Während unserer Rückfahrt nach Kutaissi nieselt der Regen, tröpfelt leise, jedoch stetig auf die Frontscheibe und verkündet den unumkehrbaren Wetterumschwung. Indessen ergötzen wir uns weiterhin an der Landschaft. Wie Puzzelteile verschieben sich einzelne Elemente vor unseren Augen. Hier ein Tal, da ein grüner Hang, dort eine Wiese, wahlweise mit Kühen und Schafen garniert. Wie atemberaubend das alles um einen herum auch erscheinen mag, nach einem ganzen Tag Action muss man aufpassen, dass man nicht abstumpft. Man versucht einfach nur, taumelnd vor Glück und vor Ehrfurcht, das festzuhalten, was nicht festzuhalten ist. Ich werde das hier vermissen, das weiß ich jetzt schon.
An einem Aussichtspunkt halten wir an. Normalerweise ist dieser Platz hier einer der malerischsten an der Georgischen Heerstraße, doch heute gibt es nicht viel zu sehen. Eine regennasse, verwaiste Sitzbank wartet vergeblich auf Besucher. Die Wolken schieben sich vor das Tal und umwabbern die Berge, es ist kalt und ein kräftiger Wind zerrt an der Kleidung und an unseren Gliedern. Und an der Georgienfahne, die hier malerisch flattert, die grüne Bergwelt im Hintergrund.
Die Lkw-Kolonne ist noch immer da, als wir weiter fahren, und auch diesmal kann ich es kaum fassen, zu sehen, über was für lange Strecken die Fahrer stoisch ihr Schicksal ertragen. Anscheinend ist die Situation hier längst bekannt, denn niemand rastet aus, stattdessen hat man sich in das Raster der Wartenden gefügt. Irgendwann wird es schon weiter gehen, war es doch schon immer irgendwann weiter gegangen. Ich bin voller Bewunderung, denn die Schlange reiht sich bis an den Horizont.
Das Denkmal der russisch-georgischen Freundschaft
„Vor zehn Jahren,“ erinnert sich Tomek wehmütig, „sind wir mit dem Motorrad einfach vor und in die Mitte gefahren.“ Abgestiegen seien sie, Bilder gemacht und den Anblick von den hohen, sanft gerundeten Bergen auf das Tal genossen. Das sei nun nicht mehr möglich. Längst ist das postsowjetische Monument Opfer einer großen touristischen Kampagne geworden. Nun stehen Souvenirstände auf dem Vorplatz, und das Besichtigen des Bauwerks kostet Eintritt. Wieviel, das eruieren wir nicht. Denn wir halten gar nicht erst an. „Im Vorbeigehen“ schieße ich zwei bis drei Bilder aus dem Autofenster (dafür sind die Bilder erstaunlich brauchbar geworden) und weiter geht unsere Reise über die georgische Heerstraße.
Dabei hat das Denkmal (ob es als schön oder hässlich empfunden wird, muss jeder für sich entscheiden, auf jeden Fall wirkt es eindrucksvoll bunt in der Landschaft) Geschichte am Stecken. Und die ist, wie auch das Verhältnis zum großen Nachbarn Russland, nicht ohne Zwischentöne.
Der Errichtung des Denkmals liegt der zweihundert Jahre zuvor unterzeichnete Georgiejewsk-Vertrag zugrunde. Im Laufe vergangener Jahrhunderte fiel Georgien den häufigen Feldzügen eroberungsfreudiger Perser und Türken zum Opfer. Auf der Suche nach einem starken Partner, der sie im Kampf gegen den Angreifer unterstützt, wandten sich die Georgier also an Russland. Das Nachbarland sagte seine Unterstützung und militärische Hilfe zu, und im Jahr 1783 wurde zwischen beiden Ländern der Vertrag von Georgiejewsk geschlossen. Die folgenden Jahre über wurde Georgien, ungeachtet des beschlossenen Vertrages, nicht von Überfällen verschont. 1795 wurde Tiflis von persischen Angreifern zerstört. Mit der Hilfe Russlands kamen die Georgier jedoch sozusagen vom Regen in die Traufe, denn der „große Bruder Russland“ hatte eigene Pläne. Russland schickte seine Truppen „zum Schutz“ nach Georgien – und blieb. 1801 wurde Georgien von Russland annektiert.
Das Denkmal der georgisch-russischen Freundschaft wurde zweihundert Jahre später, als die Sowjetunion bereits im Zerfall begriffen war, vom georgischen Architekt Giorgi Tschakhawa entworfen. Das halbrunde Gebilde ist auf der Innenseite mit bunten Kacheln gestaltet, die sowohl georgische als auch russische Legenden und Überlieferungen darstellen. Und wäre die Geschichte dahinter nicht so zwiespältig, so fände ich es als eine schöne Idee. Doch wie ist es wohl heute und wie stehen wohl die Georgier zu diesem Bauwerk? Vermutlich (und das ist hier reine Spekulation) ebenso wie die Polen zu ihrem Warschauer Kulturpalast, der auch als „Stalins Stachel“ bezeichnet wird: pragmatisch. Was da ist, ist nun mal da und wenn sich schon ein paar Lari damit verdienen lassen, so what…
Der beste Schaschlik im Kaukasus (oder so ähnlich…)
Wir sind bereits einen ganzen Tag lang unterwegs, und obwohl das Frühstück gewöhnungsgemäß üppig ausfiel, zwickt so langsam der Magen. Hm, was könnte man dagegen tun. Tomek suggeriert, eine der Schaschlik-Buden am Rande der vielbefahrenen Straße aufzusuchen. Braungegerbte, abgebrühte Kraftfahrer, eine Landesgrenze nach der anderen passierend, lassen sich hier, an den vielen Raststätten hernieder, um sich ein Päuschen zu gönnen und den Magen mit gutem, deftigem Essen zu stärken – wenn wir hier nicht fündig werden, wo dann.

Eine solche Raststätte steuern wir alsbald auch an. Auto abstellen, absteigen. Beim Betreten der guten Stube werden wir von den dasitzenden und schwadronierenden Männern gemustert. Mit düsteren (vielleicht erscheint es mir auch nur so) Blicken aus tiefgelegenen Augen begutachten sie uns, die Neuankömmlinge, um sich dann wieder ihrem Schwätzchen zu widmen.
Wir nehmen Platz um den großen, langen Tisch und legen unsere Jacken ab. Natürlich bestellen wir Schaschlik, die Empfehlung des Tages und hier, in der Kazbegi-Region wohl der beste des ganzen Landes. Sofort stürmt die Hausherrin los, und kurz darauf braten die Spieße über der bloßen Glut im Kamin. Während wir an unseren Getränken nippen, schielen wir immer wieder zu dem gemütlich flackerndem Kamin, dem mit einem Mal ein köstlicher Duft entsteigt.
Der gute Mann am Empfang offeriert nicht nur Essbares. Schnell erspähen unsere Touristenaugen die vielen, in Handarbeit gefertigten, halbrunden Mützen im georgischen Stil, und sofort sind Jacob und mein Onkel leidenschaftlich damit beschäftigt, anzuprobieren und die vielen Muster zu vergleichen. Dass solche Mützen wohl nur von georgischen Schäfern getragen werden, stört sie dabei wenig. Auch nicht die Tatsache, dass sie ein solches Kleidungsstück wohl nirgendwo in Polen werden tragen können (denn ob ihr es glaubt oder nicht, es laufen bei uns keine Eisbären herum…). Eine georgische Mütze muss her. Mehr und mehr verschiedener Exemplare holt der Verkäufer aus seinem Regal herunter auf den Tresen. Nein, diese Mützen sind kein Touristenschnikschnack, sie werden eigens für die Leute hier gefertigt. Umso mehr ein Grund, eine zu erstehen.
Dann ist es getan und mein Onkel steht als waschechter Georgier vor uns. Mit grimmiger Miene posiert er am Kamin vor den Schaschlik-Spießen.
Apropos Schaschlik. Die frischen, warmen Beilagen, Suppe und knackige, köstliche Brotfladen, werden auf dem Tisch drapiert, doch eigentlich freuen wir uns auf eine richtige Portion fetttriefenden Fleisches. Unter unseren hungrigen Blicken bringt die Wirtin den Teller an den Tisch und die großen, gebratenen Stücke wandern herum. Bis… ja. Bis beim dritten Teller nichts mehr vom guten Schaschlik ankommt. „Waren das wirklich alle Spieße?“ Fragen wir uns, während wir erwartungsvoll umherschauen. Da muss doch noch eine Portion kommen…?
Aber nix da. Wie es aussieht, haben wir, ohne es zu merken, alle drei Spieße vertilgt. Und haben noch Hunger. Was tun? Die Zeit drängt, sollen wir nochmal bestellen? Bezahlen und weiter fahren? „Das können doch unmöglich alle Spieße gewesen sein.“ Murren diejenigen von uns, die bloß ein oder zwei Stücke ergattern konnten. „Wir sollten uns beschweren.“ Doch beschweren tut sich von uns keiner, das erscheint uns angesichts des grimmig aussehenden Klientel da draußen unserem Wohlbefinden nicht zuträglich. Die Männer schnappen sich ihre georgischen Mützen und wir verlassen die Raststätte. Nun ja, denke ich mir, um mich mit mir selbst zu versöhnen: zu viel Fleisch soll man ja auch nicht essen… Und unter, ganz im Vertrauen: im Nachhinein glaube ich wirklich, dass wir einfach zu wenig bestellt haben… 😉
Köstlich jedoch war es. Sieht selbst…
(Kleines Update: inzwischen bin ich fest davon überzeugt, dass wir den guten Leuten Unrecht getan haben. Wieso? Na ja, das ist wohl der Vorteil, wenn man es sich angewöhnt, alles zu fotografieren. Drei Schaschliks im Ofen, ebenso viel waren auf dem Teller. Tja, das können die Touristen, erst alles aufessen, und dann meckern 😉 )
A long way home
Eine lange – eine sehr lange Fahrt ist es, die nun vor uns liegt. Denn um morgen das nächste geplante Ziel, Batumi am Schwarzen Meer, zu erreichen, übernachten wir wieder in Kutaissi. Doch einen direkten Weg dorthin gibt es nicht – die Georgische Heerstraße führt uns zunächst zurück in Richtung Tiflis, von wo wir einen Schlenker über die Hauptstraße nach Südwest machen. Und auch wenn der Weg frei ist – bis auf die obligatorischen paar Kühe auf der Fahrbahn – so kommen wir erst am späten Abend an. Den Weg überstehen wir düsend im Auto, zumindest diejenigen von uns, die nicht fahren müssen. Mit leiser, monotonner Stimme warnt Tomek meinen Onkel, den Fahrer, vor regelmäßig auftauchenden Blitzern. Denn Blitzstationen gibt es hier zuhauf. Und so vernehme ich in meinem Schlummer zwischendurch immer mal wieder: „…Blitzer. Da, wieder ein Blitzer. …Blitzer…“
Apropos Blitzer; etwas überraschend geraten wir auch in eine Polizeikontrolle. Überraschend deshalb, weil die örtlichen Sicherheitskräfte normalerweise wohl angewiesen werden, Touristen nicht zu „belästigen“, wie wir zwischendurch erfahren. Da haben sie sich wohl vergriffen – mein Onkel und Jacob, oder besser gesagt, ihre authentischen, georgischen Mützen sind wohl daran schuld. Einmal pusten, weiter fahren. Hat nicht weh getan.
Die Besitzer begrüßen uns freudig, sie haben es wohl nicht erwartet, uns so spät wieder zu sehen. Auch „unsere“ Zimmer sind frei, so dass wir glücklich und müde gleich unser Gepäck hinauf bringen können. Hier, in Kutaissi, hat alles angefangen; hier haben wir zum ersten Mal die georgische Gastfreundschaft in Form des sich vom Essen biegenden Tisches und der Extraflasche Wein kennengelernt. Und hier wird auch unsere Reise enden.

Mir tun die LKW-Fahrer leid. Was ist aus dem Beruf geworden. Früher Kapitän der Landstraße – heute Sklave einer elektronischen Fahrerkarte, die jeden kleinsten Verstoß aufzeichnet – selbst noch Tage und Wochen später nachvollziehbar.
Und wer mal stundenlang in so einer LKW-Schlange gestanden hat, der wird das Gefühl kennen, wenn man auf Toilette muss – weit und breit aber kein WC ist. Pieseln geht ja noch – obwohl auch das nicht wirklich hygienisch ist. Aber wenn man „groß“ muss – dann ist aber echt „die Kacke am dampfen“..
Ich freu mich aber, dass deine Reise so voller Eindrücke war (sehr häufig kulinarischer Art) – auch wenn Du höchstwahrscheinlich nach dieser Ess und Trink-Reise einen Termin zur Fettabsaugung und eine Woche Betty Ford-Klinik buchen wirst. 🙂
Bleib gesund
CU
P.
Nach der Reise hatte ich tatsächlich eine Fastenzeit eingelegt… 😉 Die Lkw-Fahrer tun mir auch leid, ein undankbarer Job. Mag ich mir gar nicht vorstellen… Wobei sie vermutlich auch für „groß“ hinter den Lkw gehen, verdenken kann man es ihnen nicht…
Bei dieser Mahlzeit wäre es für euch von Vorteil gewesen, mich dabei gehabt zu haben. Ich hätte euch meinen Anteil komplett überlassen 😁. Aber so war natürlich jede(r) von euch von gieriger Konkurrenz und Futterneid umzingelt!
Nicht ganz… eigentlich hatten wir vor, alle brüderlich zu teilen. Als der volle Teller rumging, nahmen sich die ersten so eins- bis zwei Stücke, und den anderen haben wir gesagt, macht ruhig alle, da kommt noch eine Portion. Tja, die besagte Portion kam leider nicht und wir hatten uns, was das Fleisch geteilt durch die Personenanzahl betrifft, vollkommen verkalkuliert… 🙂
Sowas sollte besser nicht vorkommen 😇
Nein, besser nicht… Fressneid gehört mit zu den bedrohlichsten Szenarien, die ich kenne 😉
Absolut!
Looks delicious (but also hot) 😉
It was very delicious 😉