Es riecht nach frisch gebratenen Eiern mit Speck. So, als würde jemand im Zimmer stehen und sie mir vor die Nase halten. Doch auf das Frühstück heute verzichte ich – das Abendessen war gestern spät und üppig. Zu afrikanischen Küche gehört jede Menge frittiertes, und leider habe ich mir genau ein solches Gericht bestellt.
Kleiner Scherz. Natürlich frühstücke ich mit. Unter anderem, um den mit Flieger-Motiven gestalteten Essensraum zu bewundern. Und weil am Morgen der Hunger schon wieder da ist. Anschließend leiste ich Stefan draußen Gesellschaft, während er sein morgentliches Zigarettchen raucht, und dabei von seinen ersten Eindrücken des Tages berichtet. „Hab heute Morgen ein Kind entgegen kommen sehen, weißes Zeug um die Nase und ein weißes Pulver dabei. Damals in Rumänien haben die Kinder Waschpulver geschnupft.“ Der Rauch seiner Zigarette entweicht in die Luft.
7:45 – Mamadou ist bereits da. Wir starten um acht Uhr am Morgen, um rechtzeitig zum Vogelpark zu kommen. Umständlich parken wir den Wagen aus und fahren los durch das morgentliche St. Louis. Es duftet überall nach Frühstück, nach frisch gebackenen Baguettes. Als St. Louis hinter uns zurück bleibt, wenden wir uns nach Norden.
Senegal am Morgen ist anders als Senegal am Abend. Aber nicht minder geschäftig. Erste Einkäufe des Tages werden getätigt. Das Land macht sich bereit für den Tag. Eine ganze Familie sitzt draußen unter riesigen, ausladenden oder Akazienbaum und nimmt ihr Frühstück ein. Getränke werden ausgeschenkt, Baguettes geschmiert. Das ist eines der Dinge, die von der Kolonialzeit übrig geblieben ist: Baguettes und Croissants. Und die elegante Mode. Ich bin noch immer geflasht, wie elegant und schön, wie modebewusst die Frauen und Mädchen sind.
Ich beobachte das Leben auf den Straßen durch die nicht ganz sauberen Scheiben. Bei so einer Fahrt kriegt man jede Menge mit. Schon früh am Morgen sind viele Kinder unterwegs. Gruppen von Jungen und Mädchen im Schulalter. Zwei Jungen haben Streit und zunächst sieht es aus, als ob dieser eskalieren wolle. Ein dritter schreitet ein, trennt die beiden. Die Gruppe geht ohne viel Aufhebens weiter. Die Kinder bekommen ihr soziales Miteinander auch alleine hin – wichtig in einer Welt, in der man recht früh erwachsen werden muss.
Auch diese Szene flackert nur kurz auf und erlischt, schneller als ein Augenzwinkern. Sie bleibt weit hinter dem Fahrzeug zurück, verschluckt vom Staub. Pferdekutschen, Esel, Ziegen. Das Übliche. Es wird immer grüner um uns herum. Ganze Landstriche standen während der Regenzeit unter Wasser. Grund und Boden wird schnell und billig verkauft, bauen kann man darauf nicht wirklich. Diejenigen, die ihr Geld hier hinein investiert hatten, sehen es buchstäblich absaufen. Noch immer breiten sich große Wasserlachen auf den Feldern aus und bieten Kormoranen Platz auf totem, aus dem Wasser ragendem Holz.
„Hier wollte man Sozialwohnungen bauen.“ So Mamadou. „Die Gegend ist nicht wirklich dafür geeignet.“
Häufiger schon habe ich Möbelmanufakturen in größeren Orten gesehen, verzierte Schränke und Türen aus Vollholz, die gestrichen und sorgfältig in die Sonne zum Trocknen ausgelegt wurden. Doch zum ersten Mal taucht ein Gebrauchtmöbelhändler vor meinen Augen auf. Die gebrauchten Möbel, in erster Linie von Ikea, werden containerweise nach Senegal verschifft und hier draußen verkauft. „Macht man so nicht die senegalesische Industrie kaputt bzw. dämpft die Entwicklung?“ Frage ich. „Sie werden hier aber nicht so viel Holz haben.“ Gibt Stefan zu bedenken.
Von einer asphaltierten Straße fahren wir runter auf eine staubige, unbefestigte Piste. Sie erinnert stark an die Gravel Roads in Namibia. Das Leben wird ländlicher, Frauen knien im hohen Gras und sammeln Schilf für Dächer ihrer Häuser und für Betten. Hirten sind unterwegs mit ihren Ziegen und Eseln. Müll, überall da, wo menschliche Siedlungen sind. Eine monotonne Landschaft.
Irgendwann sehen wir nur noch die oben erwähnten, weitläufigen Wasserflächen. Kormorane, Pelikane, Flamingos, Vögel, die ich nicht vom Namen her kenne. Ein Pferd watet durch Gräser, die ihn fast überragen. Licht und wogendes Schilf. Das Reichtum an Arten ist bereits jetzt unübersehbar.
Wir sammeln Jeremy ein, einen jungen Franzosen mit abenteuerlustigem Flackern in den Augen, der hier via Anhalter unterwegs ist. Jeremy fährt mit seinem Rucksack kreuz und quer durch Afrika, Reisedauer Open End. Bis vor drei Tagen sei er in Mauretanien gewesen. „Liebe Menschen dort, habe dort viel Tee mit ihnen getrunken.“ Wie sicher ist Mauretanien, will ich wissen. Es gäbe stets präsente Sicherheitskräfte überall, berichtet Jeremy. Er habe sich sicher gefühlt. Bestimmte Zonen seien jedoch zu meiden, wie das Grenzgebiet zu Mali. Dies sei eine „Red Area“, sagt er.
Bereits als wir uns dem Nationalpark nähern, sehen wir riesige Schwärme Wildgänse an einem großen Teich. Der Schwarm erhebt sich in die Luft. Der Himmel verdunkelt sich, die Vögel kreisen wie ein Organismus über den Häusern. Gemächlich wälzt sich ein Warzenschwein aus dem Staub und sucht das Weite. Jeremy hat das gleiche Ziel wie wir, er wird vorerst mit uns kommen und sich den Vogelpark ansehen.
Die zum Nationalpark gehörenden Gebäude sind verfallen. Ja, verfallen ist gar kein Ausdruck; „einsturzgefährdet“ trifft es eher. Alles bröckelt und zerbricht klaglos vor sich hin; Schmuckelemente, Fließen. Eine Anlage wie diese mag ehemals – in den Fünfzigern vielleicht – schön gewesen sein. Doch der letztmalige Anstrich ist, wie bei St. Louis, zu lange her. Zu den Toiletten geht es über halbwegs zerbrochene Fließen. Es gibt kein Wasser, auch nicht in den Spülen. Am Waschbecken steht im aufgeschnittenem Kanister undefinierbares, trübes Wasser zum Händewaschen, dem ich nicht traue. Doch der alleinige Zustand der Gebäude sollte nicht dazu verleiten, falsche Schlüsse zu ziehen. Die Sicherheit und das Gleichgewicht des Nationalparks wird mit modernen Methoden überwacht, unter anderem mit dem Einsatz von Drohnen.
„Original Cocount.“ Höre ich plötzlich neben mir. Einer der Ranger hatte sich eine Kokosnuss geholt und teilt die Stücke unter uns auf. Er hatte sie mit seinem scharfen Messer von der harten Schale gelöst. Dankbar nehme ich ein großes Stück an; das nicht vorhandene Frühstück ist schon eine Weile her. Wir warten am Auto, während uns Mamadou unsere Permits organisiert. Jeremy hat dieses Privileg nicht; um den Papierkram muss er sich selbst kümmern.
Vom Camp sind es nochmal 6 Kilometer bis zum Anleger, also steigen wir wieder in das Auto. Zum Vogelpark gehören sechszehntausend Hektar Feuchtgebiet, die sich im Delta des Senegal Flusses befinden. Ein großer See ist umgeben von Nebenflüssen und Bächen und bildet einen Rückzugsort für Flamingos, Kormorane, Reiher und eine ganze Pelikankolonie. Anderthalb Millionen Zugvögel lassen sich hier nieder. Auch Krokodile und Seekühe soll es hier geben. Besucher können den See mit Motorbooten befahren.
Am Steg tummelt sich bereits eine größere Schar wartender Besucher. Ihre Guides ruhen im Schatten der Bäume an ihren Autos. Warten ist angesagt, wie lange, das kann uns momentan keiner sagen. Anscheinend, so die Gerüchteküche, fiel eines der Boote unterwegs aus.
Da wir nichts weiter tun können, beobachten wir die beiden Pelikane, welche nahe des Ufers nach Fressbaren suchen. Die Tiere haben ihre natürliche Scheu vor Menschen weitgehend verloren und nähern sich den wartenden Besuchern bis auf einen oder zwei Meter. Zum ersten Mal habe ich die Möglichkeit, diese Vögel ganz aus der Nähe zu sehen.
Endlich kommt „unser“ Boot. Wir sind spät angekommen und am Steg stehen schon Leute. Alle spekulieren auf einen guten Platz auf dem Boot. Irgendwie gelingt Mamadou das Kunststück, uns an mürrischen Gesichtern und verhaltenen Protesten vorbei bis ganz nach vorne zu bringen. Freie Platzwahl, unser Guide ist und bleibt der beste.
Ein Fisch ist in die Piroge gesprungen. Kurz hält ihn jemand der Guides in der Hand fest, um ihn herum zu zeigen, dann lässt er das Tier zurück ins Wasser entkommen. Die Piroge legt ab, das Ufer hinter uns wird kleiner. Wir biegen um eine Kurve, an Schilfgräsern vorbei, und schon sind wir mitten auf der See. Blühende Seerosen bilden ganze Teppiche. Rosa, lila, gelb und weiß glitzern sie in der Sonne, in frische Wassertropfen gebadet. Langbeinige Reiher stehen regungslos im Schatten oder erheben sich zum Flug. Seeschwalben ziehen tiefe Kreise und auf verdorrten Ästen abgestorbener Bäume strecken Kormorane ihr Gefieder zum Trocknen aus. Einzig das laute Geräusch des Motorbootes durchschneidet die natürliche Klangkulisse aus Insektensummen und Vogelstimmen.
Und was es alles zu sehen gibt: Kormorane, Pelikane, Schlangenkormorane, Ibis, Fischadler, Reiher. Eine ganze Pelikankolonie hatte sich auf einer Insel mitten im See angesiedelt; leise und mit ausgeschaltetem Motor kommen wir bis auf wenige Meter an sie heran, ohne die Vögel zu beunruhigen. Kleinpelikane sind schwarz, das weiße Gefieder erhalten sie erst später. Die Junge, so erzählt man uns, werden für die Zeit der Nahrungssuche von ihren Eltern zurück gelassen. Bei der Rückkehr erkennen Pelikane die Küken an ihren Stimmen. Manchmal werden die Jungtiere von Schakalen gerissen; die nistende Kolonie ist ein verlockendes Ziel für alle Arten von Räubern.
Nach einiger Zeit fahren wir weiter. Einen Moment lang sind die Bootsführer überzeugt, dass sich ein Krokodil im Gewässer versteckt; es ist besser, die Hand nicht ins Wasser zu stecken, um beispielsweise eine Seerose zu pflücken. Doch unsere angestrengten Augen können nichts entdecken. Es hatte viel geregnet in den letzten Wochen, Krokodile sind daher nur schwer zu erkennen.
Dafür setzt der Motor aus. Hört einfach auf, seine Arbeit zu tun, so dass wir mitten in den hohen Schilf treiben. Da ist der Gedanke an dahinter lauernde Krokodile natürlich ungeheuer erquickend. Lachend versuchen die Bootsführer, den Motor wieder zum Laufen zu bringen. Anscheinend ist so etwas nicht zum ersten Mal passiert. Durch Rufe bringen wir das Boot vor uns dazu, stehen zu bleiben und auf uns zu warten – könnte ja sein, dass wir auf hoher See evakuiert werden müssen. Oder geborgen, denn wir treiben ins hohe Schilf genau zu den Krokodilen. Es ist heiß und sonnig. Eine Gruppe Touristen im Delta des Senegal River von Krokodilen gefressen. Unter den Toten waren zwei Deutsche. Sie konnten anhand ihrer Zähne im Magen der Raubtiere identifiziert werden. „Lost in Senegal.“ Sage ich laut, die anderen lachen. Na, sie haben die Schlagzeile der BILD Zeitung nicht gesehen, die soeben vor meinem inneren Auge entstanden ist.
Der Motor läuft wieder, das Boot vor uns bekommt das Zeichen, weiter zu fahren. Doch nach wenigen Metern wiederholt sich das Spiel, einmal wieder treiben wir willenlos inmitten der Natur vor uns hin und die Ausflügler in der Piroge vor uns werden durch Rufe zum Anhalten gebracht. Jetzt wird auch klar, warum es vorhin beim Warten so lange gedauert hat…
Pelikane gleiten anmutig wie eine Parade in der Luft. Einer Säule gleich schwingen sie auf der Thermik. Leicht, wie ein Tanz sieht es aus, ohne viel Zutun – während sich die kleineren Kormorane in den tieferen Luftschichten sichtbar abmühen müssen. Der Sieger des diesjährigen Schönflugwettbewerbs ist und bleibt der Pelikan. Das Boot läuft inzwischen wieder, wir bleiben vor weiteren Pannen verschont.
Mit Jeremy am Bord fahren wir zurück nach St. Louis. Jeremy meint, er habe „Freunde“ dort, bei denen er bleiben könne. Couchsurfing? Ich frage nicht nach. Die Rückfahrt ist lang und staubig, der Staub hält sich lange in der Luft. Ich bin müde, nehme inzwischen nicht mehr so viel von meiner Umgebung auf. Am heutigen Nachmittag nehmen wir uns nicht mehr viel vor.
Hehe, ich habe keinen Bruchteil einer Sekunde daran geglaubt, dass du dir ein Frühstück durch die Lappen gehen lässt 😁. Das Sanctuary hätte mir trotz der nicht ganz so zuverlässig funktionierenden Boote wohl auch gefallen. Allerdings hätten mich Krokodile und Seekühe noch deutlich mehr fasziniert als das Flattervieh. Aber Pelikane und Kormoran finde ich auch recht ansprechend. Was der Franzose, den ihr mitgenommen habt, da auf dem Reiseplan hatte, war ja ein echtes Abenteuer. Habt ihr später noch mal was von ihm gehört?
Mit Jeremy hatten wir leider keine Kontaktdaten getauscht. Überhaupt hätte er offiziell, wie es scheint, gar nicht mitkommen dürfen, da die Fahrzeuge der Reiseagenturen aus Versicherungsgründen keine Anhalter mitnehmen sollen. Aber das wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Ja, es ist schon toll, was manche Reisende so durchziehen 🙂 Ich höre mir gerne ihre Geschichten an.
Krokos und Seekühe hätte ich auch gerne gesehen, aber da sie sich in der üppigen Vegetation gut versteckten, mussten wir mit dem Federvieh Vorlieb nehmen…
Frühstück – ja klar 😉 Sonst verhungere ich ja unterwegs im Busch…
😂😂😂
Ich hab das auch sofort durchschaut
He-ey…! 😉
Wunderschönes Naturschutzgebiet und idealer Zufluchtsort für zahlreiche Tiere. Solche Orte müssen für immer geschützt werden. Glücklicherweise ist das in diesem Fall sicherlich der Fall.
Zum Glück ist das Bewusstsein für solche Orte immer mehr präsent. In einem Land wie Senegal sollte sich der Naturschutz auch monetär auszahlen, damit die Menschen einen Anreiz sehen, in Nationalparks zu investieren.