Afrika, Senegal

Île de Fadiouth – Die Muschelinsel

Irgendwo habe ich gelesen, dass für den Afrikaner nur das Heute zählt. Nicht das Gestern oder das Morgen, nicht was war oder sein würde, oder hätte sein können. Nur der heutige Tag. So denken Menschen, die nichts zu verlieren – und nichts zu gewinnen haben. Unsereins – Menschen aus dem Westen also – plant langfristig. Und versucht, es zu lernen. Zu lernen, im Hier und Jetzt zu leben. Doch ist es immer gut?

Heute morgen am Sale Fluss. Ich bin noch schlaftrunken, als ich den blutroten Himmel am Horizont zwischen den Bäumen sehe. Mamadou ist schon lange wach und wuselt zwischen den Tischen im Bar-Restaurantbereich umher. Zum Glück ist der Kaffee hier so stark, dass er selbst meine Vorfahren aus grauer Vorzeit wieder zum Leben holen könnte. Frühstück. Köstliches Omelette, Mango-Marmelade, geröstetes Brot und Baguette. Wieder der exotische, unbekannte Saft. Ein Miezekätzchen, das den Saum meines langen Rockes überaus interessant findet.

Sonnenaufgang
Frühstück
Spielgefährte

Im Ort ist wieder viel los. Der große Markt von Kaolack findet statt und es gibt Trubel, wie jeden Tag. Wir verlassen die Anlage, denn unsere Zeit hier ist vorbei, die Reise führt uns zu einem der größten (und ältesten) Baobab Bäume des Landes.

 

Der alte Riese

Einer der größten und ältesten Baobab Bäume in Senegal ist geschätzte 700 Jahre alt. Wobei man hier vorsichtig mit den Angaben der Guides sein sollte, denn ich bin während meiner Recherche auf unterschiedliche Angaben gestoßen, sowohl was sein Alter als auch den Durchmesser des Baumes betrifft. Laut Mamadou misst der alte Baum rund 60 Meter im Durchmesser. In gar nicht mal so alten Zeiten war solch ein großer Baobab Baum das Zentrum eines jeden Dorfes. Man hatte sich in seinem Schatten versammelt, um zu speisen, Entscheidungen zu treffen, Neuigkeiten weiter zu geben oder zu richten. Heute umgeben Verkaufsshops wie eine Glasperlenkette ringförmig den Baum und ein jeder möchte, dass wir einen Blick in einen solchen werfen.

Der Stamm des Baumes spaltet sich ab einem bestimmten Alter; ältere Baobabs sind in ihrem Inneren hohl. Wie auch dieser Baum, dessen Innenraum die Größe eines kleineren Hotelzimmers locker übertrifft. Nacheinander stecken wir den Kopf durch den Spalt hinein. Früher wurden im Inneren des Baumes Tote bestattet, damit sich ihre Seele mit dem Geist des Baumes verbinden kann. Heute nisten hier Fledermäuse, ich kann sie hören und es riecht nach ihrem Kot.

Eifrige Händler bieten ihre Waren an, verderben sich mit ihren Mondpreisforderungen dann selbst ihr Geschäft. Die Unlust des Besuchers, auch nur einen Fuß in einen der Verkaufsräume zu setzen, ist mit beiden Händen greifbar. Kurz liebäugele ich mit einem kegelförmigen, spitz zulaufenden Hut, den Bauern hierzulande tragen, um sich auf dem Feld vor Sonne zu schützen; bei dem vom lächelnden Händler genannten Mondpreis von umgerechnet dreißig Euro suche ich schnell das Weite. Für lange Verhandlungen ist heute wenig Zeit, und das Ding hätte einen Wert gehabt, der eher an den drei Euro läge. Oder meinetwegen fünf. Mit viel gutem Willen.

 

Die Muschelinsel

Auf die Ile de Fadiouth kommen wir über eine Festlandverbindung, also wie gewohnt mit dem Auto. Die Insel wirkt erstaunlich sauber. In den Seitengassen und auf den Wänden mancher Gebäude ist Streetart und Zeichnungen zu sehen, die auf den Charakter der Insel hindeuten. Die Menschen hier sind an Touristen gewöhnt, so überrascht es keinen und es kommen auch keine Verkäufer auf uns zu, als wir am Versammlungsplatz aus dem Auto steigen und ich mich zwecks Foto ein wenig herumtreibe.

Die Sauberkeit der Insel hat ihren Grund. Ich hatte an anderer Stelle bereits erwähnt, dass sich mancherorts in den Kommunen Freiwillige sammeln, die den herumliegenden Müll aufsammeln. Auch hier ist es nicht anders. Die „Müll-Trupps“ sind an ihrer grünen Kleidung erkennbar. Sie kehren Unrat, Plastik und was sonst so anfällt, zusammen und verbrennen es auf rauchenden Haufen. Es ist aus unserer Sicht sicherlich nicht die optimale Lösung, aber bei weitem das beste, was die Menschen hier machen können.

Wir sind hier im Ort Joal de Fadiouth, 114 Kilometer südlich von Dakar, angekommen. Zum eigentlichen, touristisch wichtigen Teil der Muschelinsel führt eine hölzerne Brücke, die wir zu Fuß passieren. Das Auto lassen wir samt Mamadou und Fahrer Ibrahim am Sammelplatz zurück, sie werden hier auf uns warten. Vor der Brücke empfängt uns ein junger Guide, der sich als Lamane vorstellt und sofort in unserer Landessprache über die Insel zu berichten beginnt. Er habe an der Universität in Dakar Deutsch studiert, erzählt er uns. Deutsch sei eine selten gesprochene Sprache in Dakar, weswegen er sich gute Jobchancen in der Touristenbranche ausrechne. Lamane hört aufmerksam zu und lächelt viel, auch wenn ich sehe, dass er nicht alles verstehen kann. Ich ermahne Stefan leise, die Sprachkenntnisse der örtlichen Guides nicht zu überstrapazieren, denn dieser neigt schnell dazu, über seinen Job im Sanitärbereich zu fachsimpeln.

Jenseits der Brücke verläuft das Leben gemächlich. Pirogen gleiten auf dem Wasser, am Ufer trottet ein nacktes rosa Schwein seiner Wege und sucht nach Fressbarem im flachen Sand. Ein Mann schiebt einen schwer aussehenden Karren vor sich her. Muscheln knirschen unter unseren Füßen. Die schmalen Gassen sind malerisch, und an jeder Ecke sitzen Händler im Schatten. Souvenirs teilen sich den Platz mit getrocknetem Fisch. Die Verkäufer haben es aufgegeben, der Kundschaft nachzujagen, so dass wir unbehelligt passieren können. Sie warten ab, und das ist die weitaus bessere Taktik.

Die gesamte Insel entstand auf aufgeschwemmten Muschelschalen und Kalk, ihnen verdankt sie ihren Namen und ihren Charakter. Und falls es jemand für unwahrscheinlich hält, dass sich Muschelschalen in solchen Mengen rein zufällig an Ort und Stelle angesammelt hatten – das ist es auch. Die Inseln wurden mehr oder weniger künstlich erschaffen, indem die Schalen über Jahre ins Wattenmeer geworfen wurden. Und zwar Berge davon, über ganze 1500 Jahre hinweg. Acht Meter Höhe sind dabei im Laufe der Zeit aufgetürmt worden. Ganz schön viele Schalen, nicht wahr? Ile de Fadiouth ist eine von insgesamt drei Muschelinseln in Senegal, neben der Friedhofsinsel Diotyo und einer dritten Insel, die als Speicher für Nahrungsmittel genutzt wurde.

Auf fünfzehn Hektar Inselfläche fallen rund 9000 Einwohner. Somit zählt Ile de Fadiouth zu den am dichtesten besiedelten Inseln der Erde. Was direkt auffällt, sind christliche Ikonen in teils lebensgroßem Ausmaße. Auch diverse Kreuze schmücken Straßenecken, und ein hoher, bekreuzter Kirchturm prägt von Weitem schon das Bild. Denn die Insel ist eine große Ausnahme in Senegal, sie wird fast ausschließlich von Christen bewohnt: 80 Prozent der Insulaner sind Christen. Doch die Gewichtung wechselt nach und nach zugunsten der muslimischen Minderheit, sei es durch Kinderreichtum oder durch Zuzug.

Christen und Muslime leben auf der Insel friedlich miteinander. Angehörige beider Religionsgemeinschaften werden sogar auf einem Friedhof gemeinsam bestattet, wie wir später erfahren. Es gibt eine Kirche und eine Moschee. Die Mutter Gottes wacht steinern über allem, und eine metallene Plakette erinnert an einen Besuch von Papst Johannes Paul II in den Neunziger Jahren.

Eine weitere prominente Persönlichkeit ist mit der Insel verbunden. Es handelt sich dabei um Léopold Sédar Senghor, den ersten gewählten Präsidenten der Republik Senegal (1960-1980), dessen Geburtsort die Insel war und der seine Kindheit hier verbrachte.

St. Xavier Kirche, Ile de Fadiouth

Wir besichtigen die Kirche des heiligen Francois Xavier. Das kühle Innere ist eine angenehme Abwechslung zu der Hitze draußen, wo der kalkweiße Muschelboden das gleißende Licht reflektiert. Die Kirche ist einfach, jedoch auf ihre Weise charmant eingerichtet, hell, luftig, mit viel blau und Holz. Über dem Altarbereich hängt ein Kreuz, doch den prominenten Raum hinter dem Altar, dort, wo die Gemeinde hinschaut, nehmen keine Ikonen ein. Dort ist ein Gemälde zu sehen, ein Stück Wattenmeer, ein paar Mangroven, eine Piroge, eine senegalesische, runde Hütte. Und mitten im Bild ein symbolisches, rotes Licht. Das Kirchendach ist eine Blechkonstruktion und in den Winkeln zwischen Dach und Balken haben Sperlinge ihre Nester errichtet.

In der Mitte des Ortes steht ein alter Baobab. Er ist nicht so alt wie jener, den wir besichtigt hatten und auch nicht so umfangreich. Ungeachtet dessen hat dieser hier eine wichtige Rolle im Alltagsleben der Gemeinschaft gespielt, und er tut das vermutlich noch immer. Wie auch die gemauerten, offen gestalteten „Aufenthalt- und Gemeinschaftsräume“, die aus Bänken und einem Dach bestehen und den Menschen eine Begegnungsstätte sind. Hier beraten sie sich und tauschen sich im Schatten aus. Es gibt jeweils eines dieser Konstrukte für den muslimischen wie auch für den überwiegend christlichen Teil der Community. Auch jetzt im Vorbeigehen sehen wir im Schatten Menschen sitzen.

Begegnungsstätte

Hier am Baobab, am frei gefegtem Platz, verläuft das Leben beschaulich. Der Ort ist durchzogen von Souvenirhändlern, es gibt Ziegen und spielende Kinder. Eine Gruppe Frauen in Kleidern aus bunten, flatternden Stoffen mit Tragegefäßen auf dem Kopf steht abseits und schnattert. Ein Mann trägt mehrere Wasserkanister in der Hand. Es gibt sogar eine Schule, an der wir vorbei kommen.

 

Die Friedhofsinsel Diotyo

Kopflos

Über eine weitere Holzbrücke gelangen wir schlendernden Schrittes weiter. Es ist Ebbe, Boote ziehen langsam über die tiefen Wasserstellen und im Meeresgrund wühlen zufriedene Ferkel. Auf Pferdewagen wird Schilfgras transportiert.

Die Friedhofsinsel ist ein Sammelsurium aus kalkweißen Hügeln, die allesamt aus Muschelschalen bestehen, und weitgehend kahlen Baobab Bäumen. Die Hügel sind übersät von Gräbern. Wir sehen Kreuze; Grabsteine, wie wir es wohl auch hierzulande kennen. Das liegt daran, dass wir durch den christlichen Teil des Friedhofs gehen. Doch auch Muslime werden hier bestattet; wie bereits im Leben auf der Insel, so wird auch hier das Gemeinschaftliche groß gehalten. Es gibt keine vorgegebenen „muslimischen“ oder „christlichen“, zugewiesenen Bereiche, doch naturgemäß ergibt es sich, dass die Menschen bei ihren Angehörigen beerdigt werden und so eine gewisse Aufteilung entsteht. Der muslimische Teil des Friedhofs unterscheidet sich darin, dass es keine Kreuze, sondern handbemalte Metallplaketten gibt und die Gräber in Richtung Mekka ausgerichtet sind.

Der muslimische Teil des Friedhofs

Während wir uns langsam weiter in Richtung Ufer bewegen, versorgt uns Lamane mit weiteren Informationen. So gäbe es, erklärt er und zeigt auf weitere Landbereiche im Meer, die sich hinter Mangroven verstecken, eine Insel, auf der Lebensmittel angebaut und gelagert werden. Die Ernährung sei hier gut, es gäbe Hirse, Fisch und Muscheln. Das, und der entschleunigte Lebenswandel führten dazu, dass die Menschen bis zu hundert Jahre alt wurden. Die Inseln sind von einem Mangrovengürtel umschlossen. Strom wird aus Solarzellen und über Wasserkraft gewonnen.

Am Ufer wartet eine Piroge auf uns. Wir steigen ein und schon sind wir unterwegs, vorbei an Mangrovenwurzeln, an denen große Austern haften, hin nach Joal, wo bereits Mamadou und Ibrahim auf uns warten. Dort werden wir von einer Schar neugieriger Schulkinder umringt. Viele von ihnen naschen Süßkram, Eis aus der Tüte oder Reiskekse, die von einer weiter hinten stehenden Frau ausgegeben (verkauft?) werden. Dabei geht unserem Mamadou das Herz auf, er lacht und unterhält sich mit den Kindern.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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11 Kommentare

  1. Wow, was für ein Baum!
    Wie viele Jahre seid ihr jetzt eigentlich schon im Senegal? Der Mengedeiner Berichte zufolge seid ihr vermutlich ausgewandert? 😉

    1. Das war die erste Woche… *Kopf kratz*

  2. Gestellt statt gesegelt 🤣

    1. Schon erledigt 😉

  3. Der Baobab, vor den du dich als „Referenzobjekt“ gestellt hast, ja wirklich riesig. Schade, dass sich die Fledermäuse das Teil schon unter den Nagel gerissen haben 😁. Dort drin zu übernachten – was bei der Größe ja vermutlich drin wäre – wäre bestimmt abenteuerlich. Die Muschelinsel hat auch was, genauso wie der Friedhof. Da habt ihr ja wieder eine Menge Eindrücke sammeln können an diesem Tag. Sehr schön!

    1. Ja, ich habe noch überlegt: Baobab mit Mensch davor, Baobab ohne Mensch davor. Aber ohne Mensch davor hätte es auch ein Gartenstrauch sein können 🙂 Nein, übernachten ist nicht drin, allein schon der Gedanke an die vielen Baum-Bestattungen… 😉

      1. 😁😁😁

  4. Es ist immer wieder faszinierend deine Reisebericht hier zu lesen und diese Muschelinsel scheint nicht nur wegen den imposanten Baobabs sowie der Einstellung was wirklich zählt im Leben, ein kleines Paradies des Friedens zu sein!
    Liebe Grüße, Hanne

    1. Vielen Dank, liebe Hanne, für deinen Zuspruch! Der Baobab wächst nicht auf der Insel selbst, den besuchten wir auf dem Weg dorthin. Die Muschelinsel ist ein Zeichen dafür, dass Toleranz möglich ist. Es war schön, das zu sehen.

      Liebe Grüße auch an dich..

  5. Der Alte Riese (Baobab) ist sicherlich der Blickfang in der ganzen Geschichte, allerdings ist es auch sehr interessant, etwas über die Entstehung und das Leben der Muschelinseln zu lesen. Ein weiterer Teil der Welt, den ich durch deinen Blog Kasia etwas besser kennengelernt habe.
    Grüße und einen schönen Tag.

    1. Schön zu lesen, dass du die Berichte als hilfreich und informativ empfindest. Mein Wunsch ist es, irgendwann die ganze, spannende Welt (in Ausschnitten) zu sehen, faszinierende Orte zu besuchen und die Menschen mit Geschichten darüber in Erstaunen versetzen.

      Liebe Grüße

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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