Reblog: der Artikel erschien bereits 2020
Heute besuche ich den Gullfoss, den „Goldenen Wasserfall“, der dem Golden Circle seinen Namen gab.
Zwischen sturmartigem Wind und Schnee lausche ich den Sagen, die sich um ihn ranken über Trolle und Feen und Töpfe voller Gold und erfahre dabei, wie der Einsatz einer einzelnen Frau das Gebiet vor Kommerzialisierung schützte. Komm mit.
Die heutige Tagestour steht ganz im Zeichen von Sightseeing rund um den Golden Circle, eine der am häufigsten gebuchten Touren bei Pauschalreisen. Hier sind gleich drei wichtige Sehenswürdigkeiten auf engem Raum konzentriert: der Nationalpark Thingvellir (oder Þingvellir auf isländisch), wo man zwischen den Kontinenten spazieren kann und wo im 10 Jahrhundert das erste demokratische Parlament Islands gegründet wurde und der zum UNESCO Welterbe zählt; das Geothermalgebiet rund um den großen Geysir und seinen berühmten Bruder, den Strokkur, der alle zehn Minuten ausbricht; der Wasserfall Gullfoss, der Goldene Wasserfall, mit dem sich kein anderer Wasserfall in Europa messen kann, was seine gewaltige Kraft betrifft.
Der „Goldene Wasserfall“ gab der Route Golden Circle ihren Namen. Und es braucht keine langen Anfahrtszeiten, um von einem Sightseeing-Punkt zum nächsten zu kommen. Sicher nicht die originellste Route, doch für einen Erstbesuch sehr zu empfehlen.
Der Tag beginnt…
Bereits um acht holt uns der Reisebus ab. Uns, das bedeutet in dem Falle, eine lose zusammengewürfelte Gruppe aus rund neunzehn Personen; siebzehn Chinesen, einem Guide und einer Deutschen. Die bin ich.
Etwas atemlos, aber nicht unpünktlich, stehe ich vor dem Hotel im Wind. Logischerweise liegt noch alles in völliger Dunkelheit, denn die Sonne beehrt Island während der Wintertage erst ab elf Uhr am Vormittag. Die Menschen warten und nur der Wind heult zwischen den Häusern. Gestern bei meiner Ankunft wurde eine Sturmwarnung herausgegeben. Dann fahren wir los.
Island ist an und für sich kein extremes Land, was das Wetter und die Temperaturen betrifft. Wer nach Island reist, um eine Eiseskälte zu erleben, der kommt umsonst, denn den ganzen Winder über sinken die Temperaturen selten unter minus fünf Grad. Im Nordosten der Insel kann es stellenweise kälter werden, aber selbst da nicht immer. Auch diverse Ski-Sportarten haben sich bisher nicht wirklich etablieren können. Es richtet keine Winterspiele aus, denn dafür ist das Land nicht verschneit genug.
Dafür kann es unvorhergesehene, extreme Wetterereignisse geben wie Stürme; die Insel ist sehr windig und es werden häufig Sturmwarnungen herausgegeben; der Cousin unseres Guides wurde während eines solchen Sturms von einem heranfliegenden Gegenstand erschlagen.
Im Licht und Nebel liegt fern von uns Reykjavik, die Stadt, die wir gerade verlassen haben, während sich der Bus zwischen den Lavafeldern in die Höhe schlängelt. Freilich erkennt man fast nichts in der Dunkelheit; dafür nimmt unser Guide seine Funktion als solcher sehr ernst und erzählt uns Geschichten, versorgt uns mit Infos und Wissenswertem wie ein wandelndes Lexikon.
Er spricht ein sehr klares, verständliches Englisch und immer, wenn es wichtige Infos gibt wie Treffpunkt oder -zeit, wiederholt er sie so lange, bis es auch beim letzten angekommen ist. Ansonsten redet er vor sich hin und erzählt uns alles, wovon er denkt, dass es uns interessieren könnte. Ich bin noch müde und nach einer Weile wünsche ich, er möge doch mal eine Pause einlegen, damit ich einfach nur die Eindrücke aufsaugen, in die Dunkelheit starren und das Land der Trolle in mich aufnehmen kann. In meinem Kopf bilden sich Worte, die zu Geschichten werden; das Reisen ist für mich ein kreativer Prozess.
Wir überqueren Schwefelfelder, blubbernde heiße Quellen, entstanden durch die allgegenwärtige thermische Aktivität. Die geothermischen Felder kann man in der Dunkelheit am etwas hellerem Himmel dampfen sehen. Und während sich im Bus der Geruch nach Schwefel und faulen Eiern ausbreitet und ich schon bereit bin, vorwurfsvoll in Richtung meiner Mitreisenden zu linsen, klärt uns Magnus der Guide auf, woher der Geruch kommt.
Der hellere Himmel des anbrechenden Tages zieht sich wie ein fahles Band zwischen den Wolken hindurch. Das Licht ist magisch; dieses Land ist magisch. Wir hören isländische Musik und ich stelle mir vor, wie die Wikinger hier lebten; gerade ist mein Kopf voller schöner Märchen.
Kein Wunder, dass sich Menschen in dieses Land verlieben können; auch ich habe plötzlich die Vorstellung, alles andere links liegen zu lassen und jedes Jahr hierher zu kommen. Jedes Jahr aufs neue – für länger.
Eine dünne, fahle Mondsichel hängt am Himmel.
Erdbeben auf Island
Island ist ein seismisch aktives Gebiet und tektonische Beben sind hier gar nicht so selten. Wenn sich tektonische Platten aneinander reiben und sich die Spannung abrupt löst, sind Erdbeben die Folge. Wenn sich die Gesteinspakete voneinander entfernen oder seitlich aneinander vorbei driften, entstehen offene Spalten. Solche Spalten lassen sich in Island finden, zum Beispiel im Myvatngebiet im Nordosten der Insel oder die Allmännerschlucht im Nationalpark Thingvellir, wo die europäische und die nordamerikanische Platte voneinander wegdriften.
An einer der Raststätten, an der wir unseren ersten Halt machen, gibt es eine eindrucksvolle, kleine Ausstellung, unter anderem dazu, welche Zerstörungen so ein Erdbeben verursachen kann. Am stärksten betroffen ist in einem Haus immer die Küche mit ihrem vielen Geschirr, Schränken und losen Gegenständen. Die Menschen sendeten Fotos ihrer zerstörten Küchen zu, die nun zusammen mit einer echten Küche zur Anschauungszwecken ausgestellt wurden. Zudem kann man in einem Simulator miterleben, wie es sich anfühlt, mittendrin zu sein – hier wurde das Erdbeben nachgestellt, das den Ort Hveragerdi im Süden der Insel erschüttert hatte.
Margret Haraldardottir, eine Bewohnerin Hveragerdis, die das Erdbeben von 2008 miterlebt hatte, beschloss, aus der Zerstörung Kunst zu machen. Nachdem der Schock abgeklungen ist, begann sie, all die Scherben und zerbrochenen Gegenstände zu Kunstwerken zu formen. Einige davon wurden auch ausgestellt.
Der Faxi-Wasserfall
Unser eigentliches erstes Ziel, den Goldenen Wasserfall, der dem Golden Circle seinen Namen gab, sollten wir erst nach Tagesanbruch erreichen. Doch vorher gibt es ein kleines Schmankerl vorneweg; den weitaus kleineren Wasserfall Faxafoss, der circa zwanzig Minuten vom Gullfoss entfernt liegt. Ein wenig möchte Magnus, der Guide, damit Zeit bis zum Sonnenaufgang schinden. Wir verlassen den Bus und treten hinaus in den dämmernden Morgen. Es ist die Blaue Stunde, doch das Licht ist spärlich und die Wege vereist und spiegelglatt; nach ein paar Schritten steige ich zurück in den Bus und hole meine Spikes heraus.
Die Spikes für die Schuhe sind so ziemlich das erste gewesen, was ich mir für die Reise bestellt habe und sie sollten mir noch unzählige Male gute Dienste erweisen. Magnus sieht meine Spikes und fragt sofort: „Where are you from?“ „Germany.“ Antworte ich und er nickt. Anscheinend hat sich herumgesprochen, dass die Deutschen in der Regel gut vorbereitet sind. Ich bin die einzige im Bus, die daran gedacht hat.
Nun stehe ich wieder souverän und sicher auf der glatten Eisfläche draußen und versuche, mich nicht umwehen zu lassen. Der Wind ist mörderisch und es grenzt an Kunst, auf den Beinen zu bleiben. Wusstet ihr, dass Island zu den windigsten Ländern der Welt zählt? Magnus lacht, als er uns das erzählt. „Das hier…“ sagt er noch im Bus und zeigt nach draußen, „…das ist für mich noch eine leichte Brise.“
Für die anderen hingegen ist die Rutschpartie eröffnet. Einige lassen sich mit ihren glatten Schuhsohlen nicht davon abhalten, den vereisten Weg hinunter zu steigen, um näher am Faxi Wasserfall zu sein. Ich hoffe inständig für jeden einzelnen, dass das gut geht.
Nach ein paar weiteren Minuten und ohne Knochenbrüche fahren wir schließlich weiter.
Gullfoss, der „Goldene Wasserfall“
Als wir am Gullfoss aus dem Bus steigen, können wir uns kaum auf den Beinen halten. Hier ist nicht die Glätte das Problem, sondern der sturmartige Wind, der in Böen vom Wasserfall zu uns hinauf weht.
Während ich auf einer Anhöhe stehe und alles festhalte, was irgendwie wegfliegen könnte, sehe ich, wie die Menschen um mich herum gegen den Wind anzulaufen versuchen. Glücklich, wer ein Stück Brüstung, die hier einfach nur ein Seil ist, zu fassen bekommt – für mehr Gleichgewicht. Kann einen so ein Wind eigentlich packen und in der Höhe umherwirbeln? Jetzt, in diesem Augenblick bin ich bereit, das zu glauben. Es sind ja schließlich schon Kühe in den Bäumen gefunden worden. Die Kamera zittert in meinen Händen und für das obligatorische Foto umfasse ich fest das Seil – nicht, weil ich nicht weiß, was ich mit meinen Händen machen soll, sondern damit ich nicht nach vorne geschoben werde.
Doch er ist auch sehr beeindruckend, der Gullfoss aus der Nähe betrachtet. Mächtig tost er unter mir, teilweise gefroren, doch auch im Winter sehr lebendig. Sein tiefes Blau wird umrahmt von Schnee und Eis, was ein surreales Bild ergibt – und hinter dem Wasserfall geht zwischen grauen Wolken gerade die Sonne am pastellzartem Himmel auf.
Der Gullfoss ist ein Wasserfall des Flusses Hvita und wird von Gleschern gespeist. Im Grunde sind es zwei Wasserfälle – oder zwei Kaskaden, die eine elf, die zweite 21 Meter hoch, was zusammen eine Höhe von 32 Metern ergibt. Auch wenn es aufgrund seiner unbändigen Kraft Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts Bestrebungen gab, den Wasserfall zur Stromerzeugung einzusetzen, so steht er nun samt seiner Umgebung seit 1979 unter Naturschutz, denn eine einzelne Bewohnerin, Sigríður Tómasdóttir, hatte sich erfolgreich gegen den Bau eines Elektrizitätswerkes eingesetzt.
Nach einem Rechtsstreit, der sich über Jahre zog und nachdem Sigríður drohte, sich in die Fluten zu stürzen, wurde das Vorhaben schließlich aufgegeben und der Wasserfall gehört seitdem dem isländischen Staat. Sigríður Tómasdóttir gilt als die erste Umweltaktivistin ihrer Zeit. Weder durch Bauvorhaben noch durch Kunstdünger oder Weidetiere soll das Naturschutzgebiet verändert werden, wie eine Schautafel in vier verschiedenen Sprachen informiert.
Der Goldene Wasserfall. Zur Namensgebung kursieren verschiedene Legenden. Manche sagen, er komme daher, da abends das goldene Licht direkt auf den Wasserfall scheint und ihn golden erscheinen lässt. Wieder andere behaupten, es hätte etwas mit einem Bauern namens Gygur zu tun. Dieser Bauer besäße eine Truhe Gold, die er nach seinem Tode niemandem vererben oder mit niemandem teilen wollte. Deshalb warf er das Gold in den Wasserfall hinein.
Doch unser Guide Magnus erzählt uns eine ganz andere Geschichte. „In meiner Kindheit wurde mir erzählt, dass der Wasserfall die Dusche der Trolle ist. Als kleiner Junge habe ich gerne daran geglaubt.
„Kennt ihr die Sage, dass wenn man das Ende des Regenbogens findet, dort im Boden ein Topf voll Gold vergraben ist? Da sich im Wasser der Wasserfälle oft bei einem bestimmten Lichteinfall ein Regenbogen bildet, glaubten die Menschen lange Zeit, dort seien Goldmünzen zu finden. Genauso auch am Gullfoss.“
Und schuld seien die Frauen.
„Die isländischen Frauen zählen mit zu den schönsten auf der Welt.“ Sagt er. Doch wenn man unsere Genetik untersuchen würde, so stammen rund die Hälfte unserer Gene aus Irland.“ Er macht eine kurze Kunstpause. „Wie kommt das? Nun, früher, als die Wikinger ihre Raubzüge in Richtung Europa unternahmen, raubten sie nicht nur Tiere und Güter, sondern auch Frauen und verschleppten sie mit in ihre Heimat. Die meisten Frauen brachten die Wikinger aus Irland mit. „Die Frauen aus Irland brachten nicht nur sich selbst und ihre Gene mit in die neue Heimat, sondern auch ihre Bräuche, Traditionen und ihre eigenen Legenden. Der Glaube an Elfen ist eigentlich ein irischer Glaube, genauso wie die Legende mit dem Topf voll Gold, der am Ende des Regenbogens – oder im Wasserfall – zu finden ist.“
Ich setze mich auf eine Bank, die einsam im Wind steht. Kälte spüre ich keine. Nachdem ich mich an die gewaltsamen Pranken des Sturmes gewöhnt habe, setze ich mich auf eine Bank und bewundere den Anblick. Oft habe ich diese Szenerie auf Bildern gesehen, die meisten wurden allerdings während des isländischen Hochsommers aufgenommen, als alles grün war und Schafe die Weiden zierten.
Warum ich den isländischen Hochsommer so hervorhebe? Weil auch wenn die Winter hier nicht übermäßig kalt sind, werden die Sommer auch nie wirklich warm. „Ich war schon in Europa, in Barcelona.“ Erzählt uns Magnus. „Das war mir viel zu warm.“ Hier werden die Temperaturen im Durchschnitt nicht mehr als 16 bis 18 Grad. „Einmal hatten wir mit 26 Grad wirklich heiße Sommertemperaturen.“ Sagt er.
Doch auch jetzt ist Island wunderschön. Oder, wie ich mich in meinem Kopf sofort korrigieren muss: gerade jetzt. So rau und streng und kalt, mit ihrem wundervollem Himmel, der regelmäßig in pastellfarben getaucht ist.
Der Boden, halb gefroren; das Eis, das nicht wirklich auftauen will. Die plus ein- bis zwei Grad von heute füllen sich im Sturm wie minus zwanzig an. Bist du nicht richtig angezogen, dringt der Wind in jede Ritze deiner Kleidung. Der Wasserfall tost zwischen vulkanschwarzen Felsen und weißem Schnee. Oh wie sehr ich diesen Anblick liebe.
Nachdem ich eine Weile hier stehe, mich satt gesehen habe und es scheinbar nichts mehr für mich zu holen gibt, gehe ich über eine von einer Eisschicht bedeckte, hölzerne Treppe bis ganz nach oben, wo sich ein Restaurant und ein Informationszentrum befinden.
Schneemobile und Autos stehen auf dem Parkplatz dahinter und irgendwie finde ich das Schneemobil sehr sexy. Hat was von einem Motorrad, speziell für die Winterzeit entwickelt. Wie gern ich mit sowas mal fahren würde.
Menschen, die mir auf den Treppenstufen entgegen kommen, halten sich vorsichtig am Geländer fest. Langsam setzen sie einen Schritt vor den anderen. Selbst das beste Winterschuhwerk reicht manchmal nicht aus.
Doch es gibt auch welche, die weiter gedacht hatten; einige tragen Spikes oder gar Steigeisen an den Füßen und sind damit top vorbereitet. Das sind in der Regel die Deutschen (und Österreicher), wie ich den Sprachfetzen, die mich erreichen, entnehmen kann.
Von hier oben sieht der Wasserfall nochmals anders aus und ich kann es nicht lassen, weitere Bilder zu knipsen. Guck mal, ich bin da! Ich bin so glücklich. Das hier ist großartig.
Das sieht alles so toll aus! Auch wenn ich persönlich wohl eher den Sommer bevorzugen würde. Im Winter ist da schon arg wenig Tageslicht. Wie gut, dass du die Spikes eingepackt hattest!
Spikes: das ist typisch deutsche Vorbereitung. Ich will ja nicht lästern, aber die asiatischen Gäste sind da mit glatter Sohle herumgeschlittert… 😉
Mal wieder tolle Bilder und ein schöner Bericht!
Vielen Dank!
Ich war im Sommer da und der Wasserfall hat mich begeistert. Im Winter sieht er auch sehr schön aus
LG Andrea
Im Sommer ist Island mit Sicherheit ein komplett anderes Land. Es wäre sicher im Sommer sehenswert 😉
Sehr schön, Danke für den Beitrag!!!
Liebe Grüße, Roland
Schön, dass da Erinnerungen wach werden 😉