Sommer 2019, Pokhara, Nepal
Ich lasse mich in Pokhara im Zentrum des Touristenviertels an der Lakeside absetzen und stehe erstmal unschlüssig herum. Ein ruhiges Plätzchen muss her, nur für mich, wohin ich mich zurückziehen und die Eindrücke verarbeiten kann. Zeit und Raum zum Nachdenken. In einem ruhig gelegenen Lokal mit Blick auf den Phewa Lake finde ich schließlich Zuflucht.
Die Terrasse ist schattig und gemütlich, voller weicher Kissen, die dazu einladen, darin zu versinken. Man kann hier bequem auf dem Boden sitzen. Ich bestelle eine Cola und einen Salat und während ich esse, lasse ich das Geschehene erst einmal sacken.
Der Ultralight-Flug war aufregend, der Flug war unglaublich. Ich betrachte die Frauen, die in ihren schönen, roten Saris am Ufer des Phewa-Sees spazieren. Sie führen ihre schönsten Kleider aus, fotografieren sich gegenseitig und haben scheinbar Spaß. Wie leuchtende Blumen inmitten von matschigen, schlammigen Straßen sehen sie aus, frisch und farbenfroh. Manche mieten kleine Ruderboote, um damit auf dem See zu schippern. Dann ziehen sie die unförmigen Rettungswestern über ihre schönen Kleider. Heute ist der zweite Tag des Teej-Festivals, ein Fest der Frauen – und alle beten sie für die Gesundheit ihrer Männer.
Leichter Wind auf meinem erhitzten Gesicht. Ich poste ein paar Bilder, doch mein Blick gilt dem Phewa-See. Was mache ich als nächstes?
Ich könnte wandern gehen; die Bat Cave, die Fledermaushöhle, befindet sich nur wenige Kilometer von Pokhara entfernt. Doch bei der Hitze, die auf den bewölkten Vormittag folgt, ist Wandern ein ermüdendes Unterfangen.
Das Tickethäuschen fällt mir ins Auge, wo die Preise für Bootsmieten ausgeschrieben sind, und der Entschluss ist gefasst. Ich miete mir ein Boot für siebenhundert Rupien. So viel kosten zwei Stunden ohne Fahrer.
Warum ohne Fahrer?
Klar verstehe ich, dass jeder Bootsführer, ebenso wie jeder Guide, etwas verdienen möchte. Doch ich habe nicht so gerne jemand fremdes neben mir, der meine Aufmerksamkeit beansprucht, während ich mich im Augenblick nur noch entspannen und in mir selbst zurückziehen möchte. So vieles geht in meinem Kopf herum.
Am Wasser zu sein hatte schon immer etwas Meditatives an sich.
Und vor allem, und das ist wohl das Wichtigste; ich will das Ruder in der Hand halten und bestimmen, wo es hin gehen soll. Sinnbildlich für diese Bootsfahrt, für die Reise und für mein Leben.
Nach der Schnelligkeit des Fliegens schein sich das Boot nur sehr langsam vorwärts zu bewegen. So gleite ich über dem See, und über mir lächelt brühend heiß die Sonne hinab. Zeitweise spanne ich meinen schwarzen Schirm über dem Kopf; doch trotz diese Vorsichtsmaßnahme werde ich später glühend heiß und vor Sonnenbrand gerötet vom Boot steigen.
Der Schirm stört beim Rudern.
Zunächst bin ich nicht alleine, denn so eine Bootsfahrt ist eine beliebte Beschäftigung an einem heißen Tag. Sowohl Nepalesen als auch chinesische Touristen vertreiben sich auf diese Weise die Zeit. Doch schon bald habe ich alle Boote überholt, von denen die meisten in sicherer Ufernähe verbleiben.
Ich lasse alles hinter mir und fahre weit hinaus, bis zur Mitte des Sees. Rechts von mir sehe ich Sarangkot mit seinen Gleitschirmfliegern, die hoch oben über seiner Spitze kreisen. Die aufgespannten, bunten Gleitschirme umrunden den Berg wie Steinadler ihren Horst. Meinem Mund entweicht ein leiser Seufzer, denn das Paragliding ist etwas, womit ich schon seit langem geliebäugelt habe. Ach, was würde ich mich gerne leise und nur von der Luftströmung getragen zwischen den Bergen gleiten lassen.
Eine große, hubschrauberförmige Libelle nutzt mein Boot für ein kleines Päuschen, ehe sie weiter fliegt. Und manchmal tauchen große, bunte, exotisch anmutende Schmetterlinge über der Wasseroberfläche auf, die ich bisher nur aus verschiedenen Schmetterlingshäusern kenne. Bereits gestern, als ich hoch zur World Peace Pagoda wanderte, sah ich diese großen Schmetterlinge auf meinem Weg. Auch jetzt kann ich die Pagoda mit ihrer goldenen Kuppel schneeweiß zwischen den Bäumen leuchten sehen. So weit entfernt wirkt sie von hier aus nicht, doch derjenige, der sie erklommen hat, weiß allein, wie sehr Nähe und Entfernung das Auge trügen kann.
Das grüne Wasser des Phewa Lake ist trüb. Ob es Algen sind oder Schlick, ist schwer zu sagen. Den Gedanken, mal eben in den See zu springen für ein kühlendes Bad verwerfe ich direkt wieder. So idyllisch das alles hier aussieht, irgendwo habe ich gelesen, dass der Phewa-See verschmutzt sein soll.
Das Boot fährt mit der Strömung, so habe ich ziemlich gut Strecke gemacht. Auf der anderen Seite ist schon das gegenüber liegende Ufer erkennbar. Eine kleine Insel, auf der ein Schrein zu sehen ist, ragt zu meiner linken aus dem grünen Wasser. Es ist die Tal Barahi Insel und der Tempel ist Göttin Shakti geweiht, der weiblichen Kraft im Universum.
Rund eine Stunde bin ich bereits unterwegs. Ich muss bald wieder zurück ans Ufer und die Erfahrung hat mich gelehrt, dass das Ufer meist nur sehr langsam näher kommt. In der Mitte des Sees wende ich das Boot und drehe um.
Der Phewa-See ist fast fünf Kilometer lang, er ist der zweitgrößte See des Landes. Ob ich wirklich die Hälfte erreicht habe, kann ich nicht mit Genauigkeit sagen. Mein Ehrgeiz hätte mich vermutlich, hätte ich genügend Zeit gehabt, über den gesamten Abschnitt gepeitscht.
Nun bewege ich das Boot gegen den Wind, der vom Ufer aus in die Mitte des Sees zieht. Der Wind, der aufgefrischt hat, erschwert das Vorwärtskommen der kleinen Nussschale und verändert immer wieder seine Richtung, so dass ich gegenrudern muss. Weit hinten über den Bergen sammeln sich dunkle Wolken. Jetzt habe ich weder Platz für den Schatten spendenden Schirm noch Raum für irgendwelche Bilder oder Gedanken. Jetzt heißt es: dranbleiben. Ich muss das Boot rechtzeitig zurück bringen, denn zusätzlich zum Ticketpreis fallen noch dreihundert Rupien Kaution an. Also rudere ich, was das Zeug hält.
So langsam habe ich den Dreh raus, wie ich trotz des Gegenwindes die Fahrtrichtung beibehalten kann. Drei Mal links rudern, drei Mal rechts, und immer schön im Wechsel. Meine Schultern werden es mir morgen danken, da bin ich mir ganz sicher. Und trotz all meiner Bemühungen scheint das Ufer nicht wirklich näher zu kommen. Nur an den Lotuspflanzen, deren Blüten sich an der Oberfläche des Wassers halten und die ich eine nach der anderen hinter mir lasse, sehe ich, wie schnell ich eigentlich bin. Diese kleinen Fixpunkte, die mir zeigen: nein, ich trete nicht auf der Stelle, es geht voran.
Die Sonne brennt auf meine Arme und mein Gesicht herab und ich weiß jetzt schon – das wird später Probleme geben. Als ich aussteige und das Boot „abgebe“, merke ich, wie unangenehm brennend und prickelnd sich meine Haut anfühlt. Mit etwas Glück gibt es „nur“ Sonnenbrand, oder auch einen Hitzschlag, lassen wir uns mal überraschen. Ich rette mich ins gleiche Cafe, in dem ich vor der Bootsfahrt saß.
In Soho, meinem Stammlokal, wartet ein eiskaltes, goldenes Bier auf mich. Ich habe nur noch die Sehnsucht, mich in die kühlen Tiefen des schattigen, dunklen Raumes zurückzuziehen, und dieser Wunsch wird erkannt und respektiert. Der Kellner stellt mir einen Ventilator hin, und der kleine, knackige Salat geht auf Kosten des Hauses. Dann lässt er mich in Ruhe. Ich bin in einem separierten Raum und kühle bei einem Bier, Eiswasser und einer Pfefferminz-Shisha dampfend vor mich hin. Trotzdem fühlt es sich an, als wenn mein Körper weiterhin Hitze ausstrahlt. Bin ich rot im Gesicht? Ein kurzer Blick bringt Klarheit. Mein ganzer Kopf ist rot.
Dunkle Wolken beginnen, sich über dem See zu sammeln, doch das für heute Nachmittag angekündigte Gewitter bleibt bisher aus. Ein Taxi bringt mich zurück zum Hostel.
In meiner fröhlichen Bierlaune erzähle ich dem Taxifahrer, wie toll ich es in Nepal finde und er versucht sofort, sich als Guide zu verdingen. Ich nehme, wie so oft, seine Nummer und weiß, dass ich mich nie melden werde.
Es ist noch früh, irgendwas zwischen fünf und sechs am Nachmittag, doch mein Tag hat auch ungewöhnlich früh begonnen. Im Hostel mache ich die Vorhänge zu, bemitleide mich ein wenig selbst (*Kasia hat sich einen sehr, sehr bösen Sonnenbrand geholt, buuh…*) und lege mich ins Bett.
Als ich später wach werde, höre ich draußen das mächtige Donnern des heraufziehenden Gewitters. Der angekündigte Regen ist da und ergießt sich über das Tal.