Am diesen Morgen will ich meinen Spaziergang über die Felsen rund um die Anlage machen. Linn hatte uns am Tag davor zwei Wanderwege empfohlen, je eine oder anderthalb Stunden lang, die uns tief in die Berge führen würden. Doch aus dem „uns“ wird wohl auch diesmal „ich“, denn mein Liebster meidet jegliche unnötige Bewegung wie der Teufel das berühmte Weihwasser.
Es ist noch kühl draußen, die Sonne hat soeben die Horizontlinie durchquert und steigt stetig nach oben, hat aber noch keine Kraft, um zu wärmen. Als ich unseren Bungalow verlasse, ist es morgens um sieben.
Auf einem Felsen, genau in der Richtung, in die ich mich begeben will, sehe ich einen Klippspringer, eine kleine Antilopengattung, die ein Gewicht von nur 13 bis 18 Kilo erreicht. Er steht da und schaut hinunter auf mich und auf die Farm. Bei genauerem Hinsehen erkenne ich – es ist nicht einer, es sind zwei. Zwei Klippspringer, vielleicht hundert Meter entfernt. Ganz langsam hebe ich meine Kamera, darauf gefasst, dass die Tiere beim unbekannten Klick-Geräusch sofort Reisaus nehmen.
Doch weder das Klicken meiner Kamera noch meine Bewegungen scheinen sie zu stören, seelenruhig stehen sie da und schauen sich in der Gegend um. Schließlich habe ich meine Bilder im Kasten, Klippspringer aus allen Perspektiven, und das ist auch normalerweise auch der Moment, in dem die meisten Tiere wieder das Weite suchen. Doch das kleine Böckchen und seine Dame stehen weiterhin ungerührt da, bewegen sich eins- zwei Schritte nach vorne oder zur Seite auf dem übergroßen Steinbrocken und neigen das Köpfchen. Also lege ich meine Kamera ab, setze mich auf die Steine, wo ich gestern Abend schon den Sternenhimmel bewundert hatte, schaue die Klippspringer an, während sie dastehen und auf die Sonne warten und wünsche mir Popcorn herbei.
Als sich die Tür zum Nachbarbungalow öffnet, lege ich sofort den Finder auf den Mund. Es ist das Bungalow des älteren Ehepaares; der Mann sieht mich fragend an und ich deute auf den Felsen. Er folgt meinem Blick, begreift, huscht auf leisen Sohlen in den Bungalow zurück und taucht mit seiner Kamera wieder auf. Dann holt er seine Frau.
Die Tiere beeindruckt das alles herzlich wenig, sie bewegen sich um keinen Meter. Auch halblaute Gespräche stören sie nicht und ich bedaure die Tatsache, dass Stefan so lange unter der Dusche steht und all das nicht sehen kann. Erst als der Hund beginnt, zu bellen, entfernen sich die Antilopen würdevoll und mit stoischer Ruhe.
Doch der Hund bellt nicht der Klippspringer wegen; Er hat hoch oben auf einem vorstehenden Felsen einen Pavian gesichtet und kläfft ihn nun an. Dieser sitzt lange da auf wie ein Wachposten, der die Weiten der Landschaft zu überblicken versucht. Dann verschwindet er lautlos, als ihn die ersten warmen Sonnenstrahlen erreichen.
„Kein Wunder, dass der Hund so gebellt hat.“ Sagt Thorstens Mutter, als wir später alle am Frühstückstisch sitzen. „Paviane haben uns schon mal Hühner geklaut. Manchmal kommen sie hier hinunter und wenn sie nur Wasser trinken wollen, dann ist das kein Problem, das Wasser teilen wir mit ihnen; aber die Hühner, die teilen wir nicht. Ich meine…“ Fügt sie hinzu: „Auch die Hühner sind an sich kein Problem, aber sie können eine Gefahr für kleine Kinder werden.“
Später, als wir dabei sind, unsere Sachen zu packen, beschleicht mich ein unbestimmtes Gefühl, zu kurz hier gewesen, zu wenig von diesem schönen Tal gesehen zu haben. Ich hatte meinen Bergrundgang nicht gemacht. Vielleicht hätte ich der Schwarzen Mamba oder dem Leoparden noch die Schuppen/Pfote schütteln oder mit den Pavianen Karten spielen können.
Und Stefan geistern ähnliche Gedanken im Kopf herum.
„Das hier ist der perfekte Ort, wenn man mal eine oder zwei Wochen weg von der Welt sein möchte.“ Sagt er.
„Ja.“ Sage ich und zeige auf die Berge. „Du könntest hier unten sitzen und lesen und ich dort oben spazieren gehen.“ Spontan beschließen wir, Thorsten und Linn aufzusuchen und sofort für übernächtes Jahr zu reservieren. Für eine Woche diesmal. Oder länger. Wir wollen Namibia noch einmal besuchen – wir haben noch lange nicht genug von diesem Land gesehen.