Helsinki, Januar 2017
WOW! – Entfährt es mir, als ich die Tür öffne und den Raum betrete. Denn im ersten Moment glaube ich, versehentlich in einem Heizungskeller gelandet zu sein.
Die finnische Küche ist sehr von schwedischen Einflüssen geprägt. Seid Euch dessen bewusst: Wenn ihr Kötbüller bei Ikea bestellt, ist es nur ein leiser Abklatsch dessen, wie es sein könnte. Die schmecken hier sagenhaft!
Nachdenklich betrachte ich die übrig gelassenen Teller am Nachbartisch. Haufenweise Schinken und Salamischeiben, mind. 50g – so als hätte man eine neue Packung geöffnet, die Hälfte des Inhalts herausgenommen und liegen gelassen, einfach so. Wir leben im Überfluss. Wir alle haben einen Job und – oder – ein Einkommen, das es uns ermöglicht, satt zu werden, jeden Tag; und das ist nicht selbstverständlich.
Oh doch, für uns ja. Unser Wohlstand ist maßgeblich an der Armut in restlichen Teilen der Welt beteiligt. Und beim zehnten aus Langeweile und Sinnlosigkeit gekauften Smartphone sollte man kurz inne halten und darüber nachdenken, wie diese Dinger hergestellt werden – seltene Erden und so – und dass andere Menschen unter unmöglichen Bedingungen tief in Minen hinabkrabbeln und ja, und manchmal auch dabei sterben (ja, üble Welt…). Damit wir ein Smartphone haben. Denn würde man die Standards der Rohstoffgewinnung in Drittweltländern auf europäisches Niveau anheben, dann könnte sich fast niemand ein Smartphone leisten. Doch das wollen wir nicht: Standards anheben, meine ich. Wir wollen Smartphones.
Aber ich bin ja völlig abgedriftet, als ich dem indisch (pakistanisch?) aussehendem Mitarbeiter dabei zusah, wie er den Tisch abräumte.
„Thank you.“ Ein kurzes, warmes Lächeln. Wie viele bedanken sich hier? Nein, ich will mich nicht als gutes Beispiel hervorheben – nur ein bisschen von der Selbstverständlichkeit nehmen, mit der wir uns jeden Tag umgeben – den Vorhang lüften und so…
Das Geklirre der Teller um mich herum ist weniger geworden und man hört Musik, die aus dem Radio rieselt. Melancholisch wie die Finnen selbst. Heute sind es minus 11 Grad draußen, es schneit immer noch und der Wind bläst den trockenen Schnee in Böen am Fenster vorbei. Ich werde heute nicht ewig umherwandern wie die vorhergehenden Tage. Heute werde ich die Sauna Kaurila in der Stadt ausprobieren. Sie ist noch original aus dem 19-ten Jhd., mit Kerzenbeleuchtung statt elektrischem Licht und wird sogar im Lonely Planet, der Backpacker-Bibel, erwähnt. Es muss super romantisch sein. Doch die frostige Kälte draußen und das Schneegewehe mutet mir so gar nicht romantisch an – der Wind ist sehr stark und die Böen reißen den Schnee in Wirbeln mit sich.
Na ja, Kasia, du wolltest einen echten finnischen Winter! Hast dich über die lauen Rhein-Main-Temperaturen beschwert. Und du wusstest, dass es so sein würde. Finnland hat dir einen lauen, flauschigen Einstieg gewährt – doch jetzt, jetzt friert deine Nasenspitze ab.
Heute ist es verhältnismäßig hell für Helsinki und die Wintersonne scheint (ja, tatsächlich, sie scheint!) draußen warm auf die Gebäude vor meinem Fenster herab. Was mich jedoch nicht über die eisige Kälte hinwegtäuscht, die da draußen auf mich wartet.
Oben im Zimmer: Die 19-Jhd.- Sauna hat sich erledigt nach einem Blick auf die Website des Veranstalters, denn sie muss weit im Voraus gebucht werden. Was mich nun interessiert, ist Sauna Kotiharju, eine der letzten holzbeheizten öffentlichen Saunen in Helsinki. Der Eintritt kostet 16 € und sie ist von 14 bis 20 Uhr geöffnet (saunieren bis 22 Uhr). Und die probiere ich heute einmal aus…
Draußen.
Kennt ihr es? Dieses Gefühl, wenn die feinen Härchen in Eurer Nase festfrieren? Nein? Was soll ich sagen… Reisen bereichert!
Der Schnee knirscht unter meinen Schuhen – er knirscht! Es macht nicht, wie sonst, matsch-matsch, sondern knirsch… knirsch… knirsch… Der Wind weht den Schnee in Wirbeln vor mir her. Wie ein Sandsturm in der Sahara sieht das aus, nur in weiß.
Doch nichtestotrotz macht sich die mutige Polarforscherin auf ihre Expedition durch die unendlichen Wälder Alaskas den Park von Helsinki auf, um für Euch (und vor allem für sich selbst 🙂 ) eine original finnische Sauna auszutesten.
Ja, okay, die Wintersonne ist doch noch ein bisschen zu sehen. Ich gehe knirschenden Schrittes, den Schal ums Gesicht gewickelt, am See entlang; von hier aus kann man den Dom von Helsinki in ihren goldenen Strahlen in der Ferne leuchten sehen. Ich fotografiere den Dom. Dafür ziehe ich meinen Handschuh aus.
Du spürst die Kälte nicht. Du spürst gar nichts. Es ist wie Eisspray; es betäubt dich sofort. Also fotografiere ich, solange ich meine Hand noch fühle und stecke sie dann sofort wieder in den Handschuh.
Der Schmerz kommt zeitverzögert; erst nach zwei, drei Minuten. Stechend, stark. Er kommt erst, als meine Hand wieder im Warmen ist. Und er hält an.
Ich komme am Olympiastadion vorbei. Der Zaun um das Stadion herum ist mit Graffitis verziert. Jogger kommen vorbei. Eine junge Frau, deren Atem dampfend in die kalte Luft steigt. Nur ihre Schritte sind zu hören, dann verschwindet sie zwischen den Bäumen.
Siehst du, die wissen, was Disziplin bedeutet; nix da von wegen zu kalt oder so. Tapfer laufen sie ihre Strecke mit vor Frost dampfenden Atemzügen. Nimm dir daran mal ein Beispiel, Faulpelz Kasia!
Faulpelz Kasia dreht sich einmal mehr auf ihrer Couch um, öffnet ein Auge: Hat mich jemand gerufen?
Ich habe einen Umweg gemacht, ehe ich die Sauna fand, aber das macht nichts: Erst wenn man so richtig schockgefrostet ist, lohnt sich ein Saunabesuch wirklich. Als ich mit glühenden, vor Kälte geröteten Wangen an der Pforte der Kotiharju-Sauna stehe, ist das mitgebrachte Wasser in meiner Wasserflasche gefroren.
Vor mir – eine japanische Familie, die den kleinen Vorraum vor der Kasse fast vollständig füllt. Die kleine, ältere Finnin mit den roten Bäckchen, die an der Theke sitzt, spricht perfektes englisch; ein Häubchen bedeckt ihr dunkelblondes Haar und ihre Augen blicken blau und forsch.
„Die Herrensauna ist hier…“ sie zeigt nach rechts, „und die Damensauna ist oben.“ Streng blickt sie ihre japanischen Gäste an. Sie sollen ja nicht auf die Idee kommen, hier mal zusammen in eine Richtung zu entschwinden!
Nachdem sich die Familie zerstreut hat, bin also ich dran.
„Hyvää päivää! Do you speak english?“ Was für eine unsinnige Frage, Kasia, du hast doch eben gehört, dass sie englisch spricht! „Ähm, yes you do…“ Ich sage ihr, dass ich gerne eine Karte für „Sauna open end“ hätte, ähm, I mean till 22 pm. Sie schmunzelt und erklärt mir, dass sich alle Gäste spätestens um zwanzig vor zehn bereits draußen in den Umkleideräumen zu befinden haben.
„Aye aye, ma’am!“ Rufe ich und salutiere. Jetzt lacht sie.
„Thank you!“ Sage ich und renne die Treppen nach oben, mache halt, kehre um, stecke den Kopf nochmal ins Kassenhäuschen: „I mean: kiittos!“
Sie strahlt.
Als ich den Damenbereich betrete, entschlüpft mir ein erstes, kleines huh?. Der Umkleideraum ist geräumig und sehr gemütlich; dunkle Holzmöbel verleihen ihm eine warme Atmosphäre. Die Bänke und Schließfächer bilden kleine Oasen, wo man sich in Ruhe seiner Kleider entledigen und alles verstauen kann. Hier und da stehen Tische und Stühle, es gibt einen Ganzkörperspiegel, Föne in einem Körbchen im Regal verstaut, eine Personalwaage, Zeitungen und Bücher, Spielzeug für die Kinder. Kleine LED-Lichter auf den Tischen verstärken noch diese Wohnzimmer-Atmosphäre. Es wirkt wie ein Ort, um seine Zeit zu verbringen und nicht wie die sonstigen Kabinen angefüllt mit Spinden, die nur dazu dienen sollen, seine Kleidung schnellstmöglich zu verstauen und abzuschließen.
Ich streife erst einmal umher. An den Flur angrenzend befinden sich weitere, kleine Räume mit Liegen und Sitzgelegenheiten, so dass man bei Bedarf seinen eigenen Bereich zum Entspannen haben kann.
Ich ziehe mich um, nuckle ein bisschen an meiner Eisflasche (der Winter, wir erinnern uns) und laufe los in Richtung Wärme.
WOW! – Entfährt es mir, als ich die Tür öffne und den Raum betrete. Denn im ersten Moment glaube ich, ich sei versehentlich in einem Heizungskeller gelandet.
Der Raum ist riesig, so groß wie ein Wohnzimmer (na gut, ich weiß nicht, wie groß Euer Wohnzimmer so ist, aber bei den meisten, die ich kenne, kommt das hin).
Ein gusseiserner Ofen brutzelt und knackt rechts von mir in einer Ecke und auf dem kohleschwarzen Boden sind Holzscheite verteilt. Kleine Fenster nach draußen sind teilweise mit Ruß bedeckt. Wärme erfüllt den Raum und es riecht aromatisch nach Rauch und Holz. Doch als ich mich nach links wende, weiß ich, dass das hier die Sauna sein muss: Kohleschwarze Treppenstufen führen ganz nach oben, wo auf der obersten Stufe rundherum hölzerne Sitzbänke zu sehen sind. Ein einzelnes Mädchen sitzt da und schwitzt.
Das Haus verfügt noch über eine zweite, kleinere Sauna; diese ist neu und hat einen der üblichen Steinkohleöfen. Dort setze ich mich zunächst hin und mache einen Aufguss. Der Duft der verbrennenden Kohle steigt angenehm in meine Nase. Ja, das ist für mich der typische Winterduft, immer wenn ich nach draußen gehe: Kälte, Frost und Rauch, der aromatisch aus Kaminen dringt. Also… für mich ist es aromatisch. Ich weiß nicht, wie es Euch dabei geht.
Angrenzend gibt es einen sehr geräumigen Duschraum mit steinernen Bänken, auf denen man sich anschließend ausruhen kann. Überall stehen Seifenspender, in einer Ecke sehe ich eine kleine, rote Plastik-Badewanne. Wozu die gut ist…?
Auch dieser Raum verfügt über Fenster und so stehe ich nach dem X-ten Saunagang dampfend am Fenster und schaue in den verschneiten, kleinen Park hinaus und auf die runden Laternen mit ihrem weißen Licht, an denen Eiszapfen hängen und die die Dunkelheit vertreiben.
Nach und nach füllt sich die Damensauna mit Leben, ähm… mit Damen. Es wird erzählt und gelacht, während die meisten in der großen Holzkohlensauna schwitzen. Ich schwitze mit ihren und überlege die ganze Zeit, wie man denn bei dem verschlossenen Ofen einen Aufguss machen soll.
Ein lautes Zischen lässt mich aufschrecken und ich spüre, wie sich warmer, willkommener Dampf unter der Decke in meine Richtung ausbreitet. Ach, so macht man Aufguss – indem man die großen, weißen Hebel an der Seite des Ofens betätigt! Na, das lass ich mal lieber andere machen, bevor ich den Ofen in die Luft jage… Oh ja, noch ein bisschen Dampf… Danke!
Drei Stunden bleibe ich insgesamt da. Das reicht für mehrere Saunagänge und Entspannung pur; gegen 19 Uhr verlasse ich bereits das Saunahaus wieder.
Als ich draußen, vollständig angezogen und mit Wollschal bedeckt, in meinen Taschen nach meinem Handy krame, um ein Foto zu machen, platzt plötzlich eine gerötete, in Handtuch gewickelte Gestalt aus der Tür und setzt sich dampfend neben mir auf die verschneite Bank.
„Oh shit… really?“ Rufe ich aus. Wir sprechen hier immerhin von elf Grad minus draußen.
„Oh, it’s okay.“ Sagt der Junge, der noch nicht aufgehört hatte, zu dampfen. „After Sauna it’s okay. You can try it…“
Auf dem Weg zurück ins Hotel finde ich durch Zufall den Sitz der Piratenpartei in Helsinki – gut versteckt im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses, die Fenster bis obenhin mit schweren, schwarzen Samtvorhängen bedeckt. Was die da wohl wieder aushecken…?
Als ich wieder am See vorbei laufe, weht der Wind den trockenen Schnee hinter mir her. Wie eine Polarexpedition sieht das aus; wie die Reportagen von den ewigen Schneestürmen in der Antarktis, die manchmal auf National Geographic ausgestrahlt werden. Und der Wind ist eisig.