Soloreisen. Bislang so ziemlich das Erstrebenswerteste, was (beinahe) jeder Traveller, mich eingeschlossen, sich auf die Fahnen schreiben konnte. Alleine unterwegs sein, kompromisslos, ohne irgendwie auf irgendwen Rücksicht nehmen zu müssen. Ferne Orte entdecken, sich trauen – ja, ich glaube, dieses „sich trauen“ war meine ganz persönliche Challenge. Ich glaube, es ging lange Zeit darum, sich zu überwinden, sich mit dem alleine sein wohl zu fühlen und mit sich selbst zufrieden sein zu können – das war mir wichtig und war ein Ziel. Eines, das ich in Großen und Ganzem recht gut erreichte, wie mir scheint.
Immer weiter, immer exotischer wurden die Ziele, die ich anvisierte. Und es schmeichelte dem Ego, wenn das erstaunte Umfeld mit einem „du bist aber mutig“ daher kam. Nein, mutig bin ich nicht. Aber wer hört das nicht gerne.
Doch schon seit einer ganzen Weile, noch lange vor der Krise und dem Shutdown, hatte sich etwas verändert, ist irgendwo eine Perspektive verrückt. Nachdem ich mich überwunden hatte, die erste längere Reise nach Asien anzutreten, nachdem ich dies ohne jegliche Begleitung getan habe, gab es nicht mehr viele Grenzen für mich, die es zu überwinden galt. Nein, keine physischen Grenzen; ich hoffe, es ist jedem Klar, dass ich hier von den Grenzen in meinem Kopf spreche. Ich habe so ziemlich jeden inneren Widerstand geknackt und das Reisen alleine hatte keinen besonderen Reiz mehr für mich. Im Gegenteil habe ich gemerkt, dass es doch ab und an ein wenig öde sein kann. Ich habe bedauert, so wenig Zeit (sprich: kostbarer Urlaubszeit) mit meinem Partner verbracht zu haben, ich habe bedauert, zu wenig mit Freunden zu unternehmen. Sicher, wenn sich die Wunschziele unterscheiden und ich gewisse Reiseträume habe, die ich mir erfüllen will, dann werde ich weiterhin reisen. Alleine. Ohne wenn und aber.
Aber.
Aber ohne Egoismus. Der Gedanke, jemanden nicht mehr mitnehmen zu wollen, weil es vielleicht zu „anstrengend“ sein könnte, spielt ab nun keine Rolle mehr. Sicher, Freunde, Familie, die liebsten Menschen, sie können anstrengend sein, sie treiben einen in den Wahnsinn. Doch sie nicht dabei haben zu wollen, weil es dadurch bequemer wird? Wohin soll diese Art des Denkens führen?
Ist es manchmal anstrengend, Menschen um sich zu haben? Ja, das kann es sein, auf längere Sicht. Haben Freunde Macken, die uns auf die Nerven gehen? Ja, kann schon sein. Muss man sich auf vieles neu einstellen? Sich anpassen, Kompromisse eingehen? Ja, meine Güte, dann passt man sich eben an. Strengt sich eben an. Geht miteinander Kompromisse ein und tut etwas, das uns in unsere Ego-gesteuerten Gesellschaft zum großen Teil abhanden gekommen ist, wo jeder „sich selbst verwirklicht“, und das möglichst um jeden Preis: man gibt sich Mühe, damit es klappt. Damit es funktioniert. Freunde, Familie und Partner können nicht nur die eigene Wohlfühloase sein. Dazu sind sie nicht gedacht. Sie sind manchmal schwierig. Wir selbst sind manchmal schwierig. Doch sie sind wichtiger als jede Reise solo.
Nicht nur die Reisen an sich brachten mich dazu, zu rekapitulieren. Vielleicht habe ich mich in einigen Dingen geirrt.
Und dann… dann passierte noch etwas. Der Shutdown. Eine ganze Weile, eine längere Zeit war es mir nicht möglich; war es uns allen nicht möglich, unsere Freunde zu treffen. Soziale Kontakte waren auf ein Minimum eingeschränkt, so wie sich auch die meisten mit dem Gedanken anfreunden mussten, dass es mit Fernreisen in der näheren Zukunft wohl nichts werden würde. So seltsam, wie schnell die ganze Welt plötzlich dicht gemacht hat: stand uns noch bislang der ganze Erdball offen und brauchte man nur mit seinem Türen öffnenden, deutschen Pass zu winken, so winken nun die meisten ab. So schnell kanns gehen. Und stand mein Kopf bislang nicht mehr still vor lauter Gedankenkarussell, wohin es als nächstes wohl gehen wird und was ich mir alles noch anschauen muss, um nichts zu verpassen; ja, um mein Leben nicht zu verpassen, so ist es plötzlich ruhig in meinem Kopf geworden. Das Eis mit meiner Freundin in Ludwigshafen, in einem Cafe, welches unsere Adressen und Telefonnummern behalten hat, war ein echter Höhepunkt seit Wochen. Genauso wie der Spaziergang hinter der Stadt, quer durch die frisch gepflügten Felder. Nach und nach beginne ich, meine Freunde wieder zu treffen. Und merke, wie sehr sie mir gefehlt haben. Danke, dass es euch gibt.
Wie es nun mit den Reisen aussieht? Keine Ahnung. Ich weiß auch nicht, ob überhaupt noch irgend etwas „aussieht“. Ich weiß, das klingt aus meinem Munde wie ein Sakrileg, doch das Leben besteht nicht nur aus Reisen. Zur Zeit gibt es diese Option einfach nicht. Zumindest nicht ohne erhebliche Einschränkungen. Und wisst ihr was? Das ist auch nicht so schlimm. Ja, wirklich. Es ist in Ordnung. Ein schöner Gin Tonic am Abend mit Danusia, ein Eis mit Janine, das Genießen der türkischen Kochkünste von Fee* – all das entschädigt mehr denn je. Nein, das ist nicht richtig. Nicht: „entschädigt“.
All das ist wichtiger als alles Reisen dieser Welt.
Und wenn es wieder geht? Wenn ich wieder reisen darf wie ich will, weit weg und hoch hinaus?
Dann nicht mehr alleine. Ich werde genügsam sein. Im Grunde werde ich froh sein, überhaupt weg fahren zu können, egal wohin. Pläne mit Freunden werden nicht mehr verschoben werden. Ob meine Kusine Ania, die mit mir nach China möchte. Oder Stefans Familie, die seit Jahren Polen, mein Heimatland besuchen will. Warum haben wir das bislang all die Zeit nicht gemacht? Oder Türkei mit Fee*. Steht eines der Ziele eigentlich nicht oder nur ganz weit hinten auf meiner Liste – na und?
Es werden nicht mehr einsam und kaltherzig irgendwelche Listen, irgendwelche eigenen Pläne verfolgt. Zuerst kommen die Menschen, dann kommen die Destinationen. Klar, man kann alleine reisen. Klar kann es sinnvoll sein. Der Reisende entwickelt sich weiter, lernt, selbständig zu sein, mit sich selbst zurecht zu kommen. Doch irgendwann ist es auch gut; irgendwann führt der Bogen wieder zurück zu den Menschen, die einem eigentlich am wichtigsten sein sollten. Und das, diese Gewissheit hat mir Corona gebracht.