Wenn sich Gold von den Bäumen ergießt
Dunkel ist es noch, als ich losfahre, dunkel und kalt. Nur langsam kommt so etwas wie Tageslicht auf und erleuchtet die Autobahn. Ist die Sonne endlich oben, bescheint sie eine neblige Szenerie. Mit weißgrauen Nebelbänken überzogene Felder, Weinreben, die auf sanften Hügeln gelb und rot leuchten. Ich überquere die Pfalz.
Im Hunsrück – die ewige Baustelle auf der A61. Gewohnt langsam schleiche ich Schlangenlinien innerhalb der gelben Markierungen. Wie schön wäre es, denke ich mir, einmal mehr früh aufzustehen und dieses Naturspektakel beim Wandern zu bewundern! Doch gerechterweise muss ich zugeben, dass ich unter normalen Umständen um diese Zeit nicht aufgestanden wäre. Nicht am Wochenende. Nicht zum Wandern. So ist es ein einzigartiger Glücksfall, wenn mich die Pflicht dazu zwingt.
Kloster Maria Laach
Am Laacher See vorbei geht es weiter nach Burgbrohl. Das Kloster Maria Laach, welches mir jedes Mal ins Gesicht springt, wenn ich hier bin, liegt etwas erhöht und ist vom Nebel umwoben. Ich möchte anhalten, die Szene aufnehmen. Ich kann es nicht. Wie oft sehe ich etwas Tolles, eine einzigartige Landschafts- oder Bildkomposition, während ich die Landstraße entlang brause, und bin machtlos, denn sie zerfließt schon im nächsten Moment in ihre Einzelteile, ohne dass ich etwas tun könnte, um dies festzuhalten. In der Regel kann ich nicht anhalten.
Doch gerade das, dieser Widerstand der Umstände, der einen daran hindert, alles zu jeder Zeit fotografisch festhalten zu können, hat einen gewissen Reiz. Schönheit ist zerbrechlich, nichts ist für die Ewigkeit. Nicht alles, das man sieht, muss bewiesen werden. Früher war das geschriebene Wort viel mehr wert als das schnell aufgenommene Bild, früher war das geschriebene Wort genug.
Nach meinem ersten Termin habe ich etwas Zeit. Ich fahre ein Stück zurück. Der Himmel ist grau bedeckt, doch dieses Grau ist schön, dieses Grau hat etwas Leuchtendes an sich, es lässt das Gold der Bäume umso kräftiger strahlen.
Das Farbspektrum des Herbstes umfasst eine ganze Palette an Farben; ein helles Gelb, ein intensives goldenes Braun, ein gelöschtes Braun und all das dazwischen. Es ist, als wenn man sich in einem goldenen Farbenmeer bewegt, die gelben Blätter benetzen den Boden und die kurvige Fahrbahn glänzt feucht. Als ich an der Seite anhalte und aussteige, spüre ich sofort die Kälte. Der Wald riecht modrig, nach feuchtem Laub.
Am Laacher See, gegenüber des Klosters Maria Laach und der gleichnamigen Ortschaft gibt es einen großen, kostenpflichtigen Parkplatz. Die erste halbe Stunde ist frei, also lasse ich das Auto stehen. Hier sieht man auf den weiter entfernten Hügeln ganze Flächen orangenbrauner Laubbäume, die sich scharf vom dunklen Nadelwald abzeichnen. Der späte Herbst hat vollständig Besitz ergriffen, es ist ein letztes Aufbäumen, es ist eigentlich fast schon zu spät. Die Blätter halten nur noch schwach an den zarten Zweigen, jeder stärkere Wind kann sie wegfegen. Doch die Farben leuchten umso
stärker, ganz so, als ob sie wüssten, dass nicht mehr viel Zeit bleibt.
Und kalt ist es, kalt und windig, als ich am Kloster vorbei in Richtung Laacher See laufe. Die Nebelschwaden haben sich verzogen, was dem ganzen ein wenig die romantische Szenerie von heute morgen nimmt. Jetzt ist es nur noch kalt. Ein starker Wind bläst jegliche Wärme weg, die Temperatur liegt vielleicht drei Grad vor dem Gefrierpunkt. An diesem Wetter ist nichts mehr schön, nichts mehr lieblich oder angenehm, die Zeiten des Goldenen Herbstes sind längst vorbei. Es ist Mitte November; wie gesagt, es ist fast schon zu spät.
Am Laacher See bin ich nicht alleine, trotz des unangenehmen Wetters. Ein älteres Paar macht Erinnerungsfotos. Hier ist alles verwelkt, trockenes Schilf wiegt sich im Wind. Der Steg mit dem kleinen Häuschen ist abgesperrt. Der Laacher See ist, wie so viele Seen hier in der Eifel, eigentlich ein Vulkan. Als er vor 13000 Jahren ausbrach, begrub er alles in der näheren Umgebung meterhoch unter Asche. Diese Asche, inzwischen zum Tuff verfestigt, diente unter anderem als Baumaterial für die im elften Jahrhundert erbaute benediktinische Klosterkirche.
Doch die Wissenschaft geht davon aus, dass der See wieder ausbrechen könnte. Den halben Landkreis nähme er gleich mit.
Viele Häuser hier in der Nordeifel sind aus schwarzem Gestein, aus Lavagestein gefertigt. Das gibt den Dörfern hier ihr charakteristisches Aussehen. Irgendwann, an einem schönen Wochenende, an dem mehr Zeit ist, werde ich eine der farblich unterteilten Routen der Deutschen Vulkanstraße abfahren.
Herrschaftlich residieren – auf einem Schloss in Daun
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Als ich am nächsten Tag wieder hier bin, beleuchtet die Sonne die goldenen Wälder und lässt sie umso goldener strahlen. Nichts ist mehr grün auf den Bäumen, alles strahlt, die Wälder stehen in Flammen, und zwar im positivsten Sinne.
Doch dies ist nur der frühe Morgen, denn im Laufe des Tages trübt sich das Wetter ein. Fleißig tigere ich durch die kleinen Dörfer, jedes eine kleine Reise entfernt vom nächsten. Die Temperaturanzeige sinkt im Laufe des Tages immer mehr und der Wetterbericht sagt Nullgrade und spiegelglatte Straßen voraus. Nebelfelder kommen gegen Nachmittag auf. Als ich nahe Prüm bin, sind die Hügel um mich herum weiß, mit Raureif wie mit Puderzucker bestäubt. Weiße Häuser, weiße Bäume. Mit Schweißperlen auf der Stirn schaue ich auf die Oberfläche der Fahrbahn und mein Herz setzt einen Schlag aus. Der Winter bricht sehr früh herein.
Nach getaner Arbeit wird es Zeit, sich etwas Gutes zu tun. So steuere ich mein Vehikel nach Daun, um es mir in meinem Hotel gastlich zu machen. Es ist nicht irgend ein Hotel – es ist ein Schloss.
„Guten Abend, ich habe reserviert.“ Wartend stehe ich vor der opulenten Rezeption. „Ich weiß.“ Der Rezeptionist zwinkert mir zu. „Wir haben hier ein schönes Doppelzimmer mit einem Himmelbett, das sowieso leer stehen würde…“ Er legt mir den großen Schlüssel hin, an einer schweren Glocke befestigt. „Und heute Abend können Sie in unserer Felsenschwimmhalle entspannen. Ich habe unten im Keller ein Schwimmbad in den Fels gesprengt. Es gibt einen Wellnessbereich mit Sauna und Dampfbad. Und der Ruheraum ist so schalldicht, dass man dort einschlafen kann.“
Ich bin mehr als gespannt. Schlosshotel Kurfürstliches Amtshaus in der Dauner Burg hat tatsächlich ein außergewöhnliches Ambiente und auch die Preisklasse wäre nicht die meine gewesen, hätte ich nicht ein Schnäppchen auf einem der Suchportale gemacht. Das zusätzliche Upgrade, das ich so unerwartet bekam, war der Grund dafür, dass ich nun in einem schönen, großen Zimmer stand und mir vorstellte, wie es wohl damals war.
Eine Stunde später und nach einem heißen Kaffee aus der Kaffeebar schleiche ich zum Aufzug, der mich ins Untergeschoss bringt. Der Wellnessbereich liegt verlassen da, denn alle Gäste haben sich wohl zum Abendessen im Goumetrestaurant nebenan eingefunden. Ich hatte mir vorgestellt, dass sich die gesamte Schwimmhalle unter einer nackten Felsendecke befindet, doch der Fels ist über den Liegen auf der gegenüber liegenden Seite der Halle sichtbar. Hier in einer Nische fügt sich die Felsendecke in den Raum ein.
Auch zwei Stunden später bin ich noch immer komplett alleine – und inzwischen komplett entspannt. In der Saunakabine finde ich eine Klangschale. Der Ruheraum ist mit seiner verglasten Seite auf den Schlossgarten ausgerichtet; von der Liege aus hat man den Ausblick über Daun. Wenn es hell ist, wohlgemerkt…
Am nächsten Morgen: das Frühstück gibt es im großen Festsaal im Erdgeschoss. Ich sehe ausschließlich andere Berufsreisende an den Tischen sitzen: Handwerker, Arbeiter, die Bundeswehr… die Gäste verlieren sich im großen Speisesaal und jeder, der will, kann etwas abseits seine Ruhe finden. Es ist früh und draußen noch dunkel, als ich mich um sieben einfinde.
Draußen umgibt dichter Nebel die Hügel der Eifel. Warm gelbes Licht bescheint die Wand der ehemaligen Schlosskirche, die im Inneren inzwischen zu etwas anderem umfunktioniert wurde – was die Kirchenglocken nicht daran hinderte, abends um sieben noch zehn Minuten zu klingeln. Der Sonnenaufgang um viertel vor acht macht sich alleine dadurch bemerkbar, dass es einen Ticken heller wird als zuvor. Etwas weniger blau, etwas mehr grau. Der Nebel ist noch da. Und die schöne, warme Beleuchtung ist nun aus.
Später, als ich wieder durch den Wald fahre, stehen Bäume schattenhaft im Nebel wie verstorbene Geister. Zwischendrin leuchten schwach die gelben Baumwipfel. Wie braune Flammen zündelt das Laub zwischen den dunklen Tannen hindurch. Hier und da steht eine strahlend gelbe, junge Birke inmitten von gedämpften grün. Strahlendes Gelb breitet sich inmitten vom Nebel auf den Hügeln aus. Und auf der Fahrbahn glänzt Eis.