17 Mai 2022
Heute tritt das ein, wogegen ich mich bereits seit längerem gesträubt habe: Stefan besteht auf seine „freien Tage“. Ein wenig entspannen da, etwas in den Pool gehen oder vom Hügel aus die Landschaft anschauen dort. In der Finca bleiben in jedem Falle. Ich hingegen habe andere Pläne, denn wie ich immer schön sage: ausruhen kann ich, wenn ich alt… ach was rede ich – wenn ich tot bin.
Also schmiede ich eigene Pläne. Zu diesen gehört es, mir den Autoschlüssel zu schnappen und damit auf eigene Faust durch die Insel zu kurven. Und hier wird es tricky: da, wo es mir auf anderen Reisen nichts ausmacht, mit dem Mietwagen durch Rumänien oder Jordanien zu fahren, habe ich nun bedenken. Es war so bequem bisher. Und so mag ich alleine kaum meine Nase aus der Anlage strecken.
Doch hier bleiben und Katzen zählen ist keine Option. Zunächst trödele ich und versuche, meinen Liebsten dazu zu bringen, doch noch von seinen Plänen abzusehen und sich ins Abenteuer zu stürzen. Und es verspricht, eines zu werden, denn ich will auf die kleine Schwesterninsel, welche wir so oft schon aus Höhenmetern irgendwelcher Miradors gesehen haben, ich will auf La Graciosa.
Stefan will nicht auf La Graciosa. „Fahr da ruhig alleine, hin, hop!“ Sagt er und versucht, mich mit sanftem Druck aus der Anlage zu kriegen. Irgendwann gebe ich nach. Nichts wird meinen Stefan heute aus dem „Haus“ locken. Noch einmal kurz Katzen kraulen und los geht’s.
Draußen tobt der Wind, wie so oft auf dieser Insel. Jeden Tag habe ich Stefan dabei zugesehen, wie er den Motor startet und langsam das unbefestigte, löchrige Stück Weg hinunter fährt. So viel Zeit lasse ich mir nicht. Der Wagen wackelt, die Landschaft zieht vorbei. Na bitte, geht doch.
Orzola
Das letzte Mal, als ich in Orzola war, hatte ich mir die Fährzeiten herausnotiert. Es gibt nur diese eine Möglichkeit, nach La Graciosa zu kommen: über die Fähre am Hafen von Orzola. Zwei Gesellschaften bieten die Überfahrt an: Biosfera Express und Lineas Martimis Romeo. Die beiden Fahrten kosten exakt gleich viel, nämlich (Stand Mai 2022) Hin- und Rückfahrt 26 Euro. Der einzige Unterschied besteht darin, dass die Abfahrtzeiten um je eine Stunde versetzt sind. Und die Fähren von Lineas Romeo haben einen coolen Haifisch-Look 🙂
Ich entscheide mich für Biosfera Express. Beim zweitmaligen Kauf von Überfahrttickets erhält man einen Preisnachlass. Doch noch ist viel Zeit, denn die erste Fähre hatte ich so oder so verpasst und die zweite geht erst gegen elf. Also sitze ich in „meinem“ Restaurant an der Promenade und vertilge heiß gegrillte Calamari. Dabei behalte ich die Zeit im Auge.
Die Abfahrt rückt immer näher. Selbst wenn ich, nachdem ich gegessen und gezahlt hatte, mich an den Ticketschalter stellte, würde ich die Fähre noch schaffen. Doch ich tue… gar nichts.
Ja, Moment, das muss ich erklären. Während ich noch am Meer sitze und an meinem Tintenfisch kaue, gehe ich im Kopf die Nutz-Kosten-Kalkulation durch. Und ich komme zum folgenden Schluss: bei diesen gesalzenen Ticketpreisen das späte Vormittags-Ticket zu nehmen lohnt sich fast gar nicht, da die Rückfahrt der letzten Fähre bereits um 18 Uhr ansteht. Ich will die Insel wandernd erkunden. Zu Fuß, wie es Gott* (*Alternativen bitte beliebig ergänzen) für uns vorgesehen hat. Also nehme ich mir vor, morgen früh an der Fähre zu sein und klappe das Kapitel „Die Anmutige“ für heute zu.
Planwechsel
Stellt sich natürlich die Frage, was die Abenteuerin Schrägstrich Welteneroberin Kasia denn heute unternimmt. Satt und zufrieden empfände ich es als eine gute Idee, mich irgendwo an irgend einen Strand zu legen. Und der Papagaienstrand soll wunderschön sein.
Das ist auch wieder so eine Geschichte. Playa de Papagayo steht schon von Beginn an auf meiner Lanzarote-Liste. Bei unseren vielen Erkundungstouren hatte ich auch mit Stefan mal den Plan, dorthin zu fahren, doch meine bessere Hälfte behauptet hartnäckig, da gäbe es keinen Weg hin. Das wollen wir doch mal sehen.
Ungeschickt nur, dass ich für diesen Plan wieder einmal den Weg zurück, vorbei an unserer Finca in la Asomada und quer ans untere, südwestlichste Ende der Insel fahren muss. Andererseits, was habe ich sonst zu tun? Und wie man ein großes Mädchen ist, habe ich inzwischen ja gelernt.
Inzwischen kenne ich in etwa die Eckpunkte der Insel. Playa de Papagayo wird irgendwann ausgeschildert sein. Es macht also Sinn, sich zunächst über die Hauptroute zum Südende der Insel zu begeben und dann ab Playa Blanca der Beschilderung zu folgen. Diese führt einen über mehrere Kreisel, dann durch Vororte, dann hinaus aus jeglichen Orten und hinein in die Pampa. Hier hört der asphaltierte Weg auf. Es staubt und knarzt, denn hier beginnt die uns aus früheren Ausflügen wohlbekannte, berüchtigte Naturpiste. Zunächst ist es nur ruckelig und steinig. So gelange ich, immer der Beschilderung und dem Pfad folgend, an ein einsames Tickethäuschen. Die großflächigen Parkplätze für die Playa de Papagayo sind kostenpflichtig, aber ich werde durchgewunken.
Was weiter folgt, ist nichts für empfindliche Naturen und es wäre mit Sicherheit nichts für meinen Stefan. Der Weg ruckelt und wackelt, die sandigen Löcher und Krater sind groß und über die aus der Fahrbahn ragenden Steine müsste man mit Ausrüstung klettern. Es ist für mich dennoch kein Grund, mit Schrittgeschwindigkeit zu schleichen und andere Fahrer zur Weißglut zu bringen. So überhole ich in weitem Bogen alle unsicheren Verkehrsbeteiligten und rase… na ja. Fahre weiter, wie es die Gegebenheiten nun mal erlauben. Dass ein Bisschen unebener Fahrfläche noch lange kein Grund zum Verzweifeln ist, habe ich von den Einheimischen hier gelernt.
Immer schön auf die kleinen, hölzernen Schilder am Wegesrand achten, denn der Weg zweigt schon mal ab. Die Zufahrtswege führen auch zu anderen, in der Nähe befindlichen Stränden wie Playa Mujeres, zum Beispiel. Und ist man dann brav seinen Schildchen gefolgt, geht es irgendwann nicht mehr weiter. Ich fahre runter auf einen großen, ebenfalls unbefestigten Parkplatz und stelle das Auto mit dem Rücken zur Sonne hin. Ab hier geht es zur Fuß weiter zum Strand; es ist sinnvoll, die Badekleidung bereits vorher anzuziehen. Umkleidekabinen sind, soviel ich später sehen werde, nicht vorhanden.
Playa de Papagayo ist eine wunderschöne, perfekt runde Bucht. Ich stehe oben auf dem Hangrücken, der die Bucht von weiterem Küstenabschnitt trennt. Die „Muschel“, wie angeblich Einheimische immer sagen, mutet beinahe karibisch an. Das Wasser ist seicht und türkis, der Strand hellgelb bis weiß. Unfassbar, dass es so etwas inmitten der rauen Vulkanlandschaft auf Lanzarote gibt.
An der Playa de Papagayo grenzt ein Restaurant, das sich ein Stück über dem Strand am Hang, auf dem ich stehe, befindet. Um die „Muschel“ zu erreichen, muss man eine sandige, steile Holztreppe hinunter. Von unten vom Strand dringt Musik an meine Ohren, irgend etwas karibisches, das perfekt hierher zu passen scheint. Ich erspähe Strandverkäufer, wohl das erste Mal hier auf der Insel. Der Strand ist nicht sehr voll, doch man darf nicht vergessen, der Platz ist begrenzt.
Zu meiner Linken sehe ich einen weiteren, weißen Strand. Hier ist die Bucht nicht rund und der Wellengang stärker, dafür verteilen sich Besucher besser in der Landschaft. Hier suche ich Zuflucht, am Playa de la Cera.
Playa de la Cera
Badesachen in die Hand, Flip Flops festschnüren und auf zum Strand. Schneewittchen möchte aus der Sonne. Zu meinem Glück verfügen die Strände hier – sowohl der Playa de la Cera als auch Playa de Papagayo, über mehr oder weniger tiefe Höhlen im umliegenden Gestein. Höhlen, von denen ich mich frage, ob nicht die badewilligen Einheimischen selber sie im Laufe der Zeit ausgebuddelt haben. Nun ist die Existenz jener Zufluchtsstätten wohlbekannt, die meisten von ihnen sind bereits mit Handtüchern und Urlaubern belegt. Bis auf eine – ich kann mein Glück kaum fassen. Zielstrebig stürme ich auf mein Stranddomizil zu. Rucksack ablegen, Handtuch ausbreiten – hier kackt der Igel. Typisch deutsche Manier. Jetzt kann ich ins Wasser.
Das Wasser klaut mir mein Bandana. Ja wirklich, der Wellengang ist stark. Zum Schwimmen zwar geeignet, noch besser jedoch dazu, in den Wellen „rennen und flüchten“ zu spielen. Dem gehen die Erwachsenen neben mir mit Freude nach. Dem gehe ich auch nach, plantsche, habe Spaß und lache zu mir selber. Ja, wirklich, ich sollte Stefan hierher mitbringen. So ein toller Ort.
Nun, als ich ein weiteres Mal nass von Kopf bis Fuß aus dem Wasser tauche, ist das Bandana weg vom Kopf. Es taucht auch nicht wieder auf. Irrtümlich der Glaube, das Meer würde alles, was man verliert, irgendwann wieder anspülen. Vermutlich schwimmt irgend eine Meerjungfrau jetzt damit rum.
Den Rest der Zeit verbringe ich damit, in meiner für mich reservierten, heiß begehrten Sandsteinhöhle auf das Meer zu schauen wahlweise vor mich hin zu dösen. Ich bekomme noch mit, wie eine Gruppe junger Leute voller Enthusiasmus in meine Richtung steuert und sich enttäuscht in der Sonne ausbreitet, als sie mich erblickt. Von jetzt an bin ich damit beschäftigt, kein schlechtes Gewissen zu entwickeln.
Das schlechte Gewissen erübrigt sich, als die Sonne einmal um das Ufer herumgeht und mehr und mehr in meine Höhle scheint. Da kann ich genauso gut auch meinen Standort wechseln. Ich packe zusammen und stampfe, völlig sonnentrunken, auf die andere Seite des Hangrückens.
Playa de Papagayo
An einem halb eingestürzten, steinernen Bogen und an weiteren Resten alter Gemäuer vorbei steige ich die steilen Holzstufen nach unten. Die Gegend um Playa de Papagayo ist ein geschützter Bereich, dennoch ist hier ein Restaurant entstanden. Ich suche mir zwischen den Urlaubern ein ruhiges Plätzchen für mein Handtuch.
Nein, es ist nicht allzu voll; nicht so, wie man es für einen so prominenten Ort erwarten würde. Die Musik – jemand hat einen Lautsprecher mitgebracht – fügt sich ins Wellenrauschen ein. Das Wasser in der Bucht ist ruhig, seicht und überhaupt nicht tief. Ich schwimme eine Runde, lasse mich auf dem Rücken treiben. Vor der Bucht steht ein Katamaran im Wasser.
Auch hier verbringe ich die meiste Zeit damit, am Strand zu dösen. Die Zeit verrinnt und es ist mir nicht schade drum. Im Grunde sieht mein heutiger Zeitvertreib nicht anders als der von Stefan aus; vermutlich liegt er auch irgendwo faul rum und schläft.
Es wird immer windiger. Die Windböen erreichen sogar die geschützte Bucht. Es wird auch kühler und immer mehr Menschen packen ihre Handtücher zusammen und räumen das Feld. Als ich zum Auto laufe, begegnet mir eine Windhose mitten auf dem Parkplatz. Schnell springe ich aus dem Weg. Sollte es etwa einen Wetterumschwung geben?
Der Weg zurück zur Finca führt wieder über die abenteuerliche Ruckelpiste. Ich komme schnell voran, bis… ja. Irgend ein langsamer Zeitgenosse findet sich immer vor einem ein, überall auf der Welt. Mein Guter, dein Auto wird nicht explodieren, nur weil du das Gas betätigst…
Mein Rückweg gestaltet sich spannend, denn das Navi führt mich über versteckte Strecken und Schleichwege, die ich tagsüber mit Stefan nie gefahren bin. Vielleicht führen alle Wege nach Rom, denke ich, als ich mich irgendwo oben auf einem nicht allzu hohem Berg auf einer asphaltierten Serpentinenstraße wiederfinde. Es geht wieder runter, Schleichweg für Schleichweg, unbefestigt, befestigt, steil hoch… dann kommt eine Abfahrt, die so ausschaut, als müsste ich jemandem auf den Hof und in seine Garage fahren, doch mein Navi ist der Meinung, da geht es lang. Ein Einheimischer lächelt mir verständnisvoll zu.
Und tatsächlich, die „Garageneinfahrt“ stellt sich als eine ganz enge, jedoch hochoffizielle Straße heraus. Nur noch an diesen paar Häusern vorbei. Schließlich erreiche ich bekannte Gefilde und klettere den Schotterweg zu unserer Finca hinauf. Noch wenige Meter, dann darf ich wieder Katzen streicheln und Stefan berichten, wie toll mein Tag war.
Doch die Katzen haben in der Zwischenzeit einen neuen Freund gefunden.
[…] und wieder mache ich eine Ausnahme. So wie damals, auf Lanzarote, als mich der Playa de Papagayo rief und nicht wieder losließ. Damals fühlte es sich okay an, eine Zeit lang im Schatten einer […]
Hallo Kasia,
du hast es ja selber erkannt, dass Stefan das Gleiche gemacht hat wie du. Nur hattest du das schönere Umfeld. Ich hoffe der Mietwagen war anschließend noch zu ge´brauchen nachdem du ihn über Stock und Stein gejagt hast.
Liebe Grüße
Harald
Lieber Harald,
der Mietwagen kam endlich mal in den Genuss von echtem Abenteuer, was er auch verdient hat 😉 Stefan hat seine Auszeit gebraucht, nur mir war die Zeit irgendwie zu schade dafür. Das haben wir, glaube ich, beide nicht bereut. Ich bin mit ihm zwei Tage später nochmal an diesen Strand gefahren, es hat ihm gefallen 🙂
Liebe Grüße
Kasia
Habt ihr bei eurem zweiten Besuch Papageien gesehen? 😀
Papageien?
Ach, jetzt! Hat einen Augenblick gedauert, bin gedanklich gerade in Senegal. Ähm, nein, leider nicht. Vielleicht sind sie ja unter meinen Mietwagen gekommen *lach*
Bei der Fahrerei kann das gut sein. *grins*
Senegal? kommt da ein weiteres Abenteuer auf uns zu??
Kann schon sein… 😉
Ja, so ist das, wenn der eine Urlaub machen und die andere reisen und was erleben will. Ist mir nicht ganz unbekannt 😁. Ja, zum Wandern auf La Graciosa wäre dein time slot wohl wirklich etwas knapp geworden. Ich hatte mich auch gewundert, warum die letzte Fähre schon so früh zurückfährt. Am sinnvollsten ist es – wir hatten uns schon an anderer Stelle darüber ausgetauscht -, gleich ein paar Tage am Stück auf diesem paradiesischen Fleckchen Erde zu verbringen.
Dein Alternativprogramm war ja auch schön! So hast du den Tag zwar anders als ursprünglich geplant, aber dennoch glücklich verbracht. So soll es sein 😎.
Na, La Graciosa ist auch nicht zu kurz gekommen, davon in den folgenden Beiträgen 😉 Doch am besten ist es sicherlich, ein paar Tage da zu übernachten und dann wandern, wandern, wandern… Die kleine Anmutige hat mich nicht zum letzten Mal gesehen 😉
Mich auch nicht 😎.
Sie wussten, wie man den Kurs ändert und eine schöne Alternative wählt. Du schuldest noch den Spaziergang auf der Insel.
Du meinst, die Wanderung? Die Wanderung auf Lanzarote werde ich auch weiterhin schuldig bleiben, dafür wird es schon demnächst andere Wanderungen geben 😉