Marmaris oder Öludeniz? Die Qual der Wahl
Die Geschichte von Marmaris ist die Geschichte von meiner Freundin und mir, die Geschichte einer misslungenen Buchung, Abenteuer, schlitzohriger Verkäufer und offener, herzlicher Menschen. Und davon, wie das Leben einen manchmal dorthin schickt, wo man zwar nicht hin wollte, sich aber im Nachhinein mit einem Schmunzeln in Gesicht an diesen Ort und diese Zeit erinnert…
„Es ist schon so lange her, da wir den letzten Urlaub zusammen verbracht hatten.“ Sage ich. „Einfach mal weg, es muss noch nicht mal für lange sein… und auch nicht viel kosten – was hältst du davon?“ So oder so ähnlich wird sich das Gespräch zwischen Nina und mir vor nun mehr als zwei Jahren abgespielt haben. Noch in Erinnerung an unsere letzte gemeinsame Reise 2012 nach Florenz fingen wir irgendwann wieder an, neue Pläne zu schmieden.
Ja, Florenz war beeindruckend gewesen. Eine Flucht für mich, eine Ablenkung für sie; von Problemen, Ärgernissen und dem Alltagstrott. Doch für mich war es noch mehr als das; in diesen zwei Wochen, in denen ich mit meiner Freundin in eine der schönsten aller Städte flüchtete, sollte sich das Schicksal meiner jungen Ehe entscheiden. Nun sind seitdem wieder zwei Jahre vergangen, wir hatten jetzt 2014. Seit dieser Zeit ist eine Menge passiert. Ich lebe jetzt alleine, und der Mann, der mich auf Händen trägt, ist erst seit kurzem in mein Leben getreten. Noch fühle ich mich so frei, mit meiner Freundin zusammen ein neues Abenteuer antreten zu können.
„Pass doch auf, du Idiot!“ Meine Freundin hupt wie wild und zeigt dem unachtsamen Autofahrer im Vorbeifahren den Vogel. Ich sitze stocksteif auf dem Beifahrersitz, meine Handtasche in den verkrampften Händen haltend, und trage mein liebstes Lächeln auf den Lippen spazieren, zu dem ich in diesem Augenblick imstande bin. Auf den Einwand, der Mann auf der Straße hätte soeben Vorrang gehabt, verzichte ich. Ich weiß, dass meine Freundin noch nicht sehr erfahren beim Autofahren ist und sie der hektische Feierabendverkehr in der Stadt nervös macht, was sie durch zur Schau gestellten Ärger über die anderen Verkehrsteilnehmer zu überspielen sucht. Als wir in der Wormser Innenstadt das Auto einparken und aussteigen, entschuldigt sie sich bei mir für ihre chaotische Fahrweise. „Ach Quatsch! War doch total entspannt!“ Lüge ich und lächle sie an.
Bei Ayhan kommen wir kurz vor Geschäftsschluss an; die Uhr zeigt viertel vor sechs. „Hey, Mädels!“ Strahlt er uns an. „Wo soll’s denn diesmal wieder hingehen?“ Ayhan ist Betreiber des Reisebüros unseres Vertrauens, bei dem Nina in schöner Regelmäßigkeit und ich ab und an buchte. Wir wissen, dass er alle Tipps und Tricks kennt, um uns jederzeit das günstigste Reiseangebot zu sichern. Auch damals beim Buchen vom Florenz-Urlaub hatte er ein gutes Händchen bewiesen. „Na ja,“ fängt Nina an. „Wir wollen für eine Woche weg, irgendwohin, egal. Nur so günstig wie möglich soll es sein.“
„Wir haben ein Budget von nicht mehr als dreihundert Euro pro Kopf.“ Füge ich hinzu. „Für alles.“ Ayhan stößt erstmal die Luft zwischen den Zähnen aus, nimmt dann aber die Herausforderung an. Eine dreiviertel Stunde später spazieren wir raus, mit zwei Angeboten in der Hand.
Die Unterlagen in den Händen, sitze ich zu Hause am Schreibtisch und lasse meinen Blick verträumt in die Ferne schweifen. In beiden Fällen ist die Türkei unser Reiseziel. Doch davon abgesehen hätten sie nicht unterschiedlicher ausfallen können.
Angebot Nummer 1 führt uns nach Marmaris, einer lebhaften, erschlossenen Stadt mit viel Action, aber auch Geschichte (die Häuser der Altstadt stehen alle unter Denkmalschutz). Marmaris ist ein Urlaubsziel für all jene, die gerne besichtigen und auch viel erleben wollen. Es gibt viele touristische Angebote, eine belebte, elf Kilometer lange Strandpromenade und über dem Ganzen thront eine Burg, die aussieht, als hätte man sie direkt dem Mittelalter entrissen und hierher versetzt.
Das Angebot beinhaltet Frühstück, das Hotel verfügt über einen Swimming Pool und eine schöne Ruhezone mit Bar.
Die zweite Reise ginge nach Ölüdeniz; einer Halbinsel, nur wenige Kilometer von Marmaris entfernt. Endlos lange Strände, viel Natur und purer Entspannung bestimmen den Urlaubscharakter, und das Hotelangebot gibt es hier mit all inclusive. Die Landzunge, die ins Wasser reicht, ist nicht nur für das türkisene, kristallklare Wasser bekannt, das eine sehr gute Qualität aufweist, die Lagune ist auch ein Traum für Gleitschirmflieger. Es ist eine sehr beliebte Badebucht, da das Meer an dieser Stelle sehr ruhig ist.
Beide Hotels haben so an die drei- bis vier Sterne, und beide Reisen würden uns so an die 315- bis 320 Euro kosten. Ich tendiere zu Marmaris, der belebten Stadt, obwohl ich zugeben muss, dass auch die entspannte Variante ihre Reize hat.
Nachdem ich mich allerdings wieder mit Nina zusammentue, entscheiden wir uns für die endlosen Strände und die Natur; es ist vor allem das all inclusive- Angebot, welches Nina dabei lockt, und ich gebe schließlich nach. Ich will Marmaris nicht mit aller Macht durchsetzen, und wie gesagt, auch die zweite Option hört sich für mich toll an. Eine Woche lang entspannen und nichts tun, vielleicht brauchen wir beide genau das. Die beiden Angebote wurden für uns eine Woche lang festgefroren, so dass für die Entscheidungsfindung nicht wirklich viel Zeit geblieben ist.
So sind wir am darauffolgenden Montag das zweite Mal unterwegs nach Worms zu Ayhan, um die Sache mit Ölüdeniz dingfest zu machen. Da macht er uns auf ein kleines Detail aufmerksam, nämlich, dass Ninas Pass nur noch wenige Wochen gültig ist. Während wir also im Reisebüro sitzen und meine Freundin Blut und Wasser schwitzt, sind Ayhans fragende Augen an ihr geheftet: Was jetzt? „So kannst du nicht verreisen, du brauchst einen Pass, der mindestens noch ein halbes Jahr gültig ist.“ Sagt er. Ich bin dankbar, dass er Klartext redet wie auch für die Tatsache, dass ihm dieses Detail nicht entgangen war. „Bis wann kannst du denn deinen Pass neu beantragen?“ Ich sitze daneben und versuche, unbeteiligt bis verständnisvoll zu schauen. Doch innerlich rolle ich die Augen. Mensch, Nina!
Meine liebe Freundin Nina war schon während der Schulzeit sehr verpeilt. Es machte einfach ihr liebenswertes Wesen aus. Kennengelernt hatten wir uns während unserer PTA-Ausbildung, und da die Ausbildung größtenteils schulisch verläuft, durften wir zusammen die Schulbank drücken. So verbindet uns nicht nur eine langjährige Freundschaft, sondern auch der gleiche Berufsstand miteinander.
Wir buchen auf volles Risiko. Ohne Rücktrittsversicherung. Bis zu unserer Reise sind es noch zwei Monate hin. Wir haben März. „Bist du sicher, dass das mit dem Pass auch rechtzeitig funktioniert?“ Frage ich sie, als wir Ayhan wieder verlassen und durch das abendliche Worms spazieren. „Ja, auf jeden Fall.“ Sagt sie zuversichtlich. „Das ging bis jetzt immer ganz schnell.“ Ich sage nichts mehr. Ich will sie nicht beunruhigen, und auch mich nicht noch mehr, als ich es bereits bin. Jetzt heißt es einfach nur, schnell zu handeln – wird schon alles gut werden, versuche ich, mir gut zuzureden.
Doch ein mulmiges Gefühl bleibt und sitzt irgendwo tief in der Magengrube.
Ankunft in Marmaris
Der volle Bus tuckert im reißenden Tempo das felsige Tal herunter. Vor uns eröffnen sich mit jeder passierten Kurve immer wieder neue, faszinierende Ausblicke über das Tal und das blaue Meer in der Ferne, Städte, die wie Legosteine aussehen. Links von uns erhebt sich die felsige Wand, rechts geht es hinunter ins Tal. Nina, eingelullt in ihren Pulli und ungeachtet der rüttelnden Fahrt, schläft erschöpft neben mir und ich wage nicht, sie zu wecken. So genieße ich alleine den fantastischen Ausblick.
Als wir unten im Tal ankommen, schlägt sie die Augen auf. Es ist Vormittag, und wir haben in der Nacht bisher keinen Schlaf bekommen. Der Flug ging morgens um fünf, nachts um drei waren wir bereits am Frankfurter Flughafen. Stefan brachte uns hin und blieb, bis wir im Sicherheitsbereich verschwunden sind. Dort dösten wir, aneinander gelehnt, auf einer Bank vor uns hin dösen. Alle Geschäfte und sonstige Aktivitäten, mit denen man sich theoretisch die Zeit vertreiben könnte, sind geschlossen und mit dicken Gittern versiegelt. „Wir sind gleich da, nur noch wenige Kilometer.“ Beruhige ich sie, als sie sich orientierungslos umsieht.
Doch unerwartet früh ruft der Busfahrer unsere Namen auf. Und den Namen unseres Hotels. Ja, der Hotelname stimmt, aber… Irritiert schaue ich mich um. Wir sind hier doch noch Kilometer von Olüdeniz entfernt, das kann nicht sein. Unsere Namen erklingen erneut. Vielleicht ist Marmaris ja nur eine Zwischenstation. „Is it here? “ Frage ich. Der Fahrer nickt; man merkt, er will weiter.
Augenblicke später stehen wir vor dem Bus, unser Gepäck neben uns. Vor uns – das Hotel. In Marmaris. Was läuft hier falsch? Wir gehen rein und erfahren an der Rezeption, dass hier tatsächlich ein Zimmer für uns gebucht ist. Das wir uns in einem völlig falschen Oft befinden, scheint niemanden zu interessieren. What the fuck…??
Ich bin stinksauer und werde lauter. Dann kommandiere ich mich selbst in die Ecke des Aufenthaltsraumes und sitze da, versuche, mich zu beherrschen und das Feuer einzudämmen, das mich in meinem Inneren aufzufressen droht. Was haben die bloß für ein Scheiß gemacht?
Nina steht noch immer an der Rezeption und versucht in einwandfreiem Englisch die Situation zu klären. Man ist besorgt, verständnisvoll und sehr bemüht um uns und unsere Lage. Es wird uns der Vorschlag unterbreitet, uns doch schon mal hinzusetzen und auszuruhen, bis sich alles geklärt hat. Es gebe auch gleich das Mittagsbuffet, wir können eine Kleinigkeit essen und die Reisetaschen doch schon mal aufs Zimmer bringen? – Schließlich seien die Zimmer sowieso schon für uns vorbereitet. Danach würde man weiter sehen. Die Aussicht auf Essen besänftigt mich ein wenig. Unser Gepäck wird aufs Zimmer getragen. Wütend stampfe ich hinterher; meine Gedanken schwanken zwischen Verständnis und Mordlust. Ayhan… dafür wirst du mir bluten.
Im Zimmer selbst wartet eine weitere, unangenehme Überraschung auf uns. Es ist nicht sauber! Es ist sogar ziemlich unrein. Der Spiegel im Bad ist bespritzt, am Waschbecken kleben Seifenreste, die Couch im Vorraum weist Flecken unbekannten Ursprungs auf. Und auch das Bett… „Da lege ich mich nicht rein!“ Verkünde ich laut, nachdem ich die Decke vorsichtig hochgehoben habe. Flecken, Haare… Nein.
Wir versuchen, Ayhan zu erreichen. Schließlich hat Nina Glück. Er ist fassungslos und setzt sich mit dem Reiseveranstalter in Verbindung. Doch das Telefonat ergibt folgendes: „Sie sagen, dass sie euch in das ursprünglich angedachte Hotel transferieren können – gegen Aufpreis, und der ist nicht gering. Und auch das Hotel würde dann teurer kommen als im Angebot, weil die Angebotspreise nicht mehr gelten…“
„Ich zahle keinen Cent mehr!“ Ereifere ich mich. „Es ist doch nicht unsere Schuld, sondern deren Versagen, dass wir hier überhaupt gelandet sind!“
„Na ja…“ Ayhan klingt verlegen. „Die Dame vom Kundenservice meinte, dass man schließlich auch in Marmaris eine gute Zeit verbringen kann…“ Ayhan verspricht, weitere Bemühungen anzustellen. Und so verbleiben wir. „Wie konnte das passieren?“ Frage ich Nina. „Anscheinend hat der Reiseveranstalter umdisponiert und uns kurzerhand hierher versetzt. Angeblich wäre im Vorfeld eine Mitteilung erfolgt. Doch Ayhan sagt, er hätte keine bekommen…“
„Das hätte er uns doch gesagt. Und was machen wir jetzt?“
Am falschen Ort gestrandet: „Ich vermute dahinter System…“
Wir beschließen, als erstes unten an der Rezeption den Zustand des Zimmers zu reklamieren. Wir werden in ein anderes Zimmer versetzt. An dessen Reinlichkeit habe selbst ich nichts mehr zu bemängeln. Zähneknirschend nehmen wir unsere Situation als gegeben hin
und Nina legt sich erstmal schlafen. Ich bin viel zu aufgeregt dazu. Also tue ich, was ich sonst immer tue, wenn meine Begleitung am ersten Reisetag müde dem Bedürfnis nach Bettruhe folgt – ich lackiere mir die Nägel.
Drei Stunden später sitzen wir im Schatten einiger Palmen am Pool des Wellnessbereiches. Im Hintergrund läuft Partymusik und an der Bar unterhalten sich entspannte Urlauber. Eine dralle Blondine im pinkem Bikini trägt ihren gebräunten Busen spazieren.
Wir haben uns etwas zum Essen und kalte Getränke besorgt und kommen bei der Gelegenheit mit anderen Hotelgästen ins Gespräch. Es stellt sich heraus, dass es uns nicht alleine getroffen hat. Mehrere Gäste, unabhängig voneinander, hätten eigentlich in anderen Hotels untergebracht werden sollen. „Ich vermute dahinter System.“ Erzählt uns ein junger, blonder Man und bittet uns um unsere E-Mail Adresse, um eine Sammelklage anzufechten. Wir befinden dies für eine gute Idee und rücken das Gewünschte raus. Doch wir sollten später wider hoffnungsvollen Erwarten nichts mehr von der Sache hören.
Eine beleibte, gutgelaunte türkische Urlauberin erklärt uns, dass sie auch wo anders ins Hotel hätte gehen sollen. Olüdeniz, so wie wir. Doch hier seien alle sehr nett und auch das Hotel sehr sauber. „Das mag ja alles sein.“ Antworte ich ihr und bin immer noch ein bisschen grummelig. „Doch wir haben nicht vor, hier zu bleiben.“ Zu meiner Überraschung lacht sie lauf auf, fröhlich tanzen ihre Locken ums Gesicht. „Das will ich sehen!“ Ruft sie aus. “ Mein Man und ich dachten das auch, und nun sind wir schon seit einer Woche hier.“
„Das ist schön und gut“ – beharre ich – „aber wir bleiben ganz sicher nicht!“ Sie lächelt wohlwollend warm und meint gutgelaunt: „Wir werden uns hier noch öfters über den Weg laufen…“ Dann steht sie auf und geht weg. Irritiert schaue ich ihr hinterher. „Du magst sie nicht.“ Sagt Nina und schaut mich einfühlsam an, als die Dame außer Hörweite ist. „Nein.“ Sage ich. „Ich hab ja nichts gegen sie, aber ihre fröhliche Art geht mir auf die Nerven.“ Besonders wenn Kasia mies gelaunt ist; warum wollen mir da andere ihre verdammt gute Stimmung auf die Nase binden?
Ich sehe, wie Nina mich anschaut und lächelt. Ich habe noch nie bei irgend jemandem so ein Lächeln gesehen, wie es meiner Freundin eigen ist. Dabei leuchten ihre Augen und strahlen eine so unglaubliche Wärme aus, dass man sich von einer wärmenden Decke umhüllt wähnt. Damit eint sie sich die Herzen aller Menschen, die ihr begegnen, ob nun Männlein oder Weiblein, und manchmal beneide ich sie um diese Ausstrahlung, während ich mir schon in jungen Jahren antrainiert habe, mir die Menschen auf Distanz und somit vom Leib zu halten.
An diesem Abend machen wir nicht mehr viel. Wir bleiben am Pool, bis es beginnt zu dämmern, und genießen danach das abendliche Buffet. Erst am nächsten Morgen machen wir uns auf, die Stadt Marmaris im Gesamten und die Promenade im einzelnen zu erkunden.
[…] Wir werden vor einem Hotel ausgesetzt, welches wir nicht gebucht hatten, in einem Ort, den wir nicht gebucht hatten. Man hatte uns in Marmaris einquartiert, ein ganzes Stück von Ölüdeniz entfernt. Der Reiseveranstalter hatte kurzerhand umdisponiert und unser Touristikberater im Reisebüro hatte den dezenten Hinweis des Veranstalters übersehen. Ich bin auf hundertachtzig und schwöre jedem blutige Rache, der auch nur ansatzweise mit dieser Intrige zu tun hat. Momentan sitzen wir auf der Hotelterrasse, umgeben von Sonne, leckerem Essen und gut gelaunten Menschen. Es ist nicht leicht, dabei die Idee vom blutrünstigen Kreuzzug aufrecht zu erhalten. […]