Afrika, Senegal

Abschiedsschmerz

Samstag, unser letzter Tag in Senegal. Es ist wieder einmal so viel passiert, dass ich den Nachmittag am liebsten verschlafen würde. Der Morgen – wie immer. Augen auf, aufspringen, Badeklamotten an. Ich drehe eine extralange Runde im Meer. Dann watscheln wir für den ersten Kaffee des Tages zu Hamids Kaffeestand, von den senegalesischen Jungs ob unserer Anwesenheit in „German Café“ umgetauft. Die alte, senegalesische Dame von gestern ist wieder da, sitzt auf einem Stein im Schatten. Diesmal begrüßt sie mich mit Küsschen. Sogar William begrüßt uns.

 

The German Café

Vincent erzählt uns von seinem Traum, einem Café mit einer Bar. „Wir nennen es: German Café.“ Führt er begeistert aus. „Ihr investiert in Geräte und Kaffeemaschinen, wir werden für euch arbeiten. Ihr kassiert nur das Geld. Keine langen Fahrten mehr, Grandfather“- so Vincent zu Stefan. „Du wirst hier am Strand bleiben. Hör zu, Mama,“ so Vincent zu mir. „Ich habe es in meinem Traum gesehen.“

Stefan lässt über Spotify Cypress Hill und Eminem laufen. Alle klatschen und die alte Frau lacht, als Stefan eine Tanzeinlage hinlegt.

Vincent wird zwischendurch wieder ernst. Erzählt von seinem Leben, seiner steten Suche nach Arbeit und den vielen jungen Männer, die in kleinen Booten nach Europa losgezogen sind, um ihre Familien stolz zu machen und auf der Überfahrt gestorben sind. Erzählt von den vielen Müttern, die um ihre Söhne weinen. Vielleicht denkt er, wir wüssten das alles nicht, doch wir wissen davon, natürlich wissen wir davon. Und mir sitzt ein Kloß im Hals, während ich jetzt schreibe. Mit dem Leben dieser jungen Menschen wird Politik gemacht.

Was Vincent nicht erwähnt, ist die Tatsache, dass einige Familien die jungen Männer geradezu drängen, ihr Glück in Europa zu versuchen. Dass viele der Männer diesem Drängen nachgeben. Und dass das keine Lösung ist. Oder doch? Ein großer Teil des senegalesischen BIP wird über die Diaspora im Ausland erwirtschaftet. „Ich werde Senegal nicht verlassen.“ Sagt Vincent. „Ich bleibe hier, wo ich bin, werde versuchen, hier zu leben und zu arbeiten. Es ist immer besser, wenn man da bleibt, wo man ist.“

 

The last tee time

Es gibt wieder eine lange Teerunde bei Ibrahim, dem Mann aus Mali. Er schenkt uns Perlenarmbänder zur Erinnerung, wir machen Abschiedsselfies. Unsere „Lieblingshändlerin“ späht durch die zum Verkauf aufgehängte Kleidung hindurch ins Innere des Raumes und sieht uns dort sitzen. Wenn Blicke töten könnten. Tja, mit Honig fängt man eben mehr Fliegen als mit Essig.

Was diese eine Händlerin betrifft, so gibt es zu ihr eine Never Ending Story, die mit unserer Ankunft in Saly begonnen hatte und über die wir herzlich schmunzeln. So hatte es sich die Dame zur Gewohnheit gemacht, vor unserem Hotel zu sitzen auf der Suche nach Kundschaft. Dies scheint ihr Stammplatz zu sein. Nach anfänglicher Begrüßung machte sie uns ziemlich schnell klar, dass sie verkaufe, da sie eine ganze Familie zu ernähren habe. Soweit, so normal. Eines Nachmittags – da waren wir wohl beschwipst vom Flag – ließ sich Stefan auf Verhandlungen ein. Ein bunter Schal war das Objekt seiner Begierde. Fast schien es so, als wären er und die beiden Damen sich einig geworden, doch eine kleine Änderung der Grundvoraussetzungen (ich weiß nicht mehr exakt, worum es ging, irgendwas mit „zwei Schals kaufen, günstiger bekommen“ oder so) trat Stefan von der Kaufentscheidung zurück.

Seitdem vollzieht sich folgendes. Unsere Lieblingshändlerin mit dem säuerlichen Gesichtsausdruck (ja wirklich, es gibt nur wenige Menschen, die einen solchen gepachtet zu haben scheinen) ignoriert uns total und schaut demonstrativ weg oder kramt in ihren Sachen, sobald wir uns nähern. So ignoriert laufen wir natürlich vorbei, wohl wissend, was als nächstes passiert. „Gu-uten Tag!“ Ruft uns die Frau hinterher. „Grüßt man sich denn heutzutage nicht mehr?“ „Guten Tag!“ Antworten wir dann fröhlich. Aber natürlich grüßt man sich.

Jetzt, da sie uns hier bei den Tuareg Leuten sitzen sieht, zieht sie missmutig weiter. Stefan und ich stupsen uns an und schmunzeln in uns hinein, wie zwei Kinder, die beim Kekse klauen erwischt wurden. Was soll ich sagen, man kann kein Geschäft erzwingen. Weder beim Handeln noch auf dem Klo.

In der kommenden Woche kehrt Ibrahim nach Mali zurück. Er zahle Miete für die Geschäftsfläche – einen einfachen Unterbau auf sandigem Boden, mit Palmblättern bedeckt, in hinterem Teil befindet sich der Schlafbereich. Doch es lohne sich nicht, wenn er es manchmal nicht schafft, 1-2 Wochen lang etwas zu verkaufen. Da sei es besser, nach Mali zurück zu kehren. Er werde kommenden November, wenn der Tourismus in Senegal wieder anläuft, sein Glück versuchen.

Abschieds-Selfie

Der Himmel ist heute bedeckt und das Meer bleiern grau. Nichtsdestotrotz ist die Thermometeranzeige auf dreißig Grad hochgeklettert, was der Luft eine träge Schwere verleiht. Eine Stimmung wie geschaffen für unseren Abschied. Ich liege da, diesmal in Sneakern und langer Hose, auf meiner Liege unter Palmen. Das Meer rauscht. Ich höre ein Radio, höre Kinderstimmen… Fuck. Das letzte Mal, dass ich solch einen intensiven Trennungsschmerz verspürte, war wann…? Lange ist es her. Normalerweise bin ich froh, wieder nach Hause zu können. Hat Senegal etwas in mir hinterlassen? Das letzte Mal, als ich das verspürte, da war ich höchst unglücklich mit meinem Leben.

Bin ich zufrieden mit meinem Leben?

 

The last fish

Das letzte Mal Fisch essen. Es ist lecker und günstig hier, man kennt uns inzwischen. Ein Targi kommt vorbei und will mir seine Tasche zeigen. Vermutlich käme kunstvoll geschmiedeter Silberschmuck zum Vorschein. Es tut mir jedes Mal leid, wenn ich zu jemandem „nein“ sagen muss, denn es ist jedes einzelne Mal, dass ein Stück Hoffnung bricht. Auch dieses Mal, ich sehe es in seinen Augen und es verfolgt mich noch eine ganze Weile. Bis mir irgendwann ein – ziemlich blöder – Spruch meines Onkels in den Sinn kommt, der das Ganze recht gut umreist.

„Sorry, Winnetou…“

Ein anderer Targi scheint weiter weg, auf einer Sandzunge, umringt von Badekleidung tragenden Urlaubern, ein langes Verkaufsgespräch zu führen. Er kniet im Sand und hat seine Waren vor sich ausgebreitet.

Ibrahim erneuert seine Einladung zum Tee für heute Abend. Eigentlich hätten wir Zeit, doch Stefan wird es zu stressig. „Wer weiß, wann unser Fahrer kommt; wenn der früher da ist, dann kann uns keiner erreichen.“ Deutsche Vorsicht eben. Also sitze ich auf meinem Stein und beobachte das Meer. Es ist heute aufgebracht und bringt Sand mit sich. Schwarze Spuren bleiben am Strand, dort, wo sich die Wellen zurückziehen. So entsteht ein Mosaik am nassen, spiegelglatten Ufer.

Der Fahrer kommt in Gestalt von Mamadou. Wie ein Geist taucht er hinter mir am Strand auf. Wir hätten nicht gedacht, dass wir unseren Guide der letzten zwei Wochen wiedersehen. Er habe in der Gegend etwas zu erledigen gehabt, erklärt er kurz. Sein Erscheinen, so sehr es uns auch freut, bedeutet, es wird Zeit. Wir hieven unsere Koffer in das Auto. Unser Fahrer Ibrahim sitzt am Steuer.

Während der Fahrt zum Flughafen in Dakar lasse ich die Autoscheibe unten. Es ist inzwischen dunkel, das pralle Leben tobt draußen in den nächtlichen Straßen. Rauch von irgendwelchen Feuerstellen am Straßenrand. Der Duft nach Essen. Fahrzeuge, die fast auseinander zu fallen scheinen, aber doch fahren und vermutlich noch weitere zwanzig Jahre fahren werden. Überladene Fahrzeuge. Junge Menschen auf der Suche nach Spaß und Ablenkung. Ein Mann mit einer Nähmaschine auf der Schulter. Skurriles, das ich inzwischen nicht mehr hinterfrage. Senegal eben.

Am Flughafen: warten. Auf den Flieger. Auf das Boarding. Darauf, dass sich der Flieger endlich in die Lüfte erhebt. Auf die Landung. Darauf, endlich raus zu dürfen. Frieren am trüben Frankfurter Morgen. Warten auf die Bahn nach Hause.

So eine Ankunft ist wie eine kleine Weltreise.

Erledigt. Reisen ist eben nicht nur Spaß…

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

Für dich vielleicht ebenfalls interessant...

11 Kommentare

  1. Danke für die tiefgreifende Geschichte. Da habt ihr ja einige Freunde getroffen.

    1. Und einige Freunde wieder verlassen. So ist es nun mal auf Reisen 🙂 Neue Geschichten folgen…

  2. Auch für uns Leser ist es mehr als schade, dass diese Reise nun auserzählt ist. Auch wenn der Senegal wohl kein Reiseziel für mich ist, so haben mich deine Erzählungen doch nachhaltig beeindruckt und auch nachdenklich gemacht. Vielleicht können wir uns eines Tages einmal live und in Farbe darüber austauschen. Das fände ich schön! Und nun bin ich gespannt, was du uns als Nächstes hier servierst 😎.

    1. Liebe Elke,
      die nächste Zeit auf dem Blog wird bunt gemischt. Da wird es Geschichten aus schönen Ecken Deutschlands, Tschechiens und der Schweiz geben, und gerade schreibe ich auch noch die erste Balkan-Familienreise nieder. Es würde mich auch freuen, dich in Farbe zu sehen – ich bin gerade ziemlich oft in Saarland unterwegs… 😉

      1. Na da freue ich mich ja schon auf die bunte Mischung und auf ein Treffen irgendwann, ob im Saarland oder in Mannheim. Da steige ich ja des Öfteren um 😎.

  3. Manchmal schon pervers, wenn man sich darauf einlässt diese Menschen und ihre Gedanken in sein Herz zu lassen – im Wissen, dass man selber sicher in wenigen Tagen wieder im gewohnten sicheren zu Hause ist – ohne Nöte, Sorgen, Zukunftsängste – während für die zurückgelassenen jeder Tag auch ein Tag ums überleben ist und nur die Hoffnung ein bisschen Zuversicht auf eine bessere Zukunft bringt.

    1. Und genau aus diesem Grund kann nie wirklich eine Art Augenhöhe entstehen. Wir sind, wer wir sind, und umgekehrt, und das kann man nicht einfach ausblenden. Ich weiß noch, als uns unsere deutschen Freunde in Polen besuchten. Die 90er Jahre waren das, damals wohnte ich bei meinen Großeltern und die „Freunde“ waren eigentlich die Schwiegereltern meiner Mama. Polen der Neunziger kann man nicht mit Polen jetzt vergleichen. Und im Nachgang sehe ich diese Besuche ein Bisschen mit ihren Augen. Egal, wie locker der Umgang mit unseren Gästen war, es waren einfach zwei verschiedene Welten. Das wussten wir, das wussten sie. Das gleiche empfinde ich oft auf meinen Reisen, nur eben diesmal aus einer anderen Perspektive. Und auch wenn man gerne anders wahrgenommen werden möchte, man ist nun mal derjenige, der bald wieder verschwindet.
      Oh Dr. Nerd, so viel Tiefgang hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut… 🙂

      1. Ja, ich versuche meinen Tiefgang (der ungefähr dem eines voll beladenem Öltankers entspricht) nicht allzu oft aufblitzen zu lassen. Man(n) hat ja schließlich einen schlechten Ruf zu verlieren. Sexy, reich, intelligent, handwerklich geschickt, Haushalt im Griff, guter Koch, Tier – und Kinderlieb – und dann noch Tiefgang? Da bin ich doch für Frau uninteressant, weil Sie nix zum verbessern hat. Schwiegermütter betten mich auf Knien an, ein Date mit ihren Töchtern einzustielen – aber ich renn dann immer sofort los. Der Fluchtreflex beim Wort „Ehe“ ist bei Männern ja genetisch bedingt..
        Und ja, das mit der Augenhöhe ist ein Riesenproblem, welches dort im großen bemerkbar ist, aber doch hier bei uns im kleinen ebenfalls täglich sichtbar ist.
        Unser ganzes Denken und die Lebensplanung dreht sich doch um den Euro. Da wird man schnell ein Mensch zweiter Klasse, wenn man nach längerer Arbeitslosigkeit nach „Hartz IV“ rutscht. Begriffe wie Hartzer, Sozial-Schmarotzer, arbeitsscheues Pack sind nicht grade geeignet Selbstvertrauen aufzubauen um sich auf Augenhöhe zu fühlen. Das kann man schon nicht weil für viele Freizeit-Aktivitäten einfach das Geld fehlt. Man mutiert zum Bettler mit Dach über dem Kopf. „Doku“-Shows in denen genau diese Leute als Maßstab präsentiert werden, tun ein übriges.
        Da ich selbst am Anfang meiner Laufbahn in der IT in den ALG 2 Bezug gerutscht bin, weiss ich wovon ich spreche. Und ich wünsche es keinem. Und wen es trifft, dem kann ich nur raten: Hartz 4 macht dich nicht zu einem schlechteren Menschen – außer Du lässt es zu..
        so.. genug Tiefgang für Heute.. es gibt Fragen zu beantworten.. grins..
        CU
        P.

        1. Es kann schnell passieren, dass sich etwas im Leben ändert und die bisher bekannten Sicherheiten wegbrechen. Die Lebensplanung ist bei den meisten auf Leistung getrimmt. Wir werden so konditioniert. Hört sich ja auch blöd an, wenn man auf die Frage „Was möchtest du erreichen?“ antwortet: Ich will ein glücklicher Mensch sein.

  4. Jedes Ende is der Start ein neues Abenteuer. Vielen Dank für chance das wir alles mitmachen könten via die vielen Blogs.

    1. Danach hat es auch viele neue Abenteuer gegeben und ich freue mich schon, euch alle in viele spannende Länder dieser Welt mitzunehmen. Danke, Rudi

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.