Historisch, schön und völlig unterschätzt sollte der Titel wohl lauten – wenn er nur nicht so verdammt lang wäre. Doch er passt, er passt wie angegossen. „Ich wusste gar nicht, wie hübsch dieses Örtchen ist!“ Möchte ich am liebsten einem Handwerker zurufen, während ich durch die leeren Nachmittagsgassen schleiche. Es ist unter der Woche und ich bin zu einer Uhrzeit unterwegs, zu der sich alle anständigen Bürger auf Arbeit befinden. Oder in Homeoffice. Ich bin nicht anständig und die Stadt ist mein.
Schon bei der Anreise mit dem Auto fühle ich ihn nahen, den perfekten Tag. Es ist manchmal so, dass man es in den Knochen hat. Heute wird es ganz besonders. Die Sonne scheint, keine einzige Schleierwolke verdeckt den Himmel. Und während ich entspannt durch die Feldstraßen cruise, spielt das Radio ausschließlich meine Lieblingsmusik. Kein Wunder, denn es ist Throwback Thusday. Als ich in Heppenheim am Friedhof ankomme und aus den Neunzigern Sammy Deluxe‘ „Weck mich auf“ läuft, möchte ich am liebsten gar nicht mehr aus dem Auto steigen. Weck mich nicht auf.
Die Heppenheimer Altstadt ist weitgehend leer. Nur wenige Fußgänger verirren sich hierher, doch das ist auch außerhalb der coronabedingten Isolation so. Heppenheim war noch nie ein allzu touristischer Ort, und wenn ich mir andere overhypte Ortschaften ansehe, erscheint es mir ungerechtfertigt. Ein übersehenes Juwel tummelt sich hier an der Bergstraße, seit Jahrhunderten wartet es bereits auf seinen Entdecker.
Der Marktplatz
Die Heppenheimer sind ein kontaktfreudiges Völkchen. Vielleicht liegt es daran, dass es heute so wenige sind, die auf Bänken oder beim Spazieren die Sonne genießen. „Da möchte man gleich einen Kaffee trinken gehen, stimmt’s?“ Fragt mich eine ältere Dame, während ich gedankenverloren auf ein corona-geschlossenes Café starre. In einem dieser Lokale hatte meine Mutter vor Jahren gearbeitet und viel später dann meine Freundin. Heppenheim war meine erste Station hier in Deutschland damals, in den Neunziger Jahren, und doch hatte ich keinen Blick als Zwölfjährige dafür, wie sehenswert die Altstadt hier ist. Das hat sich heute geändert.
„Aber wenn Sie einen Kaffee trinken wollen, da habe ich einen Tipp für Sie.“ Sagt die Frau verschwörerisch. „Da vorne geht eine Straße rein und dort ist eine Bäckerei. Die haben einen leckeren Cappuccino. Gehen Sie da mal hin.“ Ich bedanke mich bei der Dame und frage noch beim Weggehen: „Ist hier am Marktplatz Maskenpflicht?“ Sie, selbst keine Maske tragend, schüttelt kurz den Kopf und grinst verschmitzt in sich hinein. „Nöö…“
Ich will zu dieser empfohlenen Cappuccino-Bäckerei. Ja, ich will wirklich dorthin. Aber ich werde unterwegs immer wieder abgelenkt, sei es durch pittoreske Häuser, versteckte Gärten, Pflanzenranken, zauberhafte Bänkchen, Häschen und sonstige Osterdeko in den süßen Fenstern. Und von viel Fachwerk. Ja, ich weiß. Ich habe oft und an vielen Stellen geschrieben, dass ich mich an Fachwerk sattgesehen hätte und das stimmt auch – mehr oder weniger. Manchmal ist die Lust groß, einfach mal kein Fachwerk zu sehen, aber wenn es schon mal da ist… Es ist ja auch schön, so ist es nicht.
Die Kirche St. Peter
Die Kirche St. Peter ist, zumindest von der Seite, aus der ich mich ihr nähere, über eine hohe Treppe zu erreichen. Und während ich dort hinauf und gegen die Sonne fotografiere, fällt mir erst zu spät das versteckte Pärchen auf, das sich wohl hier den Blicken von Bekannten zu entziehen versucht. Sie verbirgt ihren Kopf auf seiner Schulter, während er sie im Arm hält. Nur ihr weißes Kopftuch ist zu sehen. Ich laufe schnell weiter und grinse vor mich hin. Ich hab nix gesehen, mein Name ist Hase. Ich weiß von nichts.
Die Liebe findet immer einen Weg…
Die Kirche St Peter ist das Bauwerk schlechthin, welches fast genauso wie die Starkenburg die Umrisse und den Charakter der Stadt prägt. Während die Starkenburg sich immer wieder zwischen den schiefen Fachwerkbauten abzeichnet, mal kleiner, mal größer inmitten von grünem Gras und kahlen Weinreben, wird die Kirche später bei meinem Aufstieg zu sehen sein. Aber das ist jetzt noch zu früh, ich greife vor.
Ich erzähle euch später, was ich beim Aufstieg schon wieder gelitten habe…
Der Kirchplatz ist komplett leer bis auf die schwarze, glänzende Mercedes-Limousine, die auf dem Platz wendet. Überall blüht es; die zarten rosa Blüten der wiegenden Baumkronen vermischen sich mit der sonnenerfüllten Luft. Ein leichter, warmer Wind zieht über den Platz und die Sonnenstrahlen lassen die blühenden Zweige fast ätherisch wirken. Ich verausgabe mich beim Fotografieren. Später werden sowieso nur die schönsten Aufnahmen den Weg in meinen Bericht finden, doch im Moment ist es wie im Rausch beim Sonderschlussverkauf. Je mehr ich mitnehme, umso besser; später wird aussortiert.
Dann ziehe ich brav meine FFP2 Maske über Mund und Nase. Ja, liebe Leute; das gehört zu unserer neuen, apokalyptischen Realität dazu.
(Ich frage mich die ganze Zeit nur, wann die vier Reiter kommen und mich abholen…)
In der Kirche sind sie schon mal nicht, diese vier Reiter der Apokalypse. Diese ist weitestgehend leer, bis auf die schwarzhaarige Frau, die in der vordersten Reihe sitzt. Betet sie etwa? Einmal störe ich sie kurz mit dem aufdringlichen „klick“ meiner Kamera. Das Geräusch wird vielfach von den Wänden zurückgeworfen und potenziert. Es ist eine dieser Kameras, die eigentlich in Hongkong für den chinesischen Markt produziert wurden. Kleiner Nachteil ist, dass sich die Kamerageräusche nicht abschalten lassen; das haben mir diejenigen Asiaten eingebrockt, die es nicht lassen konnten, Frauen unter die Röcke zu fotografieren. Doch mit dem nicht ausschaltbaren „klick“ kann ich gut leben, denn das Objekt der Begierde hat mich nur zwei Drittel des ursprünglichen Preises gekostet.
Ich verzichte auf das Umherlaufen und setze mich hin. Doch schlussendlich bleibe ich nicht lange. Nur mal den Schatten und die stille Atmosphäre der Kirche genießen. Die Frau dreht sich kurz um.
Der Heppenheimer Laternenweg
Die Altstadt ist leer und doch voller Mythen. Die Mythen- und Sagenwelt aus Heppenheim selbst und aus dem Odenwald wurde hier festgehalten in Form von kunstvoll gestalteten Straßenlaternen mit Scherenschnitten, die nachts illuminiert werden und ein mysteriöses Licht werfen.
Jede Laterne ist ein Unikat und jede Laterne erzählt eine Geschichte. Ob von der verzauberten Ente, die manchmal im Marktbrunnen erscheint, von dem Geist in Bäckersgestalt, der unvorsichtige Frauen mit Mehl bestäubt, vom Teufel und vom Advokaten oder von den Winzern, die den Teufel jagten und einen Abhang hinunter stürzen ließen; der Fundus an Märchen und Überlieferungen ist scheinbar unerschöpflich. Am liebsten würde ich mir jede einzelne Laterne anschauen, und wer möchte, kann das auch. Und zwar auf dem Heppenheimer Laternenweg.
Rund hundertfünfzig solcher Laternen finden sich in und um die Heppenheimer Altstadt. Geschaffen wurden sie vom Künstler Albert Völkl. Abends nach Einbruch der Dunkelheit werden die Laternen zu leuchtenden Wegweisern. Bei einer geführten Tour kann (konnte…) sich der Besucher von in altertümliche Gewänder gekleideten Gestalten in die verzauberte Welt der Heppenheimer Mythen entführen lassen. Aktuell werden, ganz corona-konform, auf der offiziellen Website der Stadt digitale Audioführungen angeboten. Hexen, Teufel und verzauberte Wesen, sie alle finden darin Platz.
Der Fünf-Minuten-Pfad
Es klingt zu schön, um wahr zu sein. Das Schild „Fünf Minuten-Pfad“ verspricht, oder nein; suggeriert einen schnellen Weg oben auf die Burg. Obwohl mir schwankt, dass ich nie und nimmer in so kurzer Zeit auf dem Berg sein kann (außer man katapultiert mich hinauf…), so bin ich immer wieder geneigt, solch leeren Versprechungen anheim zu fallen. Alles, was sich nach „leicht“ und „einfach“ anhört, wird von mir bereitwillig geglaubt. Fröhlich folge ich also den Schildern. Eine große Wahl habe ich nicht, auch wenn es dreißig Minuten dauert; schließlich will ich da rauf.
Habe ich gewusst, als ich vor anderthalb Stunden das Auto am Friedhof parkte, dass ich die Burg hinauf wandern will? Nicht wirklich, denn ich halte mir solche Optionen immer offen. Na gut, ich hatte da so eine grobe Idee. Gut, dass das Auto weit weg ist, denke ich schnaufend, während ich auf dem „Fünf-Minuten-Pfad“ einen Fuß vor den anderen stelle. Der Weg, der so einfach hätte sein sollen, führt mich in einem Schleifchen einmal an den Weinreben vorbei. „Das ist ein wunderbarer Weg.“ Sagt eine der zwei Damen, die mir gerade entgegen kommen. „Der lohnt sich.“ Ja, leicht gesagt, denke ich mit Schweißperlen auf der Stirn. Schließlich tänzelt ihr den Berg gerade leichtfüßig runter.
Gut, zugegeben. Von einem Berg kann man hierbei wirklich nicht sprechen. Die Starkenburg liegt auf gerade mal 295 Metern Höhe. Doch dieser Gedanke tröstet mich nicht. Zwischenzeitlich spüre ich meine Lunge, die rausgekotzt werden möchte. Warum quäle ich mich nur so gerne? Ich stampfe weiter und schwöre mir hoch und feierlich, nie wieder eine Zigarre anzurühren.
Doch ich komme nicht umhin, die Schönheit des Frühlings und dieses verwunschenen Pfades zu bemerken. Abwechselnd spenden dicke Efeuranken und schneeweiße Blüten Schatten, blühende, junge Bäume und Sträucher bilden ein duftendes Dach. Es riecht nach weißen Blumen, süß und süffig und die Stadt, dominiert von der St Peter Kirche, entfernt sich immer weiter im diffusen Licht des Frühlings.
Der Fünf-Minuten-Pfad geht schon seit gefühlt einer Stunde, sage ich zu den beiden Damen. Ja, lacht die eine: „Fünf Minuten reichen nicht. Die haben da die Null vergessen…“
Trotzdem folge ich dem Schild. Irgendwann taucht es nicht mehr auf, es gibt nichts mehr, dem ich folgen könnte. Hätte ich etwa irgendwo abbiegen sollen?
Aufstieg zur Starkenburg
Mit dem Aufstieg zu diversen Burgen ist es immer so eine Sache. Man müsste eigentlich nur querbeet den Berg rauf, stattdessen schicken dich die Schleichwege a la „Premium-Wanderung“ in Schleifchen zehnmal um den ganzen Berg. Man neigt auch zu sehr dazu, anderen Menschen hinterher zu gehen. Ich frage bei einem Jungen nach, der wie eine Gazelle zwischen den Reben umher sprintet. Ja, meint er: da hätte ich vor einiger Zeit schon abbiegen müssen. An den roten Bänken. Dankeschön.
Der Pfad, der sich hier abspaltet, sieht sehr… eigenwillig aus. Auch ein Schild sehe ich nirgends, aber der Junge meinte, ich soll hier abbiegen, also biege ich hier ab. Diesmal fühlt sich das Aufsteigen nicht mehr so nach freiwilligem Tod an; wahrscheinlich gewöhnen sich meine Lungen langsam daran, dass heute was von ihnen verlangt wird. Trotzdem schimpfe ich mich blöde beim Gedanken daran, dass es hier einen bequemen, asphaltierten Autoweg hoch zur Burg gegeben hätte. Doch so ist wohl der Mensch – er muss unbedingt überall zu Fuß hinauf kraxeln, nur um aller Welt zu zeigen, dass er es kann.
Dann wird es etwas ebener; ich bin wieder eine Etage höher und auf meinem Weg sehe ich zweierlei Dinge: zum einen ein parkendes Auto, zum anderen eine Gruppe Menschen, die hier anscheinend mehr oder weniger „zu Hause“ sind und gerade verwundert in meine Richtung schauen. Ihren Blicken entnehme ich, dass das kein offizieller Wanderpfad ist und sie mit mir nicht gerechnet haben.
Ich stelle mich hin, grüße, wie man das so macht, und frage in die Runde, ob es denn hier hinauf zur Starkenburg geht.
„Zur Starkenburg?“ Sagt der bärtige Mann. „N-nein.“
„Scheiße.“ Entweicht mir wie aus der Pistole geschossen und sorgt für Heiterkeit bei den Umstehenden. Ja, vielleicht doch, spricht der Mann weiter. Ich werde aufgeklärt. Es gäbe einen Weg, doch der sei… hier folgt kurzes Zögern. Der sei etwas wild. Bäume lägen kreuz und quer im Weg herum. „Also wenn Sie querbeet gehen wollen…?“ Sagt die Frau. „Dann vorne an den Bienen rechts.“
Gekauft! Rufe ich fröhlich und bedanke mich. Den nehme ich. Was gibt es schöneres als im Wald über Baumstämme zu klettern. Das kriege ich auch noch hin.
Über Stock und Stein
Schon nach wenigen Metern, hinter einer Kurve, erreiche ich die Bienenstöcke.
Dahinter befindet sich der versprochene, wild-romantische Pfad. Und dieser ist wahrlich nicht dazu gedacht, dass hier verlorene Wanderer entlang stolzieren, weshalb ich nicht unbedingt damit rechne, jemanden anzutreffen. Links von mir sehe ich einen abgesperrten Steinbruch, rechts geht es runter vom Berg. Und in der Mitte die versprochenen Bäume, die quer den Weg säumen. Sie lassen sich leicht umgehen beziehungsweise erklettern, so dass das ganze einen Hauch von Abenteuer light bekommt. Zwischenzeitlich krieche ich auf allen Vieren, um die leuchtend gelben Blümchen mit meiner Kamera zu erfassen.
Endlich Starkenburg
Doch schon nach kurzer Zeit komme ich wieder am offiziellen Wanderweg an. Der Fünf-Minuten-Pfad (bei dem ich unweigerlich an die Fünf-Minuten-Terrine denken muss… bekomme ich etwa Hunger?) ist auch hier wieder ausgeschrieben und hinter den kahlen Bäumen tauchen die grauen Mauern der Starkenburg auf.
Ich setze mich erstmal auf eine Bank und lasse den Schweiß an meinem Körper trocknen. Die halbe Wasserflasche wird in einem Zuge geleert und mit Genugtuung denke ich an den leckeren Kebab, den mir Stefan später nach der Arbeit mitbringen wird. Bei dieser Gelegenheit beobachte ich die wenigen Menschen, die sich hier mit mir zusammen eingefunden haben. Den Radfahrer mit der gelben Jacke. Die beiden alten Damen, die in Absatzschuhen über den unebenen Weg staksen (die sind hier aber nicht hinaufgewandert, oder?).
Auf dem Burghof in einer Nische sind Jugendliche zu hören. In letzter Zeit sind Orte wie Burgruinen, Weinberge oder sonstige etwas abseits gelegenen Objekte hoch frequentierte Ziele geworden. Sie sind die letzten Bastionen, die jungen Menschen die Möglichkeit geben, in Grüppchen Zeit miteinander zu verbringen. Davon zeugen das versteckte Gelächter, die Alkoholflaschen, die sich in und um die Mülleimer stapeln, die Heimlichtuerei. Man mag davon halten, was man möchte, doch es zeigt, wie wichtig es für junge Menschen ist, einfach mal sie selbst zu sein, ungezwungen, sei es auch nur für eine oder zwei Stunden. Verbote bringen gar nichts, es werden Mittel und Wege gesucht – und gefunden.
Ich laufe unbeteiligt vorbei. Mein Name ist Hase, ich habe nichts gesehen.
Vielmehr interessiert mich, ob diese Jugendherberge, die es hier früher einmal gab, noch existiert. Doch es gibt keinen, den ich fragen könnte. Früher gab es tatsächlich eine Möglichkeit, auf der Burg zu übernachten, was ich mit der Schulklasse erleben durfte. Eine günstige Herberge machte es möglich. Leider gibt es keine Fotos mehr aus dieser Zeit. Während ich mich den Wanderweg hinauf quälte, gingen mir die Erinnerungen daran im Kopf um. „Wir laufen, das Gepäck wird gefahren.“ Sagte damals einer der Erzieher. Und erntete damit natürlich sofort die Gegenfrage: „Warum nicht umgekehrt?“ Dabei spuckte das Kopfkino sogleich viele größere und kleinere Taschen, die auf kleinen, beschuhten Füßchen in sauberen Reihen rauf zur Burg liefen. Ja, die Jugend war schon schön…
Geschichte der Starkenburg
Zugegeben, mehr als die tatsächlichen geschichtlichen Gegebenheiten interessieren mich die Legenden, die sich um die Starkenburg ranken. Vielleicht werde ich bei Gelegenheit auf sie eingehen. Doch etwas Pflichtwissen gehört dazu, hier sind also ein paar Fakten.
Die Starkenburg wurde zum Schutz des Kloster Lorsch im Jahre 1065 errichtet. Das karolingische Kloster selbst, welches erst vor kurzem rekonstruiert wurde und zum UNESCO-Welterbe gehört, stammte noch aus der Zeit um 764.
Der erste Name der Burg klang für mein Ohr sagenumwoben und ein wenig nach Merlin dem Zauberer. Er lautete: Burcheldon und bot den Mönchen Zuflucht in unruhigen Zeiten. Bis die Burg selbst, wie so viele andere, der Bedeutungslosigkeit anheimfiel und schließlich 1924 der Baufried gesprengt wurde.
Heute gehört die denkmalgeschützte Ruine dem Hessischen Immobilienmanagement und wird von diesem verwaltet. Die alte, originale Bausubstanz wurde durch neuere Mauern ergänzt, was besonders an den Kanten gut zu sehen ist. In einem Teil der Burg befindet sich die Jugendherberge – die, nach der ich bei meinem Besuch Ausschau hielt. Ja, es gibt sie noch…
So, das war’s schon mit der Pflichtlektüre; jetzt dürft ihr euch weiter reinziehen, wie sich Kasia beim Wandern quält.
Burgenromantik
Burgen, geht mir durch den Kopf, sehen im Herbst und Winter am schönsten aus. Warum das so ist? Zum einen erlauben es die blattlosen Äste und Zweige hindurch zu schauen. Man erhascht mehr vom Objekt, als dies im sommerlichen Dickicht der Fall wäre. Zweitens kommt das Strenge, Harte besser zur Geltung. Das Zusammenspiel der verdrehten, knorrigen Äste, die Mauern und Türme flankieren, lässt mich an schaurige Märchen von Grimm denken, an böse Königinnen und eine eingesperrte Prinzessin. Eine einmalige Atmosphäre.
Nicht so einmalig ist er Anblick der zugesperrten Burgschenke. Der schön gestaltete Garten ist leer, die Stühle hochgestellt. Schilder weisen auf die erzwungene COVID-Pause hin. Wie schade. Ich kann meine Augen von dem schönen Garten der Schenke kaum abwenden.
Ich setze mich auf eine der Burgmauern. Ein paar Selfies; man ist ja eitel. Die einsame Reisende schaut in die Ferne. Perfekt.
Dann schaut die einsame Reisende tatsächlich in die Ferne. Der Blick auf die Stadt. Starkenburg von oben. Leuchtende Dächer, Sonne, ein leichter Wind. Ein kurzer, perfekter Moment. Die Lunge hat sich längst erholt, die Beine auch. Ich lasse mir Zeit, schließlich habe ich mir diesen Ausblick hier erarbeitet (vielleicht macht das den Unterschied?)
Schließlich steige ich wieder runter, hin zur sonnendurchfluteten Stadt.
Der Abstieg
Wie um mich zu verspotten, taucht jetzt der „richtige“ Wanderweg vor mir auf. Eine weitere Gruppe Jugendlicher kommt hinauf gelaufen. Es ist später Nachmittag und falls es Schule gab, müsste diese nun vorbei sein.
Auf dem Weg nach unten habe ich mehr Zeit, um den Pfad ausgiebig zu genießen. „Bist du alleine da hoch?“ Fragt mich meine Mutter via What’s App. Ich kann förmlich zwischen den Zeilen lesen, dass sie mich für leicht durch hält. „Da sind doch nur Ruinen, was gibt es dort zu sehen?“ Daraufhin schicke ich ihr diverse Bilder von schneeweißen Blütensträuchern, die den Weg säumen. Der süße Duft weht mir um die Nase, die absteigende Sonne spielt zwischen den Zweigen. Als ich einen einsamen Mandelbaum sehe, stürze ich mich drauf. Das wehrlose Bäumchen beginnt, vor Angst zu zittern, als ich es mit meiner Handykamera bearbeite. Dann habe ich genug von rosa Blüten und lasse von dem armen Gestrüpp ab.
Unterwegs begegnet mir eine Katze, die sich ihre Gratis-Streicheleinheiten abholen will. Zunächst tut sie unbeteiligt, so als wenn sie nur zufällig in die gleiche Richtung unterwegs sei. Ich gehe runter in die Knie; die dicke Katze schießt mir sofort zwischen die Handflächen. Ich kann förmlich höre, wie sie schnurrt: „Was hat das denn so lange gedauert?“
Der Rest des Tages ist schnell erzählt. Ich hole mir ein paar Bücher an einem Gratis-Bücher-Tauschregal, werfe mit schwer gewordenem Rucksack noch einen Blick auf die wundervolle Altstadt, entdecke weitere spannende Details, ehe mich der kalte Wind und der zügige Wetterwechsel weiter in Richtung Auto treibt. Wie diese Eisenketten an der Wand des Marktplatzes, mit denen Sünder und Diebe früher zur Belustigung der Menge festgebunden wurden. Doch für mehr bleibt keine Zeit mehr, denn ich bin sowohl müde als auch leicht durchgefroren.
Zu Hause wartet ein leicht erkalteter, doch trotz allem sagenhaft guter Döner auf mich.
[…] von windrose.rocks nimmt euch auf ihre Reisen und aktuell, in Ermangelung dessen, auf ihre vielen Wandertouren mit. […]
Das waere auch etwas fuer Mary und mich, aber … ob wir jemals wieder nach Deutschland fliegen koennen?
Gute Frage, das steht noch alles in den Sternen. Ich hoffe es für euch 🙂
Liebe Grüße
🙂
Heppenheim? Nie gehört! Doch jetzt hat es sich quasi aus dem Nichts auf meine Liste der noch zu besuchenden Orte katapultiert. Was für ein schönes Städtchen! Und die Landschaft, in die es eingebettet ist, ist ja offenbar auch mehr als sehenswert. Da musstest du doch eigentlich gar nicht aus diesem Alptraum aufgeweckt werden 😄. Gut, dass du dann doch noch aus dem Auto rausgekommen bist.
Ja, als Zwölfjährige hat man andere Dinge im Kopf als die Schönheit eines Ortes. Spannend, dass du deine erste Station in Deutschland nach so vielen Jahren jetzt wieder besucht hast!
„Überall blüht es.“ Ja, mach mich nur neidisch! „Hier oben“ geht es weiterhin nur zögerlich voran in der Angelegenheit.
Auf die Straßenlaternen mit den Scherenschnitten werde ich dann wohl achten müssen, wenn es mich einmal nach Heppenheim verschlägt.
Die Sache mit dem 5-Minuten-Pfad ist ja tückisch – und gleichzeitig pädagogisch wertvoll! Die meisten würden die Strecke wohl gar nicht erst in Angriff nehmen, wenn sie wüssten, was sie in Wirklichkeit erwartet. Im übrigen ist der Name des Pfades in Anführungszeichen gesetzt, was man durchaus auch als ironischen Unterton verstehen könnte 😅. Jedenfalls haben sich deine Mühen in Sachen Starkenburg doch voll gelohnt. Schönes altes Gemäuer und ein toller Blick auf die Umgebung zu deinen Füßen. Den Belohnungs-Döner hattest du dir jedenfalls redlich verdient.
Der „Fünf-Minuten-Pfad“ war insofern pädagogisch wertvoll, als dass ich das unbedingt glauben wollte… Heppenheim ist bezaubernd. Klein und so hübsch, umgeben von Weinbergen in Richtung der Starkenburg, ganz tolles Städchen. Wenn es dich mal hierher verschlägt, nimm dir Zeit, durch die Gassen zu schleichen. Der Ort ist noch quasi unentdeckt 😉
Mach ich 😎.
Toller Bericht! Sollte ich mal in die Gegend kommen….
…dann bekommst du eine Stadtführung 🙂
Gut! Ich melde mich!
Das ist ja wirklich ein wunderschönes Städtchen. Und du bloggst so schnell, dass ich mit Lesen kaum nachkomme 😂
Lach… deswegen versuche ich, lange Endlos-Beiträge mit kurzen Posts oder Bildchen aufzulockern 😉 Was soll ich machen, ich erlebe halt so viel. Vieles ist noch gar nicht verbloggt… 🙂
Was für ein schöner Bericht, den ich mit voller Aufmerksamkeit gelesen habe. Ich habe Heppenheim sofort auf Google Maps nachgeschlagen. Ich bin schon so oft auf den Autobahnen in Deutschland gefahren, aber wenn ich darüber nachdenke, was dir entgeht … Vielen Dank fürs Teilen und wer weiß … vielleicht ist eine Idee für das Reisen wieder erlaubt. Ich wünsche dir ein schönes Wochenende und viele Grüße, Rudi
Vielen Dank, Rudi! Manchmal lohnt es sich, die Landstraße zu nehmen. Aber ich verstehe es schon, mal will schnell von A nach B kommen und nimmt die Autobahn, so mache ich das auch. Manchmal sehe ich diese braunen Tafeln, die die Sehenswürdigkeiten ankündigen, aber auch da findet sich nicht alles drauf. Wenn du mal wieder auf der Strecke bist, dann mach gerne einen Abstecher
Liebe Grüße
Kasia
Hallo Kasia,
du machst Lust auf einen Ausflug nach Heppenheim. Von uns aus sind es einfach knapp 100 km. Ein schönes Städtchen mit viel Fachwerk. Das ist Futter für die Kamera,
Rauchst du eigentlich nur Zigarre?
Hab noch einen schönen Tag.
Liebe Grüße
Harald
Hallo Harald,
nein, auch Zigarillos. Heppenheim ist richtig schön, und damit es sich für dich lohnt, kann ich noch Bensheim und Zwingenberg an der Bergstraße empfehlen sowie die Zweiburgen-Stadt Weinheim 🙂 Für noch mehr Kamera-Futter…
Liebe Grüße
Kasia
Danke für den Tipp.
Wow, was für eine Bilderbuchstadt!
(Und ein schöner Bericht.)
Ich hatte von dem Ort noch nie gehört, aber das zeigt, dass es in Deutschland wirklich alle 20 km schöne Burgen, Schlösser und Altstädte gibt.
Keine Ahnung, wieso alle wie wild nur nach Rothenburg und Neuschwanstein hetzen und sich gegenseitig auf die Füße treten.
Sogar das Bücherregal ist dort schöner als anderswo!
Wenn ich an solchen Regalen vorbeikomme, wird mein Rucksack auch oft schwerer als geplant.
Vielen Dank! Ja, es gibt viele unterschätzte Städte. Dann wiederum gibt es Orte, die so hochfrequentiert sind, dass ich mir denke: Okay. Hässlich bist du nicht, aber die schönste Stadt auch wieder nicht…
Neuschwanstein würde ich mir gerne ansehen, aber einmal von außen reicht mir, glaube ich. Die ganzen protzigen Einrichtungen im Innern der vielen Schlösser ähneln sich zum Teil sehr.
Und das Bücherregal ist wirklich außerordentlich schön 🙂
Bei Neuschwanstein hast du absolut den richtigen Richer. Als Gesamtkunstwerk mit Wäldern, Bergen und Seen rundherum ist es ganz schön. Aber innen nichts Besonderes. Und man wird im Minutentakt von Raum zu Raum geschoben, weil die nächte Gruppe schon drängt.
Außerdem habe ich mir den Stress schon angetan, um ihn dir und deiner Leserschaft zu ersparen:
https://andreas-moser.blog/2020/10/30/klw-tag-9-neuschwanstein/
Ein Schloss, das von außen und von innen schön ist, ist das rumänische Königsschloss in Peleș.
Danke für den Tipp 🙂 die wenige Zeit, die ich in Rumänien hatte, nutzte ich dazu, das berühmte Schloss Bran zu sehen. Allerdings auch von außen, da bleibe ich meistens meiner Maxime treu. Der Markt und das Freilichtmuseum außen herum haben mich dann doch mehr interessiert, vor allem der bärtige Alte, der unbedingt ein Selfie mit mir machen wollte und irgendwas undefinierbares vor sich hin erzählte 🙂 Ich wünschte ich hätte ihn verstehen können…
Oh, Bran, da war ich natürlich auch. Allerdings unfreiwillig.
Ich lebte in Targu Mures und hatte Besuch, die unbedingt nach Bran wollte. Ich erklärte ihr, dass das eine ziemliche Strecke sei für eine Burg, die nichts besonderes ist und dass es im Umkreis Dutzende von Burgen gäbe. (Insofern ist Siebenbürgen wie Deutschland.)
Aber nein, die nervige Bekannte wollte unbedngt nach Bran.
Lach… ich wollte ja auch unbedingt nach Bran. Das scheint das Neuschwanstein Rumäniens zu sein 😉
Eine schöne Wanderbeschreibung 😍
Liebe Grüße
Sabine vom 🕷 🕸
Liebe Sabine,
vielen Dank! Dann mal nix wie wandern gehen 😉
5 Min Weg 😂 Sowas kenne ich auch. Bei uns hieß es leichte Route und endete damit, dass wir einen Kamin erklettern mussten.
Super Ausflug. Heppenheim ist gar nicht so weit weg, aber ich war auch noch nicht da. Nur im Felsenmeer war ich einmal.
LG Liane
„Leichte Route“ landet am Kamin?? Bist du sicher, dass das nicht die Weihnachtsmannroute war? 😉
Das Felsenmeer ist eine tolle Sache. Ich war zweimal dort, aber ich könnte immer wieder hin. Mit guten Wanderschuhen mit Profil macht es Spaß, die Steine zu erklimmen 🙂
Mein Vater nennt das ‚Touristenmeter‘. Haben wir auch schon des öfteren gehabt: „Zur Paternosterklippe 1 km.“ Nach gefühlt 2 km dann ein Schild „Zur Paternosterklippe 800 Meter“ ….
Ohhh, noch eine Burg. Irgendwann muss ich mal in die Pfälzer Ecke und dort ein paar sammeln. Zumal wenn sie mit so hübschen Städtchen als Dreingabe kommen.
Schade, dass mein Onkel, der an der Weinstraße lebt und ein Auto hat, so gar kein Interesse and Burgen, Fachtwerk etc. an den Tag legt, sonst könnte ich ihn mal besuchen. 😉
Besuch ihn doch trotzdem, verbringt Zeit, und dann kannst du alleine losziehen 🙂 denn dann bist du in der Nähe, hast einen Übernachtungsplatz und kannst loslegen…
Das Problem ist immer noch das fehlende Auto. Und seins würde er mir nicht leihen – abgesehen davon, dass ich seit Jahren nicht gefahren bin und Schaltwagen noch länger nicht.
Ne, das geht eher mit dem Zug von Heidelberg aus, wo ich auch mal hinwollte. Aber als erstes steht die Altmark auf der Liste, wenn man wieder übernachten kann.