Georgien, August 2021
„Dein Urlaub ist aber sehr alkohollastig!“ Wird mir mein Stefan später schreiben. Oh, ich ahne zu diesem Zeitpunkt nicht, wie sehr. Doch dieser Satz ist ein guter Auftakt. Denn die Leute überschütten uns förmlich mit Wein. Im übertragenem natürlich. „Was macht wohl ein Abstinenzler hier in diesem Land?“ Beginnen wir nach ein paar Tagen zu grübeln. Ich mache ein kluges Gesicht. „Hm.“ Sage ich. „Er verpasst wohl so einiges…“
Begegnung am Zekari-Pass
Am Zekari-Pass halten wir wieder an. Von dieser Passage hat uns Tomek bereits erzählt; er versprach uns von hier aus die beste Sicht. Ja, ich gebe zu: Achalziche und diese Begegnung im Kleinen Kaukasus, die ich jetzt beschreiben werde, war etwas so Spezielles, dass ich nur aus der Zeitperspektive bereit bin, die richtige Worte zu finden. Nun, es war speziell, will heißen: besonders schön.
Zunächst zum Pass. Es ist der schönste Teil der Strecke. Blaue Berge sind in der Ferne erkennbar, wie ein Schattierungsspiel wechselt die Farbe der Berge von dunklem, rauchigen Blau bis hin zu Umrissen, so fein und blau, dass sie leicht für Wolken gehalten werden können. Während sich die Kids und mein Onkel gegenseitig fotografieren (Tomek ist wie immer auf Abwegen und sucht neue Freunde…), atme ich den Ausblick und den Moment ein (ein Foto von mir? Wer macht bitte ein Foto von MIR?). Eine Gruppe Georgier hat sich ein Stück weiter niedergelassen und sucht ihr Glück und die Schönheit in der Natur. Bei ihnen findet mein Auge Tomek wieder, der ein Pläuschchen hält. Als er zurück kommt, sagt er:
„Sie haben uns auf einen Wein eingeladen!“
Statt Wein bringen wir den polnischen Wodka mit, den wir dann gemeinsam köpfen. Die Männer stellen sich der Reihe nach vor. Einer von ihnen ist Zahnarzt; er lässt uns seine Visitenkarte da, die mein Onkel gleich mal mir in die Hand drückt. Er hat es sich in den Kopf gesetzt, mich in Georgien mit einem Georgier zu verkuppeln (alles nur Spaß, versteht sich… oder doch nicht?). Dann stehen wir im Kreis und stoßen mit Zubrowka an. Jeder von uns gibt einen Trinkspruch zum besten. Als ich an der Reihe bin, ist mein Hals trocken.
„Ich kenne eure Sprache nicht gut noch spreche ich russisch. Deshalb auf englisch. Wir trinken auf Georgien, denn so ein schönes Land und so liebendwerte Menschen habe ich noch nirgendwo getroffen. Auf Georgien!“ Die Männer nicken ernst und ich hebe den Metallbecher. Der muss reichen, jeder von uns hat mehr oder weniger nur das Notwendigste dabei, der Becher geht also der Reihe nach um. Nun lasse ich den Schluck Zubrowka die Kehle hinunter rinnen. Unverdünnt, versteht sich. Die Sache mit dem Saft überlasse ich den Kids (wobei auch die noch auf den Geschmack kommen werden, was puren, harten Alkohol betrifft…).
Als wir uns trennen, schenken uns die Männer einen Fünfliter-Kanister ihres selbstgemachten Weines. Wir sind gerührt. Begeistert, sprachlos. Und leicht schockiert. „Wer soll das wann alles trinken?“
Wie sich herausstellen wird, wird das eines der geringsten Probleme sein.
Als wir weiter fahren, verschwindet nach und nach die sagenhafte Landschaft und macht Bäumen Platz. Einige Baustellen tun sich auf. „Hier ist alles sehr unkompliziert, ein Hügel wird einfach abgetragen, wenn ein Bauvorhaben ansteht.“ Sagt Tomek und scheint das toll zu finden, während sich mir die Nackenhaare aufstellen.
Statt Berge sehen wir nur noch Bäume. Aufgerissene Landschaft, Steine. Irgendwo ein Pferd, das Gosia mit der Nase an der Scheibe kleben lässt. Ich hebe die Kamera nur noch obligatorisch. Das Beste liegt bereits hinter uns.
Achalziche
Der Name dieses unaussprechlichen Ortes, den ich mir lange Zeit nicht habe merken können („Wo wart ihr gewesen?“ „Ähm…“).
Gegen Abend kommen wir dort an. Unser neues Hotel ist ein idyllischer Ort, verhüllt von Weinrebenranken. Überhaupt hat sich auch die Landschaft verändert, die Berge sind kahler, mondartiger geworden.
Der Wirt (seine Frau?) zaubert uns ein leckeres Essen. Ich weiß, ich wiederhole mich, doch auch diesmal war es fantastisch. Es gab Chatschapuri mit Ei, wobei hier das Ei auf dem Brot aufgeschlagen und mitgebacken wurde. Wir hatten die Qual der Wahl zwischen vielen unglaublich schmackhaften landestypischen Gerichten. Ob Schaschlik, Fisch oder die Klassiker wie die gefüllten Teigtaschen (Chinkali), alles garniert mit gutem, hausgemachten Wein.
Unser Zimmer sieht aus wie – mit Verlaub – eine Telefonzelle, in der man zwei Betten platziert hatte. Nicht einmal die ausgefallene, barocke Tapette kann diesen Eindruck retten und das einzige, vorhandene Fenster zeigt in eine tiefe, mit Schutt gefüllte Schlucht. Und auf die einen viertel Meter von unserer Nase befindliche Hauswand.
Doch Hotelzimmer sind eh nur zum schlafen da, denn nach einer kurzen Verschnaufpause macht unsere lustige Gänsemarsch-Truppe die Gegend wieder unsicher. „Achalziche by night“ ist angesagt.
Der Ort an sich gibt nicht viel her und ist auch nicht unser Ziel. Wir verlassen das schmucke, an griechische Lokale erinnernde und mit Weinranken umkränzte Hotel und steuern die beeindruckende, nächtlich beleuchtete, osmanische Festung „Rabati“ an.
Die Festung „Rabati“
Das Akhaltsikhe-Castle, oder: Festung Burg Rabati, ist ein Adelspalast aus dem 13 und 14 Jahrhundert. Sie wurde unter dem Namen „Lomsia Castle“ in der Stadt Akhaltsikhe in Südgeorgien erbaut. Der Ort selbst liegt am Potskhovistskali River unweit der Grenze zur Türkei in der Region Dschawachetien. Die ältesten Aufzeichnungen über die Stadt stammen aus dem 12 Jahrhundert. Sie war Sitz der Achalzichelis, der Herrscher von Samzche. 1576 wurde sie vom Osmanischen Reich erobert und 1628 zum Zentrum der Osmanischen Provinz Achalziche.
1829 fielen Stadt und Festung an Russland und wurden zur sowjetischen Provinz Georgien zugerechnet.
Achalziche war ehemals ein Umschlagplatz für Menschenhandel, heute führt sie Vieh, Talg, Häute, Wachs und Honig – und Tourismus.
Es ist noch nicht finstre Nacht. Die Sonne ist soeben untergegangen und der schwache Glanz kündigt die Blaue Stunde an. Hitze flirrt noch immer in der Luft.
Die Burg ist gelb erleuchtet und Stufe für Stufe, Steigung für Steigung arbeiten wir uns nach oben. Inzwischen hat sich herauskristallisiert, dass ich recht gut bin, was die körperliche Fitness anbelangt (dem Wandern sei Dank!), und so lasse ich Onkel und die Kids schnell hinter mir. Mir ebenbürtig (oder mir voraus?) ist einzig Tomek.
Viel erhoffe ich mir nicht von der „persischen“ Festung (wie meine Family fälschlicherweise gebetsmühlenartig wiederholt), doch selbst im Dunkeln ist ihre Größe und Weitläufigkeit zumindest zu erahnen. Fasziniert bin ich vom kunstvoll arrangierten Steinboden, wo Muster aus runden, nicht polierten Kieselsteinen in Form von Geflechten ausgelegt wurden. Wir laufen rundum, erklimmen (fast) jeden Turm, nur um einen Blick aus wiederum anderer Perspektive auf die Anlage zu erhaschen. Der Horizont ist nur noch schwach gerötet und die Festung erstrahlt im künstlichen, dezentem Licht. Es scheint ein Ort zu sein, an dem sich Georgier bevorzugt am Abend treffen, jedoch sind außer uns nicht wirklich viele Leute da.
Und auch wir machen unsere Bilder, schauen noch ein wenig auf die nächtliche Stadt (wir erinnern uns noch an Kutaissi: am Tag hässlicher als bei Nacht…) und verschwinden wieder in unser Hotel, wo der leckere, hausgemachte Wein der Hotelbesitzer gekühlt auf uns wartet. Bei unserer Ankunft heute Nachmittag hieß es noch, wir seien eingeladen auf ein Gläschen, und das wollen wir uns nicht entgehen lassen.
Und wie hat mir Achalziche sonst so gefallen? Ich muss sagen, der Ort wirkt trotz seiner Geschichte wie etwas, was rund um die Burg künstlich erstellt und für Touristen aufgezogen wurde. Die beschaulichen Hotels und Pensionen, so idyllisch und mit Weinranken umgeben, wecken den Eindruck, nicht „echt“ zu sein (wieso braucht man für das „Echte“ immer Dreck und Unrat?). Doch fairerweise muss man dazu sagen, dass sich mein Einblick der Stadt fast ausschließlich auf diese eine, Pension-gesäumte Straße unterhalb der Burg beschränkt.
Auf einem Bein kann man nicht stehen…
Wie bereits in Kutaissi, so hat uns auch hier der Wirt bei unserer Ankunft auf eine Flasche selbstgemachten Weines eingeladen, Wenn das hier Standard ist, dann könnte ich mich schon daran gewöhnen. Nun nehmen wir auf der Terrasse vor dem Hotel Platz, zwischen Weinranken und Lichtern, um unser Gastgeschenk einzufordern. Zur fünft quetschen wir uns an einen kleinen Tisch und ich habe Sorge, dass unser Wirt keinen Platz mehr bekommt, um zusammen mit uns zu trinken. Doch vermutlich war das auch gar nicht der Plan, und Kasia macht sich wieder einmal zu viele Gedanken. Unseren Wein bekommen wir trotzdem. Ein Glas folgt dem nächsten und – echt schlimm mit uns – wir bestellen eine weitere Flasche. Zum Abrunden sozusagen. Denn auf einem Bein kann man nicht stehen, oder so ähnlich…
Jetzt guckt nicht so schockiert. Ihr begleitet gerade eine Gruppe Polen auf Reise, was habt ihr denn erwartet?
Ein paar Straßenhunde scharwenzeln um uns herum und suchen unsere Nähe. Sie hoffen auf was Essbares und vor allem hoffen sie wohl, nicht von dannen gejagt zu werden. Beim Hotelbesitzer und den anderen Gästen haben sie da schlechte Karten. Doch sie kommen immer wieder an und ein kleiner, schwarzer Welpe (wie süß!), über und über mit weißer Farbe besudelt (wo hast du dich denn herumgetrieben, hä?), macht es sich unter unserem Tisch bequem. Schutzsuchend, nachdem er sich von anderen Gästen ein paar Tritte abgeholt hat (hey… Wein schlürfende Mitreisende… hat das gerade echt keiner von euch gesehen?). Nun liegt er zwischen unseren Füßen, vorerst sicher vor dem Zugriff böser Menschen und der anderen Hunde. Die besitzergreifende Pfote-auf-Fuß-Geste zeigt deutlich: hier gehöre ich hin. Na, zumindest so lange wir hier sitzen und saufen, denke ich mir.
Tomek hat ein Erbarmen und schnappt sich den kleinen Hund. Unter fassungslosen Blicken des Hotelchefs und hilflosen Protesten (die so ziemlich überhört werden) bringt er den Hund in den Hof und wäscht ihn unter dem Hahn, der eigentlich zum Händewaschen für die Gäste gedacht ist. Unsere Gastgeber lächeln höflich und sehen dabei nicht sehr glücklich aus. Ich bin mir sicher, dass hier einige Mühe darauf verwendet wird, die herrenlosen Köter vom Gasthaus fernzuhalten.
Der Hund hingegen lässt sich die Behandlung widerstandslos gefallen und hängt willenlos zufrieden ob so viel unerwarteter Zuwendung in Tomeks Hand. Doch trotz Spülen und Schrubben geht die Farbe nicht ab.
[…] treffe ich auf meinen Reisen durch den Balkan immerzu nur Zahnärzte an, so wie damals in den Bergen Georgiens. Dann steht sie vom Tisch auf und führt mich zu ihrer Praxis neben der Polizeistation. Der dort […]
Danke für diesen eindrücklichen Bericht. Ihr hattet da offenbar wirklich eine richtig schöne Zeit. Was ich bisher so wahrgenommen habe, wäre Georgien jetzt nicht unbedingt „meins“. Aber ich giere dennoch nach deinen weiteren Berichten, durch die ich mich jetzt so nach und nach wühle 😎.
Ich glaube, Georgien muss man erlebt haben. Vieles lässt sich mit Berichten gar nicht so rüberbringen. Da spielen so viele Faktoren eine Rolle…
Prost!
[…] Erinnert ihr euch noch an den Fünfliter-Kanister Wein, den uns die netten Georgier im Kleinen Kaukasus schenkten? […]
Wie ich es noch in Erinnerung hatte, schilderst du deine Erlebnis so lebhaft, dass man meint mittendrin zu sein. Du bringst uns Länder und Landschaften näher, die ich nur mühsam auf der Landkarte finden würde. Danke dafür.
Sehr gerne, ich freue mich, dass dir die Berichte gefallen 😉
Lg Kasia
Wein, gutes Essen, Wein, Burgen und Wein. Etwas Kaffee fehlt noch. Aber sonst leuchtet mir dieses Konzept durchaus ein.
Der Kaffee war morgens danach vonnöten, um wieder richtig wach zu werden… 😉 aber allgemein können die Georgier eher Wein als Kaffee 🙂
Danke für diesen Reisebericht 🙂 Ein Glas Wein gehört sicher dazu…..
Das Hotelzimmer war sehr klein, ich habe oft ein Zelt größer – LOL
Wie nachdenklich, dass du versucht hast, den Hund von der Farbe zu befreien.
Das Zimmer war wie eine Duschkabine 😉 Und am nächsten Tag fanden wir heraus, wo sich der Hund herumgetrieben hat… Herrenlose Hunde sind ein großes Problem in Georgien, sie werden schlecht behandelt und laufen oft total verwahrlost herum.