Bosnien und Herzegowina, Europa

Die große Balkantour – Von Bosnien nach Montenegro

Rzeszów, Polen nach Piva Canyon viewpoint – Google Maps

Die Übernachtung ist nahe Foca geplant, das wiederum zu Republika Srpska gehört. Bei einem genauen Blick auf die Karte ist zu erkennen, dass die Republika Srpska die Bosnische Republik über weite Flächen hinweg wie ein Halbring umschließt. In und um Foca gibt es eine hohe Auswahl an Campingmöglichkeiten. Meine Familie hatte sich für kleine, hölzerne Campinghäuschen entschieden. Sie sind günstig und (fast) direkt am Fluss gelegen, Rosen umranken den Bogen, der den Eingang zum Areal markiert. Reife Traubenfrüchte hängen von Tau glänzend an den Gewächsen links und rechts des kleinen Weges und laden dazu ein, gepflückt zu werden, doch noch streckt keiner von uns die Hand aus, noch wollen wir uns zivilisiert verhalten.

 

Wie beheize ich ein Gasthaus

Die Häuschen haben allerdings einen Nachteil zu dieser Jahreszeit: es ist in ihnen bitterkalt. Ein „Held“ aus unserer Gruppe hat sofort Rat und beginnt, ohne Umschweife und ungeachtet meiner Proteste, die kleinen Räume mit heißem Wasserdampf zu beheizen. Wie das geht? Indem man heißes Wasser im Bad laufen lässt. Lange. Eine grandiose Idee. Meine Einwände bleiben ungehört und die Kids sagen gar nichts mehr, vermutlich kennen sie solche und ähnliche Aktionen bereits. Die Zimmer füllen sich mit Dampf und es wird tatsächlich etwas wärmer. Und die Besitzer freuen sich sicher schon auf die Pilzentwicklung an den Wänden. Ich beschließe, im Fall der Fälle jegliche Verwandtschaftsgrade zu verleugnen. Die beiden Männer sind uns zugelaufen, wir kennen die nicht.

Im zu unserem Gastgeber gehörendem Restaurant bestellen wir eine Kleinigkeit zu Essen – schließlich braucht der gute Rakija eine Grundlage. Es gibt Schopska Salat aus Tomaten, Gurken, schwarzen Oliven und Hirtenkäse, der mir überraschend gut schmeckt. Viel werden die Gastgeber heute nicht mehr kochen, doch ein paar Kleinigkeiten wie etwas Fleisch und Pommes finden sich in der Küche immer. Außer uns sitzen nur wenige Männer verschiedenen Alters im Raum verteilt; der eine oder andere mustert die Neuankömmlinge neugierig, während mein Onkel und Tomek begeistert einen uralten Radiokasten fotografieren.

Danach machen wir uns auf zu einem Spaziergang, um die Umgebung zu erkunden. Unsere Übernachtung ist malerisch am Fluss Drina und neben einer Brücke gelegen. Weiße Wolkenfetzen hängen tief über den niedrigen, dunkelgrün bewachsenen Bergen. Dunkle Wälder, vom Nebel umwoben. „Das ist für mich Bosnien.“ Wird mir Tomek am nächsten Tag sagen, als ich ihn antreffe, wie er verträumt in die Gegend starrt. „So sieht es hier jedes Mal aus.“

Links von uns befindet sich eine Polizeistation; der Polizeiwagen steht vor den Räumlichkeiten. Auf der anderen Seite ein paar zerbeulte, alte Autos, dahinter niedrige Wohnblocks. Ein typisch postsowjetisches Bild. Als wäre die Zeit stehen geblieben, fühle ich mich sofort in die neunziger Jahre meiner Kindheit zurückversetzt. Wir wandern zur Brücke, dann langsam in die andere Richtung. Der Fluss schlingt sich schlammig braun unter uns. Einer der unvermeidlichen, obdachlosen Streuner gesellt sich zu uns und leistet uns Gesellschaft, auf Schritt und Tritt folgend. Der Regen hat aufgehört, die Berge und der Himmel spiegeln sich in den großen, dunklen Pfützen. Auf einer Tafel hängen ausgefranst alte und neue Todesanzeigen aus dem Ort, und um die Mülltonnen herum tummeln sich herrenlose Katzen.

Die Gemüter sind sofort erhellt, als wir über eine Tankstelle herfallen. In übertragenem Sinne natürlich. Die litergroßen Behältnisse mit Wein erschlagen, wie immer, unsere Augen. Es gibt Rakija. Die Kids decken sich mit ihnen bekannten Snacks ein, die es so weiter westlich nicht mehr gibt. Der Abend ist gerettet.

Die Wolken verziehen sich irgendwo hinter die Berge und die Sonne lässt die Spitzen der Bergketten in warmen Gelb erstrahlen. Zwischen den Wolken tauchen Streifen blauen Himmels auf und einzelne Wolkenfetzen sehen aus wie Dampf.

Unser Streuner folgt uns die Straße hinauf. Wir bleiben stehen und bestaunen den feurigen Sonnenuntergang. Plötzlich haben die Wolken Flammen gefangen und es ist, als hätte jemand das Firmament angezündet. Senkt man ein wenig den Blick, ist von da, wo wir stehen, der Ort Dedevo gut zu erkennen. Viel gibt es nicht zu sehen, der Putz stellenweise abgefallen, die Mauern bröckelnd. Dahinter – Gärten, wo die Menschen Gemüse für ihren eigenen Bedarf anbauen. Alles irgendwie trostlos. Also schauen wir nach oben, zu diesem wunderschönen Himmel.

Auf dem Rückweg kommt uns eine alte, gebrechliche Frau entgegen. Sie bleibt stehen und beginnt, mit dünner Stimme auf serbisch auf uns einzureden. Wir verstehen kein Wort. „Ist gut, Großmütterchen.“ Sagt jemand und wir gehen weiter. Woher die Reaktion, wundere ich mich. „Das sind die Leute, die die Bosniaken abgeschlachtet haben.“ Puh. Daher also.

 

Die Zahnärztin

Am nächsten Morgen schaut mir im Spiegel ein massakriertes Gesicht entgegen. Das „Problemauge“, mit dem ich es seit Beginn der Reise zu tun habe, ist auf Pflaumengröße angewachsen und ich sehe aus, als hätte ich mich geprügelt. Und den kürzeren gezogen. Im Restaurant beim Frühstück schauen mir von den anderen Plätzen mitleidige Blicke entgegen. Mein Onkel und Tomek nehmen es locker. „Vielleicht denken sich die Kerle ja, so gehört sich das.“ Scherzt einer. Habe ich es erwähnt: die Polen haben einen echt schwarzen Humor.

Wie auch immer man es jedoch zu überspielen versucht, die Situation löst sich nicht von alleine. Über ein schwaches W-Lan versuche ich, einen deutschen Onlinedoktor zu kontaktieren. Fakt ist, ich brauche dringend Hilfe, egal, woher. Die Verbindung mit einem Internetarzt klappt nicht, doch ein Glücksfall kommt mir entgegen. Als wir schon gepackt draußen vor den Campinghäuschen warten, läuft eine Frau in einem weißen Kittel entlang des Weges. „Sie könnte Ärztin sein.“ Sagte ich. „Auf was wartest du?“ Sagt mein Onkel. „Los, sprich sie an.“

Ich also hinterher. Schnell, ehe meine Chance verstreicht, folge ich der schönen, blonden Dame ins Restaurant. Die ganze Sache ist mir sehr unangenehm, da ich sehe, dass die vermeintliche Ärztin zum einen Mittagspause und zweitens, allen Anschein nach ein Treffen mit jemandem hat. Doch Notsituationen verlangen nach Entschlossenheit, also trete ich an den Tisch und erkläre, so gut ich kann, mein Anliegen. Die Frau schaut mich verwundert, dann ratlos an. Sie begreift sofort mein Problem. „Ich bin aber Stomatologin.“ Sagt sie. Eine Ebene tiefer also. Irgendwie treffe ich auf meinen Reisen durch den Balkan immerzu nur Zahnärzte an, so wie damals in den Bergen Georgiens. Dann steht sie vom Tisch auf und führt mich zu ihrer Praxis neben der Polizeistation. Der dort zuständige Arzt – ihr Vorgesetzter, wie es scheint – schaut sich mein Gesicht kurz an, stellt dann ein Rezept über ein Kortison aus. Ein Antibiotikum bräuchte ich nicht, sagt er. Wer würde denn schon mit einem Doktor diskutieren. Ich bin der Ärztin dankbar dafür, dass sie ihre Mittagspause geopfert und ihre Verabredung sitzen gelassen hat, um mir zu helfen.

Ehe wir losfahren, ist noch was zu erledigen. Ich hatte ja gesagt, wir wollten nicht klauen und uns anständig benehmen? Nun, das ist vorbei. Zumindest wenn es nach meinem Onkel geht. Als ich aus der Zahnarztpraxis zurück zu meinen Leuten komme, ist mein Onkel dabei, einige Trauben für unsere Weiterreise von den Sträuchern zu pflücken. Nicht nur ich erwische ihn beim Mundraub, auch unser Gastgeber, der gerade des Weges entlang geht. Er grüßt kurz und tut so, als hätte er nichts gesehen. Onkel hüpft ins Auto und wir sehen zu, dass wir weiterkommen. Habe ich die nebenan stationierte Ortspolizei bereits erwähnt?

 

Montenegro, wo die Sonne scheint

Über eine enge, löchrige Straße, mit Blick auf Berge und auf einem Abgrund, machen wir uns zur bosnisch-montenegrinischen Grenze auf. Die ersten Kühe sind auf der Straße zu sehen. Die eh schon nicht allzu hohen Berge versinken unter einer dichten Wolkenwand und ein Campingplatz nach dem anderen zieht an uns vorbei. Rafting, wandern und eine Zipline – diese Gegend muss im Sommer überlaufen sein. Doch da: kurz vor der Grenze klart der Himmel auf und wie von Zauberhand verschwinden die Wolken, ganz so, als wollten sie in Bosnien verbleiben. Ein blauer Himmel und eine wärmende Sonne kommen auf, ihre Strahlen lassen die Weiden saftig grün aufleuchten. Der reißende, türkisblaue Tara-Fluss ist rechts von uns zu sehen.

Dann überqueren wir eine Brücke, die zugleich der Grenzübergang ist. Ein erster Stempel in unseren Pässen, der gleich begutachtet werden muss. Gleich dahinter erstreckt sich Montenegro. Und Montenegro nimmt unsere Herzen für sich ein. Die ersten hohen Berge – wunderschön. Die Felsen sind schroffer, die Berge sind höher, das Wasser ist blauer, das Wetter besser. Als hätten wir uns aus dem Schatten geschält und würden jetzt auf der Sonnenseite des Lebens wandern.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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15 Kommentare

  1. Ja, diese Wasserdampfaktion: ohne Worte! Ich würde im Zweifelsfall auch leugnen, den Ideengeber zu kennen 😅. Dein Auge sah ja wirklich schlimm aus. Ich hoffe, das Kortison hat bald zur Besserung beigetragen! @Bosnien: der von dir erwähnte postsowjetische Charme, der hier und da noch hervor blitzt, ist einer der Gründe, weshalb ich mich bisher vom Balkan ferngehalten habe. Irgendwie törnt mich das ab wegen der Tristesse, die damit in meiner subjektiven Wahrnehmung einher geht. Landschaftlich aber ist es sehr schön, wie ich deinen Beiträgen entnehmen kann! Montenegro scheint da ja noch eine Schippe draufzulegen, nicht nur beim Wetter. Freue mich auf die Fortsetzung 😎.

    1. Mich interessieren die postsowjetischen Staaten sehr; einfach mal sehen, wie es dort heute ausschaut, wie haben sie sich entwickelt… die „Tristesse“ (und ich weiß genau, was du meinst) ist auch nicht meins. Vieles erinnert mich so an das Polen der Neunziger. Aber das ist ja glücklicherweise nicht alles, was so ein Land ausmacht und dann kann ich drüber hinweg sehen.

    2. Ach ja, Auge: es wurde schlimmer. Die ganz üblen Fotos habe ich hier nicht reingestellt, am Schluss sah das aus, als hätte mir jemand eine links und eine rechts verpasst. Natürlich wurde ich dann mitleidig und „meine Männer“ vorwurfsvoll angeschaut… 🙂

      1. Da fällt mir ein Like natürlich schwer! Aber sicherlich ist das Übel ja irgendwann verschwunden, auch wenn es lange gedauert hat. Und ja, den Jungs hat die Sache ganz sicher nicht den besten Ruf eingebracht 🤣.

        1. Das Übel verschwand tatsächlich, aber nicht WÄHREND dieser Reise. Na ja, was meine Jungs betraf, ich denke, dass sich so schnell niemand mit ihnen hätte anlegen wollen 🤣

          1. Ui, das hat dich echt die ganze Reise über begleitet? Hartnäckig!

          2. sagt:

            Es ging nur langsam wieder weg. Kleiner Spoiler: am letzten Tag der Reise, also die Ankunft in Polen, war nichts mehr zu sehen… Ich nenne es: das blaue Reiseauge 😉

          3. Die blauäugige Kasia 😇

          4. sagt:

            Menno… 🙂

      2. Ja, das kann ich mir lebhaft vorstellen, dass der Ruf „deiner“ Männer nachhaltig ramponiert wurde 😅. So entstehen Gerüchte, und so halten sich Klischees!

        1. Ha ha… „Psst, wisst, ihr noch, die Polen gestern? Man man, mit denen ist nicht gut Kirschen essen…“ 😉

  2. Wie so oft ein spannender Beitrag.

    1. Vielen Dank!

  3. Eure Gastgeber werden wohl auch über die hohe Wasserrechnung erstaunt sein.
    LG Harald

    1. Ja, ich fand das auch furchtbar. Aber am Ende hatte ich keine Lust, mit zwei Alphas rumzudiskutieren… 😉

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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