Asien, Georgien

Festung Ananuri – wo Georgien einer Kirmes gleicht

An diesem Morgen sitze ich leicht ermattet im Wagen. Der gestrige Abend hatte mich mitgenommen. Missgelaunt registriere ich das Geruckel der Kiste auf der unebenen Fahrbahn und die Mitteilsamkeit meiner Mitreisenden. Die natürlich nicht davon ablassen können (oder wollen?), sich zu amüsieren. Auf meine Kosten.

„Ja, Kasia… wenn wir ankommen, trinken wir einen Chacha zusammen.“
„Nur mit Kasia kann man so richtig gut Chacha trinken.“

Und registrieren es vergnügt, wie sich bei jeder Erwähnung des Wortes mit „Ch“ mein Magen ein wenig mehr zusammenkrümmt. Chacha. Dieses Teufelszeug. Nie wieder Chacha.

Dabei hatte der gestrige Abend so schön angefangen. Müde von der langen Fahrt von Omalo im Großen Kaukasus zurück nach Tiflis quartieren wir uns erneut im selben Hotel ein. Die Zimmer sind altbacken schön, das Essen ausgezeichnet und die Menschen herzlich. So begrüßen sie uns am Abend mit einem köstlichen Mahl, einer Flasche tiefroten Weines und einem kristallklaren Becher Chacha. Glücklich, an so einem heimeligen Ort angekommen zu sein, lassen wir den Abend schön ausklingen.

Irgendwann klinge ich mich dann aus und verabschiede mich mit Gosia nach oben. Die Überredungsversuche der Männer, doch noch beim zweiten Becher Trester mitzuhelfen werden von mir weitestgehend ignoriert. Denn ich ahne schon, dass mich das am folgenden Morgen noch verfolgen wird.

Nachts hören wir Schüsse unten auf der Straße. In was für einer Gegend haben wir uns hier niedergelassen? Denkt noch mein benebeltes Hirn. „Das ist nur Feuerwerk.“ Sagt Gosia. Und als ich schon beruhigt meinen Kopf aufs Kissen legen will, flüstert sie: „…oder doch nicht?“

Kleiner Spoiler: am nächsten, diesen Morgen erfahre ich, dass unten tatsächlich geschossen wurde. Vielleicht haben welche eine Hochzeit gefeiert. Oder – nach Quentin Tarantino-Manier – eine beendet, wer weiß das schon so genau. Ich habe wirklich gerne an die Geschichte mit dem Feuerwerk glauben wollen.

Jedenfalls bin ich nun, so wie Jacob in den vergangenen Tagen, ebenfalls Opfer des liebevollen Spottes meiner Familie geworden. Nichtsdestotrotz versucht Tomek, meinem Wohlbefinden auf die Sprünge zu helfen. Mit Bier. Nach kurzem Halt an einer Tankstelle kommt er mit drei Dosen Bier zurück.

„Hier!“ Er will mir eine in die Hand drücken. „Danach wirst du dich besser fühlen.“ Ich lehne kategorisch ab und vermute dahinter einen Mordkomplott. Die wollen dich gar nicht mitnehmen, die wollen dir den Rest geben. Ich muss das Bier mit voller Verachtung angesehen haben, denn Tomek wirkt sichtbar ratlos. Jacob „opfert“ sich schließlich. „Gib her, ich trink’s.“ Das Bier ist weg, glücklicherweise.

Doch lange Zeit bliebt mir nicht, in Selbstmitleid zu versinken, denn wir haben heute Spannendes vor. Wir besuchen den Kazbegi-Kanyon an der Grenze zu Russland und besichtigen die Gergetier Dreifaltigkeitskirche, im wahrsten Sinne des Wortes die berühmteste Kirche des Landes (außerhalb Georgiens), die mit ihrer einsamen Lage auf einem grünen Berg die Vorderseiten der Kataloge zu geführten Touren durch Georgien ziert. Aber: „So schön wie in Omalo wird es nun nirgends mehr.“ Warnt uns Tomek vor. Das gibt zu denken. Omalo – was könnte dies noch toppen? Na eben. Nichts.

 

Ananuri Castle

Die erste Station auf unserer Tour. „Station“ klingt ein wenig unromantisch und wird dem schönem, historischen Ziel sicherlich nicht gänzlich gerecht, doch genauso fühlt es sich auch an, als wir an einem belebten Parkplatz halten. Touristenbusse spucken ihren „Inhalt“ hinaus, welcher sich dann in Richtung Burganlage ergießt.

Was mich bereits im Vorbeifahren faszinierte, das war die toxisch blaue Färbung des Stausees. Das Wasserreservoir erstreckt sich V-Förmig auf einer Fläche von über 11,5 Quadratkilometer und dient der Stromerzeugung und der Versorgung der Hauptstadt Tiflis mit Wasser. Die Färbung des Wassers stammt vom Gletscherschliff im Kaukasus, die auf der Höhe von 3200-3500 m liegen. Das Blau leuchtet unwirklich trotz des bewölkten Wetters, welches uns seit unserer Abreise aus Omalo nicht mehr verlassen will.

Das Zhinvali-Wasserreservoir entstand erst 1986. Ein ganzes Dorf samt einer aus dem 12 Jahrhundert stammenden Kirche musste dafür weichen. Wenn der Wasserstand niedrig ist, sollen Teile der Kirche aus dem Wasser emportauchen. Manche Georgier glauben, von dort unten hin und wieder Kirchenglocken läuten zu hören.

 

Die Burg liegt nun malerisch an eben jenem Wasser. Die leichte Zugänglichkeit reicht aus, um zu einer der größten Attraktionen des Landes zu werden. Mit dem oben erwähnten Touristenbussen und kleineren und größeren Verkaufsständen mit Fressalien und Souvenirs. Wobei mich die Fressalienstände durchaus zu interessieren beginnen. Wir kaufen uns je einen Granatapfelsaft. Weil wir das mal erwähnt hatten. Granatäpfel sollen Georgiens Exportartikel Nummer eins sein. Und na ja… Granatapfelsaft gegen Kater ist keine schlechte Sache.

 

Legende der Burg

Die Geschichte der Ananuri Festung in der Region Duscheti soll hier mit einer Legende beginnen. Zu einer Zeit, als die Gegend häufig Ziel von Angriffen war, schlossen sich die Einwohner der Festung ein, um einer Belagerung der Tataren standzuhalten. Die Angreifer hatten die Hoffnung, die Einwohner der Burg nach und nach auszuhungern. Sie wussten jedoch nicht, dass sich ein langer, unterirdischer Tunnel bis zum Aragwi-Fluss erstreckte und die Versorgung der Georgier somit gesichert war. Irgendwann beschlossen die Belagerten, den Feind zu verwirren und warfen bei einem der Angriffe Fische von den Burgmauern. Das Vorhaben gibt so semi-gut aus, denn von da an waren sich die Tataren sicher, dass es einen geheimen Zugang zur Anlage geben musste. Diesen beschlossen sie zu finden, jedoch ohne Erfolg. Als sie einer Frau, Ana aus dem Ort Nuri, habhaft wurden, folterten sie sie, um ihr das Geheimnis der Festung zu entlocken. Ana schwieg und wurde schließlich getötet. Zu ihren Ehren benannten Georgier die Festung Ananuri.

Die geschichtlichen Tatsachen besagen, dass die Ananuri Festung von 13 Jahrhundert an Sitz der Herrscher von Aragwi war. Der Ort wurde im Laufe ihrer Geschichte so häufig angegriffen, dass die Georgier die Hauptstraße, die zur Burgfestung führt, als die Georgische Heerstraße benannten. Heute ist die Burganlage Teil des UNESCO-Welterbes.

Nach der kurzen Besichtigung der, zugegeben, schönen Kirche mit ihren Freskenmalereien entferne ich mich wieder vom Getümmel und wende meine Schritte in Richtung des Stausees. Eine Brücke mit abenteuerlich anmutenden Türmchen auf beiden Seiten spannt sich über das blaue Gewässer, und angebundene Pferde warten wohl auf mitfahrwillige Besucher. Am Rande des Trampelpfades abgestellt ruht ein alter, sowjetischer Wagen. Tief hängen die bleigrauen Wolken über dem Wasser und verdecken die Berge. Wir sind fast außerhalb der Reisesaison unterwegs und das Wetter verschlechtert sich zunehmend. Welch ein Unterschied: bei unserer Ankunft wanderten wir bei fast vierzig Grad Hitze und windigen Sandböen durch Kutaissi.

Irgendwann ist auch meine Meute da und wir stoßen zu Tomek, der mit großem Interesse beobachtet, wie ein Rudel herrenloser Hunde einer Sau ihre Ferkel abspenstig zu machen versucht. Die Hunde haben Hunger, doch die Sau wehrt sich mit Leibeskräften. Die Hunde ziehen sich zurück – und kommen mit Verstärkung wieder. Ich will weg, die Faszination für das Geschehen wirkt befremdlich auf mich.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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9 Kommentare

  1. […] Was mich nicht davon abhielt, den Männern kräftig einzuschenken. Meine späte Rache für die Geschichte mit Chacha von vor ein paar Tagen. Den Effekt konnte ich soeben im vollen Tageslicht […]

  2. So so. Du brauchst gar keine Michelada, du hast ja Chacha. 🤭😉 Sind diese Tataren denn die Erfinder des besagten Tatars?

    1. Nicht wirklich, nein. Der Name geht auf eine frühere Überzeugung zurück, wonach Tataren während ihre Angriffe rohes Fleisch als Proviant unter ihrem Sattel transportierten…

  3. Dank der georgischen Gastfreundschaft und den Trinkgewohnheiten deiner Verwandten wäre ich aufgrund meines Reizdarms bei der Tour schon längst gestorben. 😉 Aber das Land ist schon toll.

    (Ich kann duchaus Alkohol trinken, aber nicht so durcheinander.)

    1. Na ja, in dem Land war es auch schwierig, abstinent zu sein, es hatte sich einfach angeboten (oder: es wurde angeboten…?) Jedenfalls ist es ein tolles Land und vermutlich werde ich bald wieder hin reisen – diesmal ohne Verwandtschaft 😉

  4. Ach herrje, da haste ja echt gelitten unter dem Alkoholeinfluss! Aber dennoch scheinst du den Tag dann doch ganz gut durchgehalten zu haben. Die Burg und der Stausee gefallen mir! Die Sache mit den Schüssen hätte mich auch beunruhigt … Aber es war dann ganz bestimmt doch nur ein Feuerwerk 😁.

    1. Ja, der Chacha ist tückisch… aber ich will das mal auf die „schlechte Gesellschaft“ schieben 😉 Die Burg und der Stausee sind eine tolle Kulisse, aber wenn man schon im Kaukasus war… Und ja, ich denke auch, dass das ein Feuerwerk gewesen ist. Die werden nicht wirklich geschossen haben.
      …oder? Hm…

  5. Vielen Dank für das teilen. Es gibt verschiedene Dörfer die wegen das bauen eine Stausee under das Wasser gingen. Auch die Legende der Burg hab ich toll gefunden.

    1. Ja es ist schade drum. Aber manchmal ist der Nutzen einfach größer – Strom und Wasserversorgung sind essenziell…

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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