Asien, Nepal

Begegnungen an der World Peace Pagoda

Sommer 2019 in Nepal

Der Aufstieg zur World Peace Pagoda, einer schneeweißen, buddhistischen Stupa, die auf 1113 Metern Höhe über dem Phewa Tal liegt, ist eine schweißtreibende Angelegenheit. Doch immerzu ist so ein Unternehmen für Begegnungen gut. Begegnungen wie mit dem alten Großmütterchen, welches mich mit liebevoller Strenge immer weiter den Weg hoch lotste und mich mit ihrer guten Kondition beschämte. Bis ich schließlich bei ihr zu Hause landete.

Die alte Frau

Die alte Frau hatte ein Häuschen direkt am Abhang, so dass sie jeden Tag inmitten eines schönen Gartens mit Gurken, Bananenbäumen, Obst und Gemüse hinunter in das Tal blickte. Das Häuschen war aus rotem Lehm erbaut und als Matten fungierten ausgediente Reissäcke. Sie schob mir einen Hocker hin und noch einen Reissack für meine Tasche, damit die nicht schmutzig würde. Sie selbst setzte sich auf einer Matte direkt auf den Boden. Sie versuchte mir auf nepalesisch und in Zeichensprache zu erklären, dass die Tür abgeschlossen sei und ihr Mann den Schlüssel habe. Hier und da ein englisches Stichwort wie „Husband“ und schon verstanden wir uns bestens. „My husband – Thali.“ Dann zeigte sie auf sich selbst. „Litandra.“

Doch bevor wir ihr Haus erreichten und ich mich setzten durfte, scheuchte sie mich immer weiter nach oben. „Komm, es ist nicht mehr weit.“ Zwischendurch legte sie eine Pause ein, doch eher deshalb, weil ich es viel nötiger hatte als sie. Ich nahm ihr freundlichkeitshalber eine ihrer schweren Einkaufstaschen ab – die andere trug sie auf dem Kopf. Doch schnell bereute ich das wieder. Wenn es alleine nach dem Fitnesslevel ginge, dann hätte die alte Frau gleich mich mittragen müssen. Als wir unter einem großen Baum pausierten, fragte sie: „Foto?“ und ich machte ein Selfie mit ihr. Dann fragte sie: „Money?“

Eine große Spinne hat gerade ein Insekt gefangen und wirft sich in ihrem Netz gefräßig drüber her. Damit unterbricht sie kurzzeitig meinen Gedankenstrom. Es ist eigenartig, hier oben zu sein, nichts weiter zu tun als nur den Wolken dabei zuzusehen, wie sie sich in der Ferne verschieben. Ich strenge meine Augen an, um einen kurzen Blick zumindest auf diese legendären Gipfel zu erhaschen.

Ja, die alte Dame war sehnig und durchtrainiert. Wie gerne wäre ich das eine oder andere Mal während des Aufstiegs stehen geblieben und hätte so getan, als wenn ich die Landschaft fotografieren wollte, aber das ließ sie nicht gelten. Sie ging immer weiter und reizte damit meinen Ehrgeiz. Ich konnte nicht zulassen, dass das Großmütterchen mich überholt! Das war wohl der einzige Grund, der mich davon abhielt, stehen zu bleiben, denn die Blöße wollte ich mir nicht geben. Aber ich pustete schon aus allen Rohren. Und im nächsten Moment passierte es auch schon – schwupps, lief das Großmütterchen vor mir her.

Noch unterwegs fragte sie mich nach Süßigkeiten. Ich hatte leider keine dabei, daher kaufte ich ihr an einem Kiosk eine sündhaft teure „Nutella“ zum Löffeln. Später dann fragte sie nach Zahnschmerztabletten.

Irgendwann bogen wir ab und die alte Dame sagte sinngemäß: hier kommt bald mein Haus. Und an jeder Biegung, bei jedem Haus, das ich sah, zeigte ich darauf und fragte: „Haus?“ „Nein, nein, noch nicht. Noch weiter.“ Es ging immer höher hinauf.

Doch dann, in einem seligen Augenblick, zeigte sie auf eine Abzweigung und einen Trampelpfad, der mit einem nicht mehr intaktem Bambusgatter verschlossen war, und sagte: „Haus.“

Wir liefen den sehr schmalen Pfad an Bananenbäumen vorbei und immerzu rutschte mein Fuß auf der nassen Erde ins Gemüsebeet ab. Litandra lief leichtfüßig vor mir her und vermied geschickt Stolperfallen.

Bevor wir das Grundstück betraten, winkte sie mich zu einer draußen angeschlossenen Wasserpumpe. Erst einmal Hände waschen. Ich schmunzelte. Das kalte Wasser war mir mehr als willkommen, ich ließ es über mein Gesicht laufen und füllte meine Wasserflasche auf.

Sie erklärte mir, dass ihr Mann bei ihren Eltern (oder Schwiegereltern?) seine Zeit verbrachte und ich fragte mich, ob ich sie richtig verstand. Sie selbst schien bereits sehr alt zu sein, sollten denn ihren Eltern noch am Leben sein? Als sie mich dann mit zum Haus der Eltern nahm, konnte ich es kaum glauben, denn die beiden sahen nicht viel älter aus als sie und ihr Mann.

Ich steige zur Stupa hinauf, mein Atem geht keuchend. Der Weg ist steinig, doch ich bin schon fast oben. Meine Gedanken überschlagen sich, die alte Frau kreist darin herum. Welch eine Begegnung. Das war etwas Richtiges, etwas Schönes. Eines der Dinge, auf die es ankommt.

 

Das beste Eis der Welt

Dieses spezielle Geräusch der Vögel wird immer lauter, je weiter ich mich die zusammengewürfelte Treppe aus Schieferstein hinauf kämpfe. Kurz, nur kurz kann ich einen Blick auf die Spitze des Machapuchare erhaschen, die zwischen den Wolken hinauf ragt. Der für Bergsteiger gesperrte, heilige Berg sieht aus wie eine schneebedeckte, weiße Toplerone-Spitze fern am Himmel. Ich bekomme eine leise Ahnung davon, wie schön es hier eigentlich ist und wie gut man an klaren Tagen das Bergmassiv rundherum erkennen kann.

Das Tal erstreckt sich dunstig vor mir und auf der anderen Seite glänzt silbrig der Phewa-See. Die Ausläufer von Pokhara schmiegen sich an seine Ufer wie ein aus winzigen, glänzenden Steinchen zusammengesetzter Ameisenhaufen.

Links und rechts von mir – Restaurants und Cafes. Buddha-Cafe, Temple-Cafe, Che Guevara Cafe und wie sie alle heißen. Eine regelrechte kleine Siedlung ist hier oben entstanden, nur darauf ausgelegt ist, den Wanderer mit allem zu versorgen, was sein erschöpfter Körper so wünscht und braucht.

Mein erschöpfter Körper wünscht vor allem eines: Eis! Dieses wird mir von einem feisten Nepalesen serviert, während ich an einem Tisch im rückwärtigen Teil des kleinen Lokals auf der Terrasse Platz nehme. Dann sitze ich da, vor mir ein sagenhafter Blick über das Phewa-Tal, und halte das beste Eis meines Lebens in meinen Händen. Nein, nicht deshalb, weil das Eis selbst herausragend wäre, sondern weil ich es mir redlich verdient habe.

Die Lücken zwischen den Wolken werden immer größer und hin und wieder zeigt sich sogar die Sonne. Ich spekuliere, ob ich heute Abend mit einem Blick auf die Berge belohnt werde und einen wunderschönen Sonnenuntergang bewundern kann.

Was ich hier oben an der World Peace Pagoda will? Meine Hoffnung ist es, von hier oben einen Blick auf den Annapurna Himal zu erhaschen, auf die höchsten Gipfel wie den Annapurna und den Machapuchare, die mir im Tal bisher hinter einer dichten Wolkendecke verborgen blieben, und den Sonnenuntergang über dem Phewa Tal zu erleben. Hier oben, da fühlt man sich dem Himmel gleich ein bisschen näher; vermutlich ist das der Grund, weshalb es so viele nicht nur in, sondern vor allem auf die Berge zieht und weshalb sich die Mönche so weit oben,  jenseits von allem Weltlichen, angesiedelt haben.

Als ich den Tempelbereich betrete, sind nur wenige Menschen da. Wider Erwarten bin ich weit vor Anbruch des Abends oben angekommen. Hier ziehen Besucher bereits ihre Schuhe aus. Ich gehe nicht in den buddhistischen Tempel hinein, sondern bleibe draußen, dem Blick fest auf die Berge geheftet. Oder auf die Stelle, wo sie eigentlich sein müssten, denn ich kann die hohen Gipfel nur erahnen; noch immer werden sie von feinen, spinnwegenartigen Schleierwolken verhüllt. Langsamen Schrittes umrunde ich die Stupa. Unter mir erklingt der Sound des Hochlandes, die seltsamen Vogelrufe, die es nur hier gibt. Hohe Bäume ragen fast zum Geländer hinauf. Nun heißt es warten. Ich setze mich auf eine der Stufen. Von den Bäumen her dringt ein seltsames Geräusch. Was ist das? Dieses Trillern hörte ich schon mal, als ich in den Bergen Sri Lankas unterwegs war. Es klingt beinahe elektronisch. Später werde ich herausfinden, dass eine Vogelart diesen speziellen Sound produziert.

Mein Gesicht glüht vor Wärme und Anstrengung. Es ist schön hier oben. Libellen schwirren riesengroß durch die Luft wie kleine Hubschrauber. Ein kleiner Vogel springt von Ast zu Ast, gibt ein Gurren von sich, ähnlich dem Ruf einer Taube. Leise Musik dringt vom Tempel zu mir rüber. Es sind Mantras, die ähnlich beruhigend auf das Gemüt wirken wie ein kühlendes, feuchtes Tuch auf der Haut an einem heißen Sommertag. Die Musik vermischt sich mit Menschenstimmen, alles scheint irgendwo weit weg. Auf der anderen Seite eröffnet sich in seinem vollen Glanz das Phewa-Tal.

Ein Mann sitzt im Lotussitz da und meditiert. „Respect the silence“, sagen die Schilder und das laute, trillernde Geräusch, das aus den Bäumen dringt, mag gar nicht dazu passen.

Der Ausblick von hier oben ist allumfassend. Den Gipfel des mächtig aufragenden Machapuchare kann ich nur erahnen; er ist mit Schleierwolken bedeckt wie die anderen auch. Der Machapuchare, oder was von ihm blieb; so könnte der Titel des heutigen Tages lauten. Oder: Der Traum vom Annapurna. Ab und an lässt er durchblicken, dass er da ist, mehr aber auch nicht.

 

Gokyo-Lake-Trek

Doch das Highlight war noch immer die alte Frau. Für solche Augenblicke geht man auf Reisen.

Als ich hinter ihr die steile Treppe zum Tempel hinauf keuchte, da kam mir der Gedanke: wie soll ich jemals einen Trek über die Bergpässe laufen? Warum soll ich mir das antun und, würde ich es überhaupt schaffen? Aber jetzt, wo ich den Annapurna sehe, bin ich mehr als bereit.

Es gibt den Gokyo-Lake-Trek, der von der anderen Seite, von der Ostseite Nepals startet. Der kurze Flug von Kathmandu nach Lukla, dem gefährlichsten Flughafen der Welt, hat es in sich; die Landebahn ist so kurz, dass sie nur von speziell ausgebildeten Piloten angeflogen werden darf. Das Timing muss exakt stimmen, für Fehler und menschliche Schwächen ist kein Platz. Geht man zu früh in den Sinkflug, erwischt man die Kante der Landebahn nicht und stürzt ins Meer; verlangsamt man zu spät, wartet eine steile Felswand. Das eine oder andere Flugzeug ist schon daran zerschellt, das letzte Mal 2014.

Dafür empfängt einen die erhabene Welt der Achttausender, allen voran der Mount Everest. Der Everest-Basis-Trek, ein Marsch zum Basislager des Königs aller Gipfel, ist der Traum vieler. Aber nicht meiner. Mich reizt der Gokyo Lake, ein türkisfarbener Bergsee, der sich auf 5000 Metern Höhe unterhalb des Gokyo Peak zwischen den Bergspitzen erstreckt. Der Trek verläuft durch den Sagarmatha Nationalpark und ermöglicht ebenfalls einen Blick auf den Everest.

Doch wenn ich an die schier übermenschliche Anstrengung denke, alleine um die rund tausend Höhenmeter zu bewältigen, kommen mir leise Zweifel. Ich will zum Gokyo Lake? Da wäre das nepalesische Großmütterchen besser dafür geeignet als ich.

 

Die tschechische Reisende

Die Zeit plätschert dahin. Ausflügler kommen, schauen sich um, betrachten die Aussicht und gehen. Ich lasse mich von einem Familienvater ablichten; dieser hat seine Eignung als Fotograf bewiesen, als er sein kleines Mädchen geduldig vor der Bergkulisse knipste. Trotz des bewölkten Himmels und obwohl es teilweise regnete, habe ich Sonnenbrand auf der Haut. Wie ist das nur möglich?

Ich gehe den meisten Menschen aus den Weg und spaziere einmal um die Stupa herum. Dann sitze ich etwas abseits da und sehe den Wolken beim Vorbeiziehen zu. Ein Vogel zwitschert in den Bäumen, ein anderer antwortet ihm. Beim näheren Hinsehen entpuppt sich jedoch das, was ich für Bäume hielt, als übergroßer Bambus. Der Bambus erreicht hier ungeahnte Höhen. Skurril, wenn man bedenkt, dass die Pflanzenfamilie eigentlich zur Gattung der Gräser zählt.

Libellen schwirren in der Luft vor den weißen Wolken. Es gibt Mücken, mehr sogar als in der Tiefebene des Chitwan. Auch sind sie größer; drei davon habe ich bereits mit bloßer Hand erschlagen. Und da ich hier am Buddha-Tempel sitze, geht mir die Frage durch den Kopf: was hätte Buddha dazu gesagt? Vielleicht – gebe ich mir selbst die Antwort – vielleicht hätte er so etwas gesagt wie: Kasia… nimm doch die Fliegenklatsche.

In den Tempel hinein zu gehen reizt mich nicht, ich will hier draußen auf den Sonnenuntergang warten, um anschließend mit dem Boot über den Phewa See nach Pokhara zu fahren. Es sind nur noch ganz wenige Wolken zu sehen und über mir zeigt sich blauer Himmel. Alles verzieht sich in Richtung Gipfel, um dahinter zu verschwinden. Langsam und anmutig wie Könige treten die Gestalten der Berge aus den Wolkenschleiern heraus. Gleich durchflutet das orangene Licht den Phewa-Valley und leuchtet die Berge an. Ja, ich bin sicher, es lohnt sich zu warten.

Hinter mir erklingen Trommeln und Gesang. Am Tempel beginnt eine Zeremonie. Ich nähere mich dem Geschehen. Inzwischen hat sich eine größere Menschenmenge versammelt. Ein Mönch läuft bedächtig um die Stupa herum. Zu jedem seiner Schritte schlägt er die Trommel und singt. Als er unten ankommt, verbeugt er sich einmal in jede Himmelsrichtung und geht weiter. Ungeachtet dessen sind immer wieder lautere Stimmen zu hören, begeisterte Gespräche, und die Sprechenden müssen von Tempelmitarbeitern zur Stille ermahnt werden. Doch insgesamt verhalten sich die Besucher sehr respektvoll. Bis auf zwei Reisende. Sie filmen den singenden Mönch, der dies mit stoischer Ruhe über sich ergehen lässt. Der alte Mann reagiert auch dann nicht, als ihm einer der beiden die Smartphone-Kamera beinahe ins Gesicht hält. Ich schäme mich fremd.

Eine junge Alleinreisende fällt mir ins Auge. Ich werde auf sie aufmerksam, weil sie, wie ich selbst noch vor wenigen Augenblicken, eine Fremde um ein Foto von sich vor der Bergkulisse bittet – mich. Ich spreche sie an, froh, jemanden gefunden zu haben, dem es so geht wie mir. Wir unterhalten uns angeregt; nur am Rande registriere ich ein langgezogenes „Pssst!“ und begreife erst verzögert, dass ich es diesmal bin, dem diese Ermahnung gilt.

Die junge Frau kommt aus Tschechien und kam als Volontärin nach Nepal. Sie hat einige Wochen lang an einer der Schulen in Kathmandu englisch unterrichtet. Jetzt nutzt sie die letzten zwei Wochen ihres Aufenthaltes dazu, das Land zu bereisen. Genau wie ich, will auch sie nichts verpassen und während wir sprechen, wird mir bewusst, wie viel wir miteinander teilen.

Fast unbemerkt schleicht sich der Sonnenuntergang heran und taucht die Bergspitzen nur für einen kurzen Moment in blutrotes Licht, ehe die Wolken sie wieder verschlingen und das Leuchten erlischt. Es wird neblig; alles in allem ist der Sonnenuntergang nicht das, was er versprach zu werden.

Kristina und ich haben uns verabschiedet und ich stehe nun alleine da und versuche, den Anblick in meinem „Fotokasten“ abzuspeichern. Allein die Bergmassive sind atemberaubend; ein ungefährer Eindruck davon, was mich im Himalaja erwartet. Der Wettergott war am Ende gnädig zu mir. Er vertrieb die Wolken und enthüllte die Welt. Ich bin dankbar. Ich könnte hier ewig sitzen und den Bergen zusehen, wie sie erhaben einfach nur da stehen, wo die Kräfte der Natur sie hingesetzt haben und die Leute in Erstaunen versetzen.

Wie sie einfach nur da sind. Und mich trotzdem aus den Socken hauen.

Es ist nicht möglich, bis nach Sonnenuntergang auf dem Gelände des Tempels zu bleiben. Pünktlich um 18 Uhr werden die Besucher entschlossen hinausgebeten und alle Tore und Zugänge verschlossen. Gerne würde ich mit Kristina gemeinsam zurück nach Pokhara laufen, will aber auch nicht zu anhänglich wirken. Und auch dem Mädel scheinen ähnliche Gedanken durch den Kopf zu gehen, denn ziemlich bald, nach anfänglicher, künstlicher Zurückhaltung begreifen wir, dass sich die jeweils andere über ein wenig Gesellschaft auf Zeit freuten würde.

Den Plan, über den Phewa-See zum Lakeside zu gelangen müssen wir jedoch verwerfen, denn der Weg ist durch ein Tor abgeschlossen; zudem warnt uns ein Einheimischer vor wilden Affen, die anscheinend gefährlich sein könnten. Ich habe vor Affen keine Angst, doch auf Kristina scheinen die Warnungen des Mannes Eindruck zu machen. Und so tue ich, was ich eigentlich nicht wollte; ich wandere mit ihr den ganzen langen Weg den Berg wieder hinunter.

Zwischendurch erwägen wir, in ein Taxi zu steigen. Als zweite Option will uns ein Junge mit dem Motorrad zurück in die Stadt befördern. Doch das Taxi ist uns zu teuer und das Moped zu gefährlich. Wie überall auf der Welt, so wollen sich auch hier Taxifahrer eine goldene Nase damit verdienen, zu wissen, dass sie das einzig verfügbare Transportmittel sind. Achthundert Rupien sollten es werden; wir winken ab.

Ist die Sonne erst einmal unten, bricht sehr schnell die Dunkelheit herein. Das letzte Aufbäumen des roten Sonnenlichts strahlt am Himmel auf, ehe die Blaue Stunde kommt und die vielen Lichter der Stadt unter uns wie Sterne zu flackern beginnen. Wir achten beim Gehen darauf, nicht in eines der Schlaglöcher zu geraten und leuchten uns den Weg mit unseren Handys aus. Wir unterhalten uns. Kristina hat Anthropologie und anschließend Journalismus studiert, beides Bereiche, für die ich mich begeistern kann. Die Gehzeit vergeht wie im Flug und ruck-zuck sind wir runter vom Berg und in der Stadt.

 

Die grünen Busse

Unten am Fuße des Berges warten Taxis und Busse auf die Rückkehrer. Die Ruhe gilt hier nicht mehr, vielmehr ist die Stadt lebhaft und laut wie eh und je. Mitten in den Verhandlungen mit einem Taxifahrer bemerken wir einen der grünen, lokalen Busse, der zurück zur Lakeside fährt, und steigen ein. Für Kristina nichts besonders, doch für mich ein Highlight. Auf ihre Initiative hin fahre ich zum ersten Mal mit einem Local Bus durch Nepal.

Bereits gestern, bei meiner Ankunft in Pokhara, hat mich ein englischer Reisende auf diese grünen Busse aufmerksam gemacht.

Diese sind das übliche Transportmittel für Einheimische hier im Land, während Touristen eher die Taxis nehmen. Die Busse haben nur wenige feste Haltestellen, sie werden üblicherweise durch Handzeichen am Straßenrand von jedem angehalten, der einsteigen möchte. Für uns ungewöhnlich; doch du winkst dir den Bus heran wie ein New Yorker Taxi. Diese Methode bewährt sich, wie in in den folgenden Tagen noch feststellen werde.

Da er überall hält, kann so ein Bus entsprechend lange unterwegs sein. Die Besatzung besteht aus dem Busfahrer und einem Mann, der im Eingangsbereich wartet und die Stationen ausruft. Er ist Lotse und Kassierer zugleich und dein Ansprechpartner, wenn es darum geht, ob der Bus in deine Richtung fährt. Falls ja, steigst du ein und suchst dir einen Platz. Sobald der Bus fährt, kassiert der Mann den Fahrpreis bei dir ein. Meist bekommst du einen Fahrschein ausgedruckt, manchmal auch nicht.

Auch die Preise sind für mich in den folgenden Tagen nicht immer nachvollziehbar, meist bewegt sich der Fahrpreis abhängig von der Entfernung im Bereich zwischen fünfzehn und fünfzig Rupien. Touristen bezahlen etwas mehr als Locals, doch selbst da handelt es sich um lächerlich geringe Beträge. So gering, dass ich die Zahl, die mir Kristina sagt, weder glauben noch verstehen will. Ich höre: „Fifteen“. Ich beuge mich vor zu ihr und frage nochmal nach. „Fifteen.“ Sagt sie. Ich zeige mit den Händen: „Fifteen like fife and ten?“ Frage ich abermals ungläubig. Sie lacht und sagt ja. Da geht dem Schotten die Flöte; für das Taxi hätten wir an die siebenhundert nepalesische Rupien berappen müssen.

Oft sind die Busse innen geschmückt und mit religiösen Symbolen versehen. Vielleicht klebt ein kleiner Buddha am Armaturenbrett oder es hängt eine indische Gottheit über dem Rückspiegel. So oder so, der individuelle Stil des Fahrers ist unverkennbar.

Wenn der Bus nicht ganz an dein Ziel kommt, gibt dir der Mitarbeiter oft Bescheid, wo du am geschicktesten aussteigen kannst, um die nächste Verbindung zu bekommen. Alles in allem sehr easy. Wir erreichen unsere Haltestelle, doch bis zum Lakeside müssen wir noch ein Stück laufen. Der Fahrer winkt uns an der passenden Stelle raus.

So oder so bin ich froh, mir die paar Kilometer Rückweg gespart zu haben, schließlich bin ich bereits seit heute morgen zu Fuß unterwegs. Noch wenige Tage zuvor habe ich die Nutzung der billigen, lokalen Transportmittel durch Touristen heftig kritisiert, doch nun denke ich mir: wow, was für eine Erfahrung. Man kommt den Menschen nahe und hat das trügerische Gefühl, dazuzugehören, für einen kurzen Moment Teil des hiesigen Lebens zu sein. Mittendrin statt nur dabei.

Noch immer bin ich der Meinung, dass man als relativ wohlhabender Tourist die billigen Local Busses meiden sollte, um die Preise für die Einheimischen nicht in die Höhe zu treiben. Ungeachtet dessen werde ich in den nächsten Tagen verstärkt mit selbigen unterwegs sein. Der Mensch ist ein inkonsequentes Wesen.

Eine junge, nepalesische Frau in rotem Sari und mit langem, schwarzen Haar setzt sich neben Kristina und rückt ihr ein wenig zu sehr an die Pelle, doch Kristina lächelt nur. Die Frau lächelt auch. Und wenn ich mich so im Bus umschaue, sehe ich, dass uns viele der Menschen lächeln. In solchen Momenten liebe ich dieses Land. Keine misstrauischen, skeptischen Blicke. Es ist, als hätte jeder ein Lächeln für dich übrig. Doch am süßesten sind die Kinder, sie rennen auf dich zu, lachen, winken und rufen: Hallo! Namaste! Das ist so schön; Kinder sind die Besten. Und Kristinas Gesicht beginnt sofort zu strahlen.

Kristinas Hostel befindet sich an der Lakeside, ich hingegen habe noch einen bis zwei Kilometer Fußmarsch vor mir. Wir tauschen Nummern aus und verabreden uns für den nächsten Tag.

Ich lasse mich noch für ein Abendessen in meinem Lieblings-Lokal nieder, genieße eine Variation von Momos, den nepalesischen Teigtäschen und lasse den Tag im Kopf Revue passieren. Schließlich gehe ich durch die kühle Abendluft am Phewa See vorbei, in dessen stillem, schwarzen Wasser sich die Lichter der Stadt spiegeln. Der Phewa Lake ist der abendliche Hotspot für Jugendliche, die am Ufer vor der Skyline stehen und gegenseitig für Fotos posieren. Ein Treffpunkt für all jene, für die der Abend gerade erst beginnt. Doch nicht für mich. So viele Eindrücke heute; meine Beine schmerzen und ich sehne mich nach einer Dusche. Es war ein langer, ein sehr langer Tag.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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