Afrika, Kanarische Inseln, Lanzarote

Lanzarote – Tag der schönen Aussicht

Mirador de Haria

16 Mai 2022

Wir erreichen diesen sechshundert Meter über dem Meeresspiegel liegenden Aussichtspunkt über eine enge Serpentinenstraße, so eng, dass keine zwei Fahrzeuge nebeneinander vorbei fahren können – außer sie befinden sich in der Nähe einer dieser Nischen, wo gerade ein Touristenbus steht, um uns freundlicher Weise vorbei zu lassen, obwohl er eigentlich Vorrang gehabt hätte.

Das Dorf Haria, das auch den Beinamen „Tal der tausend Palmen“ trägt, ist eine der fruchtbarsten Gegenden auf Lanzarote. Es regnet hier ein wenig häufiger als im Rest der Insel, und die „tausend“ hochgewachsenen Palmen sind eher ein paar Hundert. Eine Legende verkündet, dass jedes Mal, wenn im Dorf ein Kind geboren wurde, die Familie eine Palme pflanzte. „Ein Kind sollst du zeugen, einen Baum sollst du pflanzen…“ Oder eben das, was in dieser Umgebung gedeiht.

Tal der tausend Palmen

Die kurvige Serpentinenstraße, die uns immer weiter nach oben führt, verlangt Stefan einige Schweißtropfen von der Stirn ab. Gehorsam klettert unser Fahrzeug den Bergrücken hinauf. Was ihm auch Schweißtropfen bereitet, ist die enge Einfahrt, die, wie es aussieht, vollgestellt zu sein scheint. Also erklärt er mir, während wir weiter fahren, dass es ihm unmöglich sei, hier anzuhalten. Der Parkplatz sei zu klein, der Boden zu uneben, es parke gerade jemand unter Anleitung aus. Und überhaupt sei der Parkplatz in einer Kurve gelegen und jetzt gerade jemand hinter uns; anhalten ist nicht drin. Ich seufze. Das hat man davon, wenn man nicht selbst hinter dem Steuer sitzt. Das Mirador verfügt über einen Steg, der über den Abgrund führt, eine Konstruktion mit einem durchsichtigen Glasboden. Nicht ganz wie die splitternden Glasbrücken in China, aber immerhin.

 

Mirador de los Helechos

Mirador de los Helechos

Stattdessen halten wir vor dem leeren Restaurante los Helechos. Probleme mit der Parkplatzfindung gibt es keine, denn bis auf zwei Männer einen Tisch weiter sind wir die einzigen Gäste. Das Restaurant ist am Hang errichtet worden und das Mirador ist folglich kostenpflichtig – außer man möge hier trinken und speisen. Wir mögen – der Hunger meldet sich inzwischen, und das Lokal soll einen preisgekrönten Serano Schinken servieren. Während wir auf unser Essen warten, fragen ich mich, wie sich das Restaurant, in das sich kaum je Gäste zu verirren scheinen, rentieren kann.

Der berühmte Serano Schinken

Die Antwort kommt einige Minuten später in Form eines Touristenbusses, aus dem sich traubenweise ältere Herrschaften ergießen. Ich bin froh, den Ausblickspunkt just ein paar Minuten vorher für mich alleine genossen zu haben, denn nun strömt die schnatternde Schaar durch die Schranken und nach draußen. Hier werden Bilder gemacht, es wird betrachtet und festgehalten, und wie ein einzelner Organismus wendet sich die Gruppe dann gen Restaurant. Ich schaue von meinem Platz im Lokal hinaus und schmunzelnd und fasziniert zugleich beobachte ich das Eigenleben dieser organisierten Reisegruppe. Die schnellen preschen vor, das sind die „Füller“, danach schiebt sich die Mitte des „Organismus“ weiter, bis auch die letzten, langsamen „Gliedmaßen“ nachkommen und sich dem Rest anschließen.

Meine bestellten Meeresfrüchte köcheln noch im Pfännchen, als sie unseren Tisch erreichen, so habe ich ausreichend Zeit für Sozialstudien. Ich weiß noch, wie ich beide Male während meiner Reisen als Teil der Gruppe ausgesehen haben muss. Da bleibt der Schwarm stehen, da schwirrt jemand hinterher, da bleiben zwei zurück. Der Schwarm fliegt langsam weiter, ergießt sich ins Restaurant, die beiden Nachzügler folgen dem Schwarm. Hier tritt, von außen betrachtet, eine eigene Dynamik zutage.

Nach dem Essen – der Schwarm ist längst weiter gezogen – trete ich diesmal mit Stefan zusammen nach draußen. Wir blicken gen Meer, das sich verschwommen, ohne scharfer Kante, mit dem blasserem Himmel verbindet. Wir blicken auf ein Tal, die kleinen Rechtecke der Felder, mit dunklem Vulkankies bedeckt. Auf die Terrassen, die sich die Berghänge hinauf ziehen. Trocken und karg sieht sie aus, die Landschaft unter uns. Die wenigen Wolken ziehen als schwarze Schatten über den sandigen Boden hinweg.

Und zu unserer linken – das Tal der Tausend Palmen; schneeweiße, leuchtende Häuser, dunkle, hohe Palmen wie Antennenmasten. Noch weiter nach links gleitet der sehnsüchtige Blick zu einer Anlage, die wir nun von oben betrachten können, ohne dort zu sein: zum Mirador de Haria. Sogar der Glassteg ist aus der Ferne zu erkennen. Eine eingezogene Erkundigung beim Restaurantpersonal bringt zutage, dass Mirador de Haria nur zwischen elf und fünfzehn Uhr geöffnet ist. Ich muss nicht auf die Uhr schauen, um zu wissen, dass wir nun später dran sind.

Da mein Stefan weiß, dass er für die verpasste Chance Buße tun muss, knippst er widerspruchslos ein Foto nach dem anderen, während ich auf Insta-Sternchen mache. Wehe, die Bilder sehen nicht gut aus 😉 Als wir im Auto sitzen, schient er zu überlegen, sagt dann: „Ich weiß, wo wir noch hin können.“

Ich stecke meine tödlichen Waffen wieder ein.

 

Mirador Risco de Famara

Ziemlich einsam lassen wir uns auf einer unbefestigten Strecke durchrütteln. Mein Stefan weiß, wohin es geht; ich lasse mich überraschen. Ein abgelegener Ort scheint es hier zu sein, außer uns ist niemand sonst unterwegs. Als wir an einem sandigen Parkplatz unser Auto abstellen, ist es von da aus zu unserem Ziel fast ein Kilometer. Für mich kein Problem, doch Stefan will beinahe kneifen. Ich rede ihm gut zu. Ob sich der Ort hier lohnen wird, wird sich erst noch herausstellen.

Langsam bewegen wir uns in Richtung des Mirador. Ein großer Grillplatz liegt vor uns. Kalter Grill, ein paar Bänke, Wasser in Kanistern. Ein Spielplatz, scheinbar nicht mehr in Betrieb. Der Ausblick ist umgeben von einer niedrigen Mauer. Dahinter – nur noch der Himmel. Wolken wie weißer Wasserdampf, über uns, unter uns, um uns herum. Über den Wolken. Mittendrin. Starker Wind zerrt an unseren Kleidern, es ist frisch hier oben. Und der Ausblick? Spektakulär.

 

Vor mir erstreckt sich der Atlantik, unter mir der schwarze Streifen der Küste. Zu meiner linken ein schwarzer Vulkanstrand, dazwischen, kaum zu sehen, ein Campingplatz. Ein Stück weiter links ein Dorf, erkennbar an kleinen, hellen Würfeln, weiß leuchtend in der Sonne.

Dies ist der höchste Punkt des Famara Gebirges. Die Felswand fällt herunter in die Tiefe, steil und schroff. Wir sind alleine; durch seine abgelegene, etwas versteckte Lage wird dieser Punkt nicht so häufig von Touristen besucht. Noch ein Nachteil einer organisierten Reise, denke ich mir: die Businsassen von vorhin würden nicht hierher kommen, das hier nicht erleben.

Wir haben Blick auf eine runde Bucht und die langgezogene Strandlinie. Unten parkende Autos. Stefan fragt sich, was das da unten für ein Ort ist. Sein Abenteuergeist ist geweckt, er will anschließend auf Erkundung gehen.

Vor uns, unter uns – Falken auf der Jagd. Eine Krähe ärgert einen der Falken, mit Konsequenzen. Wie ein brauner Pfeil schießt er im Sturzflug nach unten. Jagd oder Flucht? Ich weiß es nicht. Ich sitze auf der niedrigen Mauer, wohl wissend, dass es unter mir ins Nichts geht. Der schwarze Strand ist mal besser, mal weniger gut zu sehen, die Puderwolken werden von den starken Winden herbeigeweht und wieder verjagt. Dies ist ein Ort, an dem die Zeit still steht und jegliche Rastlosigkeit aus dem Herzen verschwindet. Was kann dies schon noch toppen? In diesem Augenblick habe ich das Gefühl, nun alles gesehen zu haben.

Kleine, weiße Schäferwolken haben sich vor einem der Berge versammelt, als wenn sie darauf warten, nach oben klettern zu dürfen. Als wir im Begriff sind zu gehen, kommen einige wenige, vermutlich lokale, Besucher langsam herbei geschlendert. Überfüllt wird dieser Ort wohl niemals sein.

 

Playa de Famara

„Es ist zu wackelig. Der Weg ist zu schlecht.“ Sagt Stefan, während wir samt Fahrzeug und ätzender Achse durchgerüttelt werden. Fahrzeuge vor uns und hinter uns fahren ähnlich langsam wie wir es tun – offensichtlich Touristen, wie wir. Der holperige Weg führt beinahe steil herunter, vor uns sind bereits die ersten Fahrzeuge dabei, zu wenden. Diesmal muss ich Stefan Recht geben; auch ich habe Zweifel, dass wir das schaffen, wohlgemerkt ohne unser gemietetes Vehikel zu beschädigen. Die Einheimischen sind freilich schmerzbefreit, mit Vollgas rattern sie an und vorbei und und den holperigen, steinigen Weg herunter, mitten durch die kratergroßen Löcher. Fröhlich wackelnd kommen sie unten an. Ihre Autos sind wohl einiges gewohnt, wie sie selbst wohl auch.

Stefan will wissen, wo sich der Strand befindet, den wir von oben aus gesehen haben, also folgen wir den Weg. Dieser wird jedoch immer ungemütlicher. Die Beschilderung führt auf einen schlechten, unbefestigten Weg voller Schlaglöcher und Steine. Stefan hat Bedenken, trotz der Bodenfreiheit, die unser Fahrzeug bietet. Mein Kommentar dazu: „Der Abano-Pass war schlimmer.“ Wir drehen auf der Hälfte des Weges um. Vor uns ein weiteres Fahrzeug, das weiter unten ebenfalls wenden will. Die Locals fahren mutig hinunter, selbst mit ihren Kleinwagen oder mit ihren Campern. Stefan: „Ich habe schon von oben gesehen, wie die Fahrzeuge gewackelt haben.“

Wir fahren ein Stück zurück und lassen uns am Rand der asphaltierten Straße nieder. Der ganze Küstenabschnitt ist zugeparkt. Es ist warm und sonnig, welch Unterschied zu der Kühle dort oben auf dem Famara Gebirge. Der Strandabschnitt, welcher sich zum Baden eignet, ist voll. Die Menschen hier gehen zum Abend hin baden, was clever ist, da sie so der größten Hitze des Tages aus dem Weg gehen können. Ich nehme mir mein Handtuch aus dem Auto – inzwischen unsere Standardausrüstung für unterwegs – und laufe los. Stefan will am Auto bleiben.

Der Naturstrand wird nicht geräumt, er ist über und über mit Algen bedeckt. Die rote Fahne weht auf einem Mast. Ich laufe zur Bucht. Unter meinen Füßen – Algen. Dann Wasser. Es gibt etwas höher freie, sandige Stellen zwischen den Steinen. Weiter unten ist alles nass, doch hier erstreckt sich schöner, weicher Sand. Dann suche ich mir einen freien, trockenen Platz zum Ausstrecken. Liege eine Weile da, Rucksack unter meinem Kopf, Rauschen im Ohr. Blicke auf das Vulkanmassiv erkalteter Lava. Die Meereslinie wird von drei in exakten Abständen platzierten, weißen Schaumkronen garniert. Schließe die Augen. Hier und Jetzt. Lanzarote. Der gute, salzige Geruch von Meer, von Algen, von Tang.

 

Das Abenteuer ruft

Nach gar nicht so langer Zeit, objektiv gesehen – für mich betrachtet war dies hier eine kleine Ewigkeit – kehre ich zurück zum Auto und zu meinem Stefan. Dieser hat seinen Abenteuergeist neu entdeckt und möchte über den Ort La Santa zurück fahren. Ich lache im Auto vor mich hin, bin bestens gelaunt. Lache, denn Stefan folgt wieder einer sandigen, unbefestigten Piste. „Ach, da könnte man doch auch entlang fahren, da ist auch ein Weg.“

Fünf Minuten später. Stefan flucht. Ach, da könnte man doch auch lang fahren, da ist auch ein Weg… sage ich und lache immer mehr.

Noch ist mein Stefan vorsichtig-optimistisch. Wir fahren zwischen Lavafeldern hindurch. Diese Felder haben Menschen bearbeitet mit diesem nachträglich aufgetragenen, schwarzen Vulkanboden, der die Feuchtigkeit bindet, welche sich an Berghängen sammelt. Da wir eh schon auf dieser Piste stecken und Staubwolken hinter uns ziehen, können wir uns genauso gut der genaueren Betrachtung der Gegend um uns herum widmen. Wir überlegen, was hier wohl so wächst. Ich entdecke Mais, Zwiebeln, die obligatorischen Trauben… um mehr zu sehen, müsste man wohl näher ran.

Stellenweise steige ich sogar aus dem Wagen und gehe in einigem Abstand vor, einfach nur, um mehr von der Umgebung zu haben. Dabei lasse ich mich gut gelaunt von verwundert schauenden Feldarbeitern in ihren Autos überholen.

La Santa ist ausgeschildert, es geht noch tiefer in die Pampa. Doch Stefan steuert entschlossen die andere Richtung zur Hauptstraße hin an. „Na?“ Frage ich. „Genug Abenteuer?“

Zurück zur Finca geht es, wie immer, über die schwarze Lavalandschaft des Timanfaya. Vorbei an plastischen Bergen, von der tief stehenden Sonne geformt. Stefan ist begeistert. „So entspannt, hier abends lang zu fahren.“ Sagt er.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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8 Kommentare

  1. Na da hattet ihr ja einen aussichtsreichen Tag, im wahrsten Sinne des Wortes. Auch wenn dir der Mirador de Haria dieses Mal verwehrt blieb. Next time! Und Stefan hatte ganz schönes Glück, dass du dein sicher umfangreiches Waffenarsenal wieder weggepackt hast 😅.

    Hach, die Playa de Famara! Ich habe diesen Strand und auch die Aussichten (u.a. auf La Graciosa) ebenfalls geliebt! Und wieder einmal könnte ich, nachdem ich diesen Bericht gelesen habe, gleich wieder meine Sachen packen, dem grauen und regnerischen Berlin den Rücken kehren und schnurstracks in den nächsten Flieger steigen.

    1. Das ist schön, dass dir meine Geschichten so ein Fernweh verursachen. Genau das ist auch das Ziel – Menschen zu inspirieren, ebenfalls ihre Sachen zu packen. Unsere Reisen werden unterschiedlich gewesen sein, doch das ist auch gut so.

      Hast du doch noch La Famara besucht? Es ist traumhaft, nicht wahr? Ich bin schon auf deine Berichte gespannt.

      So gerne ich bei La Haria „Next time“ sagen würde, so weiß ich mit Gewissheit, dass ich Orte wie diesen nur ein Mal besuche. Das Leben ist kurz und die Welt bietet so viel. Die Welt ist reich an Erfahrungen und Orten, ich will mit offenen Armen so viel davon greifen, wie es mir möglich ist. Doch es gibt Orte, an die ich zurückkehren werde. La Graciosa ist so ein Ort.

      Stefan: Soo nah stand mein Liebster in diesem Moment am Rande der Vernichtung, sooo nahe… 😉

      1. Verstehe ich vollkommen: kurzes Leben und vielfältige Möglichkeiten, und auch, dass die Vernichtung in dem Moment mehr als wahrscheinlich war 😄.

        1. Ach, mein liebster Stefan treibt sich des Öfteren nahe der Gefahrzone rum 😉

  2. Hallo Kasia,
    das war ja ein genialer Tag. Tolles Wetter und schöne Landschaften. Dass die Straßen nicht so eben sind liegt wohl daran, dass sie nicht für Autos sondern für Esel vorgesehen sind. 😉
    Liebe Grüße
    Harald

    1. Daran wird es vermutlich gelegenen haben. Den Anwohnern machten die Straßenverhältnisse freilich nix aus…😂

  3. Schöne Panoramen Kasia und auch eine interessante Geschichte. Erlauben Sie mir eine kleine konstruktive Kritik…. Auf vielen Fotos fällt auf, dass der Horizont nicht ganz waagerecht ist. Gerade wenn Sie das Meer fotografieren, ist es keine schlechte Idee, diesem besonders viel Aufmerksamkeit zu schenken oder das Bild leicht zu neigen, damit das Meer bei der nachträglichen Bearbeitung der Fotos sauber begradigt wird. Ein Meer, das abfällt, ist schon etwas seltsam, oder? Nochmals, keine Kritik, nur ein konstruktiver Kommentar!

    1. Vielen Dank. Man könnte da sicherlich was machen, aber ich bin keine Perfektionistin, was meine Fotos betrifft. Das Meer darf hin und wieder auch abfallen 😉

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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