Europa, Polen

Weihnachten in Polen – Ein früh(lich)es Fest

Schnee, überall Schnee. Der Blick aus dem Fenster offenbart eine Märchenwelt. Dampfend heißer, roter Tee in meiner Hand, das Flackern des Kaminfeuers. Ein kuscheliges, weißes Fell vor dem Kamin, an dem wir uns wärmen. Leises Knistern und der Geruch von verbranntem Holz. Kann es f*cking romantischer sein? 

Der Weg nach Hause dauert länger als gedacht. Als wir uns endlich losreißen vom malerischen Breslauer Weihnachtsmarkt und im Auto sitzen, sind wir bis abends unterwegs. Der Weg führt zu meiner Mutter, anschließend zu meinem Onkel. Hier bleiben wir die kommende Woche über. So zumindest der Plan.

Als wir bei meiner Mama ankommen, bin ich erschöpft. Die dicke Erkältung, die sich die ganze Zeit über angebahnt hat, bricht aus. Ich kann nichts dagegen machen, ich muss einfach nur schlafen. Erledigt verkrieche ich mich unter dicken Decken der Wohnzimmercouch und mache die Augen zu. Meine Mutter und Fee werkeln indessen in der Küche herum.

Zwei Stunden später. Ich stehe auf, mir ist warm. Langsam stecke ich den Kopf in die Küche und treffe auf Frauengespräche und eine Lebensberatung, die in vollem Gange ist. Die Katze meiner Mutter schaut skeptisch zu, was da am Tisch geschieht. Beleidigt kneift sie die Augen zusammen und demonstriert deutlich ihre Missbilligung ob der Neuankömmlinge. Ich bin erleichtert. Zumindest hatte mich niemand vermisst.

 

Wintermärchen

Am Abend bei meinem Onkel flackert das Licht im Kamin. Ein kurzer Abend ist es, und am folgenden Morgen ist Onkel nicht mehr da. Dafür ist das Feuer im Kamin frisch entfacht und eine wohlige Wärme breitet sich in der Wohnung aus. Während wir uns aufwärmen und an heißem, roten Früchtetee schlürfen, liegt die Welt draußen unter einer dicken, weißen Schneedecke begraben. Die Bäume im Garten, die Straßen und Felder, alles ist weiß und rein. Kleinere Tiere suchen in der zugefrorenen Erde nach vergessener Nahrung. Ein großer Greifvogel sitzt auf einem Ast direkt vor dem Fenster. Rebhühner stöbern durch die Felder. Leise rieseln ein paar letzte Schneeflocken herunter. Ein Wintermärchen ohnegleichen.

Schnee dämmt Geräusche. Als ich mich nach draußen bewege, ist kein Laut zu hören. Nicht, dass ich unbedingt nach draußen will, aber Schnee schippen ist angesagt. Und das Frühstück will verstoffwechselt werden. Mein Seat ist unter der dicken Schneedecke kaum zu sehen. Ein weißer Dezember. Das Kratzen der Schneeschaufel auf dem Asphalt ist der einzige Laut, der mich begleitet. Während mir bei der Arbeit immer wärmer wird, hoffe ich inständig, dass sich der Schnee bis Weihnachten hält.

Schnee schippen ist angesagt

Den Tag verbringen wir bei meiner Mutter, und abends ist bei meinem Onkel Party angesagt. Die legendären Willkommens- und Abschiedspartys, wie nur meine Familie sie kann, haben mir schon so manche glücklichen Momente beschert und mich manches gesunde Stück meiner Leber gekostet. Jacob und Gosia sind natürlich mit dabei. Ein jeder ist auf meine Freundin gespannt, die zum ersten Mal mit uns feiern soll. Kleine Willkommensgeschenke werden ausgetauscht und ein Abendessen aufgetischt. Die Konversation gestaltet sich einfacher als gedacht, denn trotz einer gewissen Sprachbarriere ist die Jugend von heute technisch versiert. Übersetzer-Apps kommen zum Einsatz, und wenn die nicht mehr weiter wissen, springt die analoge Version ein. Die analoge Version einer Übersetzer-App – das bin ich.

„Impreza“

Doch je mehr Hochprozentiges fließt, umso leichter fällt die Verständigung – in jeder Kultur. Die Musik wird laut gedreht. Wir singen. Wir tanzen. Mein Onkel gräbt irgendwo alte, polnische Klassiker aus, die immer dann zum Tragen kommen, wenn die Gesellschaft betrunken genug ist, um sie zu ertragen. Ein Hochgefühl jagt das nächste, und sogar für Partybeleuchtung ist gesorgt. Wenn ihr das untere Bild betrachtet, nein, das bin ich nicht beim Versuch, eine Glühbirne reinzudrehen. Mit Handytaschenlampe und rhythmischen Handbewegungen wird eine Discokugel simuliert. Und damit bestätigt sich, was wir alle schon immer wussten – für eine gute Impreza braucht man kein Equipment – nur die richtige Gesellschaft.

Nachts wärmen uns die Flammen im Kamin. Ich schlafe wie ein Baby, so gut wie seit langem nicht mehr. Und da stört es auch nicht, dass ich weit, weit entfernt noch Geräusche höre. Irgendwann schlafen alle, das Haus ist still. Die Flammen im Kamin erloschen.

Am nächsten Morgen ist es kalt in der Wohnung. Ich bin früh wach, will die anderen noch nicht wecken. Meine Freundin fehlt, ich gehe davon aus, dass sie sich fertig macht. Später kommt mein Onkel runter. „Wo ist Fee?“

Wir suchen. Wir suchen die ganze Wohnung ab. Irgendwann fällt jemandem auf, dass Fees Sachen fehlen. Es stellt sich heraus, dass sie aus privaten Gründen abgereist ist. Mitten in der Nacht. Bei minus sechs Grad und meterhohem Schnee. Am Küchentisch sitzend erörtern wir die Lage. Schließlich sagt mein Onkel sinngemäß: „Es bringt nichts, sich weiter den Kopf zu zerbrechen. Das würde uns nur deinen Aufenthalt hier vermiesen.“ Meine Familie ist pragmatisch, und dafür liebe ich sie.

Es ist zwar schade. Wir hatten Pläne. Unter anderem wollten wir meiner Freundin Krakau zeigen und eine Ehrenrunde durch Blonie, meine Heimatstadt, drehen. Doch so machen wir das Beste draus und feiern das Weihnachtsfest, als ob es das letzte wäre.

 

Heiligabend, der 17.12.2023

Und wie wir feiern. Natürlich wird gemeinschaftlich der Weihnachtsbaum geschmückt. Und natürlich erst an „Heiligabend“. Wer eben kurz stutzte und dachte, ich hätte mich verschrieben – mitnichten, denn solange – das heißt, bis Heiligabend – kann ich nicht bleiben. Doch mein Onkel hat dazu eine pragmatische Lösung. Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, dann kommt eben der Berg zum Propheten – und so wird Heiligabend kurzerhand vorverlegt. Mit Weihnachtsbaum schmücken, einem Abendmahl, Geschenken und allem drum und dran. Es werden Plätzchen gebacken – die Jugend wirft sich ins Zeug. Und während meine Mama wartet, werkeln Onkel und die Jugend in der Küche. Es gibt alles, was zu einem schönen Fest dazugehört. Es gibt Schnee. Es gibt sogar einen Weihnachtsmann, der bei uns vorbei schaut und höchstpersönlich die Geschenke bringt. Es ist natürlich mein Onkel, der in sein alljährliches Kostüm schlüpft. Und ja, ich weiß, wir sind zwar alle erwachsen – aber ein Bisschen Kind haben wir uns dennoch bewahrt.

Nach dem Essen sitzen wir zusammen. Nur der Kamin flackert und traditionelle Weihnachtslieder erklingen im Hintergrund. Zumindest zur Beginn. Ganz untraditionell wird mit Bier angestoßen – eigentlich ist es in Polen Brauch, sich an Heiligabend in Abstinenz zu üben. Und als wir uns ausgeschunkelt haben, meine Mama im Auto Richtung Zuhause sitzt und mein Onkel erschöpft auf der Couch einschläft, da wissen wir, es war ein gelungenes Fest. Und wir haben Schnee. Dadurch, dass wir das Fest vorverlegt haben, konnten wir eine weiße Weihnacht genießen – die weiße, flauschige Schneedecke wird nämlich bis zum tatsächlichen Fest längst geschmolzen sein.

Fühlte sich die vorgezogene Weihnacht falsch an? Nicht im Geringsten. Was wieder einmal zeigt, dass nicht feste Termine eine feierliche Stimmung schaffen, sondern die Menschen, die wir lieben und mit denen wir zusammen sein wollen. „So haben wir das auch schon gemacht.“ Berichtet mir eine Tankstellenangestellte, der ich kurz vor der Grenze von meinem Erlebnis erzähle. Sie arbeite Schicht, sagt sie, und da bleibt es nicht aus, dass sie an Weihnachten nicht zu Hause sein kann. „Wir haben auch schon mal Heiligabend vorgezogen.“ Sagt sie. Und ich muss schmunzeln, dass ich nicht die einzige bin. Zugleich bin ich glücklich und dankbar für den Aufwand, den sich meine Family wegen mir gemacht hat. Denn eine Woche später feiern sie Weihnachten gleich nochmal – diesmal für alle, die bei dem verfrühten Termin nicht dabei waren. Ach, möge das ganze Jahr über Weihnachten sein (oder doch nicht…?).

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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19 Kommentare

  1. […] nur meine polnische Familie sie kann und für die ich sie so liebe. Aber davon erzähle ich euch ein anderes Mal. Fakt ist, dass für mich, wenn ich dort bin, sogar die Berge zum Propheten kommen und selbst die […]

  2. Hallo Kasia,

    Weihnachten vorziehen? Auf diese Idee kommt nicht jeder. Ist aber auch egal, denn ihr habt „Weihnachten“ ja genossen und hattet alles was man dazu braucht. Auch Schnee.

    Ich wünsche dir und deine Lieben frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr. Vor allem wünsche ich euch Gesundheit.

    Liebe Grüße
    Harald

    1. Vielen Dank. Ich wünsche euch ebenfalls ein ruhiges, schönes Fest und eine gute Zeit im neuen Jahr.

      Liebe Grüße

  3. Man muss die Feste feiern, wie man kann. Gut gemacht. Wünsche dir schöne Feiertage und viele Reisen im nächsten Jahr!

    1. Ja eigentlich muss man die Feste feiern, wie sie kommen, aber den Ratschlag haben wir ja erfolgreich in den Wind geschlagen. Ich wünsche euch euch ein schönes Fest und viele sinnlose Reisen 2024.

  4. Hi Kasia,
    ich finde es schön, wenn Menschen ein schönes, friedvolles und auch lustiges Weihnachtsfest mit Ihren Familienangehörigen verbringen können. Ich beneide dich jetzt doch ein bißchen – und dann hast Du ja morgen noch mal Weihnachten. Mehr geht doch gar nicht!
    Ich bin dieses Jahr so überhaupt nicht in Weihnachtsstimmung – dafür sorgt auch das Wetter, das einen mit Dauerregen und Tagen, an denen es einfach nicht hell werden will nervt.
    Zu Weihnachten gehört einfach Schnee – sonst ist es kein Weihnachten.
    Dir – und natürlich auch Stefan – wünsche ich beschauliche Weihnachtstage!
    CU
    P.

    1. Hi Peter,
      das von mir beschriebene Fest hat letztes Jahr stattgefunden. Ein zweites Weihnachten fiel aus, weil es nach dem Aufenthalt in Polen für uns nach Senegal ging. Dieses Jahr feiern wir gemütlich in der neuen Wohnung, ich bin gerade am Kochen und ja… hier regnet es auch 🙂

  5. Ach, das klingt so heimelig und gemütlich. So viel gute Stimmung. Und noch Schnee zum „Heiligen Abend“ ein Traum…
    Ich wünsche dir schöne Weihnachten…nochmal. 🎄🎄

    1. Vielen lieben Dank, ich wünsche dir auch ein schönes Fest (habe ich das schon…?). Ich bin eh dafür, die Weihnachtstage je nach Wetterlage flexibel zu gestalten, damit man möglichst eine weiße Weihnacht hat. Bei uns schüttet es momentan wie aus Eimern…

      1. Das klingt ziemlich gut. Nach Wetterlage zu planen – bei uns ist es gerade mal trocken – so für 5 Minuten. 😣

  6. Deine Freundin ist einfach klammheimlich über Nacht verschwunden? Auch wenn sie sicher dringende private Gründe hatte: eine kurze Nachricht über WhatsApp wäre nett gewesen 😅. Unter anderem auch deshalb, weil extra für sie noch ein Besichtigungsprogramm geplant war. Aber du und deine Familie habt es ja souverän und locker genommen und euch die Party dadurch nicht verhageln lassen. Gut und richtig so 😎.

    1. Wir haben das beste draus gemacht und gefeiert, was das Zeug hält. Manchmal nimmt das Leben eben eine überraschende Wendung und dann muss man, so gut es geht, damit umgehen. Es war trotzdem ein schönes Weihnachtsfest.

      1. Das ist die Hauptsache 😎.

  7. Coole Idee, das Fest einfach zu verlegen!

    Und ich finde Eure „grumpy cat“ trotzdem süß. 😍

    1. Die Katze ist unheimlich auf meine Mutter fixiert. In diesem Jahr wurde der Haushalt um einen Hund erweitert, da hatte die Mieze erstmal doof aus der Wäsche geguckt 🙂
      Das Fest hatten wir das erste Mal verlegt, es hat sich als goldrichtig rausgestellt. Mein Cousin meinte später, dass er das „falsche“ Weihnachten schöner fand – wegen dem Schnee…

  8. Via diesen Weg wunsche ich Dir frohe Weihnachten Kasia und alles gute für 2024 !

    1. Vielen Dank, das wünsche ich Dir auch 🙂

  9. stefantaege sagt:

    Bei deinem Onkel denkt man, dass er gleich einen Striptease hinlegt 😀

    1. Neein, davon konnten wir ihn zum Glück gerade so abhalten… kleiner Scherz, natürlich macht er sowas nicht, was du schon wieder denkst 😉

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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