Deutschland, Europa

„Schnauze voll, ich will heim!“ – Anlassen auf dem Nürburgring und warum wir nur noch genervt waren

Erschöpft lasse ich mich auf die Bank fallen. Für den tollen Blick an der Raststätte „Moselblick“ habe ich jetzt keine weitere Regung übrig. Genauso erschöpft sitzt Stefan neben mir und raucht.
„Das war nix.“
„Nein.“

Eine Tour durch die Eifel wäre besser gewesen als das.
Ein Kuchen bei Eddy wäre besser gewesen als das.
Ja, sogar auf der heimischen Terrasse zu dösen wäre besser gewesen als das.

Aber warum sind wir denn nur so angep***?

Ein tolles Wochenende hätte es werden sollen, ein großartiger Auftakt in die kommende Motorrad-Saison. Gestern, das will heißen: Samstag – tuckern wir gemütlich los in Richtung Eifel. Ziemlich spät, wohlgemerkt, denn wir haben ja Zeit. Und so werden noch Sachen gepackt, Rucksäcke befestigt, beim Route 66 in Mannheim ein Käffchen getrunken. Über Bingen und das schöne Obere Mittelrheintal gelangen wir schließlich nach Mayen, um von dort aus gemütlich über die Eifeler Kurven zu schwingen. Spät abends halten wir am Tankstopp genau gegenüber der Nürburgring-Ausfahrt. 

Quietschende Reifen, sportlich genommene Kurven, Fahrten auf dem Hinterreifen – die Nürburg-Schleife wird bis auf den Parkplatz erweitert. Wir schauen uns kurz die Darbietung an.
„Mit einem Blitzer hier im Ort würde man sich dumm und dusselig verdienen.“ Sage ich.

Als wir die Abfahrt nehmen, sehen wir genau in der Kurve eine Motorradkolonne an der Leitplanke parken. Ein Biker sitzt ein Stückchen weiter vorne und winkt müde mit der Hand, um die nachfolgenden Fahrzeuge zu warnen. Einer der Fahrer hatte anscheinend mit der Front seiner Maschine die Leitplanke erwischt, doch es sah nur nach einem Blechschaden aus.

Wir übernachten ein paar Kilometer weiter in Dümpelfeld im Gasthaus Strohe, wo man sich liebevoll um uns kümmert (kann ich sehr empfehlen, einziges Manko: keine Kreditkartenzahlung). Am späten Abend sitzen wir noch draußen auf der Terrasse und schauen uns die grünen Hügel und das schwindende Tageslicht an.

Stefan hat eine Neue… 🙂

Los gehts am nächsten Morgen: ohne Umschweife steuern wir die legendäre Rennstrecke an. Als wir ankommen, ist dort schon die Hölle los: Bike an Bike werden die Fahrer von Lotsen in Reihen dirigiert, Reihe um Reihe füllt sich die große Fläche. Es geht zu wie im Bienenschwarm und der Zustrom der Neuankömmlinge reißt über die nächsten Stunden nicht ab. Wir schauen uns das Treiben von der Aussichtsplattform oben an, sehen zusammen mit anderen zu, wie sich die Parkflächen Segment für Segment kontinuierlich füllen.

Für Unterhaltung ist gesorgt: es gibt die Möglichkeit, im Rahmen einer geführten Tour über den Nürburgring zu fahren, zudem gibt es einen Simulator, ein Rodeo und Infostände.

„Huh, Sonnenbrand! Der erste in diesem Jahr.“ Sage ich zu einer Frau neben mir, als ich in den Toiletten im Spiegel meine knusprig gebratenen Schultern betrachte.

„Aber für das Spektakel lohnt es sich doch, oder?“ Frag sie.
„Ja, klar!“ Antworte ich. „Und das beste kommt noch: der Motorradkorso!“ Ach, was habe ich mich auf den Motorradkorso gefreut.

Wir stellen fest, dass wir so früh gar nicht hätten da sein müssen. Es ist dreizehn Uhr und, nachdem wir uns umgeguckt und einige Zeit oben verbracht hatten, gilt es, sich die restlichen zwei Stunden bis zum Gottesdienst irgendwie zu vertreiben. Also scharwenzeln wir um die Stände herum, greifen hier und da ein paar Visier-Putztücher und Tourenstreckenkarten ab und landen schließlich auf der Zuschauertribüne, von wo wir zusehen können, wie die geführten Touren Runde um Runde an uns vorbeizwitschern. Anscheinend sind die Gruppen nach dem Igel und Hase-Prinzip in schnellere und gemäßigtere Fahrer eingeteilt, so dass manche in den Kurven liegen, während andere gemütlich hindurch tuckern. Gern wäre ich auch da unten, doch habe ich bei der Ankunft versäumt, mich sofort aufzustellen und die eingeparkte Maschine jetzt noch hinaus zu manövrieren habe ich keine Lust. 

„Nächstes Jahr machen wir das.“
„Ja.“

Pünktlich um drei sind wir bei unseren Maschinen. Irgendwann, zwischen Trinken und umsehen schaue ich auf die Uhr. Es ist zehn nach drei. Sollte da der Gottesdienst nicht schon angefangen haben und über die Lautsprecher übertragen werden? Das war zumindest meine Info: der Gottesdienst, hieß es, findet auf der aufgebauten Bühne statt. Gut, die Bühne können wir zwar von unserer Position aus nicht sehen, doch hatten wir die Hoffnung, dass man die Übertragung über Lautsprecher hören könnte. Doch das ist nicht der Fall – ob die Übertragung nicht funktioniert oder nur nicht laut genug ist, kann ich nicht sagen. Über zehntausend Maschinen sind da und auf dem gesamten Gelände ist ein einheitliches, unterschwelliges Grollen hörbar, welches man fast nicht mehr bewusst wahrnimmt.

Doch plötzlich kommt Bewegung in die Menge: Es werden Helme und Handschuhe angezogen, die ersten fahren runter vom Parkplatz. Ich schaue ungläubig auf die Uhr: es ist erst viertel nach drei. 

„Wurde der Korso vorgezogen oder fahren die alle nach Hause?“ Frage ich den Kawasaki-Fahrer hinter mir.
„Nein, nein, die machen sich alle für den Korso fertig.“ Sagt der und zieht ebenfalls seinen Helm an. Ich stupse Stefan an. „Aufbruch!“ Doch der raucht erstmal gemütlich seine Zigarette fertig.

Und damit hat er auch Recht, denn es passiert zunächst nicht mehr viel. Immer wieder tröpfeln Maschinen an uns vorbei, um bis ganz nach vorne zu gelangen. Innerlich haben wir wohl beide beschlossen, zu warten, bis der erste Ansturm vorüber ist, und so schwitze ich in meinem Helm vor sich hin. Ein Mädel und zwei Jungs laufen an mir vorbei und betrachten mein Motorrad. „Welches Baujahr hat die?“ Fragt das Mädel. Es stellt sich heraus, dass sie das Vorgängermodell meiner Hornet fährt. „Ja, aber die sieht halt schon geil aus…“ Sagt einer der Jungs zum anderen, als sie sich entfernen, und blickt meinem Motorrad nach.

Ja, meine Liebe; denke ich, als wir am späten Abend über die A61 über Koblenz in Richtung Ludwigshafen fahren – du hast so deine Fans. Eh ich mich versehe, tätschelt meine Hand zärtlich den Tank meiner Maschine wie den Hals eines treuen, guten Pferdes und denke dabei an all jene, die immer mal wieder heimlich um sie herum schleichen.

Es ist bereits kühler geworden auf der Autobahn und ein kräftiger Wind versetzt uns ab und zu einen kleinen Stoß. Die Flügel der toten Insekten flattern auf meinem Visier im Fahrtwind vor sich hin und in dem sonoren Geräusch des Windes glaube ich immer noch, das Kreischen der Motorräder auf der Rennstrecke zu hören, die wir hinter uns gelassen haben.

Kurz vorher, am Nürburgring:

Irgendwann werden wir zum weiterfahren gezwungen, denn plötzlich stehen wir im Weg. Hinter uns rufen bereits welche, dass sie weiter wollen, also schwingen wir uns auf, und rollen die paar Schritte nach vorne, die die freie Fläche hergibt. Die Maschinen rücken immer enger zusammen, dann stehen wir wieder da. Rad an Rad, Lenker an Lenker, es ist ein Chaos. Und so stehen wir weitere zehn Minuten, nur wenige Schritte entfernt von da, wo wir eben parkten. Ein Biker hinter mir beschwert sich, ich stünde fast auf seinem Fuss. Dann fahr halt nicht so dicht ran… Ich bin schon genervt, ehe es überhaupt angefangen hat.

Der Parkplatz scheint zu brodeln. Viele hupen vor lauter Vorfreude, einige lassen den Auspuff knattern oder die Reifen durchdrehen. Wir atmen Abgase und fein gemahlenen Gummistaub, denn das gehört zur Vorfreude wohl dazu. Dann stehen wir wieder die nächsten Minuten da. Klevererweise vermeidet es Stefan bis zum Schluss, seinen Helm anzuziehen. Ich sehe auf die Uhr. Es ist viertel vor vier. Die Temperaturanzeige meiner Maschine zeigt jetzt schon 103 Grad an und steigt weiter. Ich schalte den Motor aus und lehne mich nach vorne. Am liebsten wäre mir gewesen, noch nicht kampfbereit hier zu stehen, sondern irgendwo an der Seite im Schatten in aller Ruhe abzuwarten und all die Menschen an uns vorbei ziehen zu lassen. Und zum ersten Mal habe ich die unorthodoxe, verrückte Idee, zu verschwinden, irgendwohin an ein ruhiges Plätzchen und von dort aus dem Wahnsinnstreiben zuzuschauen. 

Dann, kurz vor vier, geht es los. Das Gas wird aufgedreht. Jedes Moped schreit in hoher Drehzahl. Die ganze Luft um uns herum scheint zu vibrieren, als sich über zwanzigtausend Biker in Bewegung setzen. Der Boden unter uns vibriert. „Oh ne, oder? Ich hab mir gerade eine Kippe angezündet.“ Höre ich jemanden links von mir sagen. Langsam rollen wir los. 

Stefan und seine Suzuki befinden sich vor mir und ich versuche in dem Durcheinander, mich an ihm dran zu halten. Jede der Maschinen versucht, sich in die vorhandenen freien Lücken zu preschen und ich passe auf, dass mir niemand vor die Räder kommt. Solange wir uns noch im Schritttempo bewegen, sehe ich ihn vor mir, doch als wir die Einfahrt zur Rennstrecke erreichen, habe ich ihn bereits verloren. 

Als großer, unförmiger Klumpen Blech ergießen wir uns über die Kurven des Nürburgrings. Ich versuche gar nicht erst, Stefan wiederzufinden, denn das erscheint mir unter den tausenden von Maschinen aussichtslos. Stattdessen versuche ich, die Übersicht zu behalten und meine Augen überall zu haben. Und obwohl die berühmte, legendäre Strecke durchaus toll zu fahren gewesen wäre und ich heute hier sein darf, kommt die Hochstimmung wie damals bei Magic-Bike in Rüdesheim 2017 irgendwie nicht auf. Wenn nicht die Tatsache, dass hier tausende Menschen ein gemeinsames Hobby, eine Leidenschaft miteinander teilen, so wäre das Ganze eher wie ein stopp and go auf der Autobahn bei Stau. Einige Fahrer haben im Randbereich angehalten und filmen den vorbeifahrenden Motorradkorso mit ihren Actioncams. Wir werden von Polizeifahrzeugen begleitet.

Irgendwann entspannt sich die Lage etwas und die Fahrt wird flüssiger. Doch vor jeder Kurve staut sich wieder die Fahrzeug-Flut. Jeder fährt, wie er will und ich versuche, in dem Durcheinander den Überblick zu behalten. Jederzeit könnte jemand unerwartet neben mir auftauchen, und da ich zudem die Strecke zum ersten Mal fahre, halte ich mich in einer „Spur“, versuche, nicht zu überholen und mich in den Kurven so wenig wie möglich schräg hinein zu legen, um nicht in eine fremde Fahrbahn zu kommen. Eigentlich ein Wunder, wenn hier bei den tausenden an Motorrädern auf einem Haufen nichts passiert, denn wir sprechen hier nicht von Rennfahrern, sondern größtenteils von Menschen mit kaum oder nur unzureichender Rennstreckenerfahrung. Und so überrascht mich, dass der Korso zwar begleitet, jedoch in keinster Weise koordiniert wird. Bei den geführten Touren von vorhin war doch auch immer jemand dabei, der Acht gab und die Fahrer anleitete. Aber vielleicht ist das hier allgemein von den Teilnehmern in dieser Form nicht gewünscht, ich weiß es nicht…

Ich überstehe den Korso. Gestresst, genervt, aber ich überstehe ihn. Hinter der Ziellinie steht ein Pfarrer da und segnet die ankommenden Maschinen. Viele haben sich bereits an den Seitenstreifen niedergelassen und ich halten nach Stefan Ausschau. Er wird sich doch nicht etwa auf die Rasenfläche gestellt haben?

Doch als ich anhalte und ein paar Minuten an der Seite stehen bleibe, sehe ich ihn plötzlich hinter mir. Wir fahren los, verlassen den Nürburgring über die nächstmögliche Abfahrt, bloß weg von dem Stress, puh, war das anstrengend.

An der Tankstelle neben der Rennstrecke, derselben, an der wir gestern nach unserer Ankunft gestanden und dem Treiben der Fahrer zugesehen haben, bleiben wir abermals stehen.
Das war nix.“ Sage ich.
„Ja, das hat keinen Spaß gemacht.“ Sagt Stefan. „Einer vor mir auf seinem Crosstourer fuhr die ganze Zeit auf dem Hinterreifen; irgendwann hat er sich dann ins Gras gelegt mit seiner Maschine. Ich musste eine Vollbremsung wegen ihm machen.“
„Ja.“ Sage ich. „Das war echt nix heute…“

Meine Hornet brummt tief und gutmütig vor sich hin, als wir am späten Abend in Mannheim vor der Garage stehen.
„Das hast du heute gut gemacht, mein Mädchen.“ Sage ich, als sie einen Augenblick später still in der Garage steht. Hitze steigt von ihr auf wie aus dem Inneren eines geöffneten Backofens und der abgestellte Motor knackt leise vor sich hin. „Das hast du heute echt gut gemacht…“

Gerade eben lese ich in den Schlagzeilen, dass während der Eröffnungsfahrt auf der Nordschleife zwei Biker zusammengestoßen sind. Einer von ihnen ist tödlich verunglückt.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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4 Kommentare

  1. ja solche Treffen sind mit Sicherheit sehr beliebt und gerne besucht ! Wie du es beschrieben hast leider zu gut !!! Ich denke wenn man diese Rennstrecke
    fahren möchte ist man besser dran mal unter der Woche den Ring aufzusuchen und soweit ich weiß sind ja Besucherfahrten dort möglich wie auf dem Hockenheimring. Alleine wird man nie sein aber diese Meute ! Kann mir schon sehr gut vorstellen dass dies in Stress ausarten kann. Früher habe ich öfters mal Bergrennen bei uns in der Gegend besucht und ich liebe den Geruch von Oel und Benzin da bin ich ganz ehrlich ! Auf dem Hockenheimring war ich einmal bei einem Formel I Rennen. Mich störte dass man auf den hinteren Rängen doch relativ wenig gesehen hat aber die Atmosphäre und die Lautstärke sind einfach genial !! Ja ich war ein Motorsportfan aber die Zeiten sind vorbei. Heute schaue ich mir nicht mal mehr ein Rennen im Fernsehen an. Für mich hat die Formel I seinen Reiz vorloren weil die Technik und das Geld bestimmt Sieg oder Niederlage ! Einfach langweilig. Habe aber diesen Beitrag sehr aufmerksam gelesen.

    1. Wir haben es mitgemacht, um bei diesem vielbesungenem Event mal dabei gewesen zu sein. Ich muss zugeben, wir hatten uns das alles viel koordinierter vorgestellt. Denn bei dieser Fahrt sind es eben keine geübten Rennfahrer, sondern ein Haufen Amateure, und jeder will der schnellste sein. Und wir mittendrin. Wir hatten damit gerechnet, dass Order mitfahren würden, die das alles regeln, doch das war nicht der Fall. Die Fahrer wurden sich selbst überlassen. Es sind an diesem Tag Menschen bei dieser Fahrt auf der Strecke gestorben, doch das erfuhren wir erst später.

      1. Ganz ehrlich ich hätte es auch mitgemacht ! Eine Erfahrung wo man sagt ok einmal aber es muss nicht wieder sein !

        Hier ein Link wo ich immer hingehe !

        https://mannisfotobude.wordpress.com/2021/02/02/ein-toller-kaefer/#more-18503

        Natürlich in einem kleineren Rahmen aber trotzdem toll Hier sind die wahren Fans unter sich ! Gut letztes Jahr fand es auch nicht statt !!!

        1. Ich schaue es mir an, danke für den Link. Die nächste Zeit wird es wohl nix, aber für die Zukunft sehr interessant…

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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