Es ist einer der wenigen, entspannten Tage, an dem wir den Vormittag einfach mal chillen und ausschlafen dürfen. Theoretisch, also wer will. Doch einige der unseren sind früh aufgestanden und erkunden die Anlage. Die nicht belegte Dusche und Toilette waren mir die unchristliche Uhrzeit wert, und auch wenn ich gefroren habe wie ein Hund (wir wissen es noch nicht, doch von diesem Camp-Abenteuer werden wir nicht nur Erinnerungen, sondern auch eine ausgewachsene Erkältung mitnehmen…), doch jetzt fühle ich mich frisch und wach. Überhaupt finde ich mich wesentlich anspruchsloser und anpassungsfähiger auf Reisen als meinen Liebsten, der sich viel beschwert und mir hin und wieder die Laune verdirbt.
Das Frühstück gibt es erst um neun, und bis dahin suche ich mir ein sonniges Plätzchen und schreibe an „Kasia’s Abenteuern in der Wüste“ weiter. Die ganzen Eindrücke muss man konservieren, solange sie frisch sind, doch ich komme einfach nicht weiter und der Rückstand wird immer größer. Als sich Stefan leidend aus dem Zelt schiebt, versuche ich, nicht hinzusehen, um keine erneute Salve an Leidensbekundungen zu provozieren. Wahrscheinlich bereut er es gerade zutiefst, auf diese Reise mitgekommen zu sein.
Das Frühstück im großen Zelt ist fertig, als wir eintreffen. Es gibt Tee, Kaffee und Kardamom für die Verdauung. Und – wie es hier Sitte ist – biegt sich auch diesmal der Tisch unter lauter köstlichem Essen. Toastbrot, selbstgebackene, hauchdünne und knusprige Brotfladen, Ei- und Linsengerichte. Für diejenigen, die bereits jetzt so etwas wie Heimweh verspüren, gibt es sogar Nutella. Und Eier; nicht zu vergessen die selbstgemach… pardon: selbstgesammelten Eier, die Wasim eigenhändig und nur für uns den hier ansässigen Hühnern abgerungen hatte. Es gibt jedoch zu viele Eier für zu wenige Gäste, die zudem gar nicht wissen, womit sie sich die Bäuche zuerst vollschlagen sollen. Und so bleiben etliche Eier übrig. Das tut Wasim wiederum in der Seele weh, denn die frischen Eier würden sich nicht allzu lange halten. „Eggs?“ Fragt er und reicht den Korb herum. „Do yo wanna some eggs? Anyone wants eggs?“ Nein, lieber Wasim, man kann uns jetzt schon rollen.
Nach dem Frühstück bleibt noch etwas Zeit übrig und so setze ich mich abseits von meinem Zelt, an die Sitzgruppe unter einem Strohschirm, und schreibe an meiner Erzählung weiter. Ich bin froh, endlich ein wenig Zeit dafür zu haben. Und auch wenn ich gerne zu den anderen gehen würde, die sich vor dem großen Zelt im Schatten versammelt haben und vor sich hin chillen, so weiß ich, dass ich so einen langen, ruhigen Augenblick auf dieser Reise vielleicht nicht mehr bekommen werde. Die Sonne wärmt mich und die klare Luft trägt die Stimmen der Gruppe von weit her zu mir hinüber. Der Busfahrer ist zur Gruppe gestoßen und ich kann sehen, wie er eine Shisha in der Hand hält. „Komm, Kasia! Komm!“ Ruft er und zeigt auf die Shisha. Ich winke ab.
Stattdessen sitze ich da und sinniere über das eine oder andere nach, über die vielen Dinge, die mir in diesem Lande inzwischen aufgefallen sind. Das gibt Stoff für noch mehr Anekdoten, und so werden vielleicht die berühmten „Kasia’s Memorien“ bald fertig. „Kasia von Arabien“, wie sie auf einem schnellen, edlen Pferd durch die Wüste zischt.
Oder auf einem Quad. Letzteres bevorzugt.
Gedanken/Anekdoten aus Saudi-Arabien
Beifang
In der islamischen Religion ist es eine Sünde, Abbilder von Menschen anzufertigen. Deshalb fanden sich lange Zeit nur wenige Gemälde oder Skulpturen, die Menschen darstellen, ganz im Gegensatz zu Europa, wo der menschliche Körper schon seit dem Antiken Griechenland Sehnsuchtsobjekt und Fantasie zugleich war und in seinen schönsten Formen verewigt wurde. Seit es inzwischen Sozial Media gibt und die Araber dort vor allem bei Insta und Telegram sehr aktiv sind, hat sich das Darstellungsverbot etwas gelockert. Doch noch immer lassen sich besonders gläubige Muslime nur ungern fotografieren. Ich fotografiere hier grundsätzlich keine Menschen, aus unter anderem oben genannten Gründen. Sie tauchen allerhöchstens als Beifang auf meinen Bildern. By the way, ich stelle fest, ich habe ganz schön viel Beifang…
Westliche Aliens
Unsere Reisegruppe in einem lokalen Restaurant beim Frühstück. Von außen filmt ein junger Saudi mit seinem Handy das Geschehen. Er kommentiert sein Video mit den Worten: „Sie sind da! Sie sind gelandet! DIE ALIENS SIND DA!“
Westliche Frauen
Wir bewegen uns offen, frei, unverschleiert. Gehen dorthin, wo Männer hingehen. Sitzen gemeinsam an gemischten Tischen, essen gemeinsam zur Mittag. Benutzen, wenn es sein muss, auch mal dieselbe Toilette. Für die Einheimischen sind wir ein Kuriosum. Mit offenem Haar und unbedecktem Gesicht ist es fast so, als würden wir hier oben ohne herumlaufen. Wir werden teils neugierig, teils verwundert angeschaut. Doch da wir aus dem Westen stammen, gibt es kein einziges böses Wort. Wir haben hier tatsächlich so etwas wie Narrenfreiheit mit Absolution…
Frauen berühren
Es ist in der saudischen Kultur so, dass es nicht vorgesehen ist, mit Frauen in Kontakt zu treten, die nicht zur eigenen Familie gehören. Man gibt Frauen nicht die Hand, weil sich das nicht gehört. Ausnahme ist, wenn man die besagte Frau heiraten möchte. So haben die armen, jungen Männer kaum eine Möglichkeit, einmal die Haut einer Frau zu spüren… Unser junger Busfahrer hatte sich selbst eine Ausnahme von dieser Regel verordnet: am ersten oder zweiten Abend gab er mir die Hand. Unhöflich, die Geste nicht zu erwidern. Dabei hielt der junge Mann meine Hand länger als nötig und strich wie beiläufig mit den Fingern über mein Handgelenk. Eine Mitreisende erzählte mir später, bei ihr sei es ähnlich gewesen. Nun wissen wir also: es braucht nicht viel, um einen jungen Saudi glücklich zu machen…
Die deutsche Genauigkeit
Ort Albatha am roten Meer. Das Hagat Allat Motel ist besonders schick, voll elektrisch, mit LED-Spiegel als Nachtleuchte, silberglitzernden Stofftapete, einem elektronischen, von innen einstellbaren Display für „Bitte Raum reinigen“ und „Bitte nicht stören“. Dezente Einrichtung, bequeme Sessel, golden schimmernde Vorhänge. Doch ich bekomme mit, dass meine kritischen deutschen Mitreisenden selbstverständlich wieder einmal etwas zu Beanstanden gefunden haben…
Ein Störgeräusch
Stefan beginnt, mir den weiteren Verlauf der Reise aufzuzählen. Was natürlich bald darin mündet, wie viele Tage uns hier noch bleiben und wann der Rückflug dran ist. Ich verbiete ihm nach kurzer Zeit, weiter zu reden. „Es ist,“ erkläre ich ihm, „als wenn du in Radio dein absolutes Lieblingslied hörst. Plötzlich kommt von irgendwoher ein Störgeräusch dazwischen. Du versuchst, es nicht zu hören und dich weiterhin auf die Musik zu konzentrieren. Bitte, bitte, nur dieses Lied zu Ende. Doch irgenwann wird das Störgeräusch übermächtig. Es lässt sich nicht mehr ignorieren und du musst die Musik abschalten. Womöglich noch, während deine Lieblingsstelle im Lied kommt. Stefan…“ Sage ich. „Weißt du, was ich versuche, dir zu sagen?“
Mein „Störgeräusch“ gibt keinen Mucks mehr von sich…
Eine Decke extra
Steffen aus unserer Gruppe, der meist so still und zurückhaltend ist, dass man seine Anwesenheit glatt vergessen könnte, kommt noch vor dem Frühstück auf mich zu. Er bietet uns seine dicke, flauschige Decke für Stefan an, da er eines der Zweierzelte für sich alleine belegen kann und keine zwei Decken bräuchte, wie er sagt. „Für Stefans Bandscheiben.“ Sagt er. „Wärme hilft.“ Ich bedanke mich herzlich. Still und stets im Hintergrund, doch immer da, um zu helfen; mit dieser angenehmen Art erinnert er mich an Tomek aus Polen, der uns während der Georgien-Reise begleitet hatte. Steffen erzählt, dass es heute Nacht um die sieben Grad im Zelt waren. Kein Wunder, dass wir so gelitten haben. Später stellt sich heraus, dass Stefan die Extradecke nicht will („Sie rutscht immer von den Schultern runter…“), also profitiere ich von der zusätzlichen Wärmequelle.
Über Steffans Geschichte wissen wir zu dem Zeitpunkt nicht viel; erst später, im weiteren Verlauf der Reise wird er uns von seinem Werdegang erzählen. Bereits in jungen Jahren hatte er sich als Berufssoldat für die Bundeswehr verpflichtet lassen. Und ja, er war auch in Kriegsgebieten stationiert. Auf unsere Frage hin, warum man Berufssoldat wird, erklärt er, es sei des Geldes wegen gewesen. Doch es war kein leicht verdientes Geld, denn die Gefahr für Leib und Leben war immer präsent. Später dann begannen die privaten Reisen. Steffens Ziele waren ebenfalls abenteuerlich, es war, als suche er in seinen Reisezielen das, was er während seiner Zeit beim Bund kennen gelernt hatte. Es zog ihn in wenig erschlossene Regionen (Algerien, Mauretanien…), die man im Allgemeinen als „schwierig“ bezeichnen würde.
Die Zeit der Abfahrt rückt immer näher und ich schlendere nun doch hinüber zum Rest der Gruppe, um noch ein wenig von diesem Gemeinschaftsgefühl abzubekommen. Der Busfahrer und seine Shisha sind bereits verschwunden. Vor uns auf dem Tisch liegt ausgebreitet eine Karte von Saudi Arabien, ein älteres Exemplar und eine der wenigen, die Marco von irgendwoher ergattern konnte. Denn für das touristisch in der Kinderwiege liegendes Land gibt es kaum verwertbare Materialien und so etwas wie ein „Reiseführer Saudi Arabien“ hatte zu diesem Zeitpunkt noch nicht das Licht der Welt erblickt.
Mit dem Finger zeichnet Marco gerade die voraussichtlich geplante Reiseroute nach. Heute soll es nach Dadan gehen, in die saudische „Wiege der Zivilisation“.
Ach, was für wunderbare Anekdoten du hier mit uns teilst! Danke! Ich habe jede Zeile genossen. Bis auf die mit dem Störgeräusch. Da habe ich einfach nur mit dir mitgelitten 😅.
Ach ja, mein Stefan, mein einzigartiges Störgeräusch… schön dass du mich verstehst, liebe Elke. Aber er hat sich schon gebessert. Glaube ich… 🤔
Das will ich hoffen!
Vielen Dank für diese tollen Eindrücke aus einer anderen Kultur.
Freue mich, dass du gerne mitliest, Dankeschön dafür 🙂
Nochmals vielen Dank für das Teilen dieser Erfahrungen. Über all diese Reiseerlebnisse könnte man tatsächlich alles in einem Buch bündeln. Übrigens hast du auch alles nötige Fotomaterial, um es schön zu dokumentieren.
Wer weiß, vielleicht entsteht ja mal ein Reisebuch daraus 😉 ich frage mich aber mit der Zeit, wann ich das alles, was ich erlebe, niederschreiben sollte, ich komme jetzt schon nicht nach und es wird nicht weniger… 🙂
Ja, hast du das dennn nicht gemerkt? Der junge Busfahrer hat dir einen Heiratsantrag gemacht! Wenn man als Frau da nicht energisch widerspricht, gilt das als Zustimmung. Bald kommt er dich abholen…
Oh verdammt… und mein armer Stefan stand ahnungslos daneben…😅
Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mich als Busfahrer verdungen!
Tom, der Busfahrer von Arabien… 😉