Motorradtour Bayern/Österreich, Juni 2017
„Es ist so, wie man sich Bayern so vorstellt.“ Sagt Stefan und schaut rundum. „Mit diesen glatt gekämmten Wiesen überall. Die gehen da wahrscheinlich jeden Abend mit dem Kamm nochmal drüber.“ Wir haben angehalten, um nach dem Weg zu schauen; mitten in einem Ort, der jenseits von Gut und Böse zu liegen scheint. Glockentürme, Wiesen, Holzbalkone, bemalte Häuser… die perfekte Sissi-Romantik.
Und dazu der Geruch nach Kühen.
Lustigerweise sind wir heute mit nur einem Motorrad unterwegs: Mit meinem. Mit mir auf dem Soziussitz. Wir sind nach München gefahren, um in M-Garching mein Auto nach drei Jahren Dienste wieder bei Leasing-Anbieter abzugeben, und damit ich zumindest ein wenig das Motorradfahren genießen kann, hat sich Stefan auf der Hinfahrt in meinen kleinen Skoda gesetzt.
Und nun ist der kleine Skoda weg und wir bemühen zu zweit meine Maja. Und auf der eigenen Maschine hintendrauf zu sitzen ist ungewohnt, glaubt mir. Doch noch ungewohnter wäre es, jemanden wie Stefan auf dem Soziusplatz zu haben, also füge ich mich meinem Schicksal. Zudem ich feststellen muss, dass der Rücksitz meiner Maschine eigentlich ganz bequem ist.
Eine Kirchglocke beginnt zu schlagen. Ein Paar schiebt ihren Kinderwagen den sonnigen Bürgersteig entlang und an uns vorbei, die wir in unseren schweren Biker-Klamotten unter einem Obstbaum Schutz vor der Wärme gefunden haben. Wir kreisen seit einigen Minuten in dem kleinen Dorf herum. Doch irgendwo hier muss doch unser Hotel sein?
Das Hanfstingl ist vermutlich ein ehemaliges Landgut, dessen Gebäude aussieht, als sei in früheren Zeiten im unteren Bereich eine Scheune untergebracht. Es ist ein langes, zweistöckiges Haus, dessen Rückwand unten weiß und fast komplett glatt ist. Die Vorderseite weist zur Ortsmitte hin und wird von diesen typischen Holzbalkonen geschmückt, auf denen wir es uns nach unserer Fahrt gemütlich machen.
Die Empfangsdame, eine ältere, waschechte Bayerin, erklärt uns, wie wir zum nächsten Ort kommen, denn in diesem gibt es eine Auswahl an mehreren Restaurants, in denen man gute, bayerische Küche genießen kann. Denn in Neufahrn, einem winzigen Ort ca. 40 km südlich von München, gibt es keine Lokale. Hier gibt es gefühlt rein gar nichts, außer Menschen in Trachten, Kühen, Weiden und einer unendlichen Ruhe, die solange hält, bis die Kirchenglocke wieder schlägt.
„Ich habe gehört, dass sie die Kirchenglocken hier nicht abstellen, sogar nachts nicht.“ Sagt Stefan ehrfürchtig und fürchtet um seinen Schlaf. Ich lache: „Was soll ich sagen: Ich trage Ohrstöpsel…“ Das Los einer jeden Frau, die einen schnarchenden Partner ihr eigen nennen darf.
Irgendwas hat die nette Dame noch so geheimnisvoll über Höhenangst erzählt, und ob wir denn beide frei davon seien. Und dass die Betten im dritten Stock zu finden sind. Daran muss ich nun denken, während wir die vielen Treppen nach oben schlappen. Der Stockwerke zähle ich zwei. Hm. Wird sich wohl versprochen haben, die Gute.
Das Zimmer ist riesig; es ist genauer gesagt eine Suite, und ich muss sofort daran denken, wie begeistert Nina und ich damals waren, als wir so etwas 2014 in Düsseldorf bekamen. Eine Suite! Und die Frage nach dem 3 Stockwerk klärt sich schnell… denn die Suite ist eine Art Maisonette: Über eine weitere, schmale Treppe kommt man noch eine Ebene nach oben und findet sich im geräumigen Schlafbereich fast unter dem Dach wieder.
„Ist das ein Herz da am Kopfende unseres Bettes?“ Ist es. Ein großes, rotes, handbemaltes Herz. Die Sissi-Romantik hat ihren Höhepunkt erreicht.
Und noch was gutes nennt das Hotel sein eigen; genauer gesagt etwas sehr leckeres: Hier werden handgemachte Pralinen hergestellt. Wir erwerben derer zwei Tütchen und über meine mache ich mich gleich her. Die Geschmacksrichtungen sind farbenfroh und abenteuerlich: Holunder, Hugo, Schokolade-Orange, Himbeere, Zitrus und, und und… Und weg sind sie. Lange hat mein Tütchen nicht gehalten, dafür schiele ich jetzt nach Stefans. Lasst Euch eines gesagt sein: Wenn ihr mal in Bayer das Hotel Hanfstängl besuchen solltet, geht dort nicht ohne diese Pralinen wieder raus, denn sie sind jede Sünde wert. Und das sagt Euch eine, die auf Pralinen eigentlich gar nicht mal so steht…
Doch da Süßkram den Hunger eines ganzen Tages kaum zu stillen vermag, machen wir uns auf den Weg zum Nachbarort Egling, um dort die deftigen Delikatessen der bayerischen Küche zu kosten.
Das Lokal ist unschwer zu finden, nahe des Hauptplatzes gelegen, wo noch der Pfosten für die Maikränze steht. Zur Post prangt da am Eingang in geschwungenen Lettern, darüber die kunstvoll bemalte Wand, die so etwas wie eine Postkutsche darstellen soll.
Wir begeben uns in den Biergarten, der nicht weniger malerisch ist als die Frontseite des Hauses. Ein geschmückter Holzwagen nimmt die Mitte des Gartens zwischen den Tischen ein. Ein großer, gut genährter Hund läuft zwischen den Tischen hin und her und bettelt um Aufmerksamkeiten – und um Reste. Und im Laufe des Abends füllen sich langsam die Tische und wir sind froh, zeitig gekommen zu sein.
Als wir spät abends wieder ins Hotel kommen, ist alles: Berge, Häuser, die Glockentürme der Kirchen getaucht in ein tiefrotes Licht. Der Geruch nach Kühen und Weide wird intensiver und es wird nach und nach immer stiller, bis die Dunkelheit anbricht.
Den Kopf frei…
Nächster Tag. Wir fliegen die Straße entlang durch die bayrische Landschaft. Ich sitze hinten an Stefans Rücken gelehnt, meine Augen wandern hoch zu den Bergen und meine Gedanken lösen sich los, mein Kopf wird frei. Und gleichzeitig ist da etwas Neues, ein Schwall an Worten, die zu Sätzen werden wollen, Sätze, die hinaus wollen, um zu einer Geschichte gesponnen zu werden, da sie sonst zu überschwappen drohen.
Überall in den Orten die bemalten Häuser und die Wiesen voller gelber Blumen, und der Duft nach frisch gemähten Heu dringt durch die Lüftungsschlitze in meinem Helm. Dann der kräftige Geruch von Weidetieren, sobald wir durch die Dörfer fahren, vermittelt etwas Heimeliges. Ich verdrehe mir den Kopf, um all die hoch aufragenden Bergspitzen und Felsvorsprünge zu sehen. Ab und an taucht in der Ferne ein malerisches Dorf inmitten des Bergpanorama auf, nur um sich beim Näherkommen nach und nach wieder in seine Einzelbestandteile aufzulösen, so wie alle schönen Bilder, wenn man sie aus zu großer Nähe betrachtet.
Wir passieren den Schliersee, der an einem schön anzuschauenden Ort gelegen ist; auch Schliersee genannt. Der See besticht durch seine intensive blaue Farbe; wieso sind all die Bergseen nur so schön? Die türkisblaue Farbe hat etwas karibisches; doch vermutlich ist der See eisig kalt. Segelboote ziehen vorbei, eine Badebucht nach der anderen schreit förmlich danach, seine freie Zeit an ihr zu verbringen, doch Stefan fährt weiter. Und als ich bereits glaube, dass wir unverrichteter Dinge vorbeiziehen werden, hält er an einer ruhigen Stelle an, weitab von all dem touristischen Trubel.
Noch ehe ich richtig vom Moped abgestiegen bin, schnappe ich mir bereits meine Kamera. Durch die Bäume sehe ich ein kleines Boot, in dem zwei Männer eifrig paddeln. Wir steigen zwischen den Bäumen hindurch eine steile Stelle bis nah ans Wasser heran; die Felsbrocken dienen uns gleichzeitig als Stufen und Sitzgelegenheit.
Das kleine Boot paddelt an uns vorbei. Libellen fliegen auf ihre schwebende Art nahe der Wasseroberfläche und sehen aus wie kleine Elfen. Ein Hund springt ins Wasser; unter jubelnden Zurufen seiner Herrchen schnappt er sich das ihm hingeworfene Frisbee und paddelt anschließend mit einem glücklichen, treu ergebenen Blick zurück, das Frisbee im Maul.
„Ich würde die Leute mal selbst in das kalte Wasser schicken.“ Sagt Stefan grimmig. Doch der Hund scheint happy zu sein; immer wieder rudert er mit wehenden Ohren dem fliegenden Frisbee hinterher.
Ich kann mich an der Farbe des Sees gar nicht satt sehen, verträumt betrachte ich die Berge dahinter, ziehe an meiner Zigarre, die ich für solche Anlässe (schöne Aussicht, entspannter Augenblick…) immer in meiner Motorradjacke habe. Der Rauch schwebt über dem See davon.
„Wollen wir weiter?“ Von Weitem dringt eine Stimme, Stefans Stimme, in mein Bewusstsein und reißt mich sanft aus meinen Tagträumen. Wir setzen wieder auf.
Die Berge werden noch etwas höher, schroffer, noch etwas alpiner; wir nähern uns der österreichischen Grenze. Ein majestätischer Berg erhebt sich vor uns, der steil nach oben und direkt in den Himmel zu führen scheint.
„Das ist der Wendelstein.“ Sagt Stefan, während wir an einer Ampel stehen. „Es gibt auch eine Bergbahn dorthin.“ Ob wir irgendwann mal mit der Bergbahn dort hochfahren werden? Abermals verdrehe ich mir den Kopf.
Ein Wasserfall, tief im Felsen versteckt; ein vernehmliches Rauschen, das zwischen den Bäumen zu entstehen scheint und kraftvoll zu uns dringt. Stefan hat ihn auch erblickt und wendet die Hornet. An einer überfluteten Wiese vorbei steuert er die Maschine in Richtung Parkplatz, an dem sich bereits einige Biker eingefunden haben. Eifrig wird der Wasserfall bestaunt und fotografiert.
Nach einigen Minuten jedoch ist das Staunen vorbei und wir bleiben mit dem Wasserfall alleine zurück. Und bestaunen und fotografieren ihn wiederum selbst. Eine ruhige Ecke, doch im Unterschied zu dem leisen Plätschern am See hat das tosende Geräusch des hinabstürzenden Wassers etwas Einnehmendes, Unruhiges an sich. Still halten die lila Waldblumen am Wasserrand ihre Köpfchen den spärlichen Wassertropfen hin. Ich sitze auf einer Anhöhe und schaue in die rauschende Tiefe, während sich Stefan eine Zigarette dreht.
Dann: Das mir schon vertraute Stichwort, welches ich im ersten Moment beinahe versucht bin zu ignorieren. Und es wäre mir ein Leichtes, denn das Rauschen kann ich die Worte kaum verstehen, ich sehe nur seine Lippen sich bewegen. Sie formen den unmissverständlichen Satz, der uns ein paar Minuten später wieder auf dem brummenden, dahin eilenden Moped sitzen lässt.
Die Berge über uns: Steil, bläulich, hoch, immer höher. Stefan gibt Gas. Wir steuern jetzt geradewegs auf die österreichische Grenze zu. An der nächsten Kurve passieren wir dann das Schild: „Österreichische Republik“.
ich muss zugeben, ich war noch nie am Schliersee ! Klar weiß ich wo er ist, aber noch nie da gewesen. Der in der Nähe gelegene Tegernsee den kenne ich ! Habe mal gelesen dass dort in Deutschland der teuerste Quadratmeter Preis Einzug gehalten hat. Die ganze München Schickeria hat hier ihren Wohnsitz !
Den kältesten See in dem ich jemals bebadet habe war der Achensee in Tirol und beim rausgehen auch noch auf eine Biene getreten. Die hat mir dann voll den Rest gegeben ! Auch etwas was ich nie vergessen werde !!!
Siehst du? Und ich war noch nie am Tegernsee… War nur Zufall, dass wir da vorbeigekommen sind. Es war ein schöner Ort für eine Rast…
Brr, mir wäre, glaube ich, fast jeder See zu kalt zum Baden, und in einen Bergsee kriegen mich keine zehn Pferde rein. Ich gehöre eher zu der Fraktion, die im (warmen) Schwimmbad den großen Zeh ins Wasser tunkt und sagt: neee… zu kalt… macht mal ohne mich… 🙂
Das mit der Biene tut mir leid, sowas ist schmerzhaft…