Asien, Nepal

Besonderheiten am Straßenrand – Mit dem Bus nach Kathmandu-Tal

September 2019, Pokhara in Nepal

Es hat noch alles zu zu dieser frühen Stunde, als ich, mit meinem Rucksack beladen, über die Lakeside gehe. Die Straßen sind leer, denn es ist noch die Zeit, zu der Touristen in ihren Betten schnarchen. Bis auf mich.

Meine Zeit in diesem Teil ist um, und auch die Reise durch Nepal neigt sich dem Ende zu. Die restlichen Tage will ich entspannt in Kathmandu verbringen, der wuseligen Hauptstadt, in der ich damals voller Aufregung angekommen bin, um zu vertiefen, was ich dort bereits kenne.

Das Packen meines Rucksacks geht schnell und auch das frühe Aufstehen haben ich mir dort angewöhnt. Die Rezeption ist geöffnet, was mir einen Seufzer der Erleichterung entlockt. Und nachdem die Zimmer bezahlt sind, habe ich das gleiche vor wie bei meiner Ankunft hier: ich würde die Strecke bis zur Busabfahrtsstelle zu Fuß bewältigen.

Mein Lieblingslokal, in dem ich sonst immer frühstücke, hat zu. Kaum jemand ist jetzt auf den Straßen unterwegs, nur die wenigen Taxis, die immer mal wieder neben mir anhalten. Doch es kommt mir ein beladener Mann entgegen; er hat frisch gebackene Leckereien dabei. Ein ganzer Berg voller süßer Stückchen, den der fliegende Händler vor sich trägt: als er das Tuch, welches die Wärme speichern soll, zur Seite schiebt, kommen Plunder in allen Formen und Geschmäckern zutage.

Das ist doch mal eine leckere Stärkung! Die Dinger kosten nicht viel. Und mein Körper bekommt Zucker für die weitere Strecke.

Ich hatte ganz vergessen, wie weit es vom Zostel bis hier runter zum See eigentlich ist, vor allem dann, wenn einem eine gewisse, festgeschriebene Uhrzeit wie ein Damoklesschwert über dem Kopf schwebt. Doch ich bin früh genug los, mein Zeitpuffer ist noch immer groß.

Das letzte Stück schaffe ich es noch, einen Local Bus zu erwischen. Der Kontrolleur Schrägstrich Ticketverkäufer Schrägstrich Lotse fragt sogleich, wo ich hin möchte und verspricht, mich an passender Stelle rauszulassen. Mit mir fahren noch weitere, vereinzelte Touristen, die ebenfalls nach Kathmandu wollen. Oder nach Chitwan. However. Als ich die Stelle erreiche, wo mich der Bus auf der Hinfahrt abgesetzt hat, stellt sich heraus, dass es nicht mehr dort ist. Der Abfahrtsort habe sich geändert, das eruiert der junge Nepalese neben mir, der sich als Guide vorstellt. Seltsam, wem man in diesem Land auch begegnet, alle sind sie Guides… Er diskutiert ein wenig mit den Fahrern und sagt zu mir, er wisse jetzt, wo es lang ginge. Denn in die Hauptstadt sei er auch unterwegs.

„Follow me.“ Ich hänge mich an seine Fersen. Nicht zu lange überlegen. Der Mann sieht vertrauenswürdig aus, also los. Wir gehen die verwinkelten Straßen weiter, hinein und vorbei an einer Wohnsiedlung, an Wohnhäusern, die nicht wirken, als sei hier ein Busplatz zu holen. Doch ich täusche mich, denn schon nach wenigen Metern verlassen wir die Siedlung und die matschigen Straßen, und vor uns eröffnet sich ein großer, schlammiger Platz, voller brauner Wasserpfützen, Spurrillen und wartender Touristenbusse. Der Rest geht schnell, wir bekommen einen der Busse zugewiesen und warten. Ich bin circa eine Stunde zu früh dran.

Hier stellt sich der Guide auch als Guide vor. Er ist Mitte Dreißig und in Markensachen gekleidet, was auf ein recht gutes Einkommen – für nepalesische Verhältnisse – schließen lässt. Er nennt mir auf meine Nachfrage hin realistische Preise für ein Trekking um den Gokyo Lake herum, eine Tour, die mich schon länger interessiert. Der Trek startet in der Everest-Region im Nordosten des Landes und ist einer der anspruchsvolleren. Ich lasse mir die Nummer geben. Mal sehen, was die Zukunft bringt, denn nun, nachdem ich dieses Land kennenlernen durfte, bin ich total angefixt. Dass das folgende Jahr Corona bringen sollte, das ahne ich zu diesem Zeitpunkt nicht.

Mein Versuch, zu schlafen, wird von einem europäischen, barfußigen Sadhu unterbunden, der mir ein wichtig aussehendes Buch und seinen metallenen Klimpereimer entgegen hält. Hm, Schlafende sollte man nicht wecken, das stellt auch er dann fest.

Nach einer Weile setzt uns der Fahrer in einen anderen, größeren Bus. Warum, das erklärt er nicht. Doch das soll mir egal sein, ich habe mich an das leichte Chaos mit System hier in Nepal längst gewöhnt. Wenn dir ein Nepalese etwas sagt, dann stimmt das in der Regel auch. Ich erlebe die Menschen auf meiner Reise als ehrlich und aufrichtig. Ja, selbst die Händler, von denen man in vielen Ländern so viel schlechtes hört. Ich bin jetzt recht entspannt unterwegs. Anfangs kontrollierte ich mein Wechselgeld und war misstrauisch, doch jedes Mal war alles in Ordnung. Dass einem allerdings manchmal recht hohe Preise genannt werden, tja, daran habe ich mich gewöhnen müssen. Doch der Rest stimmte.

Die Rückfahrt nach Kathmandu gestaltet sich ausgesprochen holperig. Zuerst glaube ich, die Fahrbahn sei voller Schlaglöcher. Doch der Fahrbahnbelag ist, zumindest außerhalb größerer Ortschaften, weitestgehend intakt und andere Fahrzeuge ziehen wie auf einer Wolke an uns vorbei. Es ist die Federung des Busses, die praktisch nicht mehr vorhanden ist und uns wie Bälle bei jeder kleinen Unebenheit auf und ab hüpfen lässt. Ab und zu passieren wir ein Schlagloch. Dann tut es einen Schlag und wir schießen auf unseren Hintern in die Höhe; währenddessen knarzt und quietscht die Achse jämmerlich. Mit jedem Auf und Ab wird die Luft wie mit einem Presslufthammer aus der Lunge gequetscht.

Der Bus hält regulär in kleineren Ortschaften, so kann ich typische Straßenszenen beobachten. Zum Beispiel die Familie, die zu dritt mit Vater, Mutter und Kind irgendwie Platz auf einem Motorrad findet. So ungewöhnlich ist das nicht, denn mir ist wohl bekannt, dass ganz andere Dinge auf dem Gefährt transportiert werden können. Doch in Life ist es spannend anzusehen. Genauso wie die große Werbetafel mit dem wohl vertrauten Wahrsteiner-Schriftzug.

Wahrsteiner? Ich reibe mir die Augen. Yes, made in Germany ist weltweit noch  immer in. Die vielen German-Bakerys hätten es mir eigentlich schon sagen sollen.

Ein Laster fährt an uns vorbei. Die Gegenstände liegen lose auf der offenen Ladefläche herum. Nicht gesichert. Natürlich nicht, warum auch. Beurteile ich zu Unrecht mit den Augen eines Europäers? Nein, denn wenn es um Sicherheit für Leib und Leben geht, gibt es für mich kein „zu Unrecht“.

Mein Blick wandert auf die andere Seite, um mich abzulenken. Man merkt, wie ärmlich die Menschen hier leben, so fernab vom Schuss, fernab der Touristenstädte. Es gibt nur noch selten schönere Häuser, dafür nimmt die Anzahl der Wellblechbuden zu. Die Blechplatten werden mit Steinen oder mit Reifen oben auf dem Gerüst befestigt.

Spannend und schön sind die bemalten Trucks. Jedes ist individuell und farbenfroh.

Zwanzig Kilometer von Kathmandu entfernt beginnt es, sich zu stauen. Dann, fünfzehn Kilometer vor der Stadt, bleibt alles plötzlich stehen. Es geht weder vor noch zurück, ohne dass jemand wüsste, wieso dies so ist. Gelegenheit genug, das wunderschöne Kathmandu-Tal ausgiebig zu betrachten, mit seinen Bergen, mit seinen… na, mit dem, was vielleicht ehemals Reisterrassen waren. Noch unterwegs, sehe ich auf unserer Strecke einige frische Reste von Stein- und Erdrutschen, die von den Berghängen auf unsere Fahrbahn gerieselt sind. Alle paar Kilometer ein Steinrutsch, die Erde ist aufgeweicht vom Dauerregen. Dies ist eine gefährliche Zeit für eine Busfahrt.

Da stehen wir also, und die ganze Passstraße entlang schlängeln sich oder stehen die Fahrzeuge in einer langen Kolonne, ähnlich einer langen Schlange, die sich den Berg hoch windet. Es gibt nur diese eine Fernstraße, die quer durchs Land führt und später in Richtung Chitwan und Pokhara abzweigt. Sie ist normalerweise gut befahrbar. Außer es passiert etwas entlang der Strecke, so wie jetzt. Dann steht alles still. Wie lange, das weiß man nicht. Zeit ist relativ.

Ein Krankenwagen nach dem anderen jagt an uns vorbei. Oder, was heißt schon „jagen“ bei diesen Straßenverhältnissen. Ein Junge steht neben den LKWs und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Anscheinend hat er gesehen, was da passiert ist.

Nur wenige Kilometer weiter zeigt sich der Grund für das ganze Elend. Es werden Bauarbeiten an der Straße durchgeführt. Eine Kolonne Männer säubert seitlich die Gräben von Schlamm und Erde, damit Regenwasser wieder abfließen kann. Dies nimmt bei der Enge der Fahrbahn einiges an Fahrfläche weg, muss aber – wie alles Notwendige – irgendwann gemacht werden.

Der Verkehr an der Baustelle wird von nur einem Polizisten kontrolliert. Hierzulande hätte man eher eine vollautomatische, temporäre Ampel hingestellt – allerdings wird hier wohl die Ampel teurer kommen als die Arbeitsleistung des Polizisten.

Und dann, irgendwann, haben wir frei, bekommen das GO!-Zeichen, fahren weiter.

In den Bergen über uns haben sich Wolken angesammelt. Meist fahren wir durch trübes, bewölktes Wetter. Doch da! Das Kathmandu-Tal ist frei und die Großstadt, die Hauptstadt von Nepal, leuchtet uns verheißungsvoll entgegen, strahlend wie ein Versprechen.

Dann nähern wir uns und passieren die Ausläufer von Kathmandu. Verheißungsvoll ist hier gar nichts. Aber das habe ich vorher schon geahnt. Provisorisch gezimmerte Stände, mit Folienplanen auf Bambusstöcken abgedeckt, um einen Schutz vor der Sonne zu haben. Obst- und Gemüsestände. Dann die bereits erwähnten, stabileren Wellblechhütten. Das Wellblech ist mit Reifen, Steinen und allerlei Schrott befestigt. Dann die Häuser. Auf einer Höhe von einem- bis zwei Stockwerken sehe ich unzählige Blumentöpfe auf den Mauerkanten balancieren und denke mir: Hier gibt es doch Gewitter. Es gibt Erdbeben. Starkregen. Mit Sicherheit ist schon mal jemandem so ein Blumentopf auf den Kopf gefallen.

Straßenverkäufer bieten Obst auf ihren Fahrrädern feil. Die Fahrräder sind mit einem festgemachten Schirmchen vor der Sonne geschützt. Das Lebendige der Stadt. Das Hupen, der Verkehr. Staub, Qualm und Abgase; die Menschen schützen mit Masken ihr Gesicht. Kühe, die umherspazieren und sich beim Wiederkäuen dort niederlassen, wo sie gerade stehen. Ein Polizist, der den Verkehr regeln soll, steht am Straßenrand und versucht, möglichst gut auszusehen.

Willkommen, sagt zu mir das lieb gewonnene Chaos von Kathmandu.

Als der Bus uns, die restlichen Touris, an der Haltestelle rauslässt, schnappe ich mir schnell geschickt mein Rucksack und laufe los. So schwer wie heute morgen scheint mein Rucksack gar nicht mehr zu sein. Ich weiß nicht, was da während der Fahrt abgekommen ist, aber ich gehe nun mit Leichtigkeit. Vielleicht freue ich mich einfach, diese unglaublich hässliche, liebe Stadt wieder zu sehen. Der Sadhu, der mir in Pokhara seine heiligen Bücher andrehen wollte, zieht schnellen Schrittes an mir vorbei.

Den einen Lassi, den besten in Kathmandu, den gönne ich mir.

An der Straßenecke, die mir bereits bekannt ist, an der großen Kreuzung in der Nähe der Thamel-Viertels, wo der Verkehr um diese Zeit zwischen vier und fünf regelmäßig vor dem Infarkt steht, setze ich mich an die bereits vertraute Bude und bestelle mir einen Lassi. Diese Bude verkauft nur Lassi, und auch nur die eine Sorte: achtzig Rupien für einen großen, vierzig Rupien für einen kleinen. Der Preis ist für jeden derselbe. Für Einheimische, für Touristen, für mich. Und egal, wo ich bisher meinen Lassi im Land getrunken habe; hier in Kathmandu, an diesem preiswerten Stand, bekommt man den besten, den ich jemals hatte.

Und auch die Momos im Momos-Center auf der anderen Straßenseite. Dieser erste Geschmack, der Geschmack meiner Ankunft in Nepal, nach Koriander, nach Kardamon, der mich bekannt gemacht hat mit dieser Stadt – vergebens versuchte ich, ihn im Rest des Landes irgendwo wieder zu finden. Verschiedene Momos habe ich getestet, doch dies hier sind die leckersten.

Jetzt gehe ich wieder in die Momos-Kantine. Es ist Feierabendzeit und die Kantine komplett voll. Eine Schlange steht vor der Kasse. Es wird vorab gezahlt. Man bekommt für fünfzig Rupien fünf Momos, für hundert Rupien zehn. Die Soße wird immer wieder nachgefüllt und auch Wasser steht in einer Metallkanne bereit.

Diese besten Momos der Welt werden in einem großen Topf gekocht oder in einer Pfanne gebraten. Ich bestelle mir einen großen Teller. Der Verkäufer kennt mich schon vom Sehen und lächelt. Ich bekomme eine Nummer und setze mich mit meinem schweren Rucksack hin, da habe ich auch schon mein Essen vor mir stehen.

Es ist kein Lokal, um lange zu verbleiben. Es ist eigentlich gar kein Lokal. Es ist ein Ort, wo lediglich gegessen wird, und dann geht es weiter. Man macht Platz für die Nachrückenden. Es ist immer voll und jeder freut sich über einen freien Platz. Sobald ich den letzten Momo verschlungen habe, schnappe ich mir meine Tasche und mein Rucksack in die Hand und ziehe weiter, in mein ebenfalls lieb gewonnenes Hostel Avalon.

„Wo warst du?“ Fragen sie mich an der Rezeption. „Wir haben dich einen Tag früher erwartet. Dachten schon, es sei etwas passiert.“ Ich checke ein. Dann gehe ich die Treppe hoch und auf mein Zimmer. Mache die Türe hinter mir zu. Schotte mich ab.

Vor dem Fenster – das Chaos der Stadt. Und ich habe hier drin etwas Ruhe. Nichts ruckelt mehr, nichts wackelt. Unten spielen Kinder. Und kaum ist mein Telefon mit dem W-Lan verbunden, trudeln auch schon unzählige Nachrichten ein.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
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