Der Atem des Teufels dringt aus der dunklen Höhle heraus.
Der Eingang zum Devi’s Fall liegt etwas versteckt. Ich passiere einen der unscheinbaren Seitengassen, die zwischen Shops und Kiosks verlaufen, und komme an eine Art Bazar, wo Gefäße, Schmuck, Klangschalen und jede Menge Nippes an die vor allem indischen Touristen verkauft werden. Eine der Verkäuferinnen lächelt mir einladend zu und verwickelt mich in ein Gespräch, doch mir sitzt die Begegnung mit dem hartnäckigen Betteljungen von vorhin noch im Nacken. Ohne weiter Umwege erstehe ich eine Eintrittskarte und passiere den Eingang. Der Eintritt kostet rund dreißig Rupien, das sind umgerechnet etwas weniger als 24 Cent. Die Verkäuferin grinst und fragt mich, wo ich herkomme. Auch sie lächelt herzlich, ebenso wie die Händler. Hier in Nepal lächeln gefühlt alle.
Beim Devi’s Fall handelt es sich um einen teils unterirdischen Wasserfall. Er ist ein geschütztes Naturdenkmal und liegt südwestlich der Stadt. Der Fluss hat sich auf 780 Metern Höhe in das Kalkgestein hinein gefressen und eine tiefe Schlucht geformt. Der Anblick der brachialen Wassermassen ist beeindruckend. Unterhalb des Devi’s Fall versinkt das Wasser in der Erde und fließt unterirdisch weiter, um dann 500 Meter weiter wieder aufzutauchen. Die Gupteshwor Mahadev oder „Höhle unter der Erde“, eine Schauhöhle, die besucht werden kann, ist vermutlich durch solche Aktivitäten entstanden. Das Wasser passiert die Höhle, ehe es wieder zutage tritt.
Der Wasserfall wird vom Fluss Pardi Khola gebildet. Ein Schweizer Paar namens Devi ging 1961 in diesem Fluss nahe des Wasserfalls schwimmen. Die Frau wurde mitgerissen und ertrank. Sie wurde erst Tage später tot aufgefunden. Eine andere Legende erzählt, dass sie beide im Wasserfall ertranken und dass Devis seine Frau mitriss. Der Wasserfall wurde nach dem Ehepaar benannt. Unter den Einheimischen ist er auch als Patale Chhango bekannt, passender Weise heißt das übersetzt: der Unterweltwasserfall.
Heute ist der direkte Zugang durch hohe Metallabsperrungen abgetrennt, doch auch hier oben stehend, kann ich die Gicht auf meinem Gesicht spüren. Das Rauschen ist überwältigend. Nahe des Wasserfalls steht eine steinerne Statue einer Gottheit und ein künstlich geschaffener „Glücksteich“ dient dazu, Münzen hinein zu werfen, um die Gottheit zu besänftigen und um Glück zu bitten. Bei dieser Statue verweile ich einen Augenblick. Eine Kuh, ein Elefant und eine Schlange winden sich, ihre Häupter bestäubt mit Blütenblättern und bunten Farbpulvern.
Die umliegenden Berge wurden schneeweiß aus Gips oder ähnlichem nachgebildet. Der Annapurna erhebt sich unnatürlich weiß im grünen Gras. Wenn ich mir den Wolkenhimmel so ansehe, dann werden es wohl die einzigen Berggipfel sein, die ich heute zu sehen bekomme.
Die Anlage besteht aus höheren und tieferen Ebenen um den Devi’s Fall herum und beschränkt sich nicht nur auf den Zugang zum Wasserfall. Auch ein Nachbau eines nepalesischen Hauses ist vorhanden, wo man im Schatten ausruhen kann. Statuen von Menschen in traditionellen nepalesischen Kleidern säumen den Weg.
Um Devi’s Fall zu erreichen, habe ich eine mittellange Wanderung auf mich genommen, immer am Rand der stark befahrenen Straße entlang. Es ist viel los auf den Straßen Pokharas und Menschen bereiten sich auf das kommende Festival der Frauen vor. Doch der Devi’s Fall an sich wird nicht rege besucht. Zumindest noch nicht zu der Zeit, als ich das Gelände betrete. Ich habe die Umgebung größtenteils für mich, solange, bis eine indische Großfamilie die Schranken passiert und sich schnatternd über der schön angelegten Anlage ergießt. Teilweise habe ich das Gefühl, die Inder beobachten mich mehr als den Wasserfall.
Laut tost der Wasserfall, laut und schäumend. Voller Gicht und Nebel knallt er mit voller Wucht herunter, ehe die Wassermassen unter mir in einer Höhle verschwinden. Die steilen Klippen der Schlucht sind mit glänzend grünen Moosen und Farnen bewachsen. Aus der unterirdischen Höhle kommt ein Luftzug nach oben geweht, ganz so, als ob der Teufel selbst dort hausen und atmen würde. Ein Luftzug, der durch die Bewegung des Wassers entsteht; der die Gicht aufwirbelt und die feuchten Blätter der Pflanzen am Rande der Schlucht ins Schwingen versetzt. Die Pflanzen biegen sich wie im Wind. Die Luft wirkt trüb, wie hinter einem Vorhang aus Rauch, doch es ist die Feuchtigkeit, feines Aerosol, das noch in der Luft hängt. Es kühlt mein vom Wandern erhitztes Gesicht. Die Gicht durchnässt alles; Kleidung, Haare, Haut. Der Wasserfall ist mächtig, gespeist vom Regen des Monsun.
Es wäre ein schöner, spezieller; ein besonderer Ort, wären da nicht die vielen Besucher und die Absperrungen. Doch speziell letztere sind notwendig, da der Ort früher als Ausgangspunkt für Selbstmorde galt; die Menschen sprangen einfach in die Tiefe und ertranken. Als die Selbstmorde sich häuften, wurden die Absperrzäune als Sicherheitsmaßnahme errichtet.
Ein Wind erhebt sich über der Höhle, dringt aus der Höhle hinaus. Ganz so, als ob der Teufel seine Wut hinausatmen würde. Das tosende Geräusch ist laut, ohrenbetäubend, was den ganzen Eindruck noch verstärkt. Der Nebel wird nach oben gepresst, und nur ein paar Meter weiter ist es wieder still und ruhig, es bewegt sich kein Lüftchen, kein Blatt und kein Ast. Doch hier unten wirkt es wie ein sich ewig aufbäumendes Gewitter.
Eine indische Invasion ergießt sich über den Wasserfall; die oben erwähnte Großfamilie. Menschen werfen Münzen in den Wunschbrunnen und eine Tafel erklärt auf nepali und englisch, wie das mit den Wünschen funktioniert. Werfe eine Münze hinein und wünsch dir was. Der Brunnen wird umringt. Für mich ein Zeichen, weiter zu gehen. Denn hat nicht Buddha gesagt, dass der Weg zum inneren Frieden darin besteht, nichts weiter zu wollen und wunschlos glücklich zu sein?
Liebe Kasia,
sehr schön beschrieben! Das weckt bei mir Erinnerungen an unsere Nepalreise vor mehr als zwei Jahren. Wir waren auch dort im Dezember. Der Wasserfall hatte zu der Zeit nicht ganz so viel Wasser.
Liebe Grüße
Renate
Hallo liebe Renate,
vielen Dank! Ich schwelge gerne in Erinnerungen, die Nepal-Reise ist schon wieder ein Jahr her… Aber wenn ich mir all das, was während der Reise passiert ist, was ich gesehen und erlebt habe, ins Gedächtnis rufe, ist es, als sei es gestern gewesen.
Liebe Grüße
Kasia