Die türkisblaue See, deren Farbe langsam ins Pastellorange wechselt. Weicher Sand. Flughunde klettern in den Bäumen umher, hangeln sich von Ast zu Ast, immer auf der Suche nach Blütennektar und süßen Früchten. Der ganze Boden ist übersät mit orangenen Blüten.
Gedanken. Worte. So viele und doch keine. Ein Zustand zwischen Erschöpfung und Exzitation. Geräusche, unbekannte, tropische Klänge. Ein Gecko prescht lautlos kopfüber an einem Baum herunter. Hier in diesen Breiten gibt es kaum eine Dämmerung. Die Sonne geht unter und dann ist die Sonne weg und es ist dunkel. So einfach…
Die Wellen sind weich und warm, Sand umschmeichelt die Zehen. Die Zigarre am Abend schmeckt köstlich. Dieses kleine Paradies hier haben wir uns echt verdient.
Freitag, der 3 Mai 2019
Paradiese müssen schwer erreichbar sein, habe ich irgendwo gelesen.
Die Buchung wurde geändert. Plötzlich ist unser Auftrag nicht mehr auffindbar und die Reise selbst steht auf „noch nicht bezahlt“. Wir werden aufgefordert, die gesamte Reisesumme nochmals zu überweisen und meine Kreditkarte ist überlastet. Von V-Tours ist jetzt am Abend keiner mehr erreichbar. Stefan ist nur am Telefonieren und am Fluchen. Bis zu unserer Reise sind es nur noch zwei Tage und unser Arsch geht langsam auf Grundeis.
Montag, der 6 Mai 2019 – vor circa dreißig Stunden:
Das Taxi holt uns um zehn vor sieben. Am Frankfurter Flughafen vertreibe ich mir die Wartezeit damit, alle Länder im Kopf aufzulisten, die ich irgendwann in meinem Leben unbedingt mal besucht haben will. Als wir in den Flieger steigen, bin ich noch immer am zählen.
1 Station: Maskat, Oman
Irgendwann, nach ein paar Stunden: unter uns tauchen Gebirgsketten auf. Wir überfliegen den Iran.
Stefan genehmigt sich ein Bier. Der Steward stellt ihm eine Dose hin und nach einem kurzem, prüfenden Blick eine zweite gleich dazu. „Du solltest besser niemanden direkt ansprechen, wenn wir in Maskat landen.“ Sage ich. „Oder anhauchen.“ Stefan, fröhlich und leicht gerötet, lacht. Als wir zur Landung ansetzen, verschwindet heiter auch der restliche „Amsel“ in seiner Kehle. Prost, Oman!
2 Station: Colombo, Sri Lanka
Landeanflug auf Sri Lanka. Es ist Nacht. Die Insel glitzert und funkelt unter uns, es ist, als würden die Lichter uns zuzwinkern. Ich muss an die Anschläge denken, die kürzlich am Ostersonntag in diesem Jahr passiert sind. Da zwinkert uns nichts zu. Wieso habe ich Angst, obwohl das Risiko überschaubar ist, nicht größer als in Deutschland zur Weihnachtszeit an belebten Plätzen? Ganz einfach, Deutschland ist Alltag, teil meiner Realität. Sri Lanka ist nicht alltäglich, Sri Lanka ist abstrakt. Deswegen habe ich in Sri Lanka Angst.
Am Flughafen von Colombo:
Es ist seltsam, knapp ein Jahr später, nach unserer Rundreise 2018, wieder hier zu sein, fremd und vertraut zugleich. Es hat irgend etwas vom nach Hause kommen. Wir tun uns mit einem netten, deutschen Pärchen zusammen, welches uns dadurch auffällt, dass es etwas verloren durch den Transitbereich tigert. Später erfahren wir, dass die beiden den Koffer des Mädels suchen. Wir beginnen zu quatschen und die Wartezeit zieht sich dadurch nicht mehr ins Unendliche hin. Nur noch zwei Flüge.
Im Flieger nach Male, der Hauptstadt der Malediven:
Knapp 30 Minuten vom Bestimmungsort beginnt der Flieger, vom Kurs abzuweichen und schließlich zu wenden. Nur ein Fehler im System, den man festgestellt hatte, erklärt uns der Steward, und der geprüft werden muss. Bestimmt nichts Ernstes, fügt er sogleich hinzu, reine Vorsichtsmaßnahme. Die Überprüfung des Flugzeugs sei allerdings in Male nicht möglich, da es sich um eine Maschine der Sri-Lankan Airlines handelt. Also kehren wir um und steuern abermals Colombo an. Stefans Kopf ist kurz vorm Explodieren und ich verfalle vor Müdigkeit nach der stundenlangen Anreise in eine Art Lethargie: soll doch kommen, was da kommen möge. Innerlich beginne ich zu lachen. Ich glaube, ich war auf der ganzen Reise noch nie entspannter.
Tausend kleine Fische glitzern unter uns im sonnengetränkten Wasser vor der Küste Colombos, ein beeindruckender Anblick, der fast schon für die Strapazen entschädigt. Fast.
Wieder einmal der Flughafen-Sicherheitscheck. Wie oft sind wir bereits schon durch diverse Sicherheitschecks gegangen, ich habe aufgehört, zu zählen. Wieder einmal werden wir gehießen, die Schuhe auszuziehen (wollt ihr wirklich, dass ich nach 24 Stunden Reise meine Schuhe ausziehe? Ich meine… wollt ihr das?) Doch diesmal geht alles viel schneller und Ratzfatz sitzen wir in einer neuen Maschine. Das Gepäck wird umgeladen und dann heben wir ab.
Anflug auf Male:
Die Koralleninseln unter uns, unfassbar blau, ungreifbar türkis, rund wie die Blauschimmelkulturen in einer Petrischale (ein blöder Vergleich, ich weiß, doch mir fällt nichts ein, das besser passen würde…). Ich kann nicht glauben, dass das da unter uns wirklich die Riffe der maledivischen Atole sind. Und dass ich wirklich hier bin. Und ja, die Farben der Lagunen sind wirklich so wie man es auf den Bildern sieht… und dann ragt die Hauptstadt mit ihren Hochhäusern vor uns auf. Die gesamte Insel ist zugebaut und das verstärkt den Eindruck, als würde sie dem Meer entwachsen; als seien die Gebäude direkt auf dem Wasser errichtet worden.
Male, Malediven – am Flughafen:
Wir haben Zeit, viel Zeit, denn der nächste Flieger auf die Insel Maamigili geht erst in drei Stunden. Doch das türkisblaue Wasser haben wir bereits vor der Tür, denn wir können den Flughafenbereich verlassen. Am Bootssteg schwimmen bunt gestreifte Clownfische herum. Wir beobachten sie, während wir rauchen.
Die kleine Propellermaschine schießt hoch wie eine Rakete. Endlich wieder Action! Denken sich meine abgestumpften Sinne. Und auch hier sehe ich wieder die blauen Inseln unter uns. Auf den Local Islands wird viel gebaut. Aufgekratzte Erde, aufgeschütteter Sand, einige Inseln werden neu aufgeschüttet. Viele Bauprojekte werden von China finanziert. Doch auch hier auf Maamigili ist unsere Reise noch nicht zu Ende. Wir sitzen im Bus, der uns vom regionalen Flughafen zum Fährhafen bringt. Hier wechseln wir in die Fähre. Das Wasser unter uns sieht original so aus, als hätte jemand Lebensmittelfarbe hinein geschüttet. So türkis, wie angemalt – das Auge will es nicht glauben.
Dann – Dhiffushi, die Holiday Island. Der weiße Sand, der lange Steg. Strände, die seltsam leer aussehen, wie ein Versprechen, sie ganz für uns zu haben. Unzählige Gepäck- und Sicherheitskontrollen haben wir hinter uns. Das kühle, feuchte Tuch, das nach Limonen riecht, ist eine Wohltat. Wir nippen an unseren eisgekühlten Eistee mit Eiswürfeln. Kondenswasser perlt am Glas und vor uns leuchtet türkisblau die See zwischen den Palmen. Endlich sind wir im Holiday Island Resort angekommen. Wir füllen unsere Anmeldeformulare aus.
Glatte, weiße Muscheln in meinen Händen. Ich spüle sie im warmen Meerwasser aus. Drinnen in unserem Zimmer ist die Luft kühl und klar, draußen riecht sie nach Meer, Blumen und Schwüle. Oh du Malediven-Odyssee – endlich sind wir angekommen. All die Eindrücke täuschen nicht über die Erschöpfung hinweg, die Augenringe in meinem Gesicht reichen bis zu den Mundwinkeln. Ein Abend im Schein der Kerzen an der Bar, ein guter Whisky und eine Zigarre und dann, endlich, endet dieser endlos langer Tag.