„Nur die Harten kommen in den Flaschenbaumgarten.“
Ich habe es geschafft. Ich habe den Flaschenbaumgarten gesehen.
Heute wird es ein Autotag werden, verkündet Guide Gerti morgens um sieben beim Frühstück. Rund fünf Stunden Fahrt liegen vor uns; nach drei Tagen Hardcore-Wandern und Sokotras Gipfel zu Fuß erobern sicherlich eine Wohltat.
Bereits um halb fünf bin ich wach. Was nicht schwer ist, wenn man täglich abends um neun schon in den Schlafsack-Federn liegt. Der Mond hängt hell und nicht mehr ganz so rund am Himmel, verschluckt die meisten Sterne und beleuchtet mir den Weg. Ich bin längst draußen, als der erste Muezzin des Tages zum Gebet aufruft und sich der Himmel leicht rötet. Der erste Kopf eines Mitreisenden schiebt sich aus einem der Zelte. Langsam, doch unaufhaltsam beginnt der Tag.
Das Camp liegt inmitten der Berge. In der Dämmerung höre ich hinter den Bergketten die Gebete aus dem nahe gelegenen Ort zu mir herüber dringen. Ich weiß nicht, ob es eine Moschee gibt, aber gebetet wird mehrmals am Tag, egal wo man gerade ist, was man gerade tut, immer um die gleiche Zeit. Als ich mich umdrehe, schieben sich zwei Kühe lautlos wie Geister an den Steinen vorbei durch die Steppe. Ein Geier kreist mit riesigen Schwingen, lässt sich dann langsam auf einem der Zelte nieder.
Beim Frühstück sehen wir Familien, Frauen mit Kindern, beim Wasser holen zu. Rauch erhebt sich über den Häusern. Nicht nur für uns ist Aufbruchszeit. Ein Rabenpärchen kreist am Himmel; die unvermeidlichen Schmutzgeier sind sowieso immer da. Während wir am langem Tisch sitzen, vor uns Nutella, Kondensmilch, Kaffee und Tee, haben unsere Guides ihr eigenes kleines Lager. Mit Feuerchen, Metallgeschirr und allem drum und dran. Die Hirten aus dem Ort hingegen sind längst aufgebrochen; eine Herde Schafe läuft an uns vorbei.
Dann wird das Camp abgebaut, die Zelte, Stühle, Tische, Matten – während die Geier zusehen. Nichts darf übrig bleiben. Ich nutze die aufgehende Sonne, um meine Powerbank zu laden, die ich mir auf den Rucksack gebunden habe. Die ersten Sonnenstrahlen bringen recht schnell die Hitze des Tages mit sich.
Karge Landschaft
Wir fahren los, mitten durchs Gelände. Auf staubiger, ruckeliger Piste geht es nur langsam voran. Eine Geröllwüste umgibt uns, die Fahrzeuge ziehen Schleier aus Staub hinter sich her. Währenddessen fotografiere ich die Landschaft, „erwische“ dabei eine alte Frau, die entlang des Weges geht. Statt zu schimpfen grüßt sie mich, kommt ans offene Autofenster und drückt meine Hand.
So langwierig, wie zuerst gedacht, wird die Fünfstundenfahrt nicht. Der Weg wird immer wieder von Spots unterbrochen, an denen wir stehen bleiben und uns ausruhen oder fotografieren können. Ein solcher Halt ist eine Erhebung, die wir sogleich erklimmen und die einen Ausblick über die Landschaft bietet. Die Umgebung ist trocken und karg, es gibt nicht viel zu sehen. Ein paar sandfarbene, würfelförmige Häuser, die sich in eine sandfarbene Landschaft fügen. Ich lasse den Blick über die Köpfe meiner Mitreisenden schweifen, die sich in der Botanik verteilten. So viel hätten wir also gesehen, wenn dies hier eine Autoreise wäre. Die schönsten Plätze sind noch immer die unzugänglichen Bergregionen. Ein Mann mit seinem Sohn kommen vorbei, grüßen mich freundlich, gehen weiter.
Die Koranschule
Die Route führt an einer Koranschule vorbei. Es muss Schulschluss sein, denn eine große Gruppe Kinder bewegt sich in Richtung Dorf. Die Jungs winken, rufen und grüßen, während die Mädchen zurückhaltender sind. Zum ersten Mal auf dieser Insel sehe ich komplett schwarz verschleierte, junge Mädchen. Während die Kleidung der Frauen bei den Bergbewohnern farbenfroh und schön ist, begegnen uns hier lange, weiße Abayas, manche der Kopftücher sind weiß oder beige. Ein paar von ihnen grüßen uns, als wir an ihnen vorbei fahren, einige sind scheu und verstecken ihr Gesicht. Neugierig sind sie wohl alle.
Dreihundert Meter weiter ereilt uns eine Autopanne, eine von vielen auf dieser Reise. Der Reifenwechsel dauert länger, die Gruppe Mädchen holt uns ein. Sie versuchen, so schnell wie möglich an unserer Gruppe vorbei zu kommen, verdecken ihre Gesichter und fürchten offensichtlich, ungefragt fotografiert zu werden. So unbegründet ist die Befürchtung nicht.
Dixam-Plateau und Wadi Dirhor
Das Dixam-Plateau liegt zentral auf der Insel. Es ist ein Kalksteinplateau, das östlich der Schlucht Dirhor den Firmin-Wald beherbergt, wo wir vor zwei Tagen übernachteten und wo es die höchste Konzentration der Dracheblutbäume auf der gesamten Insel gibt. Das Plateau selbst erhebt sich 700 Meter über dem Meeresspiegel. Heute stehen wir jenseits des Firmin Forest weit oben zwischen einzelnen, tellerförmigen Drachenblutbäumen und schauen hinunter auf das vor uns liegende Wadi, das wie mit einem Buttermesser tief in den Bauch von Mutter Erde hineingeschnitten wurde.
Das Dach des Baumes ist wie ein riesiger Schirm. Zwischen den Bäumen laufen Mädchen in farbenfrohen Kleidern hin und her, die uns kleine Päckchen gesammelten, blutroten Harzes anbieten. Wir kaufen nichts, aus Sorge vor den Ausfuhrbestimmungen am Flughafen. Ob das Harz ausgeführt werden darf, ist unklar; laut Guide Gerti werden Touristen bei der Ausreise streng kontrolliert. Ich habe jetzt schon Bauchweh wegen der zwei Krümel Harzes, die Isar in den Bergen für mich vom Baum gekratzt hatte.
Die Pause dauert länger. So sitze ich, an den Stamm des mächtigen Baumes gelehnt, und blicke zum Canyon hinunter. Rechts von mir, vielleicht fünfhundert Meter weiter, wird von einer Gruppe Männer gesammeltes, trockenes Holz gestapelt. Das Dixam-Plateau ist Wohnort von Hirten, die mit ihren Herden umherziehen.
Der Flaschenbaum-Hain
Der heutige Tag ist ein leichter. Er besteht aus fahren – anhalten – anschauen – weiterfahren. Ungewohnt, sich die schönen Orte nicht mehr erarbeiten zu müssen. Wie die große Fläche voller blühender Flaschenbaumbäume auf dem Momi-Plateau im Süden der Insel, die mit ihrer ungewöhnlichen Form und ihren schicken rosa Blüten praktisch zu einer fotografischen Exkursion einladen. Ihre dicken, wassergesättigten Stämme haben was von Aliens; Jabba der Hutte steht in mehrfacher Ausführung vor mir. Doch um den Hain zu erreichen, muss man über einen abschüssigen, mit losen Steinen und Geröll bedeckten Abhang hinunter steigen. „Ach, Scheiß drauf.“ Denke ich, während ich sehe, wie das Geröll unter meinen Füßen nachgibt. Irgendwie bin ich übersättigt, mit Eindrücken überfüllt und denke, dass ich die Bäume nicht zwangsläufig aus der Nähe sehen muss. Meine Mitreisenden sind ausnahmslos schon unten und knipsen fleißig.
„Ach, Scheiß drauf.“ Halb rutschend, halb springend finde ich mich unten ein. Wie ich wieder hinauf komme, darüber werde ich mir erst später Gedanken machen. Dann spaziere ich vor diesen seltsam wirkenden Geschöpfen, die leicht außerirdisch wirken. Das Blassrosa der Blüten verliert sich beinahe vor der Kulisse der Felswüste. Ihre Wurzeln schlingen sich um die Felsen und um sich selbst, als wenn sie aufstehen und davonspazieren möchten. Das verhindert wohl der massive Umfang des Stammes; der ganze Baum besteht fast nur aus Stamm, in dem er große Mengen Wasser speichert. Wir haben Glück, Adenium Obesum beim Blühen zu sehen.
Dagoub Höhle
Diese Tropfsteinhöhle, auch als Degub Cave bekannt, erreichen wir mit dem Auto in einigen Metern Höhe. Wie ich in der Reisebeschreibung sehe, wurde dieser Ort später aus dem Programm genommen und auch sonst finden sich spärlich bis keine Informationen. Was gut daran liegen könnte, dass noch nicht jeder Ort auf Sokotra untersucht wurde, um sein Alter zu bestimmen. Wenn ich in diesem Zusammenhang an die weitaus größere, Millionen Jahre alte Hoq-Höhle denke, die wir tags darauf besuchen werden, so schätze ich auch hier das Alter ähnlich ein.
Die Öffnung ins Innere der Erde klafft uns von weitem in ihrer Schwärze an. Inmitten trockener, staubiger Vegetation kommen wir zum Stehen, weitere Staubwolken aufwirbelnd. Die Sträucher ringsum, auf den ersten Blick tot, vollkommen vertrocknet, sind sehr wohl lebendig. Davon zeugen die grünen, frischen Knospen. Ein Tropfen Regen, und das Gestrüpp wird sich in eine grüne Oase verwandeln.
Als wir näher kommen, umfängt uns Kühle. Grüne Pflanzen schlingen sich um den Höhleneingang, hin zum Licht, doch nicht allzu weit von lebensspendendem Wasser entfernt. An Moosen hängen fluoreszierende Tropfen. Der Eingang ist von Kletterpflanzen bedeckt. Wir betreten einen kühlen Raum und verteilen uns, bevor der Rest der Gruppe hier ankommt.
Ein staubiger Boden. Jahrhunderte alter Staub. Es haben Menschen gelebt hier drinnen, davon zeugen die verlassenen Ziegengatter. Die Räume hatten eine Funktion. Es gab Wasser, es gab Schutz. Hier haben Menschen gelebt, bis vor…? Das wissen die Sokotris selbst nicht so genau. Mich umgibt der allgegenwärtige Geruch nach Schwarzschimmel, der stärker wird, je näher ich den Wänden komme. Von der Haupthöhle gehen Abzweigungen tief in den Berg hinein, doch diese dürfen wir nur kontrolliert betreten. Zu leicht ist es, sich hier zu verlaufen.
Wie ein großer Ballsaal wirkt das hier, ein wenig wie Avatar; riesige Stalaktiten haben sich mit dem Boden verbunden und bilden mit Pflanzen bedeckte Säulen. Gezwitscher erfüllt den Ballsaal. Das stetig tropfende Wasser bildet kleine Bassins im Fels.
Als wir den Ort verlassen, wenden wir uns nach Süden. An der Südküste wartet das Aomak Camp auf uns, ein traumhafter Ort am puderweißen Strand. Hier werden wir die folgende Nacht verbringen.
Ja, das war schon ein Kontrastprogramm zu den vorangegangenen Wandertagen. Wie mühsam es mit den Autos auf den schotterigen Wegen voranging, zeigt dein Video eindrucksvoll. Der Vorteil davon – und auch der einer der häufigeren Reifenpannen – ist aber, dass ihr dann mehr Zeit hattet, euch umzusehen und die Landschaft zu genießen. Die blühenden Bäume und auch die Höhle finde ich großartig!
Die Reifenpannen sind zum Klassiker geworden. So oft, wie wir die hatten, frage ich mich, wie sie mit dem Flicken überhaupt nachgekommen sind. Oder vielleicht gibt es auf Sokotra nicht nur Drachenblut-, sondern auch Ersatzreifenbäume? *Grübel*
Das mühsame Wandern habe ich an diesem Tag vermisst. Auf eine masochistische Art und Weise.
Die Vorstellung eines Ersatzreifenbaumes gefällt mir 🤣! Ich hoffe, du konntest die Maso-Nummer genießen 😎.
Lach, ja, Kopfkino, ne? Da biegt man um die Ecke, und in strahlendem Licht steht da so ein überirdischer Dunlop-Baum…
🤪🤪🤪
Wieder ein toller Beitrag von Sokotra und unglaublich faszinierende Fotos
Liebe Grüße Andrea
Dankeschön. Schön, dass dir die Fotos gefallen.
Beeindruckende Landschaft! Das Karge hat auch seinen Reiz.
Die Landschaft auf Sokotra ist wechselhaft. Am schönsten fand ich bisher unsere Tour durch die Gebirge.
Vielen Dank Kasia für deinen herrlichen Beitrag und den wunderschönen Bilder, von einer Landschaft, die man gesehen haben muss, um sie zu verstehen.
Liebe Grüße, Roland
p.s. Eine Sache noch, aber vielleicht war es dir bereits bekannt: das Video funktioniert einwandfrei, aber bei deinem „Bilderkarusell“ kann man im Reader leider nichts sehen. Ich bin dann direkt auf deine Seite gegangen; dort war es möglich.
Vielen lieben Dank für deinen Kommentar. Die Landschaft ist einmalig und ich bin froh, sie gesehen zu haben.
Ich wusste tatsächlich nicht, dass die Diashow im Reader nicht funktioniert. Hm, jetzt ist die Frage: lassen oder durch andere Bildergalerien ersetzen (Bildermosaik usw…)?
Liebe Grüße
Das musst du, liebe Kasia, selbst entscheiden. Ich würde es machen, da die Bilder so schön sind und eigentlich zum Beitrag gehören.
Liebe Grüße, Roland