Der Tag darauf, Ostersonntag, wird von schlimmen Nachrichten bestimmt.
Morgens gegen halb zehn. Mehrere Sprengsätze explodieren in fernem Sri Lanka, drei in Kirchen, weitere drei in Luxushotels in Colombo. Ich sehe es durch Zufall; eigentlich will ich nur meine Mails checken. Und zunächst erreicht mich das nicht sofort in vollem Umfang. Was ist da gerade geschehen?
Irgendwie fühle ich mich persönlich betroffen, waren wir erst vor einem Jahr dort. Etwa zu gleichen Zeit, auch in April, machten wir damals eine Rundreise mit unserem Guide Soliya, der am Ende dieser Reise weniger Guide und mehr ein guter Freund wurde. Und wir haben beide den gleichen Gedanken: geht es Soliya gut?
Ich kontaktiere ihn via Facebook. Kann sehen, dass er erst vor vierzig Minuten online war. Doch es kommt keine Antwort. Wir sind auf dem Weg zum Swimmingpool. Irgendwie fühlt sich das sehr unpassend an. „Aber wir können nichts tun.“ Sagt Stefan.
Stefan und ich sind gerade in einem Hotel im Bayerischen Altmühltal. Ich habe Stefan die Reise zu seinem 50 Geburtstag geschenkt und nach einer Schiffsfahrt entlang der Donau wollen wir es heute ruhig angehen lassen. Die Saunataschen sind gepackt. Ich gehe „nur mal kurz“ ins Internet.
Zwei Stunden später. Stefan und ich sind in den Gewinden des Wellness-Tempels des Hotel Dirsch versunken. Die Sauna, die sich gerade erst aufwärmt, vertreibt auch die letzte Kälte aus meinem Körper. Die heiße Luft umgibt mich wie eine Umarmung. Wieder auf der Liege bin ich tiefenentspannt. Ach, so ein Quatsch, natürlich bin ich es nicht, will es auch gar nicht sein; immer wieder schaue ich in Facebook rein und verfolge die Nachrichten. Sehe die Bilder. Es ist wie ein schwarzer Schatten.
Zwei Uhr mittags. Die Opferzahl steigt stündlich. Ein weiterer Sprengsatz detoniert in einem Vorort von Colombo.
Das Reisen in die Welt hinaus bringt vieles mit sich. Es ist nicht nur die Tatsache, dass die Orte, die du besuchst, plötzlich ein Gesicht bekommen. Du kannst sie greifen, bekommst eine Verbindung dazu. Du warst dort, du hast Menschen kennen gelernt. Und wenn etwas wie das hier passiert, dann ist es nicht mehr irgendwo in weiter Ferne, lässt sich nicht einfach so abschalten. Du fühlst dich persönlich betroffen, willst wissen, wie es den Menschen geht.
Die Nachrichten werden ständig aktualisiert. Immer mehr Opfer. „Der Boden der Kirche mit Leichenteilen übersät.“ Anschlag auf betende Menschen. Am Ostersonntag. Und noch nichts von Soliya.
Ich denke, es geht ihm gut. Das Internet in Sri Lanka ist zur Zeit überlastet. Es ist ein Angriff gegen Christen und Besucher von Außerhalb. Soliya ist Buddhist, unwahrscheinlich, dass er sich zur Zeit in einer Kirche aufhält. Er lebt, soviel ich weiß, auch nicht in Colombo und es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn er sich ausgerechnet zur Zeit des Angriffs in einem der betroffenen Hotels aufhielte. Womöglich hat er gerade anderes zu tun als auf Facebook zu surfen. Ich überschlage die Wahrscheinlichkeiten, sortiere das Unwahrscheinliche raus und bleibe ruhig.
Nachmittags um halb drei. Ich habe eine Messenger-Nachricht in meinem Postfach. Das kleine, rote Zeichen lässt mich aufschrecken. Warum ist denn das Internet hier nur so langsam? Es geht mir auf den Geist, dieser kleiner, sich drehende Kreis, der mir sagt: die Seite lädt… lädt…
Soliya geht es gut. Er bedankt sich für unsere Sorge. Kurze Zeit später werden die sozialen Netzwerke von Seiten der Regierung gekappt. „Um wieder Ruhe einkehren zu lassen.“ Heißt es. Eine Ausgangssperre wird verhängt. Touristen sollen mindestens vier Stunden vor Abflug am Flughafen sein, da es ab sofort verschärfte Sicherheismaßnahmen geben soll.
Am Ende sind es knapp dreihundert Opfer und über fünfhundert Verletzte. An acht Orten explodieren Sprengsätze. Es werden Selbstmordatentäter vermutet. Es gibt die ersten Verhaftungen. Ein terroristischer Akt einer radikalen islamistischen Organisation wird vermutet, ein weiterer Sprengkörper, der sich in einem Van befindet, wird am nächsten Tag entschärft. Der Ausnahmezustand wird verhängt. Niemand weiß Genaues, auch die Regierung selbst scheint nicht wirklich einen Plan zu haben. Es bekannte sich bisher niemand.
Es gab bereits im letzten Jahr Unruhen im Land; damals waren es gewaltbereite, buddhistische Münche, die gegen die muslimische Minderheit im Norden des Landes hetzte. Dann gibt es noch die Tamil im Norden, die fast 26 Jahre für einen eigenen Staat kämpften. Der Bürgerkrieg ist seit zehn Jahren vorbei und Sri Lanka auf den inzwischen blühenden Tourismus angewiesen. 2004 erschüttert ein Tsunami das Land, viele Häuser werden zerstört, Menschen werden obdachlos. Die jüngsten Anschläge werden wohl einen tiefen Riss in die so wichtige Tourismusbranche graben. Ich verfolge weiterhin die Nachrichten, frage mich, wie es wohl weiter geht. Wird es wieder Unruhen zwischen Tamil und anderen Bevölkerungsgruppen geben? Wie gesagt, das ist alles rein spekulativ.
Es ist nicht mehr alles „weit weg“. Ich will nicht pathetisch sein, doch es ist etwas anderes, wenn du dort warst. Von jedem besuchten Land bleibt etwas in dir hängen und man fühlt etwas, was man sonst nur selten beim Verfolgen der Nachrichtenmeldungen fühlt; man fühlt sich zugehörig.
[…] glitzert und funkelt unter uns, es ist, als würden die Lichter uns zuzwinkern. Ich muss an die Anschläge denken, die kürzlich am Ostersonntag in diesem Jahr passiert sind. Da zwinkert uns nichts zu. […]
Hallo Kasia,
Danke für die passenden Worte. Ich hätte es nicht so toll in Worte fassen können. Wir waren vor 4 Wochen in der Kirche in Negombo. Wir sind genau so geschockt wie du. Den ganzen Tag kommen die Gedanken immer wieder auf die schreckliche Tat zurück. Haben so viele nette und freundliche Menschen kennengelernt. Alle Menschen die im Tourismus arbeiten müssen über Jahre hinaus mit Einschränkungen leben.
Lg Herb
Hallo Herb,
hab vielen Dank, ich hatte ein wenig Sorge, die richtigen Worte zu treffen. Das Bedürfnis, meine Gefühle auszudrücken, war einfach da. Sri Lanka ist so ein tolles Land und immer wieder sind die Menschen dabei, sich von etwas Neuem erholen zu müssen, sei es der Monsun, die Unruhen im Norden… Es wird Zeit, dass Ruhe einkehrt. Ich mache mir auch Sorgen um unseren Freund, er ist als Guide auch in der Tourismusbranche tätig. Liebe Grüße, Kasia
Danke für den gefühlvollen Artikel! Sehr schön geschrieben! Ich kenne Sri lanka auch.
LG
Ulrike
Hallo Ulrike, hab vielen Dank. Ich dachte am Sonntagmorgen, ich traue meinen Augen nicht, als ich die Nachrichten gelesen habe. Es ist schwierig, hier Worte zu finden, um seine Empfindungen auszudrücken. Ich hoffe, Sri Lankas Tourismus erholt sich bald… Liebe Grüße, Kasia