Asien, Georgien

Der Klosterkomplex David Garedscha

September 2021

Als wir weiter fahren, wirkt das Land exotisch und fremd. Die Landschaft hat ihr Innerstes nach außen gekehrt, flache Hügel aus roter Erde reihen sich streifenförmig auf. Savannengräser wallen silbern im Wind wie ein Meer, wie ein Seidentuch, das man in den Wind geworfen hatte. Wir befahren die Region Kachetien. Wenn Udabno das Ende der Welt war, so haben wir es jetzt hinter uns gelassen.

Kein Wunder, dass vor langer Zeit Mönche beschlossen, sich hier, mitten im Nichts, in den Felsen anzusiedeln in Abgeschiedenheit und Einsamkeit, Sukkulenten gleich, die nur wenig zum Leben nötig haben. Der Klosterkomplex David Garedscha liegt in der Garedscha-Steppenwüste. Er erstreckt sich auf 25 Kilometer. Besucher bekommen nur einen kleinen Teil davon zu sehen.

Eine unglaubliche Weite, offene Fläche, offener Himmel. Ein einsames, braunes Schild deutet uns den Weg. „David Gareja – 10 km“. Die Gräser rauschen und glänzen in der Sonne wie das Fell eines Löwen. Wir sind hingerissen, kaum jemand denkt an Tomek, der mit zunehmend glasigen Augen neben uns sitzt. „Habe ich Fieber?“ Fragt er und guckt mich fragend an.

 

Doch die Landschaft bleibt nicht gleich. Savannen wechseln sich ab mit hügeliger Steppe, dreieckigen Hügeln und kahler Erde. Roter Sand wird sichtbar, lange, rote Streifen durchziehen die Hügel. Licht und Schatten jagen einander, verstärken die Farbenspiele. Der Raum wirkt wie gemeißelt. Und ich fühle mich wie auf dem Mond. Eine Stimme sagt, ganz tief in mir, dass kaum etwas das hier zu toppen imstande wäre. Vor uns windet sich schlangenförmig die asphaltierte Straße und am Himmel zeigen sich Räuber. „Hier gibt es Geier.“ Sagt Tomek, aus seinem Dämmerzustand erwachend. „Wenn es helle Schwingen und einen langen Hals hat, dann ist es einer“

 

David Garedscha

Es handelt sich um das älteste Kloster Georgiens und gleichzeitig den größten in Fels gehauenen Klosterkomplex der Welt. Die ersten Mönche lebten schon im 6 Jahrhundert hier. Als Gründer des Klosters wird David, einer der zehn heiligen assyrischen Väter, angesehen.

Das griechisch-orthodoxe Höllenkloster beherbergt aktuell zehn Mönche. Es besteht aus Befestigungsmauern mit Wachtürmen und einfachen, in Sandstein gehauenen Behausungen. Ikonenmalereien, die, weit weg von Byzanz Einfluss, ihren ganz eigenen Stil aufweisen, bringen Farbe in das einfache Innere der Räume. Die Außenmauern sind mit roten Ziegeln gedeckt, in Harmonie mit den Höhlen eine interessante Kombination. Die Mauern waren ehemals eine Notwendigkeit, denn das Kloster wurde, bedingt durch seine Lage, häufig angegriffen auf der Suche nach Wertvollem. Seldschuken, Mongolen, Timuren, sie alle standen im Laufe der Jahrhunderte vor den Klostermauern. Trotzdem entwickelte es sich unter dem Schutz von David, dem Erbauer im 10 Jhd. zu einem blühenden, kulturellen Ort.

Von dem zerstörerischen Angriff der Perser 1615 jedoch hatte sich das Kloster nie wieder richtig erholt. Die Sowjets und später die Georgier selbst nutzten es als Unterkunft und Übungsplatz für ihre Truppen. Erst 1990 wurde das Kloster wieder eingeweiht. Heute wäre es wohl ein einsamer, vergessener Ort, wenn sich nicht die neugierigen Georgienreisenden immer mal wieder hierher verirren würden.

Irgendwann, gefühlt am Ende des langen Weges, taucht es vor unseren Augen auf. Ein Turm, der scheinbar übergangslos aus dem Berg erwächst. Eine unregelmäßige Menschenkette tröpfelt nach oben. Das Kloster ist ein lohnendes Ziel und es verirren sich mehr Besucher hierher als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Nur langsam reiße ich mich vom Anblick der roten Hügel und der Lichtspiele von Sonne und Wolken los.

Das Betreten des Klostergeländes kostet keinen Eintritt, dafür aber die Toiletten, die für einen lächerlich kleinen Obolus zu haben sind. Tomek überlegt kurz, im Auto zu bleiben, entscheidet sich dann, seiner schlechten Verfassung zum Trotz, mit uns zu kommen. Wer weiß, wann man wieder hier ist.

Wir steigen hinauf über einen schmalen, ausgetretenen Pfad. Wegweiser zeigen uns die Richtung, doch auch ohne sie ist das zu besuchende Gelände überschaubar. Gosia und ich haben unsere Kopftücher rausgekramt und wickeln sie um, schließlich ist das Betreten des heiligen Bodens für Frauen ohne Kopfbedeckung nicht gestattet. Darauf achten die Mönche penibel und mit mürrischen Blicken. Diejenigen, die wir zu Gesicht bekommen, verschwinden genauso schnell wieder im Schatten wie sie aufgetaucht sind. Ich glaube, wir Besucher werden hier nur geduldet. Das Kloster ist als Ort des Rückzugs gedacht und da passen die Handvoll Touristen, die täglich die Abgeschiedenheit durchbrechen, nicht wirklich hinein.

An der Wehrmauer entlang gelangen wir in einen Innenhof. Die aufragenden Felswände sind gesäumt von halb überdachten Gängen, die Schatten spenden und so konstruiert sind, dass stets ein kühler Luftzug den Aufenthalt angenehmer macht. Einfache Holztüren führen zu den Klausen. Türme und Türmchen ragen aus den zerklüfteten Felsen auf und inmitten all dessen starren uns die schwarzen Löcher der in Fels gehauenen Räume entgegen. Eine seltsame Kombination, passend und unpassend zugleich.

Und ich kann immer noch nicht darüber hinweg, dass mich mein Weg hier an diesen surrealen Ort geführt hat.

Tomek und die Jugend sind schon vorgelaufen, nur mein Onkel und ich sind noch auf dem Gelände zugange. Ich bevorzuge es, die Dinge auf mich wirken zu lassen und eben nicht rasend schnell hindurchzulaufen. Doch gemeinsame Reisen sind ein Kompromiss. So lassen wir uns zwar ausreichend Zeit, aber irgendwann siegt dieses nagende „die anderen warten“- Gefühl.

Falls sich übrigens bei der Galerie jemand fragen sollte, warum ich auf so vielen Bildern zu sehen bin, die Antwort darauf ist simpel: ich sehe mich eben gerne selbst auf Bildern. Und bin auch gar nicht von mir eingenommen 😉

Verlässt man die äußeren Wehrmauern und steigt hinauf auf einem der Pfade, so führt einen der ausgetretene Weg zwischen Steinen, Felsen und Sträuchern nach oben auf den Hügel. Hier finden wir uns mit einem Mal über der Klosteranlage wieder und schauen hinab auf die Verflechtung von Gebäuden und Felsenformationen. Weit hinten öffnet sich die Landschaft in hellem Graugrün und sandigem Rot. Mein Kopftuch ziehe ich gar nicht erst ab, denn trotz des Windes, der über unsere Köpfe streift, brennt die Sonne heiß vom Himmel. Was ist das für ein Ort, an dem sich Schildkröten, Geier und giftige Schlangen wohl fühlen. Angeblich, so Tomek, gäbe es hier Skorpione, und auch eine mittelgroße, graue Schildkröte hätte er bei seinem letzten Besuch vor zehn Jahren gesichtet. Also schaue ich aufmerksam nach links, nach rechts und in die Büsche, denn… „Vielleicht bekommen wir eine zu Gesicht.“

Mein Onkel und die Kids trödeln weiter unten, wie immer, wenn es darum geht, irgendwo nach oben zu steigen. Sei es ein Hügel, eine Steigung oder Treppen, an solchen Stellen zeigt sich, wer von uns die bessere Kondition hat. Ohne Zweifel, es ist Tomek. Denn ungeachtet seines Unwohlgefühls (nicht zu vergessen, der Mann hat noch immer einen akuten Magen-Darm-Infekt…) schwingt er sich mühelos und schnellen Schrittes nach oben. Ich hefte mich an seine Fersen, doch so beschwingt sieht das bei mir nicht aus, denn ich pfeife aus jedem Loch. Doch ich halte Schritt. Hier oben, registriert mein verschwitztes Gesicht, stehen wir an der unsichtbaren Grenze zu Aserbaidschan.

Die Existenz jener Grenze wird uns einzig durch einen einsamen, jungen Grenzsoldaten vor Augen geführt, der mit Sonnenbrille und Tarnuniform schwer bewaffnet seine Wache schiebt. Sonstige wahrnehmbaren Markierungen gibt es nicht.

„Früher, als ich vor zehn Jahren mit Kumpels hier war“, erzählte uns Tomek gleich zur Beginn der Reise, „da erlaubten es manchmal die Grenzer, den Pfad ein paar Meter weiter zu gehen. Du kamst an einem Abhang an, von wo du eine offene, weite Ebene vor dir sehen konntest.“ Streng genommen habe man da schon aserbaidschanischem Boden betreten. Damals, erzählte er uns, seien die Beziehungen beider Länder besser gewesen als heute. Heute würde so etwas nicht mehr gehen. „Aber wir können ja trotzdem fragen.“

Nun geht Tomek zum Soldaten hin und fragt auf Russisch. Der Soldat schüttelt den Kopf. Einen Versuch war es wert, doch wir müssen bleiben, wo wir sind. Und ich bin zufrieden, mehr als zufrieden. Ich bin glücklich hier oben, mit dem Blick auf die Wüste, auf das Kloster, auf diese unglaubliche, fremde Welt.

Tomek hat noch eine Idee. Abermals geht er zum Grenzsoldaten hin und fragt auf Russisch. Der lacht und schüttelt den Kopf, doch Tomek ist hartnäckig und irgendwie entnehme ich der Gestik, dass das etwas mit mir zu tun hat. Schließlich gibt der Grenzer nach und Tomek sagt: „Komm, Kasia, er ist einverstanden, dass ich ein Foto von euch zusammen mache.“

So komme ich unerwartet zu einem gemeinsamen Foto mit einem Grenzwachposten an einer georgisch-aserbaidschanischen Grenze. Alles geht schnell, und noch ehe sich mein Onkel und seine Kids den Hang hinauf gequält haben, ist das Foto im Kasten und wir drei tun so, als ob nichts gewesen wäre. Danke, Tomek.

„Er hatte sich anfangs geweigert, weil er dachte, womöglich landet das Foto irgendwo auf Facebook oder Instagram, aber ich habe ihm versprochen, dass es nur für dich privat ist.“ Erzählt er mir später, als wir alle wieder runter gehen.

„Na, dann werde ich mich hüten, es irgendwo zu posten.“ Sage ich. Er lacht. „Selbst wenn du es postest, passiert nichts. Alles gut.“

Liebe Community, ich bin ja nicht so. Dieses eine Foto werde ich euch leider vorenthalten müssen. Ich möchte nicht, dass der junge Mann Probleme bekommt. Nicht dass sich Horden von Georgienreisenden anschließend mit Grenzwachposten ablichten lassen wollen…

Wieder unten. Wir stehen am Auto, doch wir wollen nicht weg. Wir können nicht weg. Wir wissen, dass wir vermutlich nicht mehr wiederkommen werden. Ein Foto, ein zweites, ein drittes. Mein Onkel ruft die Kids zu sich, er ist sentimental. Bilder fürs Familienalbum. Tausend Bilder sind nicht imstande, festzuhalten, was wir fühlen. Wenn wir dort oben stehen und auf diese unglaublichen Farben schauen. Nichts, so scheint es uns in dem Moment – nichts kann es überbieten. Nichts reicht heran an diesen Augenblick.

Einen schönen Beitrag zu David Garedscha gibt es bei Reiselieber.org

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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13 Kommentare

  1. Eine spektakuläre Landschaft und ein sehenswertes Kloster! Ich glaube sofort, dass das ein ganz besonderer Moment für euch alle war.

    1. Der Ort wirkte so jenseits der Zeit, und das war er vermutlich auch. Ich malte mir aus, wie es wohl wäre, dort zu leben, so ganz abgeschieden. Total friedlich oder würde einem was fehlen? Hm…

      1. Ich würde es dort wohl für einen magischen Moment mögen. Auf Dauer aber wäre es mir zu abgeschieden.

        1. Dito. Das würde mir, glaube ich, genauso gehen.

  2. Eine fantastische Reise in ein besonderes und unbekanntes Land. Es macht Freude auf diesem Wege mehr darüber zu erfahren.
    Danke fürs Mitnehmen.
    Liebe Grüße
    Harald

    1. Ich freue mich, dass dir die digitale Reise gefallen hat. Ein ungewöhnliches Fleckchen Erde, ich möchte diese Erfahrung nicht missen.

      Liebe Grüße
      Kasia

  3. Das sind ja beeindruckende Landschaften dort hinter dem Ende der Welt 😏

    1. Ja, was alles hinter dem Ende der Welt auf einen warten kann… 😉

  4. Was für ein einzigartiger Ort! Um diese Erfahrung beneide ich Dich!

    1. David Garedscha ist einmalig, zum einem das Kloster selber, zweitens die Umgebung an sich. Ohne meine Family wäre ich wohl nie dort gelandet…

    2. In September bin ich übrigens in Bosnien, irgendwelche Tipps?

  5. Vielen Dank um uns mit zu nehmen auf Ihre Reise. Das Kloster is ganz tol.

    1. Schön dass es Ihnen gefällt 🙂

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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