Schon vom Weiten überzieht Rauch den Ort, schlängeln sich schmale Rauchsäulen gen wolkenverhangenem Himmel. Rauch dringt in die Nase, alles riecht wie in einem großen Zeltlager. Es duftet in erster Linie nach verbranntem Holz und ich denke mir noch nichts dabei.
Der Pashupatinah Tempel ist eine weitere Station am heutigen Tag. Das Schöne an einer Guidetour ist tatsächlich, dass man in kurzer Zeit viel zu sehen bekommt. Wir treten durch eine Art Tor, an dem die Tickets gekauft werden, und schlendern den baumgesäumten Weg in Richtung Tempelanlage.
Händler haben sich am Wegesrand niedergelassen und verkaufen alles, was das Herz eines Gläubigen begehrt, von den obligatorischen, orangenfarbenen Ringelblumenkränzen über Opferschalen bis hin zu Farbpulvern in allen Farben. Am meisten bin ich von den Farbpulvern fasziniert, sie leuchten in der Sonne und geben ein wahrhaft malerisches Bild ab.
Der Tempel Pashupatinah ist dem Gott Shiva, dem „Herr des Lebens“ geweiht. Doch im hinduistischen Glauben ist er auch Shiva, der Zerstörer. Er zählt zu den wichtigsten hinduistischen Heiligtümern und ist gleichzeitig Weltkulturerbe der UNESCO. Den Tempelhof und den Tempel selbst dürfen nur Hindus begehen.
Ich bin alleine, als ich mich den Ghats nähere, denn mit Batsu habe ich ab jetzt eine Vereinbarung. Er zieht sich zurück, solange, bis ich umhergeschlendert bin und mir alles zur Genüge angesehen habe. Danach hole ich mir alle Infos bei ihm ab. So verschwindet Batsu schnell in den Winkeln der Anlage und schon bin ich prädestiniert für die Versuche anderer Guides, sich von mir anwerben zu lassen. Ich wurde im Vorfeld von Batsu gewarnt. „Viele werden dich ansprechen, wenn sie sehen, dass du alleine bist.“ Und so ist es dann auch; als mein Guide im Schatten einer Treppe verschwindet, habe ich just im selben Augenblick bereits zwei oder drei potentielle Nachfolger an der Hand. Eine Frau will mir mit Farbe ein
rotes Tika auf die Stirn malen. Händler bieten mir Schmuck und Holzgeschnitztes an.
Ich erwehre mich erfolgreich aller geschäftstüchtiger Zeitgenossen. Jetzt lasse ich mir zunächst einmal genügend Zeit, um einen ungestörten ersten Eindruck zu bekommen. Mit der für den Ort angemessenen Langsamkeit nähere ich mich den Ghats. Der Bagmati Fluss teilt die Anlage in zwei Bereiche, die durch Brücken verbunden sind; die Bestattungen finden auf der Seite zum Tempel hin statt.
Viel ist heute nicht los und auch die Anzahl der ausländischen Besucher hält sich in angenehmen Grenzen. Am Ufer haben sich Wahrsager niedergelassen, Handleser und andere. Bunte Regenschirme spenden ihnen Schatten. Und ihre Dienste werden von den Einheimischen tatsächlich genutzt, denn wer möchte nicht einen Blick in seine Zukunft werfen, vor allem wenn
er an diese Dinge glaubt?
An der umgrenzenden Mauer, im Schatten der Nischen sitzen Sadhus. Diese farbenfrohen, alten Männer in leuchtenden, orangenen Gewändern meditieren nicht, sie warten auf Touristen. Die mit Farbe und Asche bemalten Gesichter und die Ringelblumenkränze auf dem Kopf sind sicherlich ein Hingucker. Ich lasse mich von ihnen ansprechen und verhandle erstmal den Preis.
Dann posiert der Sadhu-Mann nach allen Regeln der Kunst und bietet somit das, was der gemeine Tourist sehen und auch haben möchte: ein Bild der Exotik wie aus dem Katalog. Später, gegen Ende meiner Reise durch Nepal erfahre ich, was ich mir bereits jetzt schon denke: diese Männer in bunten Kleidern sind im Grunde ein Fake. Sie sind nichts weiter als eine Touristenattraktion, denn ein richtiger „heiliger Mann“, wie mir ein Nepalese erklärt, würde so etwas nicht tun. „Ein echter Sadhu bleibt in den Bergen und meditiert. Doch wir respektieren auch diese hier.“
Die „heiligen Männer“, deren eine große Zahl aus Indien nach Nepal gekommen ist, haben in der Tourismusbranche für sich ein richtig erfolgreiches Geschäftsmodell entwickelt. Oft sind es junge Männer aus unteren Gesellschaftsschichten, die sich dazu entschließen, ihr Leben als Sadhu zu führen. Sie ziehen durch die Lande und leben von Spenden der Menschen. Der spirituelle Status, den sie besitzen, sichert ihnen den allgemeinen Respekt der Bevölkerung und da sie dem Gott Shiva geweiht sind, dürfen sie als einzige offiziell Marihuana konsumieren. Aus spirituellen Gründen, versteht sich – schließlich hat Shiva es auch getan. Und sie verdienen sich etwas dazu, indem sie für Bilder von Touristen posieren.
Schmutzig braun schlängelt sich der Bagmati-Fluss zwischen den steinernen Treppen hindurch. Links und rechts führen Treppen nach oben, so dass man jeweils bei Zeremonien einen guten Überblick über das Geschehen hat. Affen huschen hin und her – man sollte ihnen nicht zu nahe kommen, denn sie können aggressiv sein. Als einer der Affen ganz nahe an mir vorbei rennt, umklammere ich mein Smartphone fest mit beiden Händen.
Zwei der Ghats sind am brennen und werden von Priestern überwacht; ganze Familien haben sich hier versammelt. Je näher am Tempel, umso teurer die Bestattung, doch man kann davon ausgehen, dass Menschen, die sich hier zur letzten Ruhe führen lassen, aus wohlhabenden Verhältnissen stammen. Die sog. Arya Ghats waren bis zur Abschaffung der Monarchie der Königsfamilie vorbehalten und sind auch heute mit höheren Kosten verbunden, als die etwas weiter entfernten und günstigeren Surya Ghats.
Das teuerste ist das Feuerholz; ein Körper brennt nur so lange, wie das Feuerholz ausreicht. Wer es sich leisten kann, legt zum normalen Feuerholz das kostbare, gut duftende Sandelholz dazu. Die brennenden Ghats sind geschmückt mit den allgegenwärtigen Ringelblumen und der Leichnam selbst ist mit feuchtem Stroh bedeckt, was die starke Rauchentwicklung während der Verbrennung erklärt. Etwa vier Stunden dauert es, bis der Verstorbene vollständig verbrannt ist. Nach der Zeremonie werden die Überreste mitsamt den Holzkohlestücken, dem Schmuck und den langen Stäben von einem Priester in den Fluss geschoben und somit der Platz für eine neue Zeremonie geräumt.
Das Wasser des Flusses gilt als heilig und es werden auch rituelle Waschungen durchgeführt, wie ich mit etwas Befremden beobachte. Später erzählt mir Batsu, dass es seit einiger Zeit verboten ist, das Wasser des Flusses zu trinken, doch ich bezweifle, dass ein solches Verbot auf einen gläubigen Hindu Eindruck macht.
Schon gestern bei meinem Spaziergang durch Kathmandu konnte ich beim Überqueren des Bagmati River sehen, wie Plastikmüll, leere Flaschen und andere Teile auf den Wellen des Flusses fröhlich vor sich hin schippern. In der Mitte des Flusses hatten sich ganze Inseln aus Plastikmüll gebildet.
Wie ist es für mich, bei der Verbrennung von Verstorbenen dabei zu sein? Anders, als ich gedacht hätte. Die Thematik des Lebens und des Sterbens ist mir nicht fremd und ein jedes Land hat hier andere Sitten und Traditionen. Ich dachte, es würde mir mehr ausmachen, als es dann tatsächlich der Fall war. Es hat mich nicht verstört, tote Menschen am Flussufer verbrennen zu sehen. Ich kann auch jeden beruhigen, der noch nie bei dieser Art Bestattung dabei war: man sieht keine toten Körper. Die Verstorbenen sind mit Holzstücken und Stroh bedeckt, das Ganze ist geschmückt und brennt dann mit der Zeit ab. Es ist kein Ort für Sensationslustige.
Die Impressionen, die Farben…
Es gibt Dinge, die einen sehr starken Eindruck hinterlassen, sich in das Gedächtnis einbrennen. Und dann gibt es Erlebnisse, die es nicht tun, obwohl sie es eigentlich sollte, möchte man meinen. Die schnell wieder verblassen. Der Besuch des Pashhupatinah Tempels war so ein Erlebnis. Ich habe im Großen und Ganzen damit gerechnet, dass er mich stärker mitnehmen würde. Vielleicht wenn ich alleine dort gewesen wäre.