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Kavalierszimmer und Damenbau – Das Fürstenlager Bergstraße

Das Auerbacher Fürstenlager im gleichnamigen Stadtteil Bensheims entstand zwischen 1790 und 1804 als Antwort auf die zunehmende Industrialisierung und Ausdehnung der Stadtflächen. Die Menschen wollten weg von der Kälte und Naturfeindlichkeit der Industrie. Entstanden sind grüne Oasen, Parks und Obstwiesen, die zum flanieren und Erholung einluden. Der wichtigste Name in diesem Zusammenhang ist wohl der des in Heppenheim geborenen Architekten, Stadtplaners und Steinmetzes Heinrich Metzendorf (1874-1934), der das Gesicht der Bergstraße prägte. Doch ja, lieber Leser, richtig aufgepasst: das Fürstenlager gab es da schon. Es wurde von Landgrafen und Großherzogen Hessen-Darmstadt als Rückzugsort für die Sommertage in Auftrag gegeben.

Rund hundertdreißig Bauvorhaben habe er zur Lebzeiten hervorgebracht, woraufhin man ihn gemeinhin den „Baumeister der Bergstraße“ nannte. Das sogenannte „Metzendorf-Viertel“ bezeichnet ein großräumiges Projekt aus Villen und Anlagen, die bis heute charakteristisch für diesen Teil der Bergstraße sind. Auch heute noch kann die Landschaftsgestaltung über den sogenannten „Metzendorf-Rundweg“ besichtigt werden.

Unsere Wanderung beginnt an einer kleinen, erhabenen Bergkirche, die seinerzeit als Hofkirche der Fürsten und Herzöge genutzt wurde. Ach, eine eigene Kirche, wer hätte das nicht gerne.

Es ist bedeckt und es zieht, nicht gerade die optimalsten Bedingungen für einen Sonntagsausflug. Das gibt mir auch mein Liebster unmissverständlich zu verstehen, indem er den Kragen auf- und die Kapuze des Pullis tief über die Augen zieht. Gut, ich habe es mir auch anders vorgestellt, doch nun sind wir hier und schleichen zu viert um die Kirche herum. Zu viert, das sind Moni, Achim, Stefan und ich. Wir begutachten das Panorama (der Blick über die Stadt ist wirklich nicht von schlechten Eltern) und versuchen, uns durch drücken diverser Klinken Zugang zum Innern der Kirche zu verschaffen. Daraus wird wohl nichts, denn obwohl wir den Bau einmal mehr umrunden und dumpfe Geräusche (eine Messe?) aus dem Innern zu vernehmen sind, erbarmt sich keiner der verkühlten Wanderer.

Achim, Moni, ich – und Stefan, hinter der Kamera 🙂

Gut, der verkühlten Wanderer, die soeben bequem mit Achims Auto hier rauf gekommen sind – aber geschenkt. Wir schleichen weiter, runter zum Fürstenlager, dieser ausgedehnten Gartenanlage der Reichen und Schönen, die um das frühe neunzehnte Jahrhundert (siehe Pflichtinfo oben) entstanden ist. Schon bald kristallisieren sich Dynamiken heraus; Moni und ich tänzeln flotten Schrittes voran, während die Männer unwillig hinter uns her schleichen. Schon an jenem kleinen Teich, der den Beginn der Anlage markiert, streikt mein Stefan endgültig („meine Bandscheiben!“) und wächst mit der hölzernen Sitzgelegenheit zusammen, die strategisch günstig am Wasser und nahe des in der Kälte spielenden Musikers positioniert ist. Welch ein Zufall. Ich seufze, zucke mit den Schultern und ziehe weiter. Wenn mein Liebster in dieser Stimmung ist, würde auch ein Kran ihn nicht wegbewegen.

Die Dynamiken verändern sich. Während Achim irgendwo beim Fotografieren auf der Strecke bleibt (Moment, war das nicht immer mein Part?), ist Moni flotten Schrittes schon bald vorne und studiert die zahlreichen Infotafeln. Und zu lesen gibt es wahrlich viel. Prinzen- und Damenbau, Zuchthaus (wer wurde hier gezüchtigt?) und diverse weitere, befremdlich klingenden Namen starren uns entgegen. Ich bin indessen irgendwo dazwischen und versuche, sowohl ein paar schöne Aufnahmen des Parks zu ergattern, als auch etwas für meine Bildung zu tun. Und da ich diesbezüglich meine Hausaufgaben gemacht hatte, im Nachgang noch ein bisschen Pflichttext.

Der Staatspark Fürstenlager ist eine ehemalige Sommerresidenz der Landgrafen und Großherzöge von Hessen-Darmstadt. So Wikipedia, so gut. Interessant ist wohl der Fakt, dass die Bezeichnung „Fürstenlager“ der Gartenanlage nicht von den Auftraggebern des Projektes selber, auch nicht von Architekten, sondern von der Bevölkerung gegeben wurde. Untypisch für die damalige Zeit war dieser weitläufige Garten für jeden Bürger frei zugänglich. So konnten die Menschen „ihre“ fürstlichen Familien dabei beobachten, wie sie bei schönem Wetter die grünen, grasbewachsenen Hügeln und Pavillons „belagerten“.

Na, mein Hase?
Die liebe Elke hätte hier sowas geschrieben wie: „überbrückt“ 😉

Der Garten ist eine wahre Augenweide, vor allem jetzt zur Frühlingszeit und ungeachtet des kalten Wetters. Die ganze Anlage ist im Stil eines englischen Landschaftsgartens angelegt worden. Blühende Magnolien, Narzissen und Obstbäume, kleine Haine und Pavillons, Brunnen, ein malerischer Teich. Ästhetisch zusammengestutzte Platanen; der sogenannte „Baumsaal“. Rund fünfzig exotische Pflanzenarten, unter anderem ein riesiger Mammutbaum (der älteste Deutschlands und eventuell in ganz Europa(!), vermutet Wikipedia), wurden hierher gepflanzt. Dazu die filigranen, weißen Bauten im klassizistischem Stil. Sie wurde von der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten für eins komma drei Millionen Euro saniert und ist heute Veranstaltungsort für Fest- und Sommerspiele. Eine Sommerresidenz, die sich sehen lassen kann.

Es gibt Herrenhaus, ein Wachthäuschen, die bereits erwähnten Prinzenbau- und Damenbau, ein Badehaus… Sogar eine Eremitage ist vorhanden. Für diejenigen, die das zwar schon mal gehört haben, aber nicht so viel mit der Bezeichnung anfangen können: eine Eremitage ist im Normalfall der Rückzugsort eines Eremiten, eines Menschen, der aus religiös motivierten Gründen ein Leben abseits des Trubels in Einsamkeit und Enthaltsamkeit halten möchte. Was hat denn eine solche Einrichtung mitten in einem herrschaftlichen Vergnügungsensemble verloren? Nun, weniger bekannt ist die Tatsache, dass sich zur damaligen Zeit die Herrschaften oft und gerne einen „Eremiten“ in ihrem eigenen Lustgarten hielten, als Kuriosität und zur Unterhaltung der flanierenden Gäste. Dafür wurden eigens Eremitagen und künstliche Grotten errichtet. Tja, mit Menschenrechten hatte man es damals nicht so.

Achim bleibt zurück, verloren in den fotografischen Funktionen seines Smartphones, während Moni und ich noch eine Extrarunde drehen. Ich habe meine Wanderschuhe zu Hause gelassen, da ich wusste; mit meinem Stefan wird es so etwas wie eine Wanderung nicht geben. Ich wundere mich sowieso, dass er es bis hierher geschafft hat.

Bunte Waldblumen strahlen uns entgegen, blühende Apfelbäume auf den berühmten Odenwälder Hügeln. Ja, Moni, ich weiß; der „richtige“ Odenwald beginnt erst hinter dieser Bergkette. Ich wüsste gerne, was sich in diesem Gewächshaus befindet, sinniere ich laut vor mich hin mit Blick nach links. Geht doch hin und schau nach… Nein, das ist nicht das Engelchen auf meiner Schulter, dem diese Stimme gehört; das ist Moni. Also nicht weit vom Engelchen entfernt. Es wird noch einen Tick kälter und windiger. Ich komme zu dem Schluss, dass mir meine Neugier doch nicht so wichtig ist. Wir nehmen uns ganz fest vor, hier mal wandern zu gehen. Mal sehen, wann das wohl sein wird…

Als wir wieder zu den Anlagen zurückkehren, sitzen beide Männer beisammen in fröhlicher Erwartung. Na gut, jeder ist in irgendwas vertieft. Männer halt. Mein Liebster hat sich bis hierher geschleppt. Was sagen denn die Bandscheiben? „Ich glaube, wir gehen langsam heim…“

Den Abend lassen wir bei unseren Freunden zu Hause ausklingen. Es wird zusammen gekocht und mein hausgemachtes Bärlauch-Pesto verkostet. Dazu Achims berühmte Bratwurst vom Grill. Pasta und Bratwurst. Sind Italiener unter euch? Bitte kurz die Ohren zuhalten… 😉 Aber es hat prima geschmeckt. Für die schöne, große Sonnenterrasse der beiden fehlt heute die Sonne. Das holen wir unbedingt mal nach…

Übrigens, die Bratwürste waren mit Käse gefüllt… mit KÄSE… herrlich lecker

 

Die Galerie zeigt euch mehr…

Quellen:

bensheim.de
wikipedia

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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20 Kommentare

  1. Das ist ja mal ein toller Garten! Englische Landschaftsgärten finde ich ja generell klasse. Und ja, messerscharf geschlossen: ich hätte das einschlägige Foto wohl tatsächlich mit „Überbrückt“ betitelt 😅. Ganz schön berechenbar, die Elke, wa?

    Tja, die Jungs … was soll ich jetzt dazu sagen? Ach, lieber mal unter vier Augen, wenn ich das nächste Mal gen Saarland fahre und dann doch mal einen Stopp am Mannheimer Bahnhof auf einen Kaffee einlege 😎.

    Euer Abendmahl war ja echt sehr zünftig! Die Spaghetti mit deinem hausgemachten Bärlauchpesto hätte ich auch liebend gerne verdrückt. Lecker!

    1. Lach, also habe ich die liebe Elke richtig eingeschätzt mit dem einschlägigen Foto 🙂 Na, so vorhersehbar auch wieder nicht, aber wenn man dir und deinen Berichten länger folgt, drängen sich einem von selbst entsprechende Titel ins Hinterstübchen, sobald man irgend einen zerklüfteten Baumstamm oder ähnliches sieht *hüstel*

      Ja, über die Jungs lästern, das tun wir mal lieber nicht öffentlich 😉 Kaffee, ja, sehr sehr gerne. Auch wenn es ein To go sein sollte…

  2. EIn Blick in die Vergangenheit. Auf jeden Fall ist der Garten schön angelegt. Ich könnte mir vorstellen, dass er, wenn alles in voller Pracht steht, ziemlich romantisch aussieht.

    1. Ja, das tut er tatsächlich. Es ist ein wunderbarer Ort zum flanieren und, wenn man weiter läuft, kommt man zum Odenwälder Felsenmeer oder zum Auerbacher Schloss, auch sehr malerisch 🙂

  3. Prinzen? Fürsten? Landgraf? Großherzog? Ich glaub ich bin im falschen Film. Was es nicht alles gibt? Vielen Dank fürs Teilen!

    1. Der Damenbau ist der Hammer… schade, dass man nicht rein durfte. Ach ja, ein Prinzenzimmer ist natürlich auch nicht zu verachten. Fehlt halt nur noch der Prinz. Vielleicht spendieren die „von Anhalts“ ja einen? 😉

  4. Ja, der Frühling ist noch recht frisch. Sich da dennoch aufzuraffen erfordert Enthusiasmus – den wohl nicht alle teilen. Ein Kran als Wanderzubehör ist mir jedenfalls nicht bekannt. Aber unter Schmerzen zu wandern ist auch nicht so der Hit. Also: danke fürs mitnehmen und gute Besserung!

    1. Vielen Dank, lieber Tom. Ich glaube, Stefan geht es wieder besser, er hat heute sein Motorrad ausgepackt. Der Enthusiasmus war auf jeden Fall da, zumindest bei uns Frauen. Die Männer gingen mit, weil sie uns so lieben… ach, Quatsch, sie gingen natürlich mit, damit wir anschließend nicht das ganze restliche Wochenende meckern 😉

  5. Stefan sagt:

    Ich vermute mal das es jetzt blumiger aussieht 🙂

    1. Hm, denke ich nicht. Die Magnolien sind verblüht, die meisten Bäume auch. Vermutlich ist es grüner 😉

  6. Vielen Dank liebe Kasia fürs Mitnehmen 😊
    War sicherlich ein schöner Tag und gute Besserung für Stefan.
    Liebe Grüße
    Roland

    1. Lieber Roland, es war schön, mal wieder etwas mit unseren Freunden zu unternehmen. Bis auf das Wetter war es toll. Stefan hat das Bandscheibenproblem noch immer und leidet still vor sich hin, während ich ihn Wärmebeutel mache. Läuft also 😉

      Liebe Grüße
      Kasia

      1. Na, das ist doch schön zu hören.
        Liebe Grüße
        Roland

      2. Oh ja – „still“ vor sich hin leiden, das können sie ja so gut…
        Gute Besserung. 😊

        1. Ja, manchmal, wenn ich so zuhöre, denke ich mir; die Kreuzigung muss ja vergleichsweise ein Spaziergang gewesen sein 😉

          1. sagt:

            Hahaha – jaaaa – und wehe man nickt nur mal kurz mit einem Ähm….😉😋

          2. sagt:

            Geeenau 🙂

          3. sagt:

            😉😉

  7. Vielen Dank für die Bilder dieses wunderschönen Parks und den Bericht über Ihren Spaziergang.
    Obwohl Pasta und Bratwurst vielleicht nicht offensichtlich sind, würde es mir auch gut schmecken 🙂

    1. Pasta und Bratwurst passen auf den ersten Blick überhaupt nicht zusammen, aber es war ziemlich lecker 😉

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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