Europa, Polen

Danzig – Kältewelle an der Ostsee

Der kalte Wind ist so stark, dass er uns fast von den Füßen fegt. Böen, stark und wuchtig, bringen salzige Luft und feinen Sand mit sich. Möwengeschrei lässt die Meeressehnsucht vollkommen werden. Ich spüre mit jeder Faser meiner auskühlenden Gliedmaßen, dass ich an der Ostsee bin.

In einiger Entfernung sehe ich meine Mutter. Sie läuft gegen den Wind an. Wie ein schräg stehender Strich in der Landschaft sieht sie aus, die Kleidung gleicht einem aufgeblähtem Segel. „Ich war noch nie am Meer.“ Hatte sie mir tags zuvor gesagt. Und? Frage ich. Ist es so, wie du es dir vorgestellt hast? Kalt sei es, meint sie. In einem Hitzesommer 2022 haben wir ausgerechnet diese eine Woche, in der die Temperaturen landesweit auf die 17-20 Grad absacken, erwischt. Selbst die Möwen haben keinen Bock zu fliegen, sie stehen am Strand herum wie angewurzelt. Wir geben den Kampf gegen den Wind auf und verkrümeln uns in die nächste Strandbar.

Hier gibt es Glühgetränke, mit Orangenscheibchen und Gewürzen. Und einem Papierstrohhalm, der schon bald unter der Hitze in der Flüssigkeit zu einem Stück gerollter Konfetti wird. Die dicken Glasscheiben schützen vor Wind und erlauben einen großzügigen Blick über den Strand. Von hier drinnen wirkt es draußen gar nicht mehr so kalt. An der Bar kann man mit der Karte zahlen, also hole ich uns noch nochmal Drinks. Die Preise sind gesalzen. Dabei meinen die Leute, die polnische Ostsee wäre so günstig. Meine Mutter schaut mit schmelzendem Blick nach draußen und sieht zufrieden aus.

Und wie sind wir jetzt hierher gekommen?

Na, mit dem Auto natürlich. Die seit langem schemenhaft vorhandenen Pläne, mal einen Urlaub mit Mama zu verbringen, nehmen irgendwann konkrete Gestalt an. Danzig sollte es sein. Ich weiß bis heute nicht, wie wir auf Danzig gekommen sind, aber es ist eine sehenswerte Stadt. Von der wir heute noch nicht viel sehen werden, denn heute ich Ankunftstag. Ein Spaziergang am Meer ist angesagt.

Dunkle Wolken türmen sich über der See auf. Das hält die Leute freilich nicht davon ab, Sonnenbaden zu gehen. Oder Meerbaden. Oder beides. Der Pole ist hart im Nehmen und der Pole weiß, dass der Ostseeurlaub hin und wieder dem Wetter zum Opfer fällt… oder auch nicht. Denn es kommt immer darauf an, was man draus macht.

 

Aus klein mach ganz

Am Vortag komme ich bei meinem Onkel an. Eine lange Anfahrt mit dem Auto, ihr kennt es ja. Ich werde hier nicht mehr großartig schreiben, wie lang man da fährt und wie sehr sich die Fahrt zieht und mein Sitzfleisch strapaziert. Und wieviel Mitleid mir gebührt. Überspringen wir das Ganze, bis zu diesem Moment, als ich bei meinem Onkel im Garten sitze. Es wird gegrillt, die Jugend ist auch dabei. Doch eher die Grillparty losgehen kann, muss der von Onkel neu erworbener Supergrill eingeweiht, sprich: zusammengesetzt werden. Onkel macht es sich einfach. „Baut ihr das schnell zusammen.“ Sagt er und verdünnisiert sich. Sein Sohn Jacob und ich schauen auf die vielen Kleinteile. Ich nehme die Montageanleitung in die Hand. Das wird heiter.

Zur Rettung kommt uns Tochter Gosia, die ein breites technisches Verständnis aufweist. Irgendwann haben wir die Kleinteile zu einem Gerüst werden lassen. Gut, Jacob und Gosia haben das geschafft, denn ich klinke mich vorzeitig raus. Was Montage betrifft, beläuft sich meine Unterstützung eher auf guten Rat. Okay, sagen wir, nur auf „Rat“. Derweil fühle ich mich in der Küche beim Würzen des Fleisches und Zerlegen von Gemüse besser aufgehoben.

 

Danzig

Leise verzweifelnd schaue ich in meinen immer voller werdenden Seat. Taschen, groß und klein, dazu lose Gegenstände wie Snackboxen, Strandhütte und Körbchen, Sitzunterlagen und was weiß ich, was alles, türmen sich im Innenraum. Ich bin ja selbst schuld, stammte der Großteil des Plunders von mir selber. Auch habe ich meine Mama eingeschworen, alles mitzunehmen, was sie bräuchte und nicht missen möchte. „Pack ruhig ein.“ Sagte ich. „Wir sind mit dem Auto da.“ Ein Auto, das sich ganz schön gefüllt hat. Mein Onkel schaut in den Innenraum, macht sein „Boah, leck mich am Arsch“- Gesicht, langt sich an den Kopf, sagt aber nix dazu. Na vielleicht sowas wie: „Für wie lange fährt ihr weg?“ Egal, mit der Ausrüstung könnten wir sogar einen ganzen Monat an der Ostsee bleiben.

Wir fahren los. Unmittelbar hinter Blonie macht uns die Navigationsführung einen Strich durch die Rechnung und führt uns über einen Weg, der eindeutig eine Baustelle ist. Umso mehr, als dass plötzlich Straßenbelag fehlt. Umzukehren ist keine Option. Vor mir fährt ein Einheimischer und zeigt uns klar: wo ein Wille, da ein Weg. Auch wenn dieser durch die Pampa führt. Soll ich nicht doch umdrehen, frage ich meine Mutter. Wir entschließen uns, weiter zu fahren, umfahren vorsichtig Bodenwellen und große Löcher. Bis es schließlich auf die Bundesstraße geht. Glücklicherweise ist heute Sonntag, so dass keiner unser „Vergehen“ mitbekommt. Abgesehen von dem Delinquenten vor uns, der mit solch schlechtem Beispiel vorausgefahren ist.

Danzig. Von der schönen Hansestadt sind zunächst nur die postsowjetischen Blocks zu sehen. Die Außenbezirke keiner Stadt sind schön. Sie sind dazu da, schnell überquert zu werden. Vielleicht noch dazu, Wohnraum zu schaffen. Uns zieht es an die Küste, wo sich unser Hotel befindet.

Eine Lobby voller Eltern mit Kindern. Auf Wunsch meiner Mama bestelle ich den Zimmerservice ab. „Ich will nicht, dass jemand stört.“ Sagt sie. Wir sind ja nur eine Woche da, wozu dann Zimmerservice. Da jedoch die Option besteht, ein Schild mit „bitte reinigen“ an die Tür zu hängen und auch der Mülleimer so schnell voll wird, hängen wir doch hin und wieder das Schildchen raus. Hin und wieder heißt in diesem Fall „täglich“. Die müssen uns für bekloppt halten.

Das Zimmer hat einen Balkon, doch der Blick aufs Meer bleibt hinter einer Reihe Bäume verborgen. Doch es sei nicht weit, erklärt die Rezeptionistin; lediglich vielleicht zweihundert Meter trennen uns vom Strand. Die sind schnell erlaufen. Für Zerstreuung sorgen Verkaufsstände und Buden mit Essbarem, Magneten und Nippes. Links und rechts des Weges haben sich Souvenirhändler festgesetzt. Es ist zwar mitten in der Saison, doch heute haben sie nicht viel Zulauf. Auch die Getränkestationen bleiben leer. Lediglich die Bar direkt am Strand hat Kundschaft, wie das in Bars so ist.

So finden wir uns an der Ostsee wieder. Wie ist es, frage ich meine Mutter. Doch es scheint weniger aufregend zu sein wie vermutet. Kann daran liegen, dass wir uns im Vorfeld durch kalten Wind quälen. Doch das Wetter hat mit uns Erbarmen. Am späten Nachmittag verziehen sich die Wolken und geben ein paar warme Sonnenstrahlen frei. Wassertropfen glitzern an Blättern der Bäume im nahegelegenem Park. Hier können wir spazieren, oder auch sitzen und uns unterhalten. Wir kundschaften aus, von wo die Straßenbahnen fahren, für die morgige Stadterkundung.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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10 Kommentare

  1. ich find Kälte toll! 🙂
    Muss man wenigstens nicht halbnackt durch die Gegend laufen – ist ja auch unanständig, sowas..
    aber so der Blick aufs Meer aus einem bequemen Stuhl – mit der Option sich jederzeit in ein behagliches Zimmer zurückziehen zu können? Das hat schon was!
    Und dass man vorher erst den Grill zusammen bauen muss ist ja wohl normal – früher mussten wir das Fleisch erst erjagen, bevor es auf den Grill kam – heute kommt es aus der Buletten-Fabrik – da kann man wenigstens den Grill zusammen zimmern um sich ein bissken wie ein Neandertaler zu fühlen.. GRUNZ!.. 🙂
    CU
    P.

    1. Was, du findest Kälte toll? Brr… In Ländern wie Island oder bei Wintertouren lasse ich mir das ja gefallen, aber doch nicht mitten in Juli an der Ostsee 😉

      Na es ist aber nicht so, dass während wir zusammenbauten, der Onkel mit Lendenschützchen durch polnische Wälder streifte auf der Suche nach übrig gebliebenen Rehen 😉

  2. Wir hatten es in Bayern auch nicht gerade warm. Ist ja schließlich auch noch April!

    1. Die hier beschriebene Reise fand letztes Jahr in Juli statt, in einem der heißesten Sommer, die die Wettergeschichte je gesehen hat (neue Rekorde offen). Leider war gerade unser Ostseeaufenthalt ungewöhnlich kühl. Vorher und nachher waren die Temperaturen wieder oben.

  3. Ach, an der Ostsee ist es doch auch bei Wind und Kälte schön. Aber zugegeben, wenn man da mitten im Sommer ist, hat man andere Erwartungen. Nun hat deine Mutter ihre Meerpremiere hinter sich! Euren gefüllten Kofferraum hätte ich zu gerne gesehen. Mein Gesichtsausdruck hätte vermutlich dem deines Onkels geähnelt 🤣! Warum nur muss ich gerade wieder an deine Rückreise aus Istanbul denken? Ich weiß, ich weiß, war alles nur das Zeug von deiner Freundin 😁. Bin schon gespannt, was du aus Danzig berichten wirst. Da war ich bisher auch noch nicht.

    1. Das waren wirklich die Sachen meiner Freundin damals, großes Indianerehrenwort. Und der Trip an die Ostsee, ja, okay. Ich wollte nicht, dass es der Mama an irgend etwas fehlt. Und ich denke, soweit hatten wir alles dabei *grübel*

      Danzig lohnt sich unbedingt. Die Stadt hat eine alte und eine moderne Seite. Wir hatten damals, 2022, eigentlich einen sehr heißen Sommer, aber wir haben just die Woche erwischt, als die Temperaturen in den Keller krachten. Es war weder vorher noch nachher wieder so kalt…

  4. So haben wir das auf Rügen auch erlebt: die Ostsee wäre eigentlich ganz schön. Wenn es nicht so kalt wäre und wenn da nicht dieser Wind wäre. Ist er aber.

    1. Ja, das macht den Charm aus. Kein Ostsee ohne Kaltost und kein Nordsee ohne Nord… oder so ähnlich 😉

  5. Der eiskalte Nordwind is auch hier in Belgien schon seit Tagen ordentlich zu spüren… von einem angenehmen Frühling war bislang kaum die Rede.
    Ich bin überrascht, dass die Preise in Polen (zumindest an der Küste) ebenfalls in die Höhe schnellen. Meiner Meinung nach sind Tourismus und Urlaub in den letzten Jahren überall deutlich teurer geworden.
    Ich wünsche euch allen einen angenehmen Aufenthalt und hoffentlich noch angenehmeres und sonnigeres Wetter in Kasia 🙂

    1. Viele Polen machen Urlaub im eigenen Land, das treibt die Preise an. Die kalten Temperaturen waren eine Ausnahme diesen Sommer vor zwei Jahren, bis auf die eine Woche war der Sommer sehr heiß.
      Dankeschön 🙂

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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