Der erste Tag zu Hause. Ich fühle mich ausgebrannt, kann mich nicht auf die nächste Reise freuen. Das hängt vielleicht mit den Geschehnissen in Polen zusammen, vielleicht auch mit der sich anbahnenden Leberzirrhose, ein typisches Überbleibsel der legendären „Willkommens- und Abschiedspartys“, wie nur meine polnische Familie sie kann und für die ich sie so liebe. Aber davon erzähle ich euch ein anderes Mal. Fakt ist, dass für mich, wenn ich dort bin, sogar die Berge zum Propheten kommen und selbst die Feiertage um eine Woche vorverlegt werden, mit Heiligabend, dem Weihnachtsmann, Geschenken und allem, was dazu gehört. Und dann sind da noch Dinge passiert, die weniger erfreulich waren und die nun in meinem Kopf rattern wie eingesperrte Tauben. Aber davon, wie gesagt, ein anderes Mal. Jetzt ist Senegal dran.
25 Dezember 2022
Erster Weihnachtstag in Dakar
Trübes Licht der Deckenlampe bricht sich an rosa getünchten Wänden, die mit spärlichen Schwarzweißfotografien dekoriert sind. Obwohl ich die Klimaanlage sofort bei unserer Ankunft ausgeschaltet habe, dringt leises Rauschen von irgendwo her an meine Ohren. Eine Flasche „Flag“-Bier steht auf dem dunklen Ablagetisch. Wir sind in Dakar angekommen.
Doch es war ein langer Weg…
Der Flug der Brüssel Airlines nach Brüssel geht bereits um neun. Am frühen Morgen um fünf Uhr des ersten Weihnachtstages nimmt uns Stefans unausgeschlafene Schwester in Empfang, um uns zum Frankfurter Flughafen zu bringen. Warum so früh? Tja, sagen wir es wie es ist. Der Fraport, wie er sich selber nennt, hatte in Zeiten der Pandemie Mitarbeiter entlassen, die ihm jetzt fehlen – mit Komplikationen und Verzögerungen ist also jederzeit zu rechnen. Vor allem, wenn man nicht zeitig vor Ort ist.
Ist man jedoch zeitig vor Ort wie wir, läuft alles wie am Schnürchen. Zügig passieren wir die Kontrolle und treiben uns im Gate-Bereich herum.
Rund eine Stunde lang dauert es bis zur Landung in Brüssel, wo wir uns weitere Stunden wahlweise die Beine in den Bauch stehen oder unser Sitzfleisch strapazieren und hungrig, aber geizig auf diverse mickrige Snacks starren, die sieben Euro aufwärts kosten. Bei unserem Gate haben sich inzwischen die ersten Senegalesen versammelt, die auf Besuch in die Heimat fliegen wollen. Die Anspannung der letzten Tage ist nun weg, alles, was zu erledigen war, ist weitestgehend erledigt und über zerbrochenes Porzellan werde ich mir später meine Gedanken machen. Senegal wartet, und während wir uns endlich alle erheben und in einer langen Schlange auf die Kontrolle für das Boarding warten, spüre ich zum ersten Mal seit langem so etwas wie Vorfreude.
Der Abflug verspätet sich um weitere dreiviertel Stunde. Es gibt im Flieger keine Maskenpflicht mehr, aber einige Passagiere tragen den Mund-Nasenschutz dennoch. Nach rund sieben Stunden, die Stefan größtenteils verschläft, landen wir um 21:30 Ortszeit in Dakar. Das Abenteuer Senegal kann beginnen.
Oder auch nicht, denn unser Reiseguide ist nirgendwo zu sehen. Die individuell geführte Reise haben wir über eine Agentur gebucht, und unser deutschsprachiger Guide Mamadou würde uns eine Woche lang begleiten. Doch die Details kennen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht: wir halten einfach nur nach jemandem mit einem Pappschild Ausschau. Und während Stefans Bandscheiben bereits auf den Stress, welchen er sich selber macht, zu reagieren beginnen, setze ich mich entspannt auf eine der Sitzreihen inmitten unseres Gepäcks.
Schwarzhäutige Menschen wuseln um uns herum, doch die Flughafenhalle leert sich zunehmend. Freundlich weise ich die französischsprachigen Anfragen diverser Taxifahrer zurück, die hier auf der Jagd nach neuen Kunden ihre Runden drehen. Männer in Kaftan und ebenso bunt wie schick gekleidete Frauen laufen links und rechts an mir vorbei. Die Temperatur ist um volle zehn- bis fünfzehn Grad gestiegen, so ziehe ich Schicht für Schicht der dicken Reisekleidung aus, in die ich mich in Deutschland eingepackt habe. Ich hatte nicht gedacht, dass alles glatt wie am Schnürchen läuft, es ist schließlich Afrika. Und während Stefan etwas von „…verklagen bis in alle Instanzen“ murmelnd sich zum Telefonieren in eine ruhige Ecke verzieht, ziehe ich die neue, fremde Luft ein. Riecht es hier nach Gewürzen? Warum riecht es hier nach Gewürzen?
Mamadou
Stefan ist draußen vor der Flughafenhalle, vermutlich, um sein während der Flugzeit entstandenes Nikotindefizit wieder auszugleichen. Ein alter Mann läuft zielstrebig auf mich zu und spricht mich auf deutsch an. Es ist Mamadou, unser touristischer Guide. Der Senegalese trägt senfgelben Kaftan und spricht gutes Deutsch. Er weckt in mir Vertrauen, vom ersten Augenblick an. Das geht soweit, dass ich ihm unser Gepäck bereitwillig zur Aufsicht überlasse, um mich auf die Suche nach Stefan zu machen, der irgendwo draußen in der wuseligen Dunkelheit herumschwirrt.
Schließlich kommen wir alle zusammen: Stefan, Mamadou und ich. Unser Fahrer Ibrahim wartet an einem gemieteten Toyota auf uns, der anscheinend zur Agentur gehört. Draußen vor dem Flughafen, bereits auf dem großen Parkplatz, vibriert das senegalesische Leben. Fahrbare Unterbauten rollen langsam an uns vorbei, zerkratzt, zerbeult, mit fehlenden Scheinwerfern, doch noch immer einsatzbereit. Manche der utopisch alten Kleinwagen sind mit religiösen Bildnissen und Schriftzügen beklebt. Und während wir am Auto stehen, Stefan eine Zigarette nach der anderen raucht und dabei versucht, seine Bandscheiben zu entlasten, beginnt Mamadou, uns das eine oder andere über sein Land zu erzählen.
Senegal präsentiert sich als stabile Demokratie und als Oase der Ruhe inmitten unruhiger, von instabiler politischer Lage und Terrorismus bedrohter Gebiete wie Mali, wo die Wagner-Truppe den Tod sät, oder Gambia, wo laut Mamadou bereits der dritte Putschversuch verhindert werden konnte. Der Senegal hat laut meiner späteren Recherchen eine weitestgehend freie Presse und eine aktive Zivilgesellschaft. Dennoch: laut Berichten von Menschen, mit denen wir während der Reise sprechen konnten, sei Korruption auf allen Ebenen Normalität und verhindere Chancengleichheit.
Die am weitesten verbreitete Religion in Senegal ist der Islam. Über 80 Prozent der Bevölkerung sind Muslime. Sie praktizieren einen – wie Mamadou es ausdrückt: „entspannten“ und toleranten Islam. Muslime leben mit Christen zusammen, in Gemeinden, manchmal sogar als Ehepartner innerhalb einer Familie. „Wir besuchen einander, laden uns zum Essen ein. Die Christen kochen extra für uns Essen mit Lamm oder Hühnchen. Und lasst euch nicht täuschen, wenn ihr Männer in langem Kaftan sieht und denkt, dass sie muslimisch sind – es können genauso gut Christen sein.“
Auch das Weihnachtsfest wird, obwohl christlich, von Muslimen mitgefeiert, allerdings in einer etwas abgewandelten Form („mehr wie Silvester“). Was nicht zuletzt daran liegt, dass Senegalesen jede sich bietende Möglichkeit wahrnehmen, ein Fest feiern zu können.
Was mir auch am Flughafen und bei der Einreisekontrolle auffällt: der Senegal ist ein kinderfreundliches Land. Das geht soweit, dass Familien mit kleinen Kindern, egal ob senegalesische oder „auswärtige“, in der Warteschlange herausgezogen und ihre Einreise bevorzugt abgewickelt wird. Hier versteht jeder, dass die Kleinen nach einer langen Reise müde sind und quengeln. „Beruhige dich.“ Sage ich zu meinem Stefan, der müde ist und quengelt und auf sein Recht auf eine gerechte Visavergabe pocht. „Wir kommen auch noch dran.“
Nun, solange wir noch am Auto stehen und mein Stefan seine Bandscheiben entlastet, tauschen wir uns über Kulturelles aus. Ein Mann kommt irgendwo aus dem Schatten auf mich zu und klimpert mit Münzen; wenn ich Geld tauschen wolle, nur zu, er hätte alle gängigen Währungen. Ich lehne dankend ab, denn die Geldtauscherei „auf der Straße“ ist in vielen Staaten illegal.
Irgendwann setzen wir uns ins Auto und mit diesem in Bewegung. Wir verlassen den Flughafenbereich und tauchen in die Dunkelheit ein. Neugierig und wach spähe ich durch die Scheiben. Ein paar junge Männer am Rand der Straße, die um etwas wie eine brennende Mülltonne herum sitzen. Das Bild flitzt nur kurz an mir vorbei und verschwindet wieder in der Nacht, ebenso wie die vielen Lichter und Straßenszenen.
Straßenbeleuchtung wechselt sich mit Weihnachtsbeleuchtung ab. Nach etwa einer halben Stunde Fahrt, erreichen wir Dakar City. Trotz der späten Stunde sind Jugendliche auf den Straßen und dem beleuchtetem Platz vor dem Nationaltheater, es ist ordentlich was los im Zentrum von Dakar. Explodierende Böller sind zu hören. Präsident Sall hatte den zweiten Weihnachtstag kurzfristig zu einem arbeitsfreien Tag erklärt, erzählt uns Mamadou.
Dakar City
In den Vorstädten der Hauptstadt wird viel gebaut. Neuer Wohnraum entsteht, der Bauboom zieht sich durch das ganze Land. Das Ziel eines jeden erwachsenen Senegalesen ist es, sobald er eine Familie gründet, ein Haus zu bauen – egal, ob es fünf oder zwanzig Jahre dauert. Oft kommt es vor, dass Menschen bereits in ihren unfertigen Häusern leben, bis wieder Geld da ist, um den Bau fortzuführen. Zwei Jahre Pandemie haben der Wirtschaft und der Touristik des Landes einen Dämpfer verpasst, der Tourismus entwickelt sich erst langsam wieder.
Es wird investiert, in neue Infrastruktur und neue Straßen. China und neuerdings die Türkei mischen kräftig mit. Wir kommen an der mit bunten LEDs beleuchteten Dakar Arena vorbei. Mit chinesischem Geld erbaut, kann sie bis zu 15000 Besucher aufnehmen und ist somit die größte Sportarena in Nordafrika.
Dakar sei eine moderne Hauptstadt und Zentrum vieler Weltkonferenzen. Entsprechend hoch sind die Preise, teilweise gleichen sie denen in Deutschland. Eine Stadt, die sich nicht jeder leisten kann. „Dakar ist so teuer wie München.“ So Mamadou. Fakt ist: der Sprit ist teuer wie in Deutschland, doch die Straßen sind wesentlich besser. Hättet ihr das gedacht?
Im Hotel Saint Louis Sun im Zentrum von Dakar bleiben wir für die Nacht. Für Stefan wird Bier geordert. Unser Guide hat Erfahrung mit deutschen Reisenden, daher ist „wollt ihr Bier“ die erste Frage, die er uns bei unserer Ankunft gleich an der Rezeption stellt. Wie gut er uns doch kennt.
Kurzer Nachtrag
Nun sitze ich und schreibe das Erlebte auf, die Beine auf dem Bett ausgestreckt. Zugleich frage ich mich, wie mich dieses fragile Stück Stoff, das uns hier in Afrika als „Decke“ verkauft wird, heute Nacht wärmen soll. Währenddessen hat sich mein Stefan nach draußen verzogen – während ich schreibe, ist es wohl gesünder für ihn, den Raum zu verlassen. Meint er. Kann nicht verstehen, wie er darauf kommt. Na, jedenfalls hat sich auch mein Liebster seine Gedanken zu Senegal gemacht. Diese könnt ihr auf seinem Blog „Digital Painting“ nachlesen. Der Link führt euch direkt zu Stefans Erlebnissen in Senegal. Schaut rein, solange die Tinte auf seinem Papier noch frisch ist.
bei dem Video kann man echt nicht glauben, dass man in Afrika ist – hätte genausogut an der französischen Riviera aufgenommen worden sein. Neue Autos, beeindruckende Fassaden mit diesem Hauch mediteranem Dekor – schon spannend.
Dass der Sprit dort teurer ist als hier hätte ich tatsächlich nicht gedacht – das die Straßen besser sind als hier, aber schon. Ich glaube noch schlechtere Straßen als in Deutschland findet man nur auf dem Mars (sollte man dem Mars-Rover glauben) – ist vielleicht der Grund, warum alle SUV kaufen.. 😉
Das Sportstadion sieht fast aus, wie die Heimstatt des FC Bayern – so eine Mischung aus Donut mit LED-Haut. 15.000 Besucher sind aber nicht so viel – der Signal-Iduna Park als reines Fussballstadion fasst ja schon über 70.000 Personen – und gefühlt parken die „am Spieltach“ alle in meiner Straße..
Bleib gesund!
CU
P.
Hallo Dr. Nerd, schön, dich „in Senegal“ zu sehen 😉 Mich hat in Senegal vieles überrascht. Stellenweise ist das Land so fortschrittlich, dann wieder erstaunlich weit hintendran. An jeder Straßenlaterne klebt ein Solarpanel – dann wiederum wird der Müll einfach in die Landschaft geworfen. Um nur eines von vielen zu nennen.
Das mit den Straßen hat mich überrascht, da wir vor Jahren mal in Namibia nur ungeteerte Schotterpisten angetroffen haben. Ähnliches hatte ich in Senegal erwartet, aber nein, glatter, makelloser Asphalt überall…
Mit den Größen von Sportstadions kenne ich mich nicht so aus, ich weiß aber, dass unser Guide beim Erzählen mächtig stolz war 😉
Lg
Naja, ich kann ja nicht immer einen Bogen um Reiseblogs machen. Schon zu sehen, wie Du den Stefan immer quälst ist ja einen Besuch wert.. :-).. War übrigens mal auf seinem Blog. Interessant wie unterschiedlich er die Dinge beschreibt. Wo für dich das Glas halb voll ist, ist für ihn das Glas schon fast komplett leer (und das sage ich nicht wegen dem Flag-Bier.. ;-)).
Bleib gesund
P.
P.S. ist deine Webseite immer noch nicht auf https? Ich kriege immer eine Meldung, dass die verbindung nicht sicher ist. Und auch wenn ich Kommentare schreibe gibt es immer die Meldung „doppelter Kommentar entdeckt – es sieht aus als hättest Du das schon mal geschrieben“. Ist das anderen Besuchern auch schon aufgefallen oder ist das nur bei mir so?
Schön, dass du den Weg in die Oasen der Reiseblogger gefunden hast! 😉 Ja, mein Stefan beschwert sich sehr viel, aber am Ende macht er (fast) alles mit…
Eigentlich sollte die Webseite schon umgestellt sein. Irgendwie hatte mir schon mal jemand sowas geschrieben, komisch…
Weihnachten wie Silvester zu feiern ist definitiv besser, als jedes Jahr die gleichen Familienstreitigkeiten bei einem langweiligen Abendessen unter einem von Jahr zu Jahr kümmerlicher werdenden Baum. 😉
Man weiß nicht, ob sie sich am Silvester nicht streiten, da steckt man nicht drin😉
Ah, sehr schön! Die allerersten Eindrücke sind doch schon mal vielversprechend. Ja, in afrikanischen Ländern würde ich tendenziell auch nicht erwarten, dass alles super glatt läuft. Da hilft nur die Einstellung „go with the flow“. Letztendlich fügt sich dann wohl meistens doch alles. Es ist eine schöne Idee, nicht in einer Gruppe (da seid ihr ja gebrannte Kinder 😁), sondern mit einem eigenen Guide zu reisen. Eine Bekannte von mir macht das regelmäßig, wenn sie in Indien unterwegs ist. Selbst routinierte Autofahrer geraten in bestimmten Ländern durchaus an ihre Grenzen und darüber hinaus. Den Stress kann man mit einem Fahrer und Guide vermeiden. Und ihr habt ja offenbar einen guten Griff getan mit Mamadou. Ich freue mich schon auf die Fortsetzung! Und ich hoffe für dich, dass sich das in Polen zerbrochene Porzellan wieder kitten ließ oder zum passenden Zeitpunkt reparieren lassen wird.
„Go with the flow“ ist immer besser als die Alternative, den meisten Stress macht man sich meistens selbst. Der Guide war super und hat seine Sache gut gemacht. Gruppenreisen haben ihre Vor-und Nachteile, für uns als Paar sind sie nix, irgendwie. Für mich als Alleinreisende in schwierigen Ländern sind sie eine gute Möglichkeit, sicher rumzukommen. Da nimmt man Nachteile in Kauf. Senegal haben wir, entgegen mancher Berichte, als Herausforderung empfunden. Aber auch als fesselnd.
Stimmt, in schwierigen Ländern haben Gruppenreisen durchaus ihren pragmatischen Charme. Habe ich in Indien gemerkt. Da war ich allerdings ohne Partner unterwegs. Die Kombi Stefan, ich und Gruppe würde bei uns auch nicht gut funktionieren. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Senegal herausfordernd war. Nicht nur sprachlich. Der einheimische Guide hat sicherlich einiges vereinfacht. Aber alles nimmt er einem ja auch nicht ab. Freue mich schon auf die Fortsetzung 😎.
Ein neues Abenteuer, wir verfolgen es mit großer Aufmerksamkeit 🙂
Vielen Dank, das Abenteuer ist eröffnet 😉
Na, das fängt ja schon mal positiv an, da freue ich mich schon auf weitere Beiträge von dir.
Liebe Grüße und dir/euch noch einen schönen Sonntag,
Roland
Hallo Roland, Senegal ist auch vielversprechend 😉 lg Kasia