Bereits heute morgen beim Frühstück tanzt mein Onkel zur Radiomusik. Wie ein Berserker vollführt er wackelnde Bewegungen und schwankt mit dem Rhythmus mit. Auch Gosia, meine Cousine, beginnt, mitzugehen und meinem Cousin ist das alles sichtbar peinlich. Teenager, denke ich mir, doch um mitzufiebern, habe ich ich an diesem Morgen einfach keine Motivation. Was nicht zuletzt am Riesenkater liegt, den ich mir am Abend vorher mit den Kindern zusammen mit Rotwein angesoffen habe. Wohlgemerkt war ich die einzige mit dem Kater, denn gegen die harten, polnischen Köpfe komme ich einfach nicht an.
Schöner Herbst diesen Sommer…
Der frühe Morgen grüßt uns mit einem grauen Novembernebel. Einen tollen Herbst haben wir diesen Sommer, so lautet sogar eine Radiodurchsage. Das Wetter scheint alles wieder gutzumachen, was es in den letzten Jahren versäumt hat, nämlich uns hin und wieder mit einem schönen Regenguss zu beglücken. Dafür haben wir aktuell so viel Regen, dass wir gar nicht wissen, wohin damit. Vielleicht wird der Herbst hingegen richtig klasse werden, wer weiß.
Jedenfalls gibt es einen guten Grund für jenes ausgiebige Frühstück und die Singtiraden der leicht verrückten Familie: es geht heute nach Georgien.
Die Kids und mein Onkel müssen noch packen. Da ich dies bereits am Vortag erledigt habe. , kümmere ich mich um den Abwasch. Das Gepäck steht größtenteils fein säuberlich an der Wand gereiht. In letzter Minute packe ich ein wenig um. Bekomme Schnappatmung, weil der dicke Pulli nicht reinpassen will. Bekomme den Rucksack und die Gurte mit Gewalt zu. Ach, Georgien. Bin ich etwa ein wenig aufgeregt?
Kurz vor zehn kommt Tomek zu zu uns, ein guter Freund meines Onkels und mehr oder weniger der Organisator der Reise. Auf Tomek bin ich sehr gespannt, denn um ihn ranken sich Geschichten. Unter anderem soll er bereits mit den Motorrad in den Kaukasus gereist sein.
Als er auftaucht, bin überrascht ob seiner ruhigen , unaufgeregten Art. Die Geschichten wird er uns später, bei gutem georgischen Wein erzählen. Doch soweit sind wir noch nicht, und ich will nicht vorgreifen.
Der ganze Vormittag ist der Anreise geopfert. Mit vollgepackten Taschen begeben wir uns zunächst nach Warschau, von dort aus zum Hauptbahnhof. Vom Hauptbahnhof aus geht es mit mit dem Zug der Masowien-Bahn (was sind die modern geworden in den letzten Jahren!) zum Chopin-Flughafen.
Dann heißt es wieder: warten. Und während wir warten, kann ich schon mal erzählen, wie es kommt, dass ich von Warschau aus nach Georgien fliege, anstatt wie wie jeder normale Mensch den meist frequentierten Flughafen in Frankfurt zu benutzen. Das liegt nämlich daran, dass meine liebe Family, um Bares zu sparen, die Billigairline Wizzair nach Kutaissi gebucht hat. Und um mich anzuschließen, versuchte ich, einen Flug nach Kutaissi, der zweitgrößten Stadt Georgiens, von Frankfurt aus zu ergattern. Meine suche jedoch ergab, dass es von Deutschland aus kaum Flüge nach Kutaissi gab. Und wenn schon, dann über gefühlte zehntausend Umwege, unter anderem über Warschau. Was macht die Reisende also, damit es Sinn ergibt – sie beantragt eine zusätzliche Woche Urlaub und fliegt von Warschau aus mit exakt demselben Flug wie den, den die liebe Family gebucht hat.
Am Flughafen ist wieder einmal – Überraschung! – warten angesagt. Wie es sich ergibt, sind wir rund zwei Stunden früher da und der Flug hat zusätzlich eine Stunde Verspätung .
Auch einige Georgier stehen bereits am Gate. Ihre Köpfe wackeln während der Fahrt in dem Bus, der uns endlich zur Maschine bringt. Die Georgier haben, rein optisch, durchaus ihren eigenen, gewöhnungsbedürftigen Charme. Es sind in der Regel stämmige Kerle, die grimmig aus der Wäsche schauen. Erst auf den zweiten blick zeigt sich die Herzlichkeit. Die Gesichter der alten Männer sind zerfurcht und sensationell ausdrucksstark. Noch etwas kann ich zu den Georgiern sagen: sie drängeln gerne und sind gerne erster. doch wenn du irgend ein Problem hast, zum Beispiel mit dem unwilligen Flugzeugsitz, dann sind sie sehr hilfsbereit.
Kutaissi
Der Flug verspätet sich um eine Stunde. Als der verhältnismäßig kleine Flieger endlich startet, macht der große, kräftige Mann neben mir dreimal das Kreuzzeichen und sinkt in seinem Sitz zusammen.
Irgendwann am späten Abend kommen wir in Kutaissi an. Als wir aus dem Flieger steigen und nach draußen treten, umhüllt uns die hohe Luftfeuchtigkeit sofort wie warme Watte. Jacken werden überflüssig und ein wohliges Gefühl nach Urlaub und nach fernen Orten macht sich breit.
Vom Flughafen werden wir mit dem vom Hotel gebuchten Transfer abgeholt. Unser Fahrer spricht nur russisch, ebenso wie die meisten anderen Menschen hier im Land; das kommt noch von Zeiten der sowjetischen Besatzung. Es ist seltsam, nichts zu verstehen. Tomek und mein Onkel haben noch aus der Schulzeit rudimentäre Kenntnisse der russischen Sprache. Als wir mit unserem Fahrer durch die Straßen Kutaissis fahren und im Radio georgische Musik lauft, (wie sehr ich diese georgischen Gesänge lieben gelernt habe!), als die leeren Straßen und die verschnörkelte georgische Sprache in blitzenden Schriftzeichen der Leuchtreklamen an uns vorbeiflimmern, da spüre ich zum erstem Mal, dass ich wirklich so weit der Heimat, in der Ferne bin. Und es ist ein großartiges, ein belebendes Gefühl.
Die Einreise verlief unkompliziert, selbst die Abfahrt stellte uns vor keine nennenswerten Herausforderungen. denn offen gestanden: außer die Maske auf der Nase zu behalten und die Einreiseregeln einhalten, gab es nicht wirklich welche. Georgien hieß uns mit weit geöffneten Armen willkommen, wie man so schön sagt. Alle wirklichen und eingebildeten Probleme und Startschwierigkeiten haben sich in Luft aufgelöst. Selbst als unsere erste Unterkunft kurzfristig abgesagt hatte (in Georgien gibt es häufig Probleme mit Wasser, weiß meines Onkels Freund zu berichten), haben unsere beiden Männer in kürzester Zeit einen Ersatz gefunden.
Auf alles, was uns in Georgien erwartet, macht uns Tomek poe a poe während der Fahrt aufmerksam. Hohe Berge. Sagenhafte Hänge, schmale Straßen. Faszinierende Landschaften, Wasserfälle, die sich von den Hängen ergießen. „Ihr werdet es selbst sehen.“ Sagt er zufrieden.
Ein schmackhafter Empfang
Im Hotel am Abend bereitet uns der Wirt noch ein Abendessen. Wein (der großartigster Wein, den ich jemals getrunken habe), selbstgemachter Käse und Chatschapuri-Brot), stehen auf dem Tisch bereit. Und kaum haben wir uns hingesetzt, kommen noch weitere Leckereien an den Tisch geschwebt. Der Wein ist übrigens selbstgemacht, sowie das Brot auch. Überhaupt gibt es kaum ein Hotel oder we eine Wirtschaft in Georgien, wo sie ihren Wein nicht selbst herstellen, weiß Tomek zu berichten. Und erzählt uns noch die Geschichte, wie er beim letzten mal mit seinem Motorrad bis zum Lenker im Schlamm am Kaukasus stecken geblieben war und wie ihn und seinen Kumpel eine georgische Gastwirtschaft mit Wein, Wodka, Musik & und Gesang bis Donnerstag dabehalten hat, obwohl die Weiterfahrt nach Armenien für Dienstag geplant war.
„Das ist georgische Gastfreundschaft.“ Sagt Tomek und drückt dem Wirt gleich bei der Ankunft eine Flasche polnischen Wodka in die Hand, den er am Flughafen unter meinen verständnislosen Blicken literweise eingekauft hat. „Ich kenne die Georgier.“ Sagt er später zu uns. Und er soll Recht behalten.
„Weil ich sie kenne. Die Georgier sind so.“ sagt er und meint damit die unglaubliche Herzlichkeit. „Sie schenken dir mal so eine Weinflasche und…“ Und wenn ich Tomek richtig verstanden habe, haben sie immer ihre Tür für einen Reisenden offen, der in Not ist (und bei dieser Gelegenheit machen sie ihn so betrunken, dass er nie wieder gehen möchte).
„Trinkst du nicht mit uns?“ Fragt Tomek den Wirt, der uns diesen sagenhaften, 70 prozentigen Traubenbrand namens Chacha einschenkt. Chacha ist eine fast schon legendäre Landesspezialität, die aus den Resten der Weinherstellung gewonnen wird und über die wir noch das eine oder andere Mal stolpern werden. Also gut, sagt der Wirt. Einen. Wir prosten uns zu. Sind danach ganz fröhlich. Meines Onkels Tochter bekommt rote Bäckchen, obwohl sie nur die Lippen in dem Teufelstrunk getunkt hat.
„Dabei geht es hier noch zivilisiert zu.“ Sagt Tomek. und fügt hinzu: „Als ich das letzte mal hier war, da haben sie das Zeug in normalen Wassergläsern ausgeschenkt…“
Bis spät in die Nacht bewirten sie uns, bis es uns fast schon peinlich ist, so lange zu sitzen. In feucht-fröhlicher Laune schwanken wir nach oben in unsere Zimmer. Nicht ohne vorher den Ausblick auf das nächtliche Kutaissi zu bewundern, denn das Hotel liegt auf einer Anhöhe und bietet einen Ausblick über die nachterleuchtete Stadt. Ein wenig kühler ist es geworden, doch noch braucht es die Klimaanlage, um einzuschlafen. Und der Chacha und der Wein tun ihr übriges. Und die Menschen. Und der Empfang.
Ein hoch auf Georgien!
[…] sitzen wieder auf unsere Aussichtsterrasse in unserem Hotel in Kutaissi, dort, wo die Reise begonnen hatte. Unser Abschiedsabend sollte es heute werden. Doch trotz der zwei Flaschen Wein, die bereits […]
[…] hinauf bringen können. Hier, in Kutaissi, hat alles angefangen; hier haben wir zum ersten Mal die georgische Gastfreundschaft in Form des sich vom Essen biegenden Tisches und der Extraflasche Wein kennengelernt. Und hier wird […]
Fängt ja gut an. Bin gespannt, wie es weitergeht…
Die nächste Folge ist in Arbeit, ich schreibe noch daran herum. Nur so viel sei verraten, wir verlassen Kutaissi und begeben uns in den kleinen Kaukasus… 🙂
Klingt spannend!
Die Wizzair hat auch einen Standort in der Weltstadt Dortmund.. 😉
Ich hatte da auch vor Jahren schon einen Flug gebucht um endlich mal meinen Freund, der seit 10 Jahren in Ungarn lebt, zu besuchen . Direktflug nach Budapest gebucht für 49 €. Von dort mit dem Zug nach Pecs. Über airbnb bereits eine Wohnung in Pecs gebucht – alles war bereit…
5 Tage vor Abflug bekam ich eine beidseitige Mittelohrentzündung – Trommelfell im Arsch – ABSOLUTES FLUGVERBOT!
Das wars mit dem Wiedersehen – jetzt bleibt uns seit Jahren nur Videofonieren über skype oder Whatsapp, bis ich mal wider dahin komme.
Seit neuestem sind die Flüge von Wizzair aber wesentlich teurer, weil Sie den Gesellschaftssitz nach England verlegt haben und nun die Preise doppelt so hoch sind.
Mein Freund – der hier noch seine Eltern hat – fährt deshalb nun mit dem Auto. Das ist für ihn (inkl. Frau und 2 Kindern) nun günstiger als zu fliegen.
CI
P.
Wenn Auto zu fahren günstiger ist als fliegen, dann bewegt sich etwas in die richtige Richtung 😉
Wizzair habe ich einmal genutzt, als ich nach Bukarest flog. Tatsächlich fliegen die auch von Frankfurt, aber ich konnte partout keine Flüge nach Kutaissi finden. Die Endlösung war dann doch die beste, denn so hatte ich die Familie noch eine Woche lang für mich 😉
Liebe Kasia,
ich wünsche dir eine tolle Zeit. Du bist so fleissig. Ich komme mit dem Lesen kaum noch nach.
Liebe Grüße
Renate
Liebe Renate, vielen Dank! Du bist aber auch sehr fleißig, es gibt bei dir immer wieder was neues, das ist schön 🙂
Liebe Grüße
Kasia
Hallo Kasia,
Jetzt habe ich mir erst einmal angeschaut, wo ich Georgien finde. Georgien ist mir zwar von Funk- und Fernsehen bekannt, aber ansonsten ist es mir unbekannt.
Der Beginn deiner Geschichte hört sich schon mal gut an. Ich freu mich schon auf die weiteren Berichte.
Wie seid ihr eigentlich darauf gekommen nach Georgien zu fahren?
Liebe Grüße
Harald
Hallo Harald,
Georgien war schon lange ein Wunschtraum meines Onkels, und by the way auch der von mir und Stefan. Allerdings konnte Stefan gesundheitsbedingt nicht mit, also wurde es ein reiner Familienausflug 🙂
Es hat was, so lange Wege mit viel Umsteigen. Es ist zwar nervig in diesem Moment, aber es bringt einen irgendwie gemütlich näher an sein Ziel.
Na ja, da das Ziel der Warschauer Flughafen war, hat das seine Richtigkeit 🙂 Ich fand es sehr entspannt, mich (endlich einmal) um nichts kümmern zu müssen. Und der so gefürchtete Kontrollverlust hat sich als sehr angenehm erwiesen 🙂
😉😉
Das war doch schon mal ein vielversprechender Auftakt eurer Reise 👍. Mit der Sufflastigkeit würde ich persönlich ja hadern. Aber ihr seid ja offenbar hart im Nehmen 😁. Bin schon sehr gespannt, wie es weitergeht!
Liebe Elke, ich habe ja gehadert! Ach was habe ich gehadert… bis mir auffiel, dass ich die einzige war, die gehadert hat 🙂 Aber keine Sorge, außer Wein trinken haben wir auch noch ein bisschen was erlebt. Kommt alles noch 😉
Eine lange Reise mit einigen Hindernissen, aber ein sehr gastfreundlicher Empfang in Georgien. Freue mich auf die Fortsetzung des Reiseberichts.
Vielen Dank! Die Reise hätte ruhig noch länger sein können, ich habe noch immer Sehnsucht nach Georgien und danach, dorthin zurückzukehren 🙂
Das Essen sieht sehr lecker aus, aber auf das georgische Super 95 kann ich schon verzichten 🙂
Hm, okay… somit hast du dich als unser Fahrer qualifiziert 😉
Hauptsache kein Alkohol 😀
Oh man…
Aber du weißt doch… man darf die Gastgeber nicht beleidigen… 😉