Asien, Saudi-Arabien

Es ist Winter in der Wüste – oder: Frieren in der Rub al-Chali

Nachts ist es bitterkalt. Obwohl ich mich unter der kuschligen Nomadendecke verkrieche und meinen Wollpulli trage; obwohl die mobile Elektroheizung, die uns einer der Jungs vorsorglich vor’s Zelt gestellt hat, (bedingt) macht, was sie soll, friere ich elendig wie ein hinausgeworfener Hund. Gut, zugegeben – irgendwann nachts um drei fällt mir ein, dass ich besagte Heizung ruhig mal einschalten könnte.

Bei einem Toilettengang ans andere Ende des Camps (wir wollten es ja „ruhig“ haben) riskiere ich einen Blick nach oben. Der Sternenhimmel ist grandios. Nicht wie in Namibia. Auch nicht wie in Jordanien, wo wir uns außerhalb der Zelte mitten in der Wüste befanden – nichtsdestotrotz grandios.

Zurück im Zelt. Die Heizung einschalten also. Eine schwache Ahnung von Wärme beginnt, sich zu entwickeln und meine zu kühlschrankkaltem Fleisch erstarrten Gliedmaßen zu umschmeicheln. Ich krieche wieder unter meine flauschige Nomadendecke. Ja, die Decken, welche uns hier in den Zelten zur Verfügung stehen, sind dick, plüschig und schwer, mit großen, bunten Ornamenten versehen. Man kann sie, eingepackt, an den meisten Tankstellen des Landes erstehen, zusammen mit anderen Waren des täglichen Bedarfs, welche die Leute hier für ihr Wüstenleben so brauchen. Wie zum Beispiel auch die dicken, ebenfalls plüschigen und kuscheligen Mäntel, in denen ein Beduine in kalten Nächten am Lagerfeuer gewiss nicht frieren wird und in welchen Wasim und die anderen Männer sehr beeindruckend aussehen.

Vielleicht kommt bei so manchen leichte Irritation auf. Ja, es ist wahr – obwohl wir hier mitten in der Rub al-Chali-Wüste nächtigen, so ist es dennoch Winter und die Abende kühl. Und ja, ab und zu nieselt auch ein feiner Regen herunter. In den folgenden Tagen werden wir sogar Schneefall erleben – und Araber, die ganz aus den Häuschen sind und mit ihren Jeeps Staus verursachen, um das Spektakel aus der Nähe zu sehen.

Während ich also versuche zu schlafen, schieben sich all die Bilder der vergangenen Tage an meinem Geist vorbei wie nebelhafte Gespenster. Lasst mich euch ein paar der seltsamen, neuen oder einfach nur skurrilen Anekdoten aus rätselhaftem Saudi Arabien erzählen.

 

Gedanken/Anekdoten aus Saudi Arabien

Kamele
Zur Anfang hat man alles fotografiert, das nach Kamel aussah. Jetzt, nach fast fünf Tagen S.A. kann ein Kamel arschwackelnd sogar bis auf die Straße kommen, es kümmert keinen mehr.

Menschen
Menschen winken, begrüßen uns und lachen. Sie rufen: „Welcome!“. Filmen uns. Menschen freuen sich, dass wir da sind.

Moscheen
Es gibt sie überall. Die einfachste Ausführung findet sich am häufigsten, in fast jedem Ort: vier Wände, ein flaches Dach, 10 auf 10 Quadratmeter Fläche. Man platziere ein Halbmond auf dem Dach und Lautsprecher an den Außenwänden, fertig ist die Moschee. Um zu beten braucht es keinen Prunk.

„Wir sind nicht so, wie die Medien uns zeichnen.“
Die Bevölkerung Arabiens ist im Durchschnitt sehr jung. Und sie empfängt uns mit offenen Armen. Meine anfänglichen Befürchtungen diesbezüglich zerstreuen sich rasch in alle Winde. Die Menschen wissen wohl um die negative Presse in der Welt und wollen uns zeigen, dass sie… nicht so sind. Dass sie ganz normale Leute sind. Nette Leute, herzliche Leute, gastfreundlichen Leute. Das zu erleben ist der Grund, warum ich auf Reisen gehe.
„Schau.“ Sagt einer der jungen Männer irgendwann zu Marco und zeigt auf sein Gewand. „Kein Bauchweggürtel. Ich bin kein Terrorist.“

Toiletten
Ein gläubiger Muslim sollte sauber zum Gebet antreten. Deshalb ist eine vorhergehende Reinigung des Körpers obligatorisch. Bei jeder Moschee gibt es daher Waschräume mit Toiletten. Doch die saubersten sind diese nicht. Man geht schließlich dorthin, um zu beten, nicht, um zu pinkeln…

Was dir gefällt, ist dein
Lagerfeuerromantik in der Wüste. Wasim erklärt uns die Beduinen-Kultur. „Wenn dir etwas gefällt und du es lobst, dann wird der Beduine es dir schenken. Das ist so bei uns. Das passiert nicht nur mit kleinen Dingen, sondern auch mit kostspieligen wie Autos. Es werden ziemlich oft Autos verschenkt hier in der Wüste.“ Fügt er hinzu.
„Und was, wenn ich gar kein Auto will?“ Fragt jemand erschrocken. Wasim zuckt mit den Schultern. „It’s not your choice anymore.“ („Es ist nicht mehr deine Entscheidung.“) Ich nehme mir vor, zukünftig sehr genau darauf zu achten, was ich in Hörweite eines Beduinenohrs zu loben gedenke…

Hatim und Reis
Von „Hatims Feuer“ habe ich schon ein Bisschen was erzählt. Der Teller darf niemals leer werden und „Hatims Feuer geht nie aus“. Um bei den Speisen einen Eindruck von Überfluss zu vermitteln, dient Reis als Füllmittel. Alle Gerichte werden mit – oder auf Bergen von Reis serviert. Diese leer zu essen ist schwer bis unmöglich…

Gebetszeit
Während der Gebetszeiten steht die Welt für kurze Zeit still. Läden werden geschlossen (und, befindet man sich drinnen, kann es passieren, dass man darin eingeschlossen wird), Restaurants zugemacht – mit den essenden Gästen drin. Im Inneren des Restaurants geht der geregelte Betrieb meist wie gewohnt weiter, doch der äußere Schein muss gewahrt, die Regeln befolgt werden.

Raststätten
Die Raststätten sind interessante Fundgruben. Man findet hier alles. Plüschdecken gegen die Kälte. Dicke Beduinenwintermäntel. Töpfe, in die ein halbes Schaf hinein passt. Stückweise einzeln in Folie eingeschweißte Kekse…

 

So friere ich also

So friere ich also des Nachts an der Matratze fest. Draußen höre ich Hundegebell, doch das blende ich aus. Keine Reise ohne Ohrstöpsel – so viel habe ich inzwischen gelernt. Doch die Kälte, die kann ich nicht ausblenden. Sie kriecht mit mir unter die Kuscheldecke und, obwohl ich mich wie ein Knäuel zusammenrolle, greift sie mit ihren kalten Händen nach mir. Morgens gegen fünf entdecke ich, dass ich sie besser ertrage, wenn ich mir die Decke vollständig über den Kopf ziehe. Wer braucht schon frische Luft, hier geht es um das nackte Überleben. Und dann ist es auch schon sieben Uhr am Morgen und Aufstehen angesagt.

Der Tag soll heute ganz entspannt beginnen. Das Frühstück gibt es erst um neun. Da es jedoch im Frauendusch- und Toilettenbereich (welcher strickt getrennt ist vom Bereich der Männer, ich hätte nicht weniger erwartet) nur eine einzige Duschkabine und eine Toilette gibt und ich mich sowohl ums eine als auch ums andere nicht aufs Blut prügeln möchte, stehe ich einfach entsprechend früher auf und tapse auf Zehenspitzen in die sanitären Anlagen. Dort ziehe ich vorsichtig die Klamotten aus. Die Kabinen befinden sich unter freiem Himmel und sind unseren Baustellentoiletten, den berühmten Dixi-Klos nicht unähnlich. Die Kälte ignoriere ich geflissentlich, sie ist eh überall und ich inzwischen ein Eiswürfel. Da es kein warmes Wasser zu geben scheint, gibt es nur Katzenwäsche. Danach bin ich frisch und wach, meine Durchblutung angekurbelt.

Ich nutze den frühen Morgen, um mich umzusehen. Wir sind hier in einer grandiosen Landschaft gelandet. Die umliegenden Felsen erinnern an Arizonas Nationalparks. Vor mir erhebt sich ein Plateau, welches mich an den namibischen Waterberg erinnert. Die abstrakten Felsspitzen färbt der Sonnenaufgang blutorange, dann golden. Auf der Anlage wachsen unzählige Dattelpalmen, die offensichtlich bereits gegossen wurden. Sie sorgen für das Grün und für den Schatten. Auf der anderen Seite der Anlage habe ich so etwas wie Plantagen-Feeling. Bereits gestern bei der Ankunft hörte ich etwas wie Hühner, doch es sind Truthähne und Gänse, die dieses Geschnatter produzieren. Ansonsten gibt es auf der Anlage nicht viel mehr zu sehen, doch die Umgebung mit ihren spitzen Bergen ist wundervoll.

Das Frühstück gibt es an einer langen Tafel im großen Zelt, demselben, welches wir am Abend vorher erfolgreich zugeräuchert hatten. Doch davon ist nun nichts mehr zu merken. Das Essen ist köstlich wie immer, man tischt uns üppig auf, die Saudis setzen hohe Standards. Der ganze Stolz der Campbesitzer sind die selbstgehegten Hühnereier, eigenhändig von Wasim eingesammelt. Dieser drängt uns jetzt, uns für die gekochten Stücke zu begeistern. „Eggs? Who want’s eggs? Do you want some eggs?“ Wir merken schnell, dass die „Eggs“ Wasims ganzes Herzblut in sich tragen – wie sich doch schnell das Verhältnis zum Essen ändert, sobald man in irgend einer Weise an der Herstellung selbst beteiligt war. Dieses „do you want some eggs“ wird zum Running Gag der Reise und wird uns noch eine Weile begleiten. Für heute möchte keiner mehr „eggs“. Ein enttäuschter Wasim stellt die Schale mit Eiern wieder auf den Tisch ab.

Der Vormittag verläuft entspannt, die Abreise ist erst um halb zwölf. Die versammelte Mannschaft lümmelt draußen im Schatten vor dem großen Zelt herum. Inzwischen ist es so warm geworden, dass der Schatten durchaus seinen Sinn hat, es ist wie Hohn für meine durchgefrorenen Knochen. Am Himmel ist keine Wolke zu sehen.

„Heute fahren wir nach Dadan.“ Erläutert Marco, über einer großen Karte gebeugt und tippt eine markierte Stelle an. „Wir schauen uns die Spuren früherer Zivilisationen an.“ Doch jetzt entspannen wir erstmal. Der junge Busfahrer ruft mich, um, wie am Vorabend, seine Shisha mit mir zu teilen. Doch ich winke müde ab. Ich genieße das hier auf meine Weise. Indem ich zum Beispiel vor dem Zelt in der Sonne sitze und mich dem Schreiben widme.

Und Stefan? Wie kam er denn klar mit dieser kalten Nacht? Als ich ins Zelt komme und das Licht einschalte, ist er schon wach. Ein verzerrtes Gesicht sieht mir entgegen. „Ey, das war die schlimmste Nacht, die ich je hatte…“

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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9 Kommentare

  1. […] Es ist kühl geworden in der Wüste; in Erinnerung an unser denkwürdiges Frieren in der Rub-al-Khali haben wir uns so warm wie möglich angezogen. Dennoch zieht ein kühler Wind über den Platz und […]

  2. Ja, die Nächte in der Wüste können (müssen aber nicht) im Winter bitterkalt sein! Ich war bei meiner Tour durch die Wüste im Oman entsprechend darauf eingestellt und hatte mir extra einen Schlafsack zugelegt, der auf Temperaturen bis knapp über dem Gefrierpunkt ausgelegt war. Und dann lag ich eine Woche lang jeden Abend mit geöffnetem Schlafsack in meinem winzigen Zelt auf der Isomatte. Denn die Temperaturen blieben auch nachts immer im zweistelligen Bereich. Das war im Februar. So unterschiedlich können die Erfahrungen sein! Jetzt schätzt ihr euer warmes Bett zuhause sicher umso mehr, oder 😁?

    Deine Anekdoten fassen klasse zusammen, was Europäern in einer fremden Kultur so alles auffällt und/oder merkwürdig vorkommt. Für uns Leser ist das sehr informativ und gleichzeitig unterhaltsam. Danke dafür!

    1. In der Theorie wusste ich zwar auch um die kalten Nächte in der Wüste. Doch in der Praxis hatte ich irgendwie völlig ausgeblendet, dass wir eine Übernachtung im Zelt hatten…😉

      Es ist schon so, dass einem als „Neuling“ in einem fremden Land viele ungewohnte Dinge auffallen, die aus Sicht der Locals völlig normal sind. Das macht das Reisen so spannend 😉

  3. Ey das Lager. Nie mehr will ich da hin. Dass schlimmste war die falsche Verlegung der Kabel und die Elektroheizungen daran. Statt 2000W hatten die Dinger 20W

    1. Und ich dachte, die Kälte und die Bandscheiben wären das Schlimmste… und das fröhliche, zugeräucherte Zelt 😛

  4. So heiß die Wüsten tagsüber sind, so ist es nachts ganz anders und Nachtfröste sind sicherlich keine Seltenheit. Diese enormen Temperaturunterschiede müssen enorme Auswirkungen auf die Menschen haben, die dort leben und sich bewegen. Jetzt konnten Sie es auch selbst erleben. Deine Fotos und Geschichten sind jedenfalls so fesselnd, dass du das alles um nichts in der Welt missen möchtest…
    Liebe Grüße,
    Rudi

    1. Besonders im Winter kann es in der Wüste sehr, sehr kalt sein. Ich freue mich, wenn dir meine Beiträge gefallen. Und du hast Recht, ich möchte die Zeit nicht missen. Gut, die kalten Nächte muss ich nicht nochmal haben 😉

  5. Hallo Kasia,

    eine neue Erfahrung. Man kann es kaum glauben: Wo tagsüber die Sonne brennt ist es nachts bitterkalt. Ich wollte schon fragen, weshalb dich Stefan nicht gewärmt hat.

    Interessant zu erfahren, dass die Jugend sich offensichtlich nach und nach von den alten Normen löst.

    Liebe Grüße
    Harald

    1. Wir hatten noch Glück, die Temperaturen können im Winter sogar in die Minusgrade gehen. Aber nochmal muss ich diese Erfahrung nicht machen, ich kenn es ja jetzt schon 😉

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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