg war? (So ein Unsinn…) Und die Bank mein Geld gepfändet hat? Was wenn…
Ohne große Hoffnung schlendere ich zum Automaten. Den Taxifahrer schaue ich mal lieber nicht direkt an. Wenn sich schwarze Wolken sammelten über Kathmandu, dann sammelten sie sich zuerst in unserem Taxi über seiner Stirn. Träge gleitet meine Karte in den Schlitz des Automaten. Und da… die vertrauten Zeichen erscheinen auf dem Bildschirm. Dann das segenreiche, flatternde Geräusch von abgezählten Scheinen. Jaa… Kurz danach laufe ich hüpfend zum Taxi zurück mit Scheinen in der Hand. Über der Stirn des Taxifahrers scheint die Sonne und wir sind alle wieder Freunde.
Ich bin raus aus meiner misslichen Lage, doch ich habe gelernt, wieviel Macht, Souveränität und Unabhängigkeit einem Geld bringt. Und zwar das Geld, das man zur Verfügung hat, wenn man es braucht. Wie schlecht man sich fühlt, so ganz abhängig von anderen Menschen, das habe ich vollkommen verlernt. Und mich auf die Großzügigkeit der Menschen einzulassen und eine ausgestreckte Hand anzunehmen, das fällt mir schwer. Dass jemand zu mir sagt: es macht nichts, wenn du mich nicht bezahlen kannst, ich bin trotzdem dein Freund und bin da, wenn du was brauchst. Und du weißt, dass dieser Mensch die einzige Einnahmequelle für eine ganze Familie ist und auf einen guten Tagesverdienst außerhalb der Saison gehofft hat.
Manchmal geht es nicht ausschließlich um Geld. Hier hatte Ranjan recht. Vielleicht denken wir hin und wieder, dass wir vollkommen auf uns alleine gestellt sind, dass uns in einem armen Land niemand helfen wird und wir als wandelnde Scheinespender gesehen werden, doch ohne wirkliche Not (was in meinem Fall glücklicherweise nicht der Fall war…) können wir nicht die guten Seiten der Menschen erfahren.