…oder: Der Weg ist das Ziel.
Bullshit! Das Ziel ist das Ziel – geht mir durch den Kopf, während ich, verärgert über solche und ähnliche „Lebensweisheiten“ durch Mokotow laufe, einem Warschauer Stadtteil. So viele „goldene“ Sätze, bei denen sich mir schon beim Gedanken daran die Fußnägel nach oben rollen.
Die da wären:
- „Jede Erfahrung bereichert.“
Ähm…nein.
- „Nur die inneren Werte zählen.“
Mag sein, doch ein gepflegtes Äußeres zeugt von einer gewissen sozialen Kompetenz.
- „Geld regiert die Welt.“
Leider ja. Man braucht sich nur die Dritte-
Welt-Länder anzusehen… Nur bei uns, in sog. Wohlstandsländern kommen die Leute auf solche Ideen wie „puristisch“ Leben zu wollen – was aus der allgemeinen Langeweile und Übersättigung an allem Verfügbaren resultiert – wir sehnen uns nach Einfachheit. Kein Mensch, der das Pech hat, sich in einem Entwicklungsland durchschlagen zu müssen, würde auf solche Schnapsideen kommen.
- Und vor allem – mein Favorit: „Liebe überwindet alles.“
Die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind – ja (und auch hier gibt es leider Abweichungen von der Regel). Die romantische Liebe zwischen zwei Menschen, die so oft verklärend, besitzergreifend und voller Erwartungshaltung ist? Siehe Scheidungsrate.
Eigentlich sollte dies hier ein ganz langweiliger Artikel über den Warschauer Lazienki-Park werden – frei nach dem Motto: der Park im rostbraunen Kleid des Herbstes o. ä.
Nix da.
Nach „grau in grau“ überraschte mich der heutige Himmel mit einem schönen Sonnenschein, der sanft meine Nase kitzelte. Ich schnappte mir das Auto meiner Mutter, dazu den Stadtplan von Warschau, stellte das Navi ein und fuhr los durch die goldene, herbstliche Landschaft.
Tja, Leute: lange Version oder kurze Version?
Ich entscheid mich mal für die Mitte.
So fahre ich also vor mich hin und wundere mich, wo mich das Navi denn überall hindurch lotst. Die Strecke nach Warschau verläuft eigentlich geradeaus; man kommt über die Bundesstraße westlich in die Stadt rein und ist so in 30 min da.
Ich fahre und fahre, aber die Sonne scheint und der Tag ist noch jung – so what! Der Weg ist ja bekanntlich… ihr wisst schon.
Nach 1 1/2 Stunden bin ich endlich im dichten Verkehr der Warschauer Innenstadt angekommen. Den Lazienki-Park finde ich ohne Probleme. Doch eine (freie) Parkmöglichkeit – mitnichten. So kreise ich um die weitläufige Parkanlage herum und entferne mich immer mehr von meinem Zielort. Die nächste Stunde / anderthalb verbringe ich also damit, mich durch den dichten Verkehr durchzuschlängeln und dabei möglichst keinen Passanten zu überfahren. In der Zwischenzeit gibt der Akku meines Handys, das ja als mein Navi fungiert, den Geist auf.
Irgendwann, die Sonne neigt sich schon gefährlich der westlichen horizontalen zu, schaffe ich es endlich, das Auto zu parken – im Stadtteil Mokotow, an der Landesbücherei von Warschau. Ich steige aus. An die Bücherei grenzt ein Park. Ich setze mich auf eine Bank und bemühe den Stadtplan. Aha, aha… okay. Ich laufe los.
Mein letztes Getränk war der Kaffee von heute morgen und zum Frühstück hatte ich zwei Kekse. Energie nachfeuern wäre nicht schlecht. Irgendwo ein Kiosk? Nein? Auch gut.
Laut Plan soll ich die ul. Batory geradeaus lang gehen; dann müsste ich irgendwann auf den Lazienki-Park stoßen. Nach ca. 20-30 min Fußmarsch betrete ich eine Imbissbude: Ich will einen Hot-dog. Die haben keine Hot-dogs. Dann eben Panini. Und Cola. Okay, Pepsi geht auch.
Fünf Minuten später halte ich mein warmes, dampfendes, überbackenes Panini in der Hand – mit frischen Champignons, Salami, Käse… Mit ner 0,5er Pepsi für umgerechnet 1,25 €. Ich hätte es euch gerne fotografiert, aber irgend etwas sagte mir, dass es nicht gut wäre, in diesem Viertel der Stadt meine neue Samsung rauszuholen.
Apropos Viertel: Irgend etwas stimmt hier mit der Umgebung nicht. Irgend etwas stimmt hier ganz und gar nicht. Ich meine, Warschau ist ja an sich keine Schönheit, aber die Gegend um den Lazienki-Park herum sah dann doch ein bisschen anders aus. Wo sind denn die Regierungs- und Botschaftsgebäude? Wo sind die ganzen alten Villen, die im Schatten hoher Bäume stehen? Irgendwas ist da faul. Ich bemühe noch einmal den Stadtplan. In welcher Straße befinde ich mich denn jetzt? Warum sehe ich diese Straße nicht auf der Karte?
Doch es dauert noch eine ganze Weile, bis ich kapiere, dass ich die ganze Zeit schon in die entgegengesetzte Richtung laufe. Und hier kommen wir wieder zu dem Punkt, dass jede Erfahrung bereichern würde. Nein, es gibt Erfahrungen, die kann man sich einfach sparen. Diese hier zum Beispiel.
Also zurück zum Ausgang. Jetzt ist die Sonne endgültig dabei, sich zu verabschieden. Als ich wieder am Auto bin, habe ich keine Lust mehr. Keinen Park mehr für heute. Auf der Fahrt nach Hause, im Stau des Feierabendverkehrs stehend, träume ich von Honigwodka – einem Glas… ach was: einer ganzen Flasche voll.
„Wie war der Park?“ Empfängt mich die Stimme meiner Mutter am Eingang.
„Mama… gib mir Wodka und was zum Essen, dann erzähl ich dir, wie der Park so war…“
Das war: Polen, Oktober 2016