Europa, Polen

Meine alte Heimat – Beobachtungen, dies und jenes (3)

Der polnische Trotz

Wie bringt man einen Polen dazu, etwas zu tun? „Hey, mach mal…“ Schlechte Idee. Besser funktioniert es noch immer, an den Willen/Unwillen bzw. die Fähigkeit/Unfähigkeit des Polen zu appellieren und selbige in Frage zu stellen. Sie überholen dich gerne von rechts oder über den Standstreifen. Einfach, weil ihnen jemand mal gesagt hat, dass man das nicht macht. Während der Pandemie hatte man kaum jemanden in einem Geschäft mit einem Mundschutz gesehen. Generell macht der Pole nicht, was man ihm sagt. Doch wehe, man erzählt ihm, dass etwas nicht geht. Da kursiert ein ziemlich guter Witz, den ich mal vor drei Jahren gehört habe (Achtung, fehlende Political Correctness)´und der die Mentalität der Polen recht gut verdeutlicht:

Ein Russe, ein Deutscher, ein Pole und ein Franzose sitzen in einem Flugzeug. Eines der Triebwerke fällt aus. Der Pilot geht nach hinten und sagt zu dem Russen: „Hier ist ein Fallschirm, ich helfe dir beim Anlegen. Und dann, Russe, musst du springen – fürs Vaterland.“ Der Russe macht ein ernstes Gesicht und sagt voller Inbrunst: „Ja, fürs Vaterland!“ Und springt. Die Verbliebenen fliegen weiter.

Doch ein weiteres Triebwerk fällt aus. Der Pilot sagt zu dem Deutschen: „Hier ist ein Fallschirm, Deutscher, du musst springen. Das ist ein Befehl.“ Der Deutsche: „Ein Befehl, jawohl!“ Er salutiert und springt. Eine Zeit lang fliegen sie weiter.

Bis das dritte Triebwerk ausfällt. Pilot zum Franzosen: „Franzose, spring – das ist jetzt so Mode. Du siehst ja, dass alle springen.“ Der Franzose: „Oh qui, also wenn das Mode ist…“ Und springt.

Als das vierte Triebwerk ausfällt, geht der Pilot nach hinten, legt sich selbst den Fallschirm an und sagt: „Komm, Pole, ich zeige dir im Cockpit, wie du am besten auf dem Wasser landest. Denn du…“ Skeptischer Blick. „…du springst garantiert nicht.“ Der Pole entrüstet: „Was, Ku..wa, ich springe nicht??“

Ist er gesprungen? Und wie!

Marienstatuen

Finden sich überall, sowohl im städtischen- als auch im ländlichen Raum (im letzteren vielleicht gar noch stärker vertreten). Die kleinen und größeren Marienschreine, die ein wenig an Italien erinnern (nur leider ohne das passende Wetter), sind aus dem öffentlichen Raum nicht wegzudenken. Mehr noch, es kommen weitere dazu, ebenso wie überdimensionale Kreuze und Jesusdarstellungen. Ihr denkt, der größte Jesus der Welt steht in Rio de Janeiro? Fast richtig. Die mit 36 Metern größte Statue der Welt befindet sich seit 2010 im polnischen Świebodzin. Die Figur ist zwei Meter höher als ihr Pendant in Rio und, zählt man die Krone hinzu, ist sie sogar um 6 Meter größer. Die geschätzten Kosten von 6 mln. pln. Zloty wurden komplett aus Spenden von Gläubigen, darunter der US-amerikanischen Diaspora, und Unternehmen finanziert.

Die Statue selbst ist noch immer die weltweit größte, doch 2011 erblickte in Peru der „Christus, Herr des Pazifik“ mit 37 Metern Höhe das Licht der Welt. Die Jesusstatue ist dabei 22 Meter groß.

Was soll ich sagen. Man kann es nicht essen, man kann es nicht trinken, man kann nicht darin wohnen… aber hey, noch immer haben wir den Größten…

Kirchen besichtigen Deutschland und Polen

Der Katholizismus führt mitunter dazu, dass Kirchen lediglich als sakrale Glaubensräume denn als interessante, touristische Sehenswürdigkeit betrachtet werden. Ihr wollt Kirchen besichtigen? Dann müsst ihr euch beeilen und unbemerkt während einer Messe hinein schlüpfen. Sofort danach klimpert ein großer, schwerer Schlüsselbund und, kaum ist der letzte Gläubige draußen, wird die Kirche bis zum nächsten Gottesdienst verschlossen. Das betrifft nicht die bekannten Kirchen in großen, touristisch frequentierten Städten wie Breslau, Torun oder Danzig. Doch wer Lust hat, alte, historische Holzkirchen auf dem Land zu besuchen – und davon gibt es so einige -, der sollte seine Aufwartung besser vorher mit dem Pfarrer besprechen.

 

Kunstblumen am Friedhof

Wer einen polnischen Friedhof besucht, wird sich vermutlich über die vielen bunten Farben wundern. Kränze in allen Ausführungen bedecken die Grabplatten, es flackern rote Grableuchten. Die Blumengebinde überdauern Regen, Schnee und Sonne, denn sie bestehen ausnahmslos aus Plastik.

Plastikkränze auf Friedhöfen haben bei uns eine lange Tradition. Schon vor Jahren hatte ein Bekannte von mir moniert, dass einerseits die Totenverehrung so groß-, andererseits überall die „billigen Plastikblumen“ zu sehen seien. Also zunächst mal, billig sind die nicht. Und sie sind überaus praktisch. Ein solches Blumengebinde, einmal drapiert, muss zwei- bis drei Jahre lang nicht mehr gewechselt werden (was sie danach allerdings für einen Müll verursachen, daran mag ich gar nicht denken…). Man geht einmal im Jahr im November hin, fegt die Grabplatte ab und wischt drüber, zündet sein Kerzlein an und spricht sein Gebet. Fertig. Die restliche Zeit gehört den Lebenden.

 

Unbegrenzte Sperrmüllmengen

Doch wohin mit den ganzen, ausgemusterten Plastikdekorationen, nachdem sie unansehnlich geworden sind? Dazu gibt es hierzulande eine tolle Erfindung: den Sperrmüll. Ja, kennen wir, gibt es doch bei uns auch – werdet ihr jetzt sagen. Mag sein. Aber gibt es bei euch auch nach oben offene Volumina? Ja, richtig gelesen. Ähnlich wie hier kann man auch drüben ein- bis zweimal im Jahr den Sperrmüll bestellen. Doch im Gegensatz zu hier ist die Menge an zu entsorgenden Dingen nicht begrenzt; auch nicht die Art. Du willst eine Couch entsorgen? Bitte. Kommt noch ein Schrank obendrüber? Na klar doch. Ein Fernseher? Zwanzig alte Fahrräder? Bitteschön. Stell alles vor die Einfahrt, wir holen ab…

Die Entsorgung von Sperrmüll funktioniert auf zweierlei Arten. Zum einem wird ein- bis zweimal im Jahr von der Stadtverwaltung zu einem bestimmten Termin eine Sammelaktion ausgerufen. Meist hat man ein paar Tage Zeit, um seinen Sperrmüll an dafür vorgesehenen Stellen zu deponieren, der anschließend abgeholt wird. Die Entsorgung ist kostenlos. Die zweite Möglichkeit besteht darin, ein Unternehmen zu beauftragen. Es gibt private Unternehmen, die sich entgeltlich um die Abholung kümmern.

Wie ich einst Geschichte lernte

Deutsche „überfallen, morden und plündern“, Polen „erweitern Staatsgebiet“ – es ist oft der Wortlaut, der in einer Erzählung das Opfer und den Aggressor ausmacht. In Schulbüchern der Neunziger Jahre gab es solcher Überspitzungen einige. Oft war die Rede von „tapferen Helden“, die sich gegen Besatzung wehrten. Dann von Raub, Plünderungen und Gewalt – natürlich immer von Seiten der anderen. Und auch wenn das faktisch stimmt – Polen war im Laufe seiner Geschichte drei Mal geteilt worden und somit von der politischen Weltkarte verschwunden – so vermisste ich im Schulunterricht die notwendige, sachliche Faktenbezogenheit. Es entstand der Eindruck, dass uns ein großer Teil unserer imperialistischen Geschichte mit ihren dunklen Kapiteln unterschlagen wurde.

Es gab eine Zeit (1569–1795), da war Großpolen – eine Union bestehend aus dem polnischen Königreich und dem Litauischen Großreich –  das größte Land Europas. Es herrschte über Berlin, Moskau, es besaß die Krim und sogar ein paar karibische Inseln. Allein von der glanzvollen Zeit war in Schulbüchern die Rede. Was ist mit der Kehrseite? Kriege, die geführt und Ländereien, die besiegt und erobert wurden? Warum erinnern wir uns nicht kritischer daran? Vielleicht passt das nicht gut zum Bild der tapferen Helden. Die Geschichte der Eroberer ist zugleich eine Geschichte der unterworfenen Völker. Es ist eine Geschichte des Leids und des Unrechts. Und wir wollen nicht genauso gewesen sein wie all die anderen, die uns Unrecht antaten.

Zum Glück hat sich die Herangehensweise an die polnische Geschichte geändert. Es finden sich mehr und mehr Artikel und historische Bücher, die sich sachlich-nüchtern mit der Vergangenheit des polnischen Reiches auseinander setzen. Das Land wandelt sich, und auch wenn sich das im Politischen nicht immer widerspiegelt, sind vor allem junge Menschen offener als es ihre Eltern waren.

Toleranz und Offenheit der Polen im Mittelalter und heute

In Zeiten des Polnischen Großreiches, als sich Europa außenherum in Kämpfen und Kriegen zerrieb, war Großpolen-Litauen ein Stabilitätsanker. Auch in Sachen Toleranz war das Land eine Ausnahme auf dem Kontinent und galt als Zuflucht für Andersgläubige. Das Polen damaliger Zeit zeichnete sich aus durch große Akzeptanz allen Fremden, wodurch eine kulturelle Vielfalt entstanden war. Diese Eigenschaften waren notwendig, um ein großes Reich zu verwalten. Eine tolerante Grundhaltung Minderheiten gegenüber vermeidet Unzufriedenheit und beugt Abspaltungstendenzen vor, die das Land unter Umständen schwächen könnten.

Wie wir heute sehen, ist Weltoffenheit etwas, das im Laufe der Weltgeschichte kommt und geht, ebenso wie sich das Bildungs- und Wohlstandsniveau drastisch verändern können. Deshalb sollte man solches nie als gegeben ansehen und nie in der Bemühung nachlassen, es zu erhalten. Nichts ist garantiert und nichts ist für immer.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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4 Kommentare

  1. Der zivile Ungehorsam, das Katholische, die Friedhöfe mit den praktischen, weil pflegeleichten Plastikblumen, die nach oben offene Sperrmüllskala … so langsam dringe ich ein in die polnische Seele 😅.

    1. Na ja, so krass katholisch sind die Polen auch nicht (mehr). All die Skandale sind nicht an den Menschen vorbei gegangen.

      Ziviler Ungehorsam:wir sind schon ein eigenwilliges Völkchen😉

  2. Interessant. Meine Großmutter mütterlicherseits ist in Lublin geboren und im Krieg nach Deutschland geflohen. Wir hatten immer viel Besuch aus „ihrer Heimat“. Leider hat sie außerhalb des Besuchs nie polnisch mit uns gesprochen, so dass ich die Sprache bis auf ein paar Brocken nie gekernt habe. Persönlich habe ich habe die Polen vor allem als Meister der Improvisation kennen gelernt.

    1. Kriege prägen ganze Lebenswege und schneiden Schicksalsfäden ab. Was ich damit meine: was wäre wohl gewesen, wenn Ihre Großeltern noch in Lublin geblieben wären? Oder meine in Oblast Lwiw? Wie wären unsere jeweiligen Lebenswege verlaufen?
      Sprache: vermutlich ist es Ihrer Großmutter ins Blut übergegangen, Deutsch mit Ihnen zu sprechen. Vielleicht kam ihr die polnische Sprache nicht mehr so flüssig über die Lippen nach all den Jahren. Das merke ich bei mir selbst.
      Meister der Improvisation: ja, das stimmt. Es ist ein großes Talent, und es hat bei uns eine eigene Bezeichnung: „kombinowac“ (was so viel heißt wie „kombinieren“, nur eben mehr auf der Trick- und Improvisationsebene).

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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