Deutschland, Europa

Die Hobbit-Häuser in Harz

Am Schäferberg

Langsam und bedächtig stecken wir die Nase in jedes Haus. Dort liegt eine Decke auf dem Bett, da steht ein gedeckter Tisch, eine Küchenzeile. Spitzengardinen an den kleinen Fenstern. Es ist kühl hier drinnen, wohltuend kühl nach der Hitze des Junitages, doch auch muffig kühl. Nach Feuchtigkeit riechend. Wir bewegen uns weiter ins Innere des Hauses. Es ist geräumig und beengt zugleich. Geräumig, weil Stefan und ich drinnen aufrecht stehen können. Beengt, da das „Elternschlafzimmer“ und das Kinderzimmer nur aus einer Lücke für die Betten zu bestehen scheinen. Gerade mal so, dass eine Schlafgelegenheit hineinpasst.

Diese kleine, beengte Welt spielt sich nicht etwa innerhalb von vier Wänden ab. Sondern in einer von Menschenhand in den weichen Sandstein geritzte Höhle. Es war mein langgehegter Wunsch, mir die sogenannten „Hobbit-Häuschen“ im Harz anzusehen. Wobei man hier nicht von Hobbits sprechen kann, denn in diesen liebevoll eingerichteten Domizilen haben ganz gewöhnliche Menschen gewohnt. Junge Landarbeiterfamilien ritzten und bearbeiteten den weichen Stein mit Hammer, Spitzhacke und Meißel und schufen sich ein Zuhause mit Vorgarten. Etwa 30 Quadratmeter sind die Wohnungen groß.

Und der wenige Raum reichte wohl auch. Wozu mehr Platz haben. Man besaß nicht viel zu jener Zeit, und alles, was man besaß, ließ sich mit Leichtigkeit in den restlichen Räumen unterbringen. Ein Kleiderschrank? Wozu. Wenn ich die Einrichtung begutachte, stelle ich fest, dass nichts Überflüssiges zu sehen ist. Nichts unnützes, kein Tand. All das, was sich in der Wohnung befindet, hat eine Funktion. Selbst die Dächer der Häuser wurden als Gärten genutzt.

Mit uns schaut sich noch ein Pärchen die kleinen Häuser an. Die beiden wirken ähnlich verwundert wie wir. Die Höhlenwohnungen in Langenstein sind seit den neunziger Jahren wieder begehbar, sie wurden im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme aufwendig restauriert. Der Verein Langensteiner Höhlenwohnungen e.V. kümmert sich um die Instandhaltung. Die Hobbit Häuser sind frei zugänglich, ein Spendenkästchen und ein Gästebuch liegen bereit.

Die Höhlenwohnungen rund um Langenstein wurden schon in der altgermanischen Zeit bewohnt, vermutet man. Doch das, was wir hier sehen, die Häuserreihen am Schäferberg, sind jüngeren Datums. Zwischen 1855-1858 wurden sie aufgrund großer Wohnungsnot geschaffen. Die Felswände wurden den aus Raum Goslar zugezogenen Familien für acht Groschen verkauft, das Domizil im Fels errichten mussten sie dann selber. Bis zum Beginn des 20 Jahrhunderts lebten Menschen hier, danach nutzte man die aufgegebenen Räume als Ställe oder Vorratskammern.

Auch außen wirken die Häuschen klein und gemütlich. Süße, kleine Fenster, winzige Vorgärten, in denen mit Sicherheit irgendetwas angebaut wurde. Doch die eigentliche Anbaufläche befindet sich oben. Sozusagen auf dem Dach.

Die Wohnungen dringen tief ins Gestein, die äußeren Fassaden sind teilweise ergänzt worden. Etwa fünf Monate hatte es gedauert, bis so eine Wohnung fertig war. Über unseren Köpfen steht ein kleiner Handpflug. Vermutlich hatte man sich hier so viel an Gemüse gepflanzt, wie es möglich war. Auch waren die Dächer Weideflächen für die Schafe, die hier gehalten wurden, um die Landschaft zu pflegen und eine Verbuschung der Felsen zu verhindern. Der Name „Schäferberg“ hat seinen Grund.

Mit Bedacht und Neugier inspizieren wir weitere dieser Häuser. Solarpanelen auf dem Dach und ein Bewegungsmelder sorgen für Licht, sobald man eintritt. Kinderpuppen in Kinderbetten. Feuchtigkeit und grün-schwarzer Belag an den Wänden wirken nicht wirklich gesund auf mich, doch Stefan gibt zu bedenken, dass die Räumlichkeiten früher beheizt waren. In etwa in der Mitte der Wohnfläche platziert befindet sich ein Ofen, der zum Heizen und Kochen verwendet wurde. Über dem Ofen – ein Abzugsschacht. Es gab Spalten über den Türen, die die Luftzirkulation ermöglichten. Nur zu gerne hätte ich die verschneiten, rauchenden Hügel mit beleuchteten Fenstern gesehen. Der Grund, weshalb so viele Märchen sich rund um die Gegend ranken, wird dieses eine Körnchen geschichtlicher Wahrheit gewesen sein.

 

Höhlenwohnung an der Altenburg

Da mein Stefan nicht dabei war, als ich am Freitag ein paar Ecken weiter die Höhlenwohnung an der Altenburg besuchte, beschließe ich, sie ihm heute zu zeigen. Sie sind überaus interessant, wenn auch nicht so liebevoll aufbereitet und eingerichtet wie die „Hobbit-Häuser“. In einer der Höhlenwohnungen lebte der letzte Bewohner bis 1916, bis er dann aus gesundheitlichen Gründen ins Dorf umsiedeln musste.

Ein schmaler Pfad
Hier lebte der letzte Bewohner der Höhlenwohnungen Langenstein.

Dies ist die wohl besterhaltene Höhlenwohnung in diesem kleinen Schacht von Weg, wo sich links und rechts im Wechselspiel aus Sonnenlicht und tiefem Schatten hohe Sandsteinfelsen auftürmen. Massiv und durchaus stabil sehen sie aus, sind jedoch weich und einsturzgefährdet – begehen auf eigene Gefahr. An manchen Stellen bietet sich uns das nicht vertrauenserweckende Bild von sehr frischen Abbruchkanten.

Links und rechts von uns, in eben diesen hohen, massiv wirkenden Felsen sind klaffende Löcher zu sehen. Höhlen, die ehemals ebenfalls von Menschen bewohnt wurden. Diese Höhlen sind alt, sehr alt. So genau weiß es keiner, doch es werden Ursprünge in der frühen germanischen Siedlungszeit vermutet. Als man die Altenburg 1177 errichten ließ, da wurden diese Höhlen auf natürliche Weise mit integriert und dienten unter anderem als Burgkeller. Und als die Burg im 17 Jahrhundert von Bischof Ulrich von Halberstadt abgebaut und das Gestein nach Halberstadt geschafft wurde, um den dortigen Dom hochzuziehen, da standen die Höhlen verlassen da – bis wieder Menschen kamen, auf der Suche nach günstiger Wohnfläche.

Uralte Höhlen

Heute ist das Besichtigen jener Höhlen potentiell lebensgefährlich, denn Kanten und Ränder der Felsen können jederzeit einstürzen. Potentiell, versteht sich – niemand rechnet damit, dass ihm die Felsbrocken sofort auf den Kopf fallen, so auch wir nicht. Doch allzu tief sollte man sich in die Höhlengewölbe nicht begeben. Dass Sandstein weich ist, davon zeugt der Anblick des Halberstadter Doms, den wir am Folgetag besuchen werden. Die Türmchen und Skulpturen wirken ausgewaschen und der ganze Bau ist renovierungsbedürftig. Das Mitnehmen der Steine aus der Burg stand unter keinem guten Omen.

Davon zeugt auch die „Ahnengalerie“, welche wir auf unserem Weg sehen. Solcher „Galerien“ gibt es hier viele. Es ist dieser typische Drang des Menschen, seine Spuren zu hinterlassen, zu zeigen: „Ich bin hier.“ Aus vielen Jahrzehnten sind Name und Datum zu sehen, mal tiefer, mal an die Oberfläche geritzt. Dazu eine Botschaft. Oder keine. Das Hinterlassen von Spuren ist an sich Botschaft genug.

Botschaften im Fels

Manch einer hatte sich künstlerisch betätigt. Es gibt Herzen, Emojis, Gesichter. Die älteren Schriften tragen andere Symbolik. Das Gestein ist so weich, dass man es mit etwaigem Werkzeug bearbeiten könnte, wenn man nur wollte.

Wir gehen den schmalen Weg weiter hinauf, so hoch, bis es nicht mehr weitergeht. Hier verzweigen sich die Wege. Nachdem wir eine schmale Treppe erklettern, einen Aussichtspunkt entdecken mit Blick auf Langenstein und das dahinter gelegene Halberstadt und nachdem wir den aromatischen Duft der Pinienbäume eingeatmet haben, gibt es für uns hier nichts mehr zu sehen. Nichts mehr zu entdecken. Wir sind fertig für heute – langsam und gemütlich schlendern wir zurück zum Auto.

Einen interessanten Artikel zu den Höhlenwohnungen in Langenstein hat anderswohin.de geschrieben, die Autoren gehen dabei näher auf die Geschichten der Menschen ein, die hier einmal gelebt haben.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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9 Kommentare

  1. Spannend. Von diesen Häusern habe ich noch nie was gehört. Jetzt habe ich ein neues Ausflugsziele. Danke dafür

    1. Gerne, ich habe den Tipp auch mal irgendwo gelesen. Was es nicht alles gibt 🙂

  2. Ja, da hat man aus der Not eine Tugend gemacht und die Wohnungsnot gelindert. Diese Höhlen haben durchaus was Gemütliches, trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer Beengtheit. Aber für meinen Geschmack wäre mir da zu wenig Licht, und zu wenig Platz sowieso. Ich habe solche Höhlenwohnungen mal in Australien besichtigt. Im ehemaligen Abbaugebiet Broken Hill leben heute noch Menschen darin. Diese Höhlen sind allerdings deutlich größer und die einzige vernünftige Wohnantwort auf die brutale Hitze oben an der Oberfläche. Selbst bei über 40 Grad bleibt es in den Wohnungen konstant bei 20 Grad.

    1. Von den Wohnungen unter der Erde in Australien habe ich schon mal was gehört. Was mir fehlen würde, wäre die Sonne, aber ich denke, die Menschen haben dort erstmal genug davon 🙂

  3. Phil Conners sagt:

    Sehr tolle bilder!

  4. Von diesen Höhlenwohnungen habe ich noch nie etwas gehört. Ich gebe dir recht, dass man das Leben dort romantischer sieht als es war. Zumindest hatten die Leute fließend Wasser – hinterm Haus. 😊
    Liebe Grüße Harald

    1. Lach, fließend Wasser hinterm Haus 🙂 Solltest du mal in der Nähe sein, schau vorbei, denn diese „Häuschen“ sind absolut sehenswert. Es war schon lange mein Wunsch, sie zu sehen, seit ich irgendwann auf einem Blog was darüber gelesen habe.
      Lg

  5. Diese Höhlenhäuser sind sehr bemerkenswert und obwohl sie auf den ersten Blick tatsächlich wie kühle und feuchte Räume aussehen, wäre mit einem Feuer früher alles anders gewesen. Ihr erstes Foto zeigt übrigens, dass die Menschen, die dort lebten, ein respektables Alter erreichten. Vielen Dank für das Teilen dieser ganz besonderen Bilder, Kasia.

    1. Ich habe mir auch schon überlegt, wie das wohl mit einem warmen Feuer ausgesehen hätte. Allerdings müssen Sie bedenken, dass man in den Räumen gekocht und auch geschlafen hat und das Feuer vermutlich nicht immer brannte. Meine Mutter lebte als Kind in einem solchen Haus, wo nur ein Raum (die Küche) beheizt worden war und wo alle schliefen, da es in den anderen Räumen zu kalt war. Sie erzählte, dass es an den Wänden Pilzbefall gab und kondensierte Feuchtigkeit überall abperlte. Ich denke, wir stellen uns solche Lebensumstände mitunter zu romantisch vor. Ein bemerkenswerter Ort ist es auf jeden Fall.

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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