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Ich vermisse das Reisen – ein leicht sarkastischer Text

Ich vermisse das Reisen. Ja, tatsächlich. Das hätte ich nicht gedacht. Die Welt stand mir offen, sie stand uns allen offen, uns, Menschen aus einer besseren Welt, die es sich leisten konnten und deren Pass ein beinahe hindernisfreies Durchqueren der Grenzen erlaubte.

Heute Afrika, morgen Asien? Mit einem Rucksack mitten ins Nirgendwo?

Mensch, ich bin doch gerade erst seit gefühlt wenigen Jahren auf den Geschmack gekommen!

Und dann kam Corona, plötzlich entdecken alle „die Welt vor ihrer Haustür“. Ich weiß nicht, wie es bei euch ist, bei mir stehen da Mülltonnen rum. Und ein Auto in der Einfahrt.

Zu viel Sarkasmus für manche? Tja.

Dieses hochgelobte „Deutschland ist ach so schön“, und „entdecke dein eigenes Land“, womöglich noch die Kleinigkeiten, die ich sonst jeden Tag nicht beachte, mal ehrlich, das hängt mir langsam zum Hals raus. Was hat denn das noch mit Reisen zu tun? Mit Reisen, wie ich es verstehe? Es gibt einen guten Grund, warum ich die Details in meinem Umfeld übersehe. Weil ich sie schon tausendmal gesehen habe…

Früher, pah, früher war mir selbst Europa nicht aufregend genug. Wen wundert es, lange Zeit war das Reisen ein Privileg und mehr oder minder nicht gerade erschwinglich. Ich glaube, das hat sich so in den letzten zehn- fünfzehn Jahren geändert. Und schon kam Geschrei auf. Reisen soll teuer werden, wo kämen wir denn da hin, wenn Heinz und Kunz verreisen könnten, wie es ihnen beliebt?

Ja, genau, wo kämen wir denn da hin?

Überall hin. Überall kämen wir hin, dorthin, wo wir hin wollen. Und was um alles in der Welt ist so falsch daran?

Ja, klar, Umwelt, Erderwärmung, alles klar. Die Gefahr ist real, mehr noch, wir sind mitten drin. Und trotzdem bin ich fürs Weiterreisen.

Nur halte ich es für falsch, da alleine dem Reisen den schwarzen Peter zuzuschieben. Da spielen so viele Faktoren eine Rolle. In erster Linie sei da die Industrialisierung im Allgemeinen und die lange Zeit auf fossilen Brennstoffen basierende Energiegewinnung zu benennen. Das Reisen abzuschaffen bringt da rein gar nichts. Wieso nicht nach anderen, besseren Lösungen suchen? Die Menschen werden reisen, so oder so, denn der Mensch ist zu neugierig und rastlos. Und das „Entdecken vor der Haustür“ ist nur Methadon für meine Sucht.

Ja, ich weiß, Corona hat das Reisen abgeschafft.

Der Tourist zerstört, was er findet. Indem er das findet. So oder ähnlich. (seltsamer Weise funktioniert das mit Plastikmüll und Blechdosen nicht so gut, warum? Da  erhält und fördert der Tourist, was er findet?)

Doch ist es wirklich so? Nieder mit dem Konsum, haben einige gefordert. Unser Konsum zerstört die Welt. Hat auf freiwilliger Basis nicht funktioniert. Klappt bei Corona ganz gut, oder? Mit einem Male konsumieren wir weniger. Wer will schon shoppen gehen, wenn überall Maskenpflicht und Abstandsregeln drohen?

Doch schon werden andere Stimmen laut, die zum selbigen anregen wollen. Um die Wirtschaft zu retten. Unser aller Arbeitsplätze. So viel Geld hat Bill Gates nicht, um uns das zu entschädigen. (nur ein Scherz, der Gute kann am wenigsten für meinen Frust…). Geht raus und konsumiert, was das Zeug hält.

Ähnlich mit der Reiserei. Den Massentourismus abschaffen. Am liebsten gleich. Trotz vieler Lippenbekenntnisse wurden weiter fleißig Flüge gebucht. Zeigt uns das einmal wieder, dass die schweigende Fraktion die Mehrheit bildet und die, die ganz laut fordern, in der Minderheit sind?

Am liebsten sind mir noch immer diejenigen, die, nachdem sie gefühlt einmal den Globus umrundet haben, plötzlich einer Erleuchtung anheimfallen. Weniger ist mehr, Leute, entdeckt die Welt vor der Türe, reisen bitte nur lokal, nicht mehr um die Welt. Wir haben sie ja gesehen, die große Unbekannte, die graue Ferne, nach der es euch gelüstet. Wir sind geläutet, und auch du, lieber Leser meines Textes, bleibe bitte daheim. Ist besser für die Umwelt, ist besser für uns alle.

Wie bitte, what the f***?

Puh, zunächst einmal – durchatmen. Es ist schön, wenn sich manche Menschen berufen fühlen, die Welt zu retten. Die Welt MUSS gerettet werden. Aber nicht heute, nicht jetzt und nicht von mir. Du hattest dir im Laufe deiner langen Reisen die Weisheit erworben, dass daheim bleiben die beste Lösung ist? Das lokales Reisen Fernreisen ersetzten kann (sollte)? Dass wir uns selber einen Gefallen damit tun, wenn nicht jeder in ein Flugzeug steigt und einmal um den Erdball jettet?

Wunderbar. Schön für dich. Doch ich bin noch nicht um die Welt geflogen, so wie du. Ich habe nicht deine Erfahrungen gemacht und somit nicht dieselbe Weisheit mit den Löffeln gefressen. Lass mich wenigstens einen Bruchteil von dem erleben, was du erlebt hast, ja? Bitte. Wenigstens ein bisschen. Dann können wir weiterreden. Dann kannst du mir sagen, ich solle verzichten. Dann bin vielleicht auch ich weise – so wie du.

Doch bis dahin, tja, was soll ich sagen. Bis dahin sind wir keine gleichwertigen Gesprächspartner. Und das werden wir noch lange nicht sein.

Nicht der Blogger, nicht der Besserwisser, nicht der Weltverbesserer ist es diesmal, der einem das Reisen vergällt. Es ist das Virus. Die kleine Waffe, effektiver als alle Moralaposteln zusammen. Es ist das Virus, welches Dinge in greifbare Nähe rückt, die bis dato unaussprechlich waren. Wie Home-Office. Eine schnellere, bessere digitale Vernetzung. Oder das bedingungslose Grundeinkommen. Es ist Corona, und sie regelt schneller und besser als alle Behörden dieser Welt es je gekonnt hätten. Plötzlich ziehen alle an einem Strang.

Na, bis auf die informationsneutralen Gestalten in den Protestreihen an der Berliner Siegessäule. Die, die ihre Freiheit in Gefahr sehen. Auch hier wäre Reisen eine gute Bildungsmaßnahme gewesen. Richtiges Reisen, nicht nur bis zum Ballermann und zurück. Damit sie sehen, was Freiheit wirklich bedeutet. Und wieviel davon sie genießen dürfen.

Whatever, anno Corona scheint es gut zu klappen mit dem Verzicht. Nur wenige verreisen noch, zum Teil bedingt durch die Reisewarnung, zum Teil durch die eigene Angst. Alles legitim. Der Massentourismus kam zum Erliegen, ziemlich schnell und nachhaltig. Das haben wir uns doch gewünscht. Oder nicht?

Haben wir scheinbar nicht, denn die Wirtschaft des einen oder anderen Landes kommt hierdurch ganz schön in die Bredouille. Der Tourismus wird (wieder) gewünscht und ohne die Gaffer in den Gassen ist Venedig auch so leer… Vor dem Eifelturm in Paris lungern tätigkeitslose Guides herum und von nichteuropäischen Ländern, die noch ihre Einreisesperren haben, will ich gar nicht anfangen. Vielleicht kapieren jetzt selbst die schlichtesten Gemüter, dass die Welt vielschichtig ist und es nicht auf alles eine simple Antwort gibt.

Wo waren wir, ehe so viele böse Zeilen meine sonst so sanften Texte vergifteten? Ah, beim Reisen. Beim Reisefieber. Jetzt gibt es, wenn schon, dann nur Corona-Fieber. Ich muss etwas tun, irgendetwas. Was Neues entdecken. Vor dem Haus. Um die Ecke.

Vielleicht schaue ich mir unsere Einfahrt heute doch noch genauer an.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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4 Kommentare

  1. Liebe Kasia,
    doch, doch, es geht mir gut. Ich würde gerne mal wieder Reisen planen können.

    Liebe Grüße
    Renate

    1. Ich glaube, das fehlt uns allen, uns Reisenden… 😉

      Liebe Grüße
      Kasia

  2. Liebe Kasia,
    dieses Jahr wollen alle in Deutschland wandern, radeln, campen und mit dem Wohnmobil durch die Gegend fahren. Einige Orte an Rhein und Mosel wurden ganz schön voll! Wanderstrecken waren überlaufen, viel mehr Müll im Wald. Schilder regeln neuerdings, dass du die Strecke nur noch in eine Richtung gehen sollst. Immer mehr unverbesserliche Radler rasen durch die Fußgängerzone und über die Rheinpromenade, ohne Rücksicht auf Verluste. Die bei uns zuständigen sagen, wir wollen die Gäste nicht vergraulen. Deshalb gibt es fast nie Kontrollen. Ich bekomme mehr und mehr das Gefühl, wie das ist, wenn dein Ort zum Tourihotspot wird. Und ich war jetzt schon genervt. Wir sind als Einwohner einige Wege nicht mehr gegangen oder nur zu ruhigen Zeiten. Mehrmals sind wir fast überfahren worden. Also ich wäre schon froh, wenn die Reisenden sich wieder mehr in der Welt verteilen würden.

    Durch Corona einige von uns eher mehr Müll produziert. Immer wenn wir die Gastronomie unterstützen und Essen abholen, bekommen wir diese wärmenden Boxen. Es wird viel im Internet gekauft, was zu jede Menge Verpackungsmüll führt.

    Ich bin mir als Reisende durchaus bewusst, dass ferne Reisen für die Umwelt nicht gerade gut sind. Fehlen würden sie mir trotzdem. Ich denke, es wird gerade nur über die vielen Touristen geschimpft. Der Tourismus macht bei CO2 nur einen kleineren Teil aus. Und ja wir müssen umdenken.

    Dennoch werfe ich den Konsum in die Waagschale. Habe vorgestern eine Sendung über China und die neue Seidenstraße gesehen. Gefühlt kommt fast alles, was wir benutzen aus Asien. Meisten mit riesigen Containerschiffen. Immer mehr und immer billiger, wie kommen wir da aus dem Kreislauf raus?

    Herzliche Grüße
    Renate
    PS. Bei meinem Mann und mir gibt es keine Weihnachtsgeschenke.

    1. Hallo liebe Renate,

      das ist viel Input… Hätten wir einfache Antworten auf all die Fragen, dann wären die Probleme vielleicht schneller zu lösen. Aber die Welt funktioniert nun mal sehr komplex. Die Deutschen sind nun mal ein reiselustiges Volk und das wird jetzt nun mal in Deutschland ausgelebt. Vor Corona gab es ja diese Aufrufe, man solle mehr Urlaub im eigenen Land machen. Ich glaube, keiner hat damit gerechnet, dass dieses „mehr“ auch mal zu viel werden könnte. Gerade Menschen, die in so schönen Regionen wie das Obere Mittelrheintal leben, bekommen das verstärkt zu spüren. Ich habe immer mal wieder Radfahrer vor der Motorhaube, die einfach mal über Rot und mir vors Auto radeln, frei nach dem Motto: die wird schon noch halten.

      Ja, was die Einkauferei betrifft, bin ich auch hin und her gerissen. Da ist so viel Verpackungsmüll dabei. Ich versuche, wenigstens die Polstermaterialien aufzuheben, da ich selbst hin und wieder Pakete zu verschicken habe. Auf der anderen Seite ist es wesentlich stressfreier, seine Waren online zu bestellen. Vor allem in der Vorweihnachtszeit. Das Online-Angebot ist sortierter, die Produktbeschreibung immer dabei. Im „real life“ steht man vor überfüllten Regalen und der Service sowie die Beratung sind oft grottig. Wenn der Einzelhandel bestehen soll, müssen sie was am Angebot ändern.

      China expandiert, auf eine mehr oder weniger aggressive Weise. Das Land macht kein Geheimnis daraus, dass es die führende Wirtschaftsmacht werden möchte. Und wer will es ihnen verdenken. Man kann anderen nicht die Vorzüge des weltweiten Handels absprechen, dessen Wohlstand man seit langem selbst nutzt. Deshalb meine ich ja – alles sehr komplex. Ich glaube, es fällt Menschen leichter, ein wenig auf Konsum zu verzichten, die den Wohlstand kennen als Menschen, die ihn gerade erst „erreicht“ haben.

      Ich hoffe, es geht dir gut? 🙂 Ich habe mich inzwischen mehr oder weniger damit abgefunden, nicht mehr reisen zu können, und mache viel zu Hause: aufräumen, sortieren, renovieren. Neue Couch, neue Farbe an der Wand. Die Projekte enden nie… Ich glaube, Italien in September war ein kleines Trostpflaster auf die Reise-Wunde… 🙂

      Liebe Grüße
      Kasia

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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