Schritt für Schritt. Immer Schritt für Schritt. Ich bin schon längst über diesen Punkt hinaus, diesen Punkt, an dem man noch erwartungsvoll und sehnsüchtig um jede Ecke blickt. An dem man noch hinter jedem Waldstück sein Ziel zu sehen glaubt. Jetzt gilt es nur noch, einen Fuss vor den anderen zu stellen, mit abgeschalteten Kopf. Noch nicht einmal die sorgenvollen Blicke auf meine Uhr können daran etwas ändern. Auch wenn ich bis in den späten Abend hinein laufen muss; ich muss weiter.
Ich hätte nie gedacht, dass sich ein Weg so ziehen kann.
Schon lange schwirrte mir den Grundgedanke im Kopf herum, mal wieder wandern zu gehen. Es gibt dafür einige sehr schöne Ziele in Deutschland, und eines davon, das schon lange auf meiner Liste steht, ist das Rote Moor an der Rhön. Doch es ist auch Frühling, April – und somit der Auftakt der Motorradsaison, die im hessischen Gründau von circa 3000 Bikern mit einem Korso eröffnet wird. Ich habe mich entschlossen, nicht dabei zu sein.
Warum nicht?
Da wir nur ein Motorrad zur Verfügung haben (Stefans Feuerstuhl war noch in der Werkstadt, was unsere Pläne für dieses Wochenende so ziemlich durchkreuz hat), blieben uns nur noch wenige Optionen übrig, von denen mir keine so wirklich gefallen wollte: weder wollte ich alleine hin noch wollte ich auf meiner eigenen Maschine Sozia spielen, und Stefan hinten rauf zu nehmen ging irgendwie auch nicht. So schickte ich meinen Liebsten mit meinem liebsten Stück (die Hornet 😉 ) los und fuhr stattdessen mit dem Auto an die Rhön.
Diese Gegend kenne ich noch nicht, denke ich mir, während ich auf der Autobahn das Radio aufdrehe. Saftig grüne Kn ospen, junge, frische Blätter und aufgeblühte Wiesen mit glitzernden Wasserflächen ziehen seitlich an mir vorbei, Orte, deren Namen mir nicht wirklich geläufig sind. Eine schöne Gegend, hier in die Richtung kann man sich ja noch öfters aufmachen. Im Radio berichten sie gerade über das Anlassen in Gründau. Tausende Biker haben sich bei dem Ereignis eingefunden und in der Kirche findet ein Gottesdienst und eine Taufe statt. Muss toll sein. Ich schalte das Radio ab.
Das Rote Moor ist circa zwei Stunden von Mannheim entfernt. Eine Zufahrtsstraße ist gesperrt, doch wie es aussieht, für Besucher des Naturschutzgebietes passierbar. An einem einsamen Parkplatz, Wanderpunkt Moorwiese, stelle ich das Auto ab und begebe mich zur Karte.
Es gibt verschiedene eingezeichnete Wanderpfade, die jeweils mit Symbolen markiert sind. Ein kleiner Schönheitsfehler fällt mir sofort auf: vergeblich suche ich auf der Karte nach Kilometerangaben zu den einzelnen Routen – wie soll ich mich so entscheiden?
Also gut, also gut… die Premiumroute hört sich doch toll an. Mit den wenigen Anhaltspunkten, die ich habe, mache ich mich auf den Weg und folge dem roten R. Extra-Premium-Route, na das hat doch was. Das ist ja wie für mich gemacht…
Doch gleich hinter den nächsten Bäumen bleibe ich auf einer Kinderschaukel hängen. So sehr ich jedes Mal auch Angst habe, ob die Dinger auf eine erwachsene Person ausgelegt sind, so sehr genieße ich die Schaukelei, solange niemand dabei ist und glotzt. Als dann nach ein paar Minuten ein Rentnerpärchen neben mir aus dem Auto steigt und, wie ich vorhin, die Karte erkundet, beschließe ich, dass es Zeit wird, loszulaufen.
Der Wanderpfad führt mich über eine Weide und in einem Bach hinein. Hier in der Rhön geht es mit dem Frühling anscheinend nicht so schnell vonstatten, denn die Bäume sind noch größtenteils völlig kahl. Dafür ist dies die Chance für diverse Arten von Wildblumen, die Köpfe aus dem Waldboden zu strecken und die spärlichen Strahlen der Frühlingssonne abzugreifen, ehe der Wald zu einem schattigen Schloss wird. Weiß, gelb und lila, ganze Flächen des Waldbodens blühen – ein Traum für botanisch interessierte wie mich (oh, guck mal, schöne Blumen!)
Ich durchquere ausgeschilderte Naturschutzgebiete und komme an einer Quelle an. Hier bin ich nicht mehr alleine; Wanderwege kreuzen und ein paar Personen haben sich versammelt und füllen ihre Trinkflaschen auf. Ich überlege kurz, ob ich, wie sie, den Abhang hinunter und der Quelle folgen soll, doch beschließe ich lieber, mich an den ausgeschilderten Wanderweg zu halten.
Eine hölzerne Brücke, ein rauschender Bach. Immer noch blühen ganze Waldflächen. Als ich den Wald irgendwann verlasse, finde ich mich an einer befahrenen Landstraße wieder. Der Wanderpunkt Schornhecke ist erreicht.
Motorräder und Autos schießen an mir vorbei. Automatisch halte ich nach Stefan und meiner Maschine Ausschau, die mit etwas Glück auch hier entlang gefahren sein könnte. Mehrere Wanderer stehen an einer Karte herum.
„Brauchen Sie Hilfe?“ Ruft mir einer hinterher, als ich schnellen Schrittes an der Gruppe vorbei gehe. Ich verneine, denn ich weiß genau, wohin ich will. Keinen einzigen Augenblick bin ich stehen geblieben, um mich suchend umzugucken – an welcher Stelle sah ich denn bitte hilfebedürftig aus?
Es wird immer wärmer, die Sonne beginnt, die Luft immer mehr zu erwärmen und ich wünschte mir, ich hätte meine Wasserflasche an der Quelle aufgefüllt. Auf der anderen Seite der Straße beginnt es, steil zu werden; der Wanderpfad, der über eine Wiese führt, geht eine hügelige Landschaft hinauf. Vor mir sehe ich eine junge Frau mit ihrem Hund, die in ihren Outdoor-Klamotten scheinbar mühelos den Hügel hinauf schwebt, als gälte die Erdanziehung für sie nicht. Für mich gilt sie sehr wohl. Doch so eine unerwartete (und ungewollte…) Wegbegleitung spornt so oder so an (denn wer gibt sich gerne die Blöße…), und so versuche ich, nicht stehen zu bleiben und mir nicht zu oft „die Gegend ansehen“. Obwohl der Ausblick von hier aus wirklich toll ist. Nur dieses Geräusch… Moment mal, ist es meine Lunge, die pfeift?
Oben sehe ich die Frau mit ihrem Hund auf einer Bank sitzen. Sie spricht mit ihrem Hund und lächelt mir zu: gerne würde ich ein wenig Konversation führen, doch dafür müsste ich erst einmal wieder atmen können.
Doch ab hier wird der Weg wieder einigermaßen eben. Ich sehe eine Wiese, Obstbäume, eine Ansammlung von Felsbrocken. Hinter einem Felsbrocken versteckt mache ich erstmal Pause.
Hier oben befindet sich ein Friedhof: „den gefallenen Brüdern des Rhönklubs.“
Für mich geht es weiter, an Wiesen und teils abgestorbenen Bäumen vorbei, die, mit gelblich grünem Moos überwuchert aussehen wie gedrungene, haarige Zwerge. Der Weg ist nass und matschig und meine Hoffnung auf einen befestigten Pfad zersteut sich in schlammigem Matsch. Vergeblich versuche ich, die nassen Stellen irgendwie zu umgehen; kurze Zeit später fühle ich das schmutzig braune Wasser fröhlich in meinen Schuhen plantschen.
Für diese Wanderung hatte ich meine bequemsten Schuhe angezogen: meine ausgelatschten Treter, die ich mir 2016 in Barcelona gekauft hatte und welche das damals noch moderne, bunte Blümchenmuster auf ihrem Stoff aufgedruckt haben. Diese Schuhe haben mich bereits über diverse Reisen und durch diverse fremde Städte getragen und egal, wie oft oder wie lange meine Trips dauerten, noch nie hatte ich Blasen oder auch nur eine Druckstelle an meinen Füßen.
Nur wasserfest sind sie leider nicht.
Es ist warm und ich bin im T-Shirt unterwegs, doch stellenweise liegt noch Schnee. Ich bin so verwundert, dass ich sogar prüfe, ob es echter Schnee ist – ja ist es. Bei fünfzehn Grad plus. Mindestens.
Am Fernsehensender der Heidenstein biege ich nach rechts ab, nachdem ich einen Moment lang etwas befremdet den Reichsadler am Tor betrachte. Diesmal ist der Wanderweg abschüssig und das ist mal eine gute Nachricht. Noch ein Schluck aus meiner Wasserflasche und noch einmal die Gegend bewundern. Ich checke kurz meinen Standort. Demnächst sollte ich das Moor erreichen.
Ein Wanderer kommt mir schwer atmend entgegen. Schon gut, mein Lieber, die gleiche Plackerei hatte ich ein paar Kilometer zuvor! Oben angekommen bleibt er am Wegweiser stehen, an dem ich selbst eben noch nach dem Weg schaute. Ein zweiter quält sich mit einem Fahrrad die Steigung hoch und ich schwanke zwischen Hochachtung und der Frage: warum? Dann laufe ich auf einen dunklen, grünen Wald zu.
Hier wird es kühler. Ein frischer Wind kommt auf und es ist das erste Mal, dass ich meine Jacke aus der Tasche hole. Seltsame Rufe eines Vogels dringen aus dem Gebüsch rechts von mir hervor. Irgendwann überquere ich einen großen Parkplatz, ein Restaurant und eine kleine Brücke. Das Rote Moor ist ausgeschildert.
Hier wird das Treiben reger als zuvor. War ich bislang fast die gesamte Strecke über weitestgehend alleine unterwegs, geht es auf diesem Abschnitt zu wie in einer Einkaufsmeile. Menschen parken, steigen aus ihren Autos und laufen los, immer schön den Schildern nach. Ich vermute mal, die meisten von ihnen sind nur hier, um kurz die Sehenswürdigkeit Rotes Moor zu besichtigen; nach einem Spaziergang einen halben Kilometer weit hinein laufen sie wieder retour und zurück zu ihrem Auto – oder versacken im Restaurant beim Bier und Wiener Schnitzel. Hah, die Extra-Premium-Route solltet ihr euch mal geben!
Am Parkplatz vorbei, über eine hölzerne Brücke… aber Moment mal, was ist das? Auf der rechten Seite haben sich Menschen versammelt. An einem langen, blickdichten Holzzaun stehen sie da und schauen über den Zaun drüber. Immer wieder bleiben welche stehen; andere laufen weiter. Zwei Bänke stehen zum Zaun ausgerichtet da.
Gibts da was umsonst?
Ja, liebe Kasia, denn das, was dich hinter der blickdichten Absperrung erwartet, ist der Beginn des Naturschutzgebietes Rotes Moor!
Weite, blaue Wasserflächen erstrecken sich vor meinem Auge, Wasservögel rufen beim Anflug, Enten schwimmen possierlich hin und her und die Wasserfläche ist stellenweise bedeckt von runden, grünen Blättern der Wasserlilien.
Doch noch etwas anderes schwimmt direkt unten am Zaun hin und her – es ist gerade Balz für die Frösche! Das Wasser brodelt, ganze Scharen der Reptilien finden sich zu großen, dichten Knäueln aus Leibern zusammen und ein lautes Quaken erfüllt die Luft. Was die hier feiern, ist eine Orgie!
Die großen Froschgruppen haben ein Zentrum: es ist immer ein Weibchen. Dutzende Männchen, vollgepumpt mit Leidenschaft und Überlebenswillen, versuchen, auf den Rücken der Weibchen zu klettern und sich so lange wie möglich oben zu halten. Wer am besten klammert, hat gewonnen. Ein paar Schritte weiter treibt ein lebloser Körper eines Froschweibchens im Wasser, was die Herren der Schöpfung trotzdem nicht davon abbringt, hingebungsvoll auf ihren Rücken zu klettern.
Zur Tode geliebt. Auch Frösche müssen atmen.
Über eine hölzerne Brücke, unter der ein munteres Bächlein fließt, betrete ich das Naturschutzgebiet Rotes Moor. Ab hier geht es nur noch über Holzstege weiter. Diese sind schmall und ein ums andere Mal kommen mir Menschen entgegen. Doch nach ein paar hundert Metern sehe ich nur noch wenige. Es ist, wie ich vermutet hatte – ein paar Schritte hinein und dann wieder zurück ins Auto.
Die Landschaft ist geprägt von anmutigen, weißen Birken und viel Gras, das trügerischerweise aussieht, als könne man es betreten. Vermutlich würden die Füße sofort im instabilen Untergrund versinken und man käme nach Jahrtausenden als gut erhaltene Moor-Mumie wieder zum Vorschein. Frühlingsblumen sehe ich keine und auch die Bäume sind kahl – nicht, was ich mir erhofft hatte in April. Irgendwann sehe ich keine Menschen mehr und wandere alleine weiter den Steg entlang. Die Sonne ist verschwunden.
An einem Aussichtsturm bleibe ich stehen und schaue auf die vor mir auftauchende, ausgedehnte Wasserfläche, die überwuchert ist von trockenen, gelben Grasbüscheln. Hier kann man Wasservögel beobachten und der Aussichtsturm ist viel mehr ein solcher Tier-Beobachtungsposten.
Irgendwann ist der Holzsteg zu Ende und ich habe wieder festen Boden unter den Füßen. Jetzt kann es nicht mehr allzu lange dauern, bis ich wieder am Parkplatz meiner Ankunft und am Auto bin, denke ich mir fröhlich. Oh wie sehr ich mich da irrte!
Ich komme an einem schnellen Bach und mehreren Wasserfällen vorbei. Interessiert betrachte ich die murmelnden Kaskaden, die den bewaldeten Berg hinunter fließen. Der Weg ist abschüssig, was ich dankbar zur Kenntnis nehme; ein weiterer Aufstieg wäre nach all den Kilometern alles andere als erstrebenswert. Ein Pärchen läuft an mir vorbei, schweigend, mit verbissenen Gesichtern. Alles riecht hier nach Wochenend-Krach. Ach wie schön die Liebe doch sein kann…
Der Weg zieht sich. Die Sonne steht nicht mehr so hoch wie zuvor und der Wald versinkt im Schatten. Die Routenmarker weisen mich an, immer weiter dem Bach zu folgen. So überquere ich zwei oder drei weitere Holzbrücken. Hier blüht mal wieder der ganze Wald: der Waldboden ist überseht mit einem weißen Blumenteppich, der sich wie ein Muster ausbreitet und mit den Lichtreflexen der Sonne fangen spielt. Der Abend wirft sein goldenes Netz aus.
Ich betrachte fasziniert das schöne Schauspiel, doch so langsam bin ich müde. Lange kann es jetzt nicht mehr dauern. Wenn ich erst aus dem Wald bin, kommt bestimmt demnächst der Parkplatz.
Doch nach verlassen des Waldstücks erwarten mich hügelige Wiesen. Unbekannte Blumen im Bächlein an der Schotterstraße ziehen meine Aufmerksamkeit auf sich, doch können sie mich kaum davon ablenken, dass ich es langsam leid bin, einen Fuss vor den anderen zu setzen. Die Sonne steht jetzt tief und die Tasche hängt schwer an meiner Schulter. Noch einen Schluck Wasser. Erhitzter Atem, das Knirschen des Kies unter den Sohlen meiner Schuhe. Eins-zwei, eins-zwei, knirsch-knirsch, knirsch-knirsch. Die Sonne zaubert mit ihrer Wärme kleine Schweißperlen auf meinem Gesicht. Immer wieder blicke ich unruhig auf die Uhr. Ich möchte vor Einbruch der Dunkelheit am Auto sein, damit mich die Wölfe nicht fressen… oder schlicht deswegen, weil im Dunkeln die Wegmarker kaum mehr zu erkennen sind. Minuten verinnen, eine halbe Stunde, dann eine Stunde und die raffiniert geplante Wanderroute scheint mich in Kreisen, Bögen und Schleifchen um Berge und Hügel herum zu führen. Ziel ist es natürlich, dem Wanderer ein möglichst schönes Erlebnis zu bescheren und da ist es, das versprochene „Extra-Premium“. So langsam kann ich darauf verzichten.
Wenn ich mich umschaue, sehe ich eine tolle Landschaft mit sanft gewellten Hügeln, umrandet vom Wald und in der warmen, gelben Abendsonne gebadet – eine Landschaft, die mich normalerweise vom Hocker reißen würde. Doch nun vermag auch das kaum noch, mich zu begeistern. In meinem Kopf fühlt es sich an, als ob zwei unterschiedliche Personen Konversation führten:
„Oh, schau mal, was für eine wundervolle Landschaft!“
„Ja, ja, schön für die Landschaft, WEITER…!“ Und so treibe ich mich immer wieder an. Eigentlich schreit mein Körper danach, auszuruhen, doch ich wage nicht mehr, stehen zu bleiben. Keine Zeit zum trödeln, ich muss weiter. Ich versuche, einen Zahn zuzulegen. Hinter jeder Biegung, hinter jedem Hügel erwarte ich, meinen Parkplatz mit der Schaukel zu sehen. Doch alles, was ich sehe, ist nur eine weitere Biegung, ein weiteres Stück Strecke.
Nach und nach treffe ich Menschen wieder, die ich bereits zu Anfang der Tour beim Entgegenkommen gesehen habe. Nun sind sie wieder auf der gleichen Höhe wie ich und spazieren munter in die Richtung, aus der ich gekommen bin. Obwohl – so munter sehen sie auch nicht mehr aus. Man grüßt sich. „Haben wir uns nicht schon mal gesehen?“
Mit einem der Wanderer komme ich ins Gespräch – es ist derselbe, der sich kurz vor Erreichen des Roten Moores den Hügel hoch gequält hat. Da hatte er aber ganz schön Strecke gemacht.
„Ich bin aus der Schweiz“, erzählt er mir. Dort seien die Wanderwege besser und übersichtlicher markiert, meint er: so sind nicht nur die festgelegten Routen erkennbar, sondern es gibt zudem noch in regelmäßigen Abständen Infotafeln, die anzeigen, wie die Route genau verläuft und wie weit man noch zu laufen hat. Wir plaudern, verabschieden uns und jeder läuft weiter, in die entgegengesetzte Richtung.
Dabei bin ich auch hier von einer lieblichen Landschaft umgeben. Ein saftig grünes Tal, eine Wiese und sich neigende, blühende Obstbäume, ein kleiner Bach, der beruhigend murmelt. Kurz bleibe ich stehen und schaue umher, lasse meinen Atem zu Ruhe kommen.
Irgendwann höre ich auf, unruhig auf die Uhr zu schauen. Schalte meinen Kopf ab. Höre auf, hinter jeder Ecke mein Ziel zu erwarten. Wer weiß, wie lange ich noch laufen muss. Es ist eben so – nicht zu ändern. Eine verbissene Resignation macht sich breit. Stur einen Fuss vor den anderen setzen, mehr kann ich eh nicht tun. Manchmal kreuzen andere Routen meinen Weg, doch ich wage nicht, (hoffentlich) so kurz vorm Ziel nochmal auszuweichen – ich weiß ja nicht, in welche Richtung die neue Route verläuft, mit ganz viel Pech würde ich den Weg geradewegs zurück laufen.
Ich überquere eine Wiese, auf der das Wasser zu stehen scheint. Über eine große, nasse Fläche führt mich die Route hindurch und ich sehe beim besten Willen keine Möglichkeit, diese zu umgehen. Also tappe ich so vorsichtig und leichtfüßig ich kann über den matschigen, mit Gras bewachsenen Boden. Und versinke sogleich mit meinen Schuhen bis zu den Knöcheln. Verdammte Scheiße!
Wie ein nasser Hund schüttle ich meine Füße auf der anderen Seite der überfluteten Wiese durch. Nun geht der Weg trocken weiter, als wäre nichts gewesen. Doch als ich irgendwann ein drittes Mal in Matsch tappe, finde ich es einfach nicht mehr witzig.
Die Wiese hinter mir gelassen, versinke ich wieder einmal in einem schattigen Waldstück. In einem Bach spüle ich die Schuhe mit klarem Wasser aus – jetzt ist es eh egal. Als ich weiter gehe, macht es fröhlich: Plantsch-Plantsch in meinen Schuhen.
Die Sonne droht nun vollends hinter den Hügeln zu verschwinden. Ich quäle mich zwischen zwei Elektrozäunen eine Kuhweide hinweg. Komm, Kasia, bleib kurz stehen und schau umher, schließlich bist du deswegen hier! Die Landschaft in goldenem Licht. Schön für die Landschaft, sagt eine kleine, gehässige Stimme irgendwo in mir drin und bringt mich somit dazu, wieder weiter zu gehen. Die Strecke wird irgendwie immer abenteuerlicher. Der Pfad verläuft über und zwischen privaten Weiden. Die Kühe fehlen, dafür steht eine zu einer Tränke umfunktionierte Badewanne herum. Dicke Grasbüscheln wirken wie kauernde Zwerge und große Steinbrocken liegen verstreut herum und werfen die Frage auf, wer – und warum – sie dorthin geworfen haben mochte.
Mein Wasser geht zuneige. Und Wasser ist, was mich jetzt noch irgendwie am Laufen hält, buchstäblich. Ich lasse die Weiden hinter mir und bin wieder auf einer Piste am Waldrand entlang. Von weitem sehe ich eine Straße. Nur keine falschen Hoffnungen, Kasia, du bist bereits des öfteren an Landstraßen entlang gelaufen und hattest gehofft, das hier wäre das Ziel. Irgendwann im weiterem Verlauf der Route bin ich auf eine Infotafel gestoßen, die mich tatsächlich über die Länge der sogenannten Super-Duper-„Premium-Route“ informierte: es sind insgesamt 18,2 km. Immer mal wieder bekämpfe ich die Versuchung, mir mal eine schöne Zigarre zu gönnen und ein Päuschen zu machen – meine Lungen brauche ich jetzt für was anderes! Wer weiß, wie lange ich noch laufen muss! Vor meinem inneren Auge sehe ich bereits den Parkplatz und die Kinderschaukel und nehme mir vor, als Belohnung einmal ausgiebig zu Schaukeln, mit einer dicken Zigarre in der Hand – zum Abschluss der vielen Mühen sozusagen.
Ich nähere mich der Straße, die leer im späten Abend vor mir steht. Ich schaue nach rechts – nichts, war ja klar – schaue nach rechts… und erblicke den schönsten, lieblichsten Anblick, den ich mir in diesem Augenblick je vorstellen könnte, den Anblick, auf den ich so viele Stunden sehnsüchtig gewartet habe.
Ich erblicke meinen Parkplatz.


Nachtrag: Achtzehn Kilometer sind nach meiner bisherigen Auffassung eigentlich nicht viel. Als ich im Auto sitze und zusehe, wie schnell die Kilometer auf der Navi-Anzeige hinunter schmelzen, wie schnell zwanzig Kilometer gefahren sind, beginne ich zu verstehen, wie langsam wir, menschlichen Wesen im Grunde genommen sind, immerzu auf unsere Technik angewiesen; wie schnell würde unser Radius schrumpfen, hätten wir die angetriebenen Verlängerungen unserer Füße nicht. Wir wären wie Ameisen auf einem Blatt und eine Reise wäre mit einer langen Planungs- und Vorbereitungzeit verbunden. Reisen in ferne Länder würden Jahre dauern, genug Zeit, um langsam die Länder und Kulturen auf sich wirken zu lassen. Der Traum vom langsamen Reisen würde sich erfüllen. Zumindest für den wohlhabenden Teil unserer Gesellschaft…
Folge mir auf meiner Wanderung: