Das geile Frühstück muss ich nicht extra erwähnen, oder? Nein, muss ich nicht – weil wir noch vor selbigem uns hoch zur Burganlage aufmachen. Ist sie anders bei Tage als bei Nacht? Hm, vielleicht, das gilt es herauszufinden. Wenn es nach mir ginge, müsste ich da nicht nochmal hin – arroganter Weise glaube ich, bereits alles gesehen zu haben. Doch meine Community sieht das anders.
Wie sich alles auf einer Reise fügt (und noch mehr Wein)
An diesem Morgen lassen wir das Frühstück ausfallen. Vorerst. Nach dem üppigen, gestrigen Mahl ist niemand mehr so richtig hungrig. Und so richtig nüchtern… bis auf unseren Fahrer, den heute mein Onkel macht
Zunächst werden wir vom selbigen recht zügig zur antiken Festung gescheucht. „Kommt, auf geht’s! Eine polnische Reisegruppe ist bereits wieder auf dem Weg nach unten!“ Ich schaue seufzend auf die Uhr. Es ist zwanzig vor neun. Auch meiner Zimmergenossin ist die Müdigkeit im Gesicht anzusehen. Noch nicht wirklich wach schleichen wir den Weg hoch. Was will man machen, wenn die Gruppe ruft, dann fügt man sich der Mehrheit – und seinem Schicksal.
Doch alles klingt jetzt negativer als es ist. Den im Allgemeinen geht es friedlich und harmonisch auf unserer Reise zu. Ich hatte mit einer Art „Diktatur des Stärkeren“ gerechnet (die im konkreten Falle Onkel und Tomek gewesen wären). Doch nichts dergleichen traf zu. Im Gegenteil, es werden alle Meinungen, Ideen und Einwände aufgenommen und diskutiert. Am Ende entscheidet man sich gemeinsam für die beste Option. Das klappt reibungslos. Vielleicht, weil alle Teilnehmer angehört werden und sich jedes Mitglied so gleichwertig fühlt, fällt es den Einzelnen im Nachgang leichter, zu verzichten und sich zurück zu nehmen zum Wohle der Gemeinschaft. Und es sind nicht immer die gleichen, die zurückstecken (sprich: Frauen und Kinder, grins…). Nein, auch bei Tomek oder meinem Onkel war das schon der Fall. Die Entscheidungsgewalt ist gleichmäßig verteilt. Wir sind eine perfekt funktionierende, kleine Demokratie.
Ich bin froh, denke ich mir, als ich mit den anderen die Festungsmauern betrete. Froh, mich dem Gruppenwunsch gefügt zu haben. Denn die Festung sieht bei Tage noch weitaus imposanter aus als der Blick bei Nacht vermuten ließ. Weit und hoch erstrecken sich ihre Mauern und Wehranlagen. Innerhalb der Mauern werden Details sichtbar, wie die offensichtlich rekonstruierten, holzgeschnitzten Balkone und die schlüsselförmigen Türen und Eingänge. Ein wenig erinnert sie mich an eine Kreuzritterburg, doch die osmanisch-türkischen Einflüsse sind unübersehbar. Die Anlage wurde im Jahre 2011-2012 umfangreich restauriert.
Lange bleibt unsere kleine Gruppe nicht alleine. Wir sind zwar lange vor den anderen Besuchern und somit vor dem üblichen Ansturm hier, zudem ist Nebensaison in Georgien. Doch einem ist unsere Anwesenheit nicht entgangen, und zwar einem der vielen Straßenhunde, die in und um die Festung streunen. Schwarz ist er, schwarz wie die Nacht, mit den Gelben Augen eines Dämons – und er hat sich offensichtlich mich zu seinem Frauchen (und Leitfigur) auserkoren. Warum ausgerechnet mich, wo ich doch so gut wie gar nichts mit Hunden am Hut habe, das weiß nur er allein. Jedenfalls folgt er mir auf Schritt und Tritt. Selbst steile, verwinkelte Treppen, de in Festungstürme führen, nimmt der dürre Streuner auf sich und ist immer bei uns, geduldig und still wie ein Schatten. Anfangs beäuge ich seine Anwesenheit noch mit Argusaugen, doch schließlich gewöhne ich mich an ihn.
Wir steigen in die vielen Türme hinauf, die hier allesamt frei zugänglich sind. Von hier oben lässt sich die Anlage gut überblicken, mitsamt ihrer gewaltigen Mauern, umgeben von kahlen Bergen, die sich in der Sonne wellenförmig in die Landschaft fügen. Welch ein Unterschied zu der Gegend, die wir gestern auf dem Weg hierher überquerten. Wir befinden uns nicht weit von der Grenze zu Türkei, und auch Armenien ist nur einen Steinwurf entfernt.
Entsprechend wirkt auch die Gegend. Haben mich die Gebirge, die wir gestern durchquerten, mehr an die Alm erinnert, samt Kühen, Schweinchen und Wachhund, so wirkt dies hier fremdartig. Ich kann im Grunde kaum glauben, dass ich hier bin.
Ein wenig Geschichte
Die Stadt wurde im 9 Jahrhundert gegründet. Die Ursprünge der Festung selbst werden im 13 Jahrhundert vermutet, als die Stadt größer und bedeutender wurde.
Der Name „Rabati“ bedeutet aus dem arabischen übersetzt so viel wie „befestigter Ort“. Der ursprüngliche Name der Festung war „Lomsia“, aus dem georgischen „der Löwe“. Doch in den meisten historischen Dokumenten wird die Burg als „Achalziche-Burg“ bezeichnet. Vom 13 bis 14 Jhd. wurde die Stadt von einer georgischen Adelsfamilie regiert, dem Haus Jaqueli.
Trotz türkisch-mongolischer Invasionen hielt sich die Stadt und blühte und gedieh. Ende 16 Jhd., nach dem Vertrag von Konstantinopel, kam die Festung unter die Herrschaft des Osmanischen Reiches. Ein großer Teil der Bevölkerung wurde islamisiert. Nach der Eroberung im 19 Jhd. von Prinz Paskevich gaben die Osmanen die Stadt wieder an Achalziche ab.
Architektonisch reich
Die Burganlage enthält nicht nur rohe Massen aus Stein, die der Verteidigung dienen, es befinden sich kleine, hübsche Lustgärten innerhalb ihrer Mauern. Die Hecken und Grünpflanzen sind akkurat und kunstvoll zugeschnitten und die Teiche gepflegt. Wir wandern durch kleine Grünanlagen, gestutzte Buchsbäume, an Weinrebenranken vorbei. Türme spiegeln sich im glatten Wasser. Kleinere und größere Tempel, Pavillons und Springbrunnen bieten allerhand fürs Auge. Bei der umfangreichen Restaurierung in den Jahren 2011-2012, für die die georgische Regierung rund 34 Mio. Lari aus der Staatskasse flüssig machte, wurden viele vor langer Zeit zerstörten Gebäude erneuert. So treffen wir nicht nur auf Gärten und Holzbalkone, sondern auch auf chinesisch anmutende Pavillons.
Die Festung ist so weitläufig, da sie sich in drei Teile gliedert: die Burg selbst, die Zitadelle und der Bereich der früheren Stadt. Drei Wälle umgeben die Burg und Tunnel verbinden sie nach außen in angrenzende Gebiete. 1772 baute der georgische Herrscher Haji Ahmed-Pasha Jaqeli innerhalb der Burg eine Moschee, die der Hagia Sophia nachempfunden wurde. Bis 1828 wurde sie auch als solche genutzt, anschließend geweiht und zur Kirche erklärt. Heute ist sie ein Museum und ohne weiteres betretbar. An ihre Funktion als Stätte des islamischen Glaubens erinnert nur noch die charakteristische Form. Der Hund, mein schwarzer Hund, folgt uns hinein. Auf dem Weg hierher hatte er andere Streuner abwehren müssen, die hinzu kamen und versuchten, ihm seinen Platz in der Menschengruppe streitig zu machen.
„Das wäre ein Ding, wenn ein Muslim das sehen würde.“ Sagt jemand. „Ein Hund in einer Moschee.“ Der Vierbeiner lässt sich indessen auf den kühlenden Steinfließen nieder. Die vier Menschen und der Hund stehen im Kreis und betrachten den Mosaikboden, und wie sie da so beisammen stehen, wirkt es, als suchten sie den heiligen Gral.
Keine Prinzessin
Ich laufe zum Hund rüber und strecken die Hand aus. Er schnuppert und wedelt kurz freundlich mit dem Schwanz ob der Willkommensgeste. Überhaupt hat mich das Tier bisher keine Sekunde lang aus den Augen gelassen. Unauffällig hat er sich in die Rolle des Gruppenbegleiters eingefügt. Nun scheint er in uns sein Rudel gefunden zu haben. Und er hat allen Anschein nach mich gewählt und seine Loyalität gilt mir. Wenn ich am Trödeln bin und die Gruppe bereits weitergezogen ist, kommt er zurück gelaufen, um zu schauen, wo ich bin. Der Gedanke daran, ihn hier zurück zu lassen, bricht mir jetzt schon das Herz.
Das entgeht auch meinem Onkel nicht, der er redet auf mich ein wie auf einen kranken Gaul. Du weißt, wir können den Hund nicht… Ja ja, weiß ich alles. Um mir die schwere Bürde abzunehmen, sperrt Onkel den Hund zwischenzeitlich in einen der Wehrtürme ein, doch ich laufe zurück und befreie ihn wieder. Wenn wir uns schon trennen müssen, dann nicht auf diese Weise. Außerdem ist die Töle keine Prinzessin. Mein Onkel resigniert. „Jetzt wird uns der Hund bis zum Hotel folgen.“ Meinetwegen.
Doch die Sorge ist unbegründet. Als wir im Hotel ankommen, bleibt der Hund vor dem Tor stehen und folgt mir nicht. Die Erfahrung hat es ihn gelehrt, dass man… pardon: hund nicht in des Menschen Häuser darf.
In aller Ruhe holen wir das versäumte Frühstück nach. Jetzt haben wir auch wieder Hunger. „Wenn wir losfahren und der Hund hinter dem Auto rennt, heule ich los.“ Sage ich. Keiner sagt etwas. Ich hatte zwischendurch die irrsinnige Idee, meinem treuen Begleiter alle notwendigen Impfungen angedeihen zu lassen und ihn mit in den Flieger zu nehmen; bei den großen, aufrichtigen Hundeaugen hat mein sonst üblicher Pragmatismus für kurze Zeit ausgesetzt.
Als wir, mit unseren Koffern beladen, in Richtung Parkplatz gehen, ist der schwarze Hund verschwunden. Ungläubig schaue ich mich um. Ich dachte, die Sache würde weitaus dramatischer enden…
Historische Quelle: wikipedia.org
Die Burganlage ist klasse. Sehr sehenswert! Gut, dass ihr da noch einmal bei Tageslicht hingegangen seid. Euer Demokratie-Experiment hat also tatsächlich funktioniert. Glückwunsch 😁!
So wie ich meinen Onkel noch aus der Kindheit kenne, habe ich eher an eine furchteinflößende Diktatur gedacht. Aber nein, wir waren ein sehr harmonisches Grüppchen, was mich gefreut hat.
Schöne Bilder, das macht Lust auf mehr…
Schöne Landschaften und ein tolles Land 😉
Ein schöner Rum, aber ein Hund stiehlt einem schneller das Herz als ein Schloss….
Ja, da ist etwas Wahres dran… 🙂
In Deutschland gibt es bestimmt auch tolle Hunde.
Aber ich will doch gar keinen Hund… ich habe keinen Platz / keine Zeit für einen Hund… Nur war dieser spezielle Hund halt sehr hartnäckig 😉
Das habe ich mir doch gedacht.
Ich fürchte bei diesem Hunde-Angebot könnte ich auch schwach werden…
Der Hund war toll. Ich denke noch manchmal an ihn. So ein toller Hund *schnief*