„Komm, lass uns weiter.“ Dringt eine Stimme zwischen den Summen der Insekten und dem Rauschen der Blätter an mein Ohr. Die Stimme gehört Stefan. Ich öffne ein Auge. Mein Liebster steht über mir und grinst. Ich sage: „Schau mal da, ein Blätterdach.“ Dann schließe ich die Augen wieder.
Das Blätterdach über mir, in dessen Schatten ich auf einer Bank ausgestreckt liege, gehört zu einer Hasel. Die großen, runden Blätter leuchten in der Sonne, die sie von oben bescheint. Soeben saßen wir beide da, sehr lange, und stellten verträumte Überlegungen zu einem eigenen Garten an. Und einem Haus irgendwo. Am liebsten ganz abgelegen, inmitten von Grün. Das, was sich so profan als „Gemüsegarten“ des Klosters bezeichnet, brachte uns dazu.
Wir sind alleine an diesem Vormittag. Die beiden Besucherinnen, die hier umhergeschlendert sind, sind inzwischen gegangen. Am liebsten würden wir hier ein Schild aufstellen: „Privatweg. Gesperrt.“
Das Zisterzienser Kloster Michaelstein entdecken wir gestern per Zufall. Aus reiner Abenteuerlust heraus. Während wir umherfahren und unser Ziel eigentlich ein anderes ist, fällt uns das braune Schild ins Auge, mit dem Sehenswürdigkeiten angeschrieben werden. Wir folgen dem Schild. Und finden uns in einer kleinen Oase wieder.
Gegründet wurde das Kloster im 12 Jahrhundert als Zisterzienserkloster. Seitdem hat sich viel getan. Klosterschule, Priesterseminar – das alles war das Kloster nach der Reformation. Heute ist es ein Museum. Doch das berühmteste an dieser durchaus sehenswerten Anlage ist der umfassende Kräutergarten. 260 historischer Heilpflanzen gedeihen hier, dazu alte Obst- und Gemüsesorten.
Irgendwie senken wir das Durchschnittsalter der Besucher. Wieso ist es so, dass sich für solche Orte nur Rentner interessieren? Wir kehren in ein zum Kloster gehörendes Café ein, wo die Plätze im Schatten limitiert sind und bereits nach kurzer Verweildauer eine Schar williger Besucher neidisch auf unseren Cappuccino starrt. Über einen Mangel an Gästen kann die Besitzerin sich nicht beklagen, eine betagte Dame von einer klassisch konservativen Eleganz. Es gibt zu wenig Personal für zu viele potentielle Gäste. Wir hatten Glück.
Doch der Hunger treibt uns nach kurzer Zeit in ein Fischrestaurant, das sich ebenfalls auf dem Klostergelände befindet. Ein Paar, das ihr Glück kaum fassen kann, nimmt sofort unseren bisherigen Platz in Beschlag.
Im Fischrestaurant führt ein Frauentrio die Regie. Während wir noch unschlüssig über der Karte sitzen und ich ein kleines Insekt aus meiner Cola fische, das sich darin verirrt hat, werden wir von draußen nach drinnen delegiert. Eine Gewitterfront zieht auf und wird in einer Stunde hier sein. Zügig sammelt eine der Frauen die Tischdecken ein.
Eine fabelhafte Forelle später macht Stefan den Vorschlag. Wir wollen tags darauf nochmals kommen und den Klostergarten ansehen. Doch jetzt müssen wir flüchten, die Gewitterfront sammelt sich schon in einer schwarzen Wand aus Wolken über Blankenheim. Ich vermute, wir schaffen es gerade noch so, zu entkommen.
Heute, tags darauf, der zweite Versuch. Eigentlich würde ich den Klostergarten nicht unbedingt sehen wollen. Wenn es nach mir ginge, hätten wir uns längst weiteren Attraktionen gewidmet. Ich hatte schon in der Vergangenheit Burg- beziehungsweise Klostergärten gesehen und allesamt waren sie nicht berauschend. Doch der Liebste will das unbedingt und was tut man nicht alles. Also sind wir früh am Vormittag wieder am eine halbe Stunde Fahrt entfernten Kloster Michaelstein. Der Besucherparkplatz ist leerer als beim letzten Mal und die nachmittägliche Bus-Reisegruppe voller Rentner fehlt auch. Gemütlich schlendern wir durch den Eingangsbogen auf das Gelände. Der Torbogen ist nicht nur schön anzusehen, er bietet auch kleinen Vögelein die Möglichkeit, unter seiner Überdachung Nester zu bauen. Junge Schwalben kauern in ihrer Minifestung aus Lehm und schauen mit schwarzen Knopfaugen auf uns herunter.
Um den Klostergarten besichtigen zu können, muss man eine Eintrittskarte für das gesamte Kloster entstehen. Mit einem Plan in Form einer faltbaren Karte ausgerüstet ziehen wir los. Während sich Stefan alle vorhandenen Informationen durchliest, haben die langen Bogengänge für mich einen hohen fotografischen Wert. Rosen ranken an den kleinen, grau glänzenden Fenstern. Leicht kann man sich vorstellen, wie hier früher gewichtig wirkende Mönche in langer Kleidung auf einer Wolke durch die Räume zogen. Ich habe ein kleines Problem mit Menschen, die sich für besonders wichtig, besonders fromm oder besonders gelehrt halten. Um ihre Wichtigkeit zu betonen, schaffen sie eine Distanz zwischen sich und der Welt, eine Distanz, die durchaus oft gewollt ist.
Doch das Kloster hatte sich auf die Heilung von Kranken spezialisiert. Während ich den Werdegang der pflanzlichen Heilkunde bedenke, halte ich es für das einzig Sinnvolle für die damalige Zeit, das Wissen um die Heilung und die Kräfte der Pflanzen hinter die Klostermauern zu verbannen. Diejenigen, die es „draußen“ in der freien Wildbahn praktizierten, landeten oft in den kirchlichen Kerkern. Klöster gaben Menschen die Möglichkeit, zu lernen und zu studieren.
Es war gewollt, dass die Mönche die ganze Zeit über beschäftigt waren, um nicht auf dumme Gedanken zu kommen. Sie bildeten eine Gemeinschaft, waren so gut wie nie alleine. Sie aßen zusammen, beteten gemeinsam, beschäftigten sich mit Schriften, mit Kranken, mit schlichter Gartenarbeit. Auch der Anbau von Pflanzen diente sowohl Lehr- und Heilungszwecken als auch als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme gegen den Müßiggang. Und selbst beim Essen, um dem Abschweifen ihrer Gedanken vorzubeugen, las einer aus frommen Schriften vor.
Nachdem wir uns an den unendlich langen Gängen, dem tiefen, kühlen Schatten und den rosenumrankten Fenstern erfreut haben, betreten wir den Garten. Das, was so nüchtern als „Gemüsegarten“ beschrieben wird, erstaunt uns mit langen Reihen duftender Lavendel, mit Rosenbögen und alten Kräuter- und Gemüsesorten. Was es alles gibt, was früher genutzt wurde. Hier erwacht die Geschichte zum Leben. Es gibt eine ganze Reihe solcher historischer Gärten im und um den Harz, die in der Region besichtigt werden können.
Alleine die unterschiedlichen Arten und Farben von Rosen, die hier wachsen, entstammen verschiedenen Epochen. Die Alte Spanische Rose von 1980, gelb und intensiv duftend. Die weiße Jacobiten-Rose aus dem 15 Jahrhundert, mit einem zarten Duft. Tief stecke ich meine Nase in die Blüten, so tief, dass beim Einatmen die Blütenblätter an meinem Gesicht kleben. Ich will alles von diesem Duft mitnehmen, nichts lasse ich für die Bienen da.
Überhaupt, die Insekten. Dieser Ort mit seiner Vielfältigkeit ist ein kleines Insektenparadies. Während wir schlendern, summt es um uns herum. Die Sonne badet die Pflanzen und brät auf unseren Köpfen ein Rührei, doch wir finden einen Platz im Schatten unter einer Hasel. Einer historischen Hasel vermutlich. Lange sitzen wir da und formulieren unsere Gartenträume. Wie wäre es mit einem Stück Land, hier irgendwo, oder ganz woanders? Ein Haus mit einem großen Anwesen, so weit vom Schuss, dass wir es uns leisten könnten? Dann würden wir die Tage damit verbringen, alte Sorten zu züchten und bekannt zu machen. „Dann müsste ich nicht einmal mehr reisen.“ Sage ich. Natürlich nicht. Wozu auch, wenn man einem solchen Ort sein eigen nennt.
Fast ebenso schön ist es im Kräutergarten nebenan. Hier geht mein Pharmazeutenherz auf, denn auch wenn die Ausbildung schon einige Jahre her liegt, so kann ich noch einige der Pflanzen erkennen und ihre Eigenschaften benennen. Zwar nicht auf Latein, aber wer braucht das schon.
Da hätten wir zum Beispiel das Seifenkraut, eine Pflanze, die natürliche Saponine enthält, schäumende Stoffe, die als „natürliche Seifenstoffe“ bezeichnet werden können. Dann dort, der Andorn. Die Bitterstoffe sind gut für die Verdauung. Oder hier, der Thymian. Küchengewürz – und beim Husten auswurfförderndes Mittel. Und auch hier sind die Fenster mit hoch wachsenden, üppig blühenden Rosenstöcken umrankt.
So, jetzt aber genug mit der Angeberei. Und auch die Gärten haben genügend von uns gehabt. Wir schlendern raus in die Realität, doch die Idee eines Häuschens auf dem Land bleibt.
Liebe Kasia, so langsam mache ich mir Sorgen 😅. Nicht mehr reisen wegen eines Hauses mit Garten? So eine Klosteranlage mit Grünzeug ist ja ganz hübsch. Aber mir zumindest reicht da ein Besuch. Selbst Hand anlegen ist da sicher ein tagesfüllendes Programm. Ich bin gespannt, wo dich dein weiterer Lebensweg noch hinführen wird 😎.
Ich muss tatsächlich sagen, dass ich die Zeit nach dem Umzug in der neuen Wohnung total genieße. Sich einrichten, sich ein neues Zuhause schaffen… Neeein, sicher werden wir noch verreisen. Aber momentan ist das Bedürfnis danach nicht mehr ganz so stark und es ist okay, vorerst langsamer zu machen. Keine Sorge, ich habe noch ganz viele Reisegeschichten „aus der Konserve“, hier wird es also nicht langweilig werden 🙂
Es war ein Ort um die Sinne zu erfreuen :). Am besten wir befestigen an den Türen Schilder „Schleicht Euch. Gehört Kasia und Stefan“. Und das mit der Gartentour sollten wir wirklich mal machen.
Die Gartentour nehmen wir uns für unser nächstes Mal im Harz vor. Und der Garten ist beschlagnahmt und gehört uns 😉
Wir nehmen nächstes mal Besitzschilder mit 😀
„…heute findet hier eine private Veranstaltung statt…“ 😉
Stefan hat euer Ausflug offensichtlich gefallen. Das erste Mal, dass ich ihn lachen sehe.
Ja, der Gute hat mit mir normalerweise nix zu lachen *fies grins*
Och nööö, die olle Kasia wird seßhaft – wer hätte das gedacht.. 🙂
Stimmt, es gibt Orte, die einem ein Lebensziel geben. Dass es ausgerechnet ein Kloster ist – naja, solange Du nicht auch demnächst in Nonnentracht auf Reisen gehst – aber die Idee mit einem Haus im Grünen, und damit meine ich wirklich IM GRÜNEN! hat was. Ein Garten mit Gewürzen, Heilpflanzen, Obst und Blumen indem sich heimische Insekten wohl fühlen, das wär auch für mich was, wo ich drauf klar käme. Leider fehlen da doch etwas die finaziellen Mittel.
Dass solche schöne Orte glücklicherweise nicht so bekannt sind ist eigentlich für den Ort das beste, was ihm passieren kann, denn Menschen – besonders wenn die in Massen auftreten – sind reine Müllerzeuger und zerstören in wenigen Wochen mehr, als die Natur in 100 Jahren produziert hat. Deshalb mag ich auch lieber die stillen Orte – Menschenansammlungen meide ich..
Dir noch viel Spaß beim träumen.. 😉
CU
P.
Es gibt im Harz eine Wanderroute mit historischen Gärten. Es wäre spannend, noch mehr solcher Oasen zu entdecken. Was das finanzielle betrifft, so teuer sind solche Orte gar nicht, vor allem nicht im Südharz oder generell im Osten. Je weiter man sich von Großstädten entfernt, umso günstiger die Miet- und Grundstückpreise. Doch es gibt Nachteile: oft schlechte Anbindung, weniger Auswahl bei Jobsuche, man ist auf das Auto angewiesen (obwohl ich lieber auf das Auto angewiesen bin als auf die Deutsche Bahn…). Also ist es eher ein Traum für den Ruhestand 😉
Na, bis dahin sind es bei Dir ja noch ein paar Jahrzehnte – genug Zeit um das Geld für so ein lauschiges Plätzchen zu sparen.. dann muss der Traum kein Traum bleiben.. 😉
Ich wünsch euch das Beste!
CU
P.
Das wäre wirklich ein Garten ganz nach meinem Geschmack, ich könnte stundenlang (wenn nicht tagelang) darin herumspazieren. Verstehen Sie sehr gut, dass ein solcher Ort Sie auf die Idee gebracht hat, selbst einen solchen Garten anzulegen. Aber zuerst muss natürlich ein passender Ort gefunden werden…
Auch das Kloster ist auf jeden Fall einen Besuch wert und das sage ich, ohne eine allzu große Affinität zu Mönchen zu empfinden. Sie sind einfach Oasen des Friedens und der Ruhe.
Stefans Idee, ins Kloster und in die Gärten zurückzukehren, war schließlich gar nicht so schlecht …
Das ist wahr, Klöster sind ruhige und besinnliche Orte. Wenn man das Spirituelle einmal außer Acht lässt, dann kann man in den historischen Klostergärten durchaus eine schöne Zeit verbringen. Genauso wie Kirchen für mich interessante, sakrale Baukunst darstellen und historische Friedhöfe nicht gleich zu düsteren Gedanken verleiten müssen 🙂