Motorradtour Bayern/Österreich, Juni 2017
Wir fahren einen Bach entlang, so türkis, dass man meinen könnte, ein Hauch karibisches Flair hätte sich hierher verirrt. Im Wald ist es ein wenig kühler und ich schaue aufgeregt zu den Bergen hoch. Wir sind in Österreich! Und obwohl sich rein optisch gesehen noch nichts verändert hatte, fühlt es sich an, als hätten wir soeben neue, aufregende Sphären betreten.
Wie immer nach dem Passieren der Grenzübergänge halte ich auch jetzt aufmerksam nach Veränderungen Ausschau, als Indikator für die Tatsache, Deutschland hinter uns gelassen zu haben. Doch zunächst ist da nur dieser beinahe unglaubwürdig türkisene Bach. Und ein unterschwelliges Gefühl der Instabilität.
Na gut, Instabilität ist vielleicht nicht die richtige Umschreibung. Denn die Straßen werden schmaler, die Kurven werden enger und spätestens jetzt wird sich auch ein geübter Fahrer verstärkt der Tatsache bewusst, nicht auf der eigenen, sondern auf einer fremden Maschine zu sitzen. Ich spüre förmlich Stefans aufkommende Unsicherheit, als wir unser Tempo verlangsamen, ehe die Straße sich verengt – so ein Motorrad will erst in den Kurven richtig kennengelernt werden. Hierbei gibt es große Unterschiede – jedes Bike weist ein etwas anderes Kurvenverhalten auf, worauf es sich einzustellen gilt. Stefans CB650F fällt förmlich in die Schräglage hinein, während sich meine Maschine (600er Hornet) etwas… na sagen wir; neutraler verhält.
„Maja… Kurve!“
„Oh…“ Ein leises Brummen wird vernehmbar.
„Maja… Kurve! Na los, leg dich rein!“
Es folgt noch ein Brummen, dem ich ein „muss das sein“ zu entnehmen glaube.
„…Ja! Nu mach schon; Kurve oder Baum!“
„Also gut… weil du es bist.“
Der Ausgang der Zwiegespräche, welche mein Motorrad und ich ab und zu mal führen, ist immer wieder der gleiche: Gemütlich und beinahe gleichmütig gleitet mein Moped Maja in die Schräglage hinein.
Dafür ist sie sehr ausgeglichen und gutmütig und liegt sie erst einmal drin, lässt sie sich wunderbar lenken mit einer Gleichmäßigkeit, die mir als Fahrer ein hohes Maß an Sicherheit vermittelt, während sich Stefans Bike als ein etwas bockiger Geselle entpuppt, der hier und da mal eine starke Hand benötigt.
„Du kannst sie ruhig ein wenig runterschalten.“ Sage ich ihm bei Gelegenheit, während wir zwischendurch eine Pause machen. „Sie lässt sich wunderbar mit dem Gasgriff steuern.“ Die Sicherheit kehrt wieder zurück und während der weiteren Fahrt merke ich, wie seine anfängliche Befangenheit mehr und mehr von ihm weicht. Ich kenne mein Bike wie meine Westentasche und spätestens jetzt wurmt es mich, nicht selbst am Lenker zu sitzen.
Wir verlassen den Wald und wieder bestaune ich die Gegend. Wie gemalt, das alles. Es eröffnet sich uns der Ausblick auf einen malerischen See,der, wie ein blaues Juwel eingebettet zwischen den sanften Hängen zweier grüner Berge liegt. Ein kleines Dorf kuschelt sich ein Stück weiter an sein Ufer und diese Ölwandgemälde-Aussicht verschlägt mir schier den Atem. Während wir oberhalb den See passieren, verschieben sich die Berge, der Ort, die Wasseroberfläche, je weiter wir uns vorwärts bewegen. Und dann kommt er, der Augenblick, in dem alles perfekt auszusehen scheint. Das ist es, genau das. Ich mache Stefan ein Zeichen, anzuhalten.
Unser Weg führt weiter, wieder in den Wald hinein. Wieder werden die Kurven enger, doch diesmal gleiten wir souverän hindurch. Und dann, genau vor uns, weichen die dunkelgrünen Tannen wieder einmal einer atemberaubenden Aussicht. Schneeweiße Bergspitzen, wie aneinandergereiht, von so einer Reinheit, dass sie fast schon blassblau erscheinen. Ich kann die Augen nicht abwenden.
Jap, dann gehts auch wieder hinunter ins Tal, die Bergspitzen verschwinden zwischen den immer höher werdenden, dunklen Bäumen. Und als wir einen Moment später den Wald verlassen, sind sie nicht mehr zu sehen. Dafür sind wir am Rande einer Ortschaft angekommen, der meine Blicke wie ein Magnet auf sich zieht. Doch es ist nicht der Ort selber, es ist die Burg, die über ihm thront: Es ist die Festung von Kufstein.

Warum genau diese Burg? Als hätte ich noch nicht genügend Burgen gesehen…
Doch diese hier ist anders; mit ihren breiten, gedrungenen Türmen und dem dreieckförmigen Dach unterscheidet sich die Festung Kufstein, auch Josefsburg genannt, deutlich vom Märchenstil der deutschen Burgromantik. Wie aneinander klebende Kreise sieht sie von oben gesehen aus mit ihren dicken, nicht allzu hohen Türmen und dem dreieckförmigen Dach, der an alte, chinesische Strohhüte erinnert. Seit 2005 verfügt die Burganlage über eine mobile Überdachung, die es erlaubt, die im Innern des Burghofes befindliche Arena für Veranstaltungen und Konzerte zu nutzen. Und hört der Besucher mittags um zwölf die Klänge der größten Freiluftorgel der Welt vom Turm der Josefsburg aus erklingen, so spielt diese, auch Heldenorgel genannt, ihre tägliche Melodie, die den Zuhörer an die Gefallenen beider Weltkriege erinnern will.
Schier am Verzweifeln kreisen wir in der Stadt umher auf der Suche nach einem optimalen Plätzchen zum Anhalten. Schließlich biegt Stefan in eine kleine Straße ein, die an einem großen, sonnigen Platz zu enden scheint. Eine Promenade lädt ein, am kühlen Wasser der Inn zu spazieren und Bänke im Schatten der Bäume, sich auszuruhen – sei es auch nur für einen Moment. So steuern wir die Maschine genau auf die Mitte des Platzes zu und gleich vor dem Springbrunnen stellt Stefan den Motor ab. Die Tatsache, dass hier sonst kein anderes Fahrzeug parkt, stört uns vorerst noch nicht.
Inzwischen ist es Mittagszeit; seit wir unsere Reise am frühen Morgen vom verschlafenen Neufahrn aus starteten, ist es in der Zwischenzeit ziemlich heiß geworden. Während sich mein Liebster an die erstbeste Sitzgelegenheit flüchtet, hefte ich mich in meinen dicken Stiefeln an die Fersen der vorbeilaufenden Spaziergänger an. An Restaurants und Eiscafés vorbei schlendere ich weiter bis hin zur Brücke, die die Inn umspannt. Von hier aus kann ich die Burg am besten sehen, ich bleibe auf der Brücke stehen und betrachte die für mein Auge ungewohnte, runde Bauweise. Blumenkästen mit blühenden roten Geranien verströmen eine sommerlichen Duft und das Plätschern des Flusses hat trotz des Brummen der Autos etwas entspannendes. Kufstein scheint ein beliebter Ort zu sein; immer wieder bleiben Menschen an der Brücke stehen und verewigen sich auf Speicherchip – das langsam fließende Wasser, die Berge und die Burg im Hintergrund als pittoreske Kulisse für ihren Urlaub.
Ich überrede Stefan dazu, sich in einem der Eiscafés im Schatten eines der Sonnenschirme niederzulassen, mit Blick auf die Berge und das Wasser der Inn. Und während ich eifrig mein Eispalatschinken mit frischen Früchten verputze, bin ich beinahe überrascht, wieviel die Österreicher doch von Desserts im Allgemeinen und Eisspeisen insbesondere zu verstehen scheinen.
Wir schlendern zurück zum Bike, welches wir wohlweislich von der Platzmitte weg und abseits im Schatten der Bäume abgestellt haben.
„Dieser Platz ist ein Begegnungsort, bitte stellen Sie keine Fahrzeuge hier ab“, lese ich die Tafel, die direkt vor unserer Nase steht und frage mich, was wohl die Menschen hier gedacht haben mochten, als wir vor circa einer Stunde unser Mopedchen zufrieden zentral am Brunnen platzierten…?
